Auseinandersetzung mit dem deutschen Kommunismus (2014)

Rüdiger Thomas
Zur Auseinandersetzung mit dem deutschen Kommunismus
in der Bundeszentrale für Heimatdienst
Eine kritische Sondierung im Umfeld des KPD-Verbots

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I. Antikommunismus – Polemische Formel oder Analytische Kategorie?
Wer die Literatur zum Antikommunismus betrachtet, stößt auf eine irritierende Erkenntnis. Der Begriff ist durchweg negativ konnotiert, doch kein Autor macht sich die Mühe, ihn zu definieren.1 Antikommunismus wird oft nur als Bedrohungsvorstellung wahrgenommen, die affektive gesellschaftliche Abwehrreaktionen hervorruft. So entsteht der Eindruck, dass jede Form von Kritik an theoretischen Kommunismuskonzepten oder an der Realität kommunistischer Parteiregime als antikommunistisch diskreditiert wird und damit unter den Verdacht polemischer Zuspitzung oder propagandistischer Abwehrreaktion gerät.
Grundlegend sollte zwischen einem propagandistischen und einem rationalen Antikommunismus unterschieden werden2, sinnvoller wäre es für eine tatsachengestützte diskursive Form des Antikommunismus den wertfreien Begriff der Auseinandersetzung zu verwenden. Auseinandersetzung heißt „Kenntnis, Prüfung und gegebenenfalls begründete Ablehnung“3. Als geistige Auseinandersetzung würde dann die kritische Beschäftigung mit den Ausprägungen kommunistischer Ideologie bezeichnet, während die Kritik parteikommunistischer Systeme als politische Auseinandersetzung zu rubrizieren wäre. Wo Beziehungen zwischen Ideologie und Politik reflektiert werden, wäre ‚geistig-politische Auseinandersetzung‘ angemessen. Für einen durch Bedrohungsvorstellungen bestimmten propagandistischen Antikommunismus wäre ebenso wie für offensive politische Polemik gegen kommunistische Systeme, die auf deren Beseitigung abzielen, ‚Bekämpfung des Kommunismus‘ sinnvoll. Erst eine solche begriffliche Differenzierung könnte den pauschalen Eindruck vermeiden, dass jede kritische Reaktion auf den Kommunismus unter Ideologieverdacht gestellt und pejorativ wahrgenommen würde.
________________________________________________                                                                                          1 Körner („Die rote Gefahr“) grenzt seine Studie im Untertitel auf „antikommunistische Propaganda“ ein. Korte (Instrument Antikommunismus) legt mit seinem Buchtitel nahe, dass der Antikommunismus in seiner Benutzung zu politisch-instrumentellen Zwecken in den Blick genommen wird. Wippermann (Heilige Hetzjagd) thematisiert „Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus“.
2 Vgl. Thomas, Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung, S. 277. Anregend ist der Vorschlag von Andreas Wirsching, der idealtypisch einen ideologischen, einen funktionalen und einen empirischen Antikommunismus unterscheidet. Zitiert nach: Boris Spernol: Der Giftschrank der Geschichte, in: taz vom 8. 11. 2011.
3 Gollwitzer, Die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, S. 289.

[124 Rüdiger Thomas]

Die frühe Geschichte des Antikommunismus in der Bundesrepublik kann nur dann differenziert analysiert werden, wenn sie zwischen einer propagandistisch motivierten Bekämpfung des Kommunismus und einer geistig-politischen Auseinandersetzung unterscheidet. Diese Einsicht vermittelt die Geschichte der Bundeszentrale für Heimatdienst ebenso wie die Gründungsgeschichte des fünf Jahre später etablierten Ostkollegs.

