Rückblick im Abendlicht

Rückblick im Abendlicht

Rüdiger Thomas, Bergisch Gladbach

Lothar Lang: Ein Leben für die Kunst. Erinnerungen, Leipzig:

Faber & Faber Verlag 2009, 336 S., 19,90

Unter den Kunstkritikern in der DDR war Lothar Lang eine exponierte Persönlichkeit. Seine 1979 in Leipzig und Luzern erschienene Publikation „Malerei und Graphik in der DDR“ war ein bemerkenswerter Versuch, die Entwicklung der bildenden Kunst in der DDR aus einer undogmatischen Sichtweise zu beschreiben, auch wenn dabei nicht alle kulturpolitischen Tabus gebrochen werden konnten. (Das galt vor allem für A.R.Penck, der, im Westen längst renommiert, in der DDR als Außenseiter künstlerisch ausgegrenzt wurde, bis er 1980 in die Bundesrepublik abwanderte.) Vor allem durch seine in vier Bänden erschienene Geschichte der Buchkunst im 20. Jahr-hundert, die Lang 1975 mit seiner „Expressionistischen Buchillustration in Deutschland 1907-1927“ begonnen hat, ist Lang zu einem international anerkannten Experten auf diesem Gebiet avanciert. Doch von einer breiteren Öffentlichkeit ist der Autor vor allem im Hinblick auf sein Engagement für bildende Künstler aus der DDR wahrgenommen worden. Er war es auch, der 1977 auf der 6. Documenta als Kurator für ein separat in Auftrag gegebenes Segment fungierte, das sechs Künstler aus der DDR zum ersten Mal auf die wichtigste Bühne der internationalen Kunst brachte.

Wer nach Auskünften über diese graue Eminenz der Kunstszenen in der DDR sucht, durfte auf Langs Rückblick in die Kunstgeschichte der DDR, an der er selbst als handelnde Person beteiligt war, gespannt sein. Zwar verspricht der Untertitel seines Buches „Erinnerungen“, doch wird rasch deutlich, dass dies nicht im Sinne einer Autobiografie im klassischen Verständnis gemeint ist. Es sind vielmehr Mosaiksteine, Geschichten über seine Begegnungen mit Künstlern, seine Tätigkeit als Redakteur, Autor und Aus-stellungsorganisator, aus denen Lothar Lang ein Bild zusammenfügt, das seine solitäre Stellung im Kunstbetrieb der DDR zum Ausdruck bringen soll.

Nach einem kurzen Einblick in seinen Bildungsgang, der ihn 1955, damals 27 Jahre alt, zum  wissenschaftlichen Oberassistenten und wenig später zum Lehrbeauftragten für Probleme der Ästhetik an der Pädagogischen Hochschule Potsdam werden ließ, berichtet uns Lang, welche Künstler er gefördert oder gar entdeckt hat – da fehlt kaum ein Name -, und welche Bücher wir ihm verdanken, wie er mit lobenden Rezensionsauszügen ausführlich zu belegen weiß. Auch von seinen Begegnungen mit Künstlern im Westen und seinen damit verbundenen kunsthistorischen Bildungsreisen u. a. nach London, Rom, Mailand, Florenz, Venedig, Padua, Paris, Zürich, Bern und Basel berichtet der Autor enthusiastisch, ohne zu reflektieren, in welchem Maße er damit privilegiert war. Nicht ohne Koketterie überschreibt Lang ein Kapitel seines Buches „Ein Künstler wird bekannt“, bevor er die Entdeckung  von Harald Metzkes und der „Berliner Schule“ als „Erfolg eines Kunstkritikers“ rühmt. Da klingt manches ziemlich eitel und selbstverliebt, und man denkt gelegentlich an Manfred Ewalds Opus „Ich war der Sport“, das sich als eine einzige Erfolgs-geschichte lesen lässt, in der politische Hürden allenfalls am Rande vorkommen.

