Lexikalische Irritationen

Lexikalische Irritationen

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Lexikalische Irritationen

Rüdiger Thomas, Bergisch Gladbach

Dietmar Eisold (Hg.): Lexikon Künstler der DDR,  Berlin: Verlag Neues Leben, 2010,1088 S., 39,90

Wie hilfreich ein Personenlexikon sein kann, zeigt die Erfolgsgeschichte des im Christoph Links Verlag zuerst 1992 erschienenen Kompendiums „Wer war wer in der DDR?“, das in diesem Frühjahr erneut in einer erheblich erweiterten zweibändigen Neuausgabe erschienen ist. Alle, die an der Kunstgeschichte der DDR interessiert sind, konnten daher auf das Lexikon Künstler in der DDR gespannt sein, das pünktlich zur Leipziger Frühjahrsmesse vorgestellt wurde. Es umfasst Angaben zu etwa 7.000 Personen aus einem weit gefassten Umfeld der bildenden Künste: Maler, Grafiker, Bildhauer, Fotografen, Formgestalter, Kunsthandwerker, Buchgestalter, Bühnenbildner (und sogar – eigens erwähnt – Puppengestalter). Der Herausgeber Dietmar Eisold, in Leipzig diplomierter Kunstwissenschaftler, war von 1971 bis 1991 als Redakteur für bildende Kunst beim „Neuen Deutschland“ tätig und hat die Einträge des Lexikons in einem Zeitraum von etw 20 Jahren zusammengetragen, wobei ihm ein „Berater- und Gutachterkreis“ zur Seite stand, dem    u. a. Peter H. Feist, Wolfgang Hütt und Lothar Lang angehörten.

Der  Ehrgeiz dieses Lexikons, das als ein „Projekt der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde“ ausgewiesen ist, die sich bekanntlich mit ihren zahlreichen Aktivitäten einer dezidierten DDR-Apologie verschrieben hat, zielt über die Information zu einzelnen Künstlern hinaus. Es soll die „Fülle und Vielgestaltigkeit der im Osten Deutschlands entstandenen und rezipierten Kunst“ sichtbar werden lassen, wie Peter H. Feist einleitend formuliert und damit auch Anstösse zu einer neuen Sicht auf die Kunstgeschichte der DDR geben, die „als ein weißer Fleck auf der Geschichte der Weltkunst im 20. Jahrhundert“ behauptet wird – trotz der Publikationen von Lothar Lang, Karin Thomas, Martin Damus, Eckhart Gillen oder Hermann Raum, in denen sich höchst unterschiedliche Sichtweisen auf die Kunst der DDR abgebildet haben. Dem Herausgeber und dem Verlag geht es aber nicht nur um eine Bestandsaufnahme der Künstler und Einblicke in die Kunstentwicklung der DDR, sondern auch um ein generelles politisches Anliegen. So beklagt sich Feist ganz im Sinne des Projektträgers, „wie der soziale und politische Versuch, der hier [also in der DDR R. Th.]unternommen wurde, zu einer bloßen Fußnote der Weltgeschichte entwürdigt werden sollte.“(8)

Das weckt Skepsis im Hinblick auf die gebotene Neutralität bei Auswahl und Inhalt der lexikalischen Einträge, die zunächst durch ihre schiere Anzahl beeindrucken. Bei näherer Durchsicht zeigen sich jedoch gravierende Mängel, die den Gebrauchswert dieses Lexikons erheblich beeinträchtigen. Generell folgen die Beiträge einem einheitlichen Schema: Angaben zur Person, zur künstlerischen Ausbildung und Entwicklung leiten die Artikel ein (wobei staatliche Auszeichnungen nicht fehlen), dann werden Ausstellungen,  mitunter auch einzelne Werke benannt, Literaturangaben unterschiedlicher Provenienz bilden den Abschluss. Zur Auswahl der aufgenommenen Künstler bemerkt Eisold: „In das Lexikon gehören selbstverständlich auch jene Künstler, die die DDR aus unterschiedlichen Gründen ver-ließen.“(10) Diesem selbst gesetzten Anspruch wird er nominell zwar überwiegend gerecht, doch die Einträge zu den in den Westen über-gesiedelten Künstlern sind völlig unzulänglich und brechen in der Regel mit dem Zeitpunkt ab, zu dem die Künstler die DDR verlassen haben. Später im Westen weltweit arrivierte Künstler wie Georg Baselitz, Günther Uecker und Gerhard Richter werden lediglich mit Geburtsdaten und dem lapidaren Vermerk „weggegangen“ annotiert, obwohl  zumin-dest Richter nach seinem Dresdner Akademiestudium noch eine kurze Karriere in der DDR begonnen hatte, bevor er 1961 in die Bundesrepublik übersiedelte. Doch dieses Prinzip wird gelegentlich durchbrochen. So wird dem aus Halle stammenden Maler und Grafiker Herbert Kitzel, der die DDR 1958 verlassen hat, ein Eintrag gewidmet, der auch sein Wirken in der Bundes-republik darstellt (Das gilt ebenso für den Text zu Gil Schle-singer). Auch wichtige Künstler der jungen Generation, die erst in den 1980er Jahren die DDR verlassen haben, etwa Cornelia Schleime oder Ralf Kerbach, werden lediglich in drei Zeilen abgetan. Befremd-lich auch, dass die Suche nach A.R.Penck auf seinen ursprüng-lichen Namen Ralf Winkler rückverweist, so wie ihn Lothar Lang,  um dem Druck der DDR-Kulturbehörden auszuweichen, in seiner frühen Publikation „Malerei und Graphik in der DDR“ (1979) in wenigen Zeilen erwähnt hatte. Von den außerhalb des Künstlerverbandes wirkenden unab-hängigen Künstlern aus der DDR fehlen wichtige Namen wie Jörg Herold, Carsten Nicolai oder die Fotografin Gundula Schulze (Eldowy) vollständig, während Neo Rauch immerhin mit einem kurzen Eintrag berücksichtigt ist.