II. Ausprägungen des Antikommunismus in der Formierungsphase des Kalten Krieges
Spätestens seit der Zwangsvereinigung von KPD und SPD im April 1946 zeichnete sich in der SBZ eine Entwicklung ab, die eine exponierte Herausforderung durch den Sowjetkommunismus im besetzten Deutschland und mit dem Beginn des Kalten Krieges ein Jahr später auch eine globale Ost-West-Konfrontation manifestierte.
Es waren zunächst private Organisationen, wie die 1948 formierte ‚Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit‘ (KgU)4 und der wenige Tage nach dem Beginn des Korea- Krieges Ende Juni 1950 unter maßgeblichem Einfluss des ehemaligen Antikommunismus-Propagandaexperten aus dem Goebbels-Ministerium, Werner Taubert5, gegründete ‚Volksbund für Frieden und Freiheit‘ (VFF)6, die sich gegen die Repressalien in der SBZ auch mit Mitteln der Untergrundarbeit richteten und dabei nicht nur durch die Bundesregierung, sondern auch von der CIA verdeckt gefördert wurden. Eine von deutscher Seite offiziell unterstützte antikommunistische Propaganda war in den ersten Nachkriegsjahren zunächst nicht zulässig, da die alliierten Vereinbarungen eine Kritik an den Besatzungsmächten unter Zensurvorbehalt gestellt hatten. So erschienen wichtige antikommunistische Bücher wie George Orwells ‚Farm der Tiere‘ oder der von desillusionierten ehemals kommunistischen Intellektuellen geschriebene Sammelband ‚Ein Gott, der keiner war‘ zunächst ausschließlich in Schweizer Verlagen. Auch die erste Auflage von I. M. Bocheńskis ‚Der sowjetrussische dialektische Materialismus (Diamat)‘ wurde 1950 noch im Berner Francke Verlag publiziert.
Spätestens nach der Berlin-Blockade 1948/49 waren solche Beschränkungen allerdings obsolet geworden, und die amerikanische Besatzungsmacht ermutigte die Deutschen sogar, sich entschieden mit der kommunistischen Bedrohung auseinanderzusetzen. Diese Aufgabe wurde nicht nur als Auftrag an Parteien und gesellschaftliche Organisationen verstanden. In den Anfangsjahren instrumentalisierte vor allem Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) den Antikommunismus wahlstrategisch auch zur Bekämpfung der SPD: „Die SPD nannte er immer wieder in einem Atemzug mit der KPD und bezeichnete – den Unterschied zwischen beiden politischen Organisationen genau kennend – sie als ‚totalitär ausgerichtete Parteien‘“7.
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4 Vgl. Merz, Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand.
5 Zu Taubert: Körner, „Die rote Gefahr“, S. 55–62.
6 Vgl. Friedel, Der Volksbund für Frieden und Freiheit.
7 Sternburg, Adenauer, S. 49.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 125]

III. Gründung der Bundeszentrale für Heimatdienst
Während in der nationalsozialistischen Antikommunismus-Propaganda Antisemitismus und Antikommunismus in der Denunziation eines vermeintlich ‚jüdischen Bolschewismus‘ eine unheilvolle Verbindung eingegangen waren, war die Aufarbeitung eines latenten Antisemitismus, der in Teilen der deutschen Bevölkerung die NS-Diktatur überdauert hatte, eine vorrangige Aufgabe politischer Bildung geworden. Dass nach der bedingungslosen Kapitulation und dem durch die Potsdamer Vereinbarungen formalisierten Besatzungsregime in Deutschland die Notwendigkeit bestand, die „Demokratiegründung“ (Karlheinz Niclauß) durch aufklärende Initiativen zu unterstützen, war insbesondere durch das amerikanische Reeducation-Programm deutlich geworden.
Eigene deutsche Aktivitäten – zunächst auf regionaler Basis – sollten einen unabhängigen deutschen Weg eröffnen, sich mit den mentalen Hypotheken der NS-Diktatur auseinanderzusetzen, die Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins und einer darauf beruhenden mitwirkenden Bürgerverantwortung zu fördern. Solche
Erwägungen haben die Gründungsgeschichte der ‚Bundeszentrale für Heimatdienst‘ (BZH) wesentlich mitbestimmt, die jüngst von Gudrun Hentges aus den Archivalien rekonstruiert worden ist8.
Politische Bildung im Staatsauftrag – das war ein Projekt, das in den westlichen Demokratien ohne Beispiel ist. Dagegen hatte es in Deutschland mit der ‚Reichszentrale für Heimatdienst‘ bereits eine Vorgängerin gegeben, der die Bundeszentrale für Heimatdienst ihren missverständlichen Namen verdankte. Diese Entscheidung bedeutete eine fragwürdige Traditionsanbindung, denn die Reichszentrale hatte ihren Ursprung noch in der Endphase des Ersten Weltkrieges und sollte zur Mobilisierung eines zivilen Durchhaltewillens beitragen. In der Zeit der Weimarer Republik diente die Reichszentrale der Information und Aufklärung über die Grundlagen der neuen Demokratie, aber nicht zuletzt auch von Regierungsmaßnahmen und profilierte sich zudem mit harscher Kritik am Versailler Vertrag9. Ein Konzept politischer Bildung im Sinne von Kompetenzerwerb für eine eigenständige politische Urteilsbildung war damit nicht verbunden, und in dem eingerichteten Kontrollgremium eines parlamentarischen Kuratoriums war seit 1928 mit Joseph Goebbels auch die NSDAP vertreten, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Reichszentrale im März 1933 auflöste. Es war diese Liquidierung durch die NS-Diktatur, die schließlich zur Wiederbelebung eines alten Konzepts unter grundlegend veränderten Rahmenbedingungen führte.
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8 Vgl. Hentges, Staat und politische Bildung. Ihre Studie weist aber ein doppeltes Manko auf: Sie wird durch einen Tunnelblick eingeengt, weil Hentges in einem Übermaß Akteure mit biografischen Belastungen aus der NS-Zeit weit über ihre nachweisbare tatsächliche Einflussnahme auf die Gründungsgeschichte der BZH in ihre Darstellung einbezieht. Gravierender erscheint aber, dass Hentges die konkreten Aktivitäten der BZH in ihrer Analyse ausblendet. Auch bleibt die Geschichte des Ostkollegs unberücksichtigt. Statt dessen wird lediglich die – für die Entwicklung des Ostkollegs weitgehend irrelevante – Vorgeschichte seiner Gründung ausführlich behandelt.
9 Vgl. Richter, Die Reichszentrale für Heimatdienst (in Auszügen abgedruckt in: APuZ, B 25/63, S. 3–30); Wippermann, Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung.

[126 Rüdiger Thomas]

Die Gründung der BZH erfolgte nach einer etwa einjährigen Vorbereitungsphase10, in der über ihre präsumtiven Aufgaben und die Zuordnung zum Bundeskanzleramt (BKA) oder zum Bundesministerium des Innern (BMI) alternativ und kontrovers nachgedacht wurde. Der Staatssekretär im BKA, Otto Lenz, unternahm sogar noch 1953 gegen öffentliche Proteste den erfolglosen Versuch, die BZH in ein ‚Informationsministerium‘ der Regierung einzugliedern11. Es gab verschiedene Gründe, warum schließlich entschieden wurde, die BZH im Geschäftsbereich des BMI zu etablieren.
Schon früh hatte Bundeskanzler Adenauer einem seiner wenigen engen Freunde aus der NS-Zeit, Paul Franken12, das Angebot unterbreitet, eine für ihn geeignete Regierungsfunktion zu übernehmen. Dem engagierten Katholiken Franken, seit 1949 als Dozent und 1950 als Direktor an der Pädagogischen Hochschule Vechta tätig, erschien die Aufgabe attraktiv, eine staatlich organisierte politische Bildungseinrichtung aufzubauen und zu leiten, die sich von Regierungspropaganda deutlich unterscheiden sollte. Das BMI war eher als Aufsichtsbehörde für die BZH geeignet, weil der Minister Robert Lehr (CDU), der ebenso wie Franken dem Widerstand gegen die NS-Diktatur verbunden war, glaubwürdiger erschien als der erheblich NS-vorbelastete Ministerialdirektor im BKA, Hans Globke (CDU), der nach dem Ausscheiden von Otto Lenz(CDU) Ende Oktober 1953 zum Staatssekretär avancieren sollte.
Schließlich war es auf der Beamtenebene Edmund Forschbach, der in einer an Globke adressierten Denkschrift ein Rahmenkonzept für die BZH skizzierte und damit für das BMI das Gesetz des Handelns ergriff. Forschbach postulierte unter anderem: „Am Anfang der Arbeit der Bz.f.H. muss […] die Erkenntnis stehen, dass die Nachahmung der ‚Aufklärung‘ und ‚Propaganda‘ der Diktaturstaaten nicht in Betracht kommen kann, dass es vielmehr ihre Aufgabe ist, durch Unterrichtung und Überzeugung die Gutgesinnten (d. h. die überaus überwiegende Mehrheit aller Staatsbürger) zu einer positiven Einstellung zur Demokratie und zur Bundesrepublik zu bringen.“13
Nachdem Minister Robert Lehr bereits am 8. Februar 1952 einen Erlassentwurf für die BZH in das Bundeskabinett eingebracht hatte und die Einrichtung seit 1. März mit ihrem designierten Direktor Franken bereits aktiv geworden war14, konnte nach kabinettsinternen Meinungsverschiedenheiten über ein Mitwirkungsrecht des Bundespresseamts (BPA) an „allen Angelegenheiten der BZH, die eine Berührung oder Überschneidung mit dem Aufgabengebiet des Presse- und Informationsamtes mit sich bringen“15, schließlich am 25. November 1952 der Gründungserlass in Kraft treten.

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10 Schon am 13. 6. 1951 hatte der Bundestag über die Einrichtung einer Bundeszentrale für Heimatdienst debattiert, gegen die die SPD allerdings noch einwandte, diese könne als Instrument der Regierung missbraucht werden. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestags,
I. Wahlperiode 1949, 151. Sitzung vom 13. 6. 1951, Stenographische Berichte, S. 6007C ff.
11 In dem von Lenz geplanten ‚Informationsministerium‘ sollte „die Informationstätigkeit des Bundespresseamts, der – aus seiner Sicht – ‚farblosen‘ Bundeszentrale für Heimatdienst und das gesamtdeutsche Ministerium gebündelt und zu einem wirkungsvollen, in enger Verbindung zum Kanzleramt stehenden Instrument zusammengefasst werden.“ Creuzberger, Kampf für die Einheit, S. 159.
12 Zur Biografie Frankens und dessen Verhältnis zu Adenauer vgl. Widmaier, Die Bundeszentrale für politische Bildung, S. 33 – 37; Hentges, Staat und politische Bildung, S. 76–91.
13 BAK, B 106/3242, Denkschrift Forschbach o. D. Ausführlich bei Hentges, Staat und politische Bildung, S. 142–146. Forschbach prägte dabei die Bezeichnung „Behörde für den positiven Verfassungsschutz“.
14 Vgl. http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1952k/kap1_2/kap2_70/para3_5.html

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 127]