Doch wer sich davon nicht irritieren lässt, wird mit der Schilderung interessanter Episoden belohnt, die symptoma-tische Schlaglichter auf die Kulturgeschichte der DDR werfen. Das gilt für Langs Tätigkeit als freier Autor der „Weltbühne“ seit Oktober 1957 und als Chefredakteur der renommierten Zeitschrift für Bibliophilie und Buchkunst „Marginalien“ zwischen 1964 und 1998, vor allem aber für sein kreatives Wirken als Leiter des Kunstkabinetts Berlin-Weißensee, das er am dortigen Institut für Lehrerweiterbildung 1962 eingerichtet hatte, wo er wie in Potsdam seit 1957 als Dozent tätig war. Das Kunstkabinett hat für die Kunstentwicklung in der DDR wichtige Impulse vermittelt, auf Druck argwöhnischer Kulturfunktionäre musste es 1968 geschlossen werden. Im Rahmen des Kunstkabinetts organisierte Lang regelmäßig Ausstellungen, edierte Grafikmappen (die unter dem Label „Kabinettpresse“ bis 1975 erschienen) und veranstaltete Gespräche, Lesungen und Konzerte. Die erste Veranstaltung bestritt am 21. Juni 1962 Wolf Biermann. „Biermann war routiniert und in vollendeter Perfektion. Seine Gesänge zur Gitarre waren verblüffend und voller Witz. Er besang den Kommunismus und verlachte die Funktionäre der SED.“ Die Schilderung dieser Episode, die Lang durchaus zur Ehre gereicht, endet mit dem lapidaren Satz: „1976 wurde Biermann als Regimekritiker die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen.“ (126) Dies ist eine symptomatische Formulierung für Lang, sobald es um das Verhältnis von Kultur und Kulturpolitik in der DDR geht. Wenn Restriktionen der Kulturpolitik und ihre Sanktionsmechanismen ins Blickfeld rücken, bleibt Lang merkwürdig verschlossen. Das gilt etwa für die Jubiläumsaussstellung Weggefährten Zeitgenossen zum 30. Jahrestag der DDR-Gründung, die ja bekanntermaßen noch vor der Eröffnung zensiert wurde. Darüber hätte man von einem Beteiligten gern mehr erfahren, doch verliert der Autor darüber kein Wort.

Enttäuschend ist auch der Bericht über seine Documenta-Mitwirkung 1977. Lang, der die documenta 5 1972 in einem Beitrag für die „Weltbühne“ noch als „documenta der Schar-latane“ (H.29, S. 910) bezeichnet hatte, war durch einen Beschluss des SED-ZK auf Initiative von Willi Sitte die „Orga-nisation und wissenschaftliche Begleitung“ des DDR-Auftritts (einschließlich der Künstler-Auswahl) übertragen worden. Er verschweigt freilich, dass er für diesen Auftrag zwangsläufig auch als Apologet der DDR-Kulturpolitik fungieren musste. So würdigt Lang in seinem Beitrag für den Documenta-Katalog die Kontinuität einer Kulturpolitik, „die den Künsten den historisch jeweils optimalen Freiraum für ihre Entwicklung, geistig und materiell, sichert“ und unterstreicht: „Die schöpferische Leis-tung der Kulturpolitik der DDR besteht ohne Zweifel gerade darin, die Künstler, manchmal gegenderen Widerstand, zu der Einsicht geführt zu haben, für den Zustand der Gesellschaft, in dersie leben, selbst mit verantwortlich zu sein“ (Kat I, S.47).  Es wäre pharisäisch, dem DDR-Kurator solche Anpassungsleistungen vorzuwerfen, aber man könnte doch erwarten, dass der davon Betroffene erkennen lässt, wie solche disziplinierende Mechanismen der Kulturpolitik abgelaufen sind. Die Politik, die ja noch wenige Monate vor der Documenta-Eröffnung mit der Zwangausbürgerung von Wolf Biermann das vielbeschworene Bündnis von Geist und Macht desillusionierend und endgültig aufgekündigt hatte, wird bei Lang so weitgehend  ausgeblendet, dass der Leser vermuten könnte, sie sei nicht der Rede wert. So lässt der Autor in einem lesenswerten Buch die Kunst in der DDR in einem milden Abendlicht erscheinen, das vor allem auf ihn selbst als einen ihrer wichtigsten Kommentatoren viele aufschlussreiche Schlaglichter wirft.

 

© Rüdiger Thomas

In: Deutschland Archiv, 43. Jg. (2010), H. 6, S. 1136-1137.

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