Befremdlich sind auch die Disproportionen im Umfang der einzelnen Beiträge, aus  denen sich kaum Rückschlüsse auf die Bedeutung der Künstler ziehen lassen. Während Willi Sitte als Spitzenreiter auf acht Spalten vorgestellt wird, muss sich Carlfriedrich Claus mit gerade einem Fünftel begnügen, die Einträge über Hermann Glöckner und Gerhard Altenbourg umfassen etwa drei Spalten, während Hubertus Giebe, ein interessanter Künstler der zweiten Generation, die doppelte Textmenge zugestanden wird. Da verwundert es umso mehr, dass sich Hartwig Ebersbach nur mit einer knappen Notiz von lediglich einer Spalte begnügen muss – ein Künstler, der sich mit seinem der Abstraktion angenäherten expressiven Malstil den Konventionen sozialistisch-realistischer Kunst verweigerte und mit einem höchst eigenständigen Werk auch im Westen große Beachtung gefunden hat. Solche erheblichen Unterschiede im Informationsgehalt, für die zahlreiche weitere Beispiele angeführt werden könnten, lassen sich nur als willkürliche Vorgehensweise bezeichnen. Sie sind aber wohl nicht allein der Wertschätzung des Herausgebers geschuldet, sondern vermutlich das Ergebnis seiner Arbeitsweise. Offensichtlich haben verschiedene Künstler auf Anfrage die Angaben selbst beigesteuert, oder es wurden Quellen mit unterschiedlicher Informationsdichte benutzt. Als Extremfall können die Literatureinträge bei Werner Tübke gelten, wo nicht weniger als 300 Zeitungsartikel erfasst worden sind.

Es sind nicht die Details, die das Lexikon als Rohbaustelle erscheinen lassen, es ist vielmehr das kulturpolitische Anliegen, das Zweifel an dem Nutzen dieses Projekts erweckt. So heißt es beispielsweise in dem Text zu Gerhard Altenbourg: „Von Anfang an bestand eine prinzipielle Divergenz seiner Kunstauffassung zu den staatsoffiziell geforderten und geförderten Haupttendenzen der Entwicklung bildender Kunst in der DDR. (…) Maßgebliche Künstler (Willi Sitte und Bernhard Heisig) haben im VBK-DDR dazu beigetragen, die doktrinäre Haltung gegenüber G.A. zu überwinden.“(22)  Auch dem Künstler Roger Loewig, der sich in eindringlichen künstlerischen Arbeiten mit der repressiven poltischen Realität in der DDR auseinander-gesetzt hat, ist ein Beitrag gewidmet, der allerdings mehr verschweigt als informiert. Lapidar heißt es da: „1972 weggegangen (…) seit 1964 freischaffend. Mitglied des VBK-DDR.“(554) Dagegen informiert das eingangs erwähnte Lexikon „Wer war wer in der DDR?“ in einem entsprechenden Eintrag ausführlich über den künstlerischen Werdegang Loewigs und die gegen ihn gerichteten Zwangsmaßnahmen, dort heißt es u.a.: „1962 eine zur 5. Dt. Kunstausstellung eingereichte Lithografien-Folge wurde zurückgewiesen. (…) Beschlagnahme von künstler. Arbeiten, Manuskripten und Büchern, bis 1964 U-Haft in Berlin-Pankow; zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.“ Solche Schlaglichter auf die Kunstgeschichte der DDR, die auch eine Geschichte der Unterdrückung autonomer Kunst gewesen ist, vermeidet das Lexikon Eisolds. In bezeichnenden Auslassungen verwandelt sich ebenso wie im Lob auf die Maler-Verbandsfunktionäre Sitte und Heisig die lexikalische Information in einen nachgeholten Versuch, die Deutungshoheit über die Kunstgeschichte der DDR in apologetischer Absicht zu erlangen. So hat Eisold zwar seinen Vorsatz erfüllt, doch die Funktion eines Lexikons häufig verfehlt.

 

© Rüdiger Thomas

 

In: Deutschland Archiv, 43. Jg. (2010), H. 4, S. 730-731.

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