Mit Erlass des Bundesministers des Innern wurde die BZH, 1963 umbenannt in Bundeszentrale für politische Bildung16, als nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des BMI aus der Taufe gehoben. Im Gründungserlass wurde der BZH die Aufgabe übertragen, „den demokratischen und europäischen Gedanken im deutschen Volke zu festigen und zu verbreiten“17. Der Gründungserlass erwähnte weder die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur noch mit dem Kommunismus als Aufgaben der BZH. Doch während die NS-Thematik schon frühzeitig die Arbeit der BZH – vorrangig im Hinblick auf den deutschen Widerstand gegen Hitler, seit 1954 auch zunehmend durch Aufklärung über die NS-Vernichtungspolitik – mit prägte18, blieb die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) vorbehalten, dessen diesbezügliche Aktivitäten unter Minister Jakob Kaiser (CDU) weitgehend durch dessen Staatssekretär Franz Thedieck (CDU) bestimmt waren19. Im Zentrum der Arbeit des BZH standen bis 1955 lediglich die politische Herausforderung durch den Kommunismus im Rahmen eines Ost-West-Vergleichs und das Vertreibungsthema20.
Die Beziehungen zum BMG waren durch wechselseitigen Argwohn und Abneigung bestimmt, weil sich das BMG uneingeschränkt als Anwalt der Regierungspolitik verstand und eine strikt antikommunistische Propaganda favorisierte, während die BZH überwiegend eine pluralistisch orientierte, auf Informationsvermittlung abzielende Bildungsarbeit intendierte, die neben ihren Eigenaktivitäten auch die finanzielle Förderung unterschiedlich orientierter freier Bildungsträger zum Ziel hatte.
Über die Schwerpunkte in den Aktivitäten der BZH geben die seit 1954 dem BMI vorgelegten Tätigkeitsberichte Aufschluss. So wurden 1954 bei einem Gesamtetat von 3,14 Millionen DM insgesamt 1,41 Millionen DM (rund 45 Prozent) für Publikationen aufgewendet, 353 000 DM entfielen davon auf Buchankäufe, die kostenlos verteilt wurden21. In den vorliegenden Studien über die BZH sind die Eigenpublikationen
bisher weitestgehend außer Betracht geblieben22. Dieser Umstand ist erstaunlich,weil die BZH mit den ‚Informationen zur politischen Bildung‘ und der Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parlament‘, der Zeitschrift
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15 BAK, B 136/5893, Schreiben von Felix von Eckardt an Otto Lenz, 10. 3. 1952.
16 Die Umbenennung wurde 1963 von der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung vorgeschlagen, die im November 1960 als Reaktion auf eine antisemitische Schmierwelle 1959 einberufen worden war. Vgl. Hentges, Staat und politische Bildung, S. 338.
17 GMBl 3 (1952), S. 318.
18 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Gesamtverzeichnis 1952–1992; Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte. Gesamtverzeichnis 1953–1992.
19 Vgl. Creuzberger, Kampf für die Einheit, S. 65–75.
20 Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Folge 11 (1953) sowie Folgen 42/43 und 44/45 (1956).
21 Vgl. Archiv bpb, Tätigkeitsbericht über das Rechnungsjahr 1954 (Bonn, den 6. 5. 1955 Gesch.-Z. 1002/55), S. 2–4. Vgl. auch Hentges, Staat und politische Bildung, S. 249–252.
22 Das gilt auch für die Studie von Hentges, die lediglich für einen sehr kurzen Zeitraum im Jahr 1954 „geförderte Veröffentlichungen“ (das sind Artikel etwa in Materndiensten, Werkzeitschriften oder im ‚Magazin für die Hausfrau‘ sowie im Leitartikeldienst ‚Bundeskorrespondenz‘)in ihre Darstellung einbezieht, weil dort vorwiegend NS-belastete Autoren beauftragt worden waren. Vgl. Hentges, Staat und politische Bildung, S. 272–292. Das erscheint als symptomatisch für die Zielsetzung ihrer Untersuchung, einen nachwirkenden Einfluss von nationalsozialistischer Gesinnung auf die frühe Arbeit der BZH nachzuweisen.

[128 Rüdiger Thomas]

‚Aus Politik und Zeitgeschichte‘ (APuZ) seit ihrer Gründung über zwei auflagenstarke publizistische Medien verfügt, die – von eigenen Redaktionen gestaltet – einen relevanten Einfluss auf die für politische Bildung wichtigen Zielgruppen ausüben konnten23.
Das breite Publikationsangebot der BZH kann umfassend nur in einer weit ausgreifenden Studie analysiert werden24. Im vorliegenden Beitrag soll stattdessen ein exemplarischer Weg eingeschlagen werden, der das spezifische Verhältnis zwischen der BZH und dem die Fachaufsicht über die nachgeordnete Bundesbehörde führenden
BMI reflektiert. Staatssekretär Hans Ritter von Lex (CSU) war nicht nur an der Gründungsgeschichte der BZH maßgeblich beteiligt, sondern Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung und später gemeinsam mit dem von ihm ausgesuchten Gutachter im KPD-Prozess, Joseph M. Bocheński, auch für die Gründung und Profilsetzung des 1957 im Rahmen der BZH gegründeten Ostkollegs entscheidend.
Im Mittelpunkt der folgenden Analyse sollen daher die Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem deutschen Kommunismus stehen, die seit 1955 im Umfeld des KPD-Verbotsprozesses in APuZ erschienen sind. Außerdem soll die Frage erörtert werden,ob sich im Hinblick auf die Vorstellungen über die Methoden der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus bei dem regierungsamtlichen Hauptprotagonisten imKPD-Prozess strategische oder substanzielle Akzentverschiebungen ergeben haben.

IV. Die BZH im Vorfeld des KPD-Verbots
Drei Tage nach dem Verbotsantrag gegen die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei (SRP) beantragte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 22. November 1951 das Verbot der KPD. Die SRP wurde bereits nach einem knappen Jahr (am 23. Oktober 1952) vom Bundesverfassungsgericht verboten25, während das Urteil über die KPD fast fünf Jahre nach Eingang des Antrags beim BVerfG am 17. August 1956 erfolgte. Der politische Einfluss der KPD war nach einem bescheidenen Ergebnis bei der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag (mit einem Stimmenanteil von 5,7 Prozent und 15 Bundestagsmandaten) 1953 auf 2,2 Prozent drastisch zurückgegangen und hatte die Partei im politischen Leben weitgehend marginalisiert. Dass die Bundesregierung eine entschiedene Bekämpfung kommunistischer Aktivitäten von Anfang an praktiziert hatte, machte bereits der im September 1950 verabschiedete ‚Adenauer-Erlass‘ deutlich, der für Beschäftigte im öffentlichen Dienst
________________________________________________                                                                                       23 Die Auflage von ‚Das Parlament‘ mit APuZ betrug Anfang 1959   88 000 Exemplare (davon knapp ein Drittel bezahlte Abonnements), die ‚Informationen zur politischen Bildung‘ erreichten zu diesem Zeitpunkt eine Gesamtauflage von          800 000 Exemplaren, im Startjahr 1953 waren bereits 600 000 Exemplare verteilt worden. Archiv bpb, Tätigkeitsbericht derBundeszentrale für Heimatdienst für das Rechnungsjahr 1958/59 (1. 4. 58–31. 3. 59)], Bonn, 13. 1. 1960, S. 2 u. 12; Bundeszentrale für Heimatdienst, Bericht über die Tätigkeit 1953 Entwurf, S. 5.)
24 Eine erste inhaltsanalytische Darstellung bei: Thomas, Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung. Eine erweiterte Fassung in: Deutschland Archiv online 6/2012.
25 Vgl. BVerfGE 2,1. Vgl. dazu Hansen, Die Sozialistische Reichspartei.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 129]

jede Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen untersagt hatte. Und bereits bevor das Parteiverbotsverfahren eingeleitet wurde, hatte die Bundesregierung am 26. Juni 1951 die FDJ nach Art. 9 Abs. 2 GG verboten.
Die BZH blieb von diesen massiven politischen Maßnahmen weitgehend unberührt, weil ihr Gründungserlass die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus außer Betracht gelassen hatte und Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich lediglich im Kontext eines Vergleichs mit den westlichen Demokratien erfolgen sollten. Diese, durch Kompetenzansprüche des BMG erfolgte Arbeitsteilung hatte zur Folge, dass in APuZ bis einschließlich 1955 der deutsche Kommunismus ausgeblendet blieb26. In dieser Zeit wurden lediglich zahlreiche Beiträge zum Ost-West-Konflikt, zumeist von amerikanischen Autoren in Form von Nachdrucken aus international renommierten Fachzeitschriften wie ‚Foreign Affairs‘ publiziert27. Anders stellte sich die Situation bei der Wochenzeitung ‚Das Parlament‘ dar. Eine in den sitzungsfreien Wochen des Bundestages publizierte Themenausgabe war im folgenden Jahr dem 17. Juni 1953 gewidmet28.
Zuvor war dem ‚Parlament‘ (Nr. 34/1953) bereits eine Sonderbeilage von Hjalmar Mäe29 (‚Drei Reden gegen den Kommunismus‘) beigegeben worden, die als singulärer Tiefpunkt in die Publikationsgeschichte der BZH eingegangen ist. Diese antikommunistische Polemik wurde 1955, nach Eröffnung der mündlichen Verhandlungen im KPD-Prozess, als Heft 16 der Schriftenreihe der BZH in mehreren Nachdrucken und mit einer Gesamtauflage von 80 000 Exemplaren verbreitet. An dieser Schrift, die 1958 noch einmal in einer erweiterten Neubearbeitung von 10 000
Exemplaren wieder aufgelegt worden ist30, irritiert nicht allein der dubiose biografische Hintergrund des Autors, sondern vor allem Stil und Inhalt der antikommunistischen Kampfansage. Die Darstellung
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26 Vgl. zur Kompetenzabgrenzung zwischen BZH und BMG Hentges, Staat und politische Bildung, S. 235–239.
27 Zu den Autoren zählten George F. Kennan, Richard Löwenthal und Henry Kissinger. Vgl. dazu Thomas, Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung, S. 282–283.
28 Vgl. Das Parlament vom 16. 6. 1954. Dort wurden Vorgeschichte und Verlauf des 17. Juni, regional differenziert und mit einer ganzseitigen Übersichtskarte versehen, dargestellt. Vgl. auch Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der sowjetischen Besatzungszone und in Ostberlin, in: Informationen zur politischen Bildung, Folge 19, 1954 .
29 Hjalmar Mäe (1901–1978), im Juli 1940 vor der Besetzung Estlands durch die Sowjetunion nach Deutschland geflüchtet, war Mitbegründer des profaschistischen ‚Estnischen Befreiungskomitees‘ und fungierte von Ende 1941 bis 1944 als ‚Direktor‘ der von der deutschen Besatzung installierten ‚Estnischen Selbstverwaltung‘. Wegen seiner Kollaboration war Mäe nach dem Krieg bis 1947 interniert. Danach lebte er zunächst als freier Publizist und antikommunistischer Buchautor, später als Staatsangestellter in der Steiermark. Er war auch in Deutschland aktiv und konnte dort Kontakte zu verschiedenen Regierungsstellen knüpfen. Lange nach seinem Tod wurde er durch eine von der estnischen Regierung eingesetzte Internationale Untersuchungskommission zu einem der estnischen Hauptverantwortlichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch estnische Polizei und SS-Einheiten erklärt. Vgl. International Commission investigating Crimes against Humanity in Estonia: Conclusions: PHASE II: The german Occupation of Estonia in 1941–1944. Tallinn 2006, S. XIX–XXI); http://www.mnemosyne.ee/hc.ee/pdf/conclusions_en_1941–1944. pdf (27. 07. 2012).
30 Im gleichen Jahr kaufte die BZH allerdings auch Iring Fetschers Publikation ‚Von Marx zur Sowjetideologie‘ mit 5000 Exemplaren an, die vorzugsweise zur Verteilung im Ostkolleg vorgesehen war. Archiv bpb, Tätigkeitsbericht der Bundeszentrale für Heimatdienst für das Rechnungsjahr 1958/59 (1. 4. 58–31. 3. 59), Bonn, 13. 1. 1960, S. 7.

[130 Rüdiger Thomas]

vermischte die akzentuierte Schilderung wesentlicher Elemente kommunistischer Zwangsherrschaft mit befremdlichen gleichnishaften Sprachbildern, die an NS-Propaganda erinnern31, Polemiken gegen ‚Salonkommunisten‘, demagogischen historischen Pseudowahrheiten32, Bedrohungsszenarien, kremlastrologischen Spekulationen und einer Mobilisierungsrhetorik im Kampf gegen den Kommunismus. Mäe ließ im Schlussteil sein eigentliches politisches Anliegen erkennen, und zwar ein dezidiertes Plädoyer für eine westdeutsche Wiederaufrüstung: „Neutralität neben dem Ostkoloß ist wie ein Sandkorn auf dem Weg, der unter dem östlichen Rad zermalmt wird. […] In einer Beteiligung Deutschlands an der westlichen Verteidigung sieht Rußland einen schweren Schlag gegen seine weltrevolutionären Pläne. Andererseits weiß Sowjetrußland, daß unter diesen Umständen in der Nichtaufrüstung Deutschlands die größte Gefahr für den Westen besteht, weil der Westen ohne Deutschland sich eben gegen den Osten nicht verteidigen kann. […] Heute ist Deutschland frei, aber es kann sich nur bekennen: zum Mitgehen