Büchermachen als Lebensgeschichte

Büchermachen als Lebensgeschichte

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Büchermachen als Lebensgeschichte

Rüdiger Thomas, Bergisch Gladbach

 

Erhard Frommhold. Lektor und Publizist. Zusammengestellt und erarbeitet von Hildtrud Ebert. Herausgegeben von der Akademie der Künste Archiv. Archiv-Blätter 17 (Berlin Mai 2008), 200 S.,     € 7,50

 

Die Verlagsgeschichte der DDR ist nicht nur eine Geschichte politischer Reglementierung, von Zensur und ideologischer Vor-mundschaft. Sie ist vor allem auch eine Geschichte kreativer Büchermacher. Sie haben ideenreich, listig, mutig und beharrlich Publikationen realisiert, die von weltsüchtigen Lesern als Bückware geadelt wurden. Es waren Verleger wie Roland Links (der seit 1979 die Verlagsgruppe Gustav Kiepenheuer Leipzig führte), aber auch Lektoren wie Dietrich Simon (der bei Volk und Welt die deutschsprachige Literatur verantwortete), die sich  – mehr noch als die öffentlichkeitswirksam agierenden Großverleger Elmar Faber und Hans Marquardt – bleibende Verdienste um die Vermittlung der literarischen Moderne in der DDR erworben haben. Zu diesen kreativen Persönlichkeiten zählt – wie wenige andere – auch Erhard Frommhold, der fast 40 Jahre als Lektor und Cheflektor (seit 1958) im Dresdner Verlag der Kunst dessen Programmangebot maßgeblich geprägt hat.

1928 im sächsischen Altenberg geboren, in einer antifaschistischen Arbeiterfamilie aufgewachsen, lernt er zunächst das Klempnerhandwerk und muss als Sechzehnjähriger noch in Hitlers Krieg ziehen. Nach Abschluss eines Studiums der Sozialwissenschaften, Literatur- und Kunstgeschichte kurzzeitig im thüringischen Ministerium für Volksbildung tätig, wirkte Erhard Frommhold vier Jahrzehnte lang bis zu seinem Ausscheiden 1992 als intellektuelles Kraftzentrum des Verlages der Kunst, „das nicht das Machbare, sondern stets das Mögliche erwogen hat“. (8) So würdigt Hildtrud Ebert den Lektor und Kunstpublizisten in einer konzisen Auswahl von Texten Frommholds, die einen eindrucksvollen Einblick in Denkweise und Haltung einer inspirierenden Persönlichkeit aus dem Kulturleben der DDR erlauben, der im Westen Deutschlands nicht hinreichend bekannt geworden ist.

Frommholds Opus magnum ist sein 1968 erschienenes großformatiges Buch „Kunst im Widerstand“, das den Untertitel „Malerei, Graphik, Plastik 1922 – 1945“ trägt. Die von Hildtrud Ebert kenntnisreich eingeleitete Edition dokumentiert u. a. ein erstes Konzept zu diesem Hauptwerk Löfflers, das bereits 1957 entstanden ist. Der opulent ausgestattete Bildband, der Arbeiten von mehr als 300 Künstlern dokumentiert, zeigt neben zahlreichen Arbeiten, die in der Tradition realistischer Kunst stehen, auch Bilder und Skulpturen u. a. von Beckmann, Chagall, Max Ernst, Feininger, Klee, Kokoschka, Laurens, Léger, Lipschitz, Miro, Moore, Picasso, Schwitters und Ossip Zadkine, die in der DDR als formalistisch abgelehnt wurden. Das Buch, seinerzeit ein fulminanter Bestseller, fand internationale Beach-tung und vielfältiges Lob, u. a. in einem Brief des berühmten Pariser Picasso-Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler (73), stieß wegen seines unbestechlichen kunsthistorischen Blicks aber auf heftige Kritik engstirniger „Kulturwebel“ (Alfred Kantorowicz), die im Juni 1969 zur Einleitung eines Parteiverfahrens führte. Anschließend wurde Frommhold die Funktion des Cheflektors zeitweilig (bis 1973) entzogen.

Nachdem Frommhold 1959 mit Ernst Fischers Band „Von der Notwendigkeit der Kunst“ die Fundus-Reihe gestartet hatte, die u. a. wichtige Dokumente und Kommentare zur Kunst- und Kulturtheorie versammelte, sollte er wenig später erstmals den Argwohn der Parteifunktionäre erwecken. Obwohl er 1958 die viel beachtete Wiederentdeckung des bedeutenden Fotografen Helmar Lerski eingeleitetet hatte, musste er im Herbst 1962 erleben, dass die Veröffentlichung eines bereits fertiggestellten zweiten Buches „Metamorphosen – Verwandlungen durch Licht“ an einer rigiden Zensur scheiterte, die sich über vorgeblich „technisch raffinierte(n) Taschenspielertricks“ entrüstete. (16) Doch Frommhold ließ sich durch solche schockierende Erfahrungen, die ihm in einem Parteiverfahren eine Verwarnung eintrugen, nicht entmutigen: 1967 erschien die grundlegende Monografie über den russischen Konstruktivisten El Lissitzky, „einen bilderstürmenden Avantgardisten – formalistisch durch und durch. Wie durch ein Wunder blieb es von Verriss und Verbot verschont. Dass es überhaupt erschien, verdankt es der Servilität der DDR-Behörden gegenüber sowjetischen Institutionen. (…) Mitte der 1960er Jahre nahm Frommhold Kontakt zu Sophie Lissitzky-Küppers, der Witwe des Künstlers, im fernen Nowosibirsk auf. Dort verfasste sie das Manuskript, aus dem der spätere Buchtext hervorgehen sollte. Eine sowjetische Behörde genehmigte den ‚Export’ der vielen, dichtbeschriebenen Seiten, die vermutlich in Moskau niemand lesen konnte. In der DDR traute sich keiner, deren Entscheidung anzuzweifeln.“ (18)

Die Veröffentlichungen, die dieser engagierte Büchermacher unter schwierigen kulturpolitischen Rahmenbedingungen ermöglicht hat, lassen sich hier nicht annähernd bilanzieren und würdigen. Das lesenswerte Buch von Hildtrud Ebert gibt darüber ebenso anschaulich Auskunft wie über eine besondere Eigenschaft Frommholds, die ihn als Menschen lebendig werden lässt. Er hat viele Freundschaften  zu Künstlern und Kunstwissenschaftlern in aller Welt gepflegt und war jungen Künstlern und vielen aus der nachfolgenden Generation der Kunstwissenschaftler ein inspirierender Berater und ein ermutigendes Vorbild. So ist dieses gelungene Buch ein kleines Denkmal für einen unabhängigen Geist, der vor einem Jahr am 17. Oktober 2007 in Dresden gestorben ist.

 

© Rüdiger Thomas

 

In: Deutschland Archiv, 41. Jg. (2008), H. 6, S. 1129-1130.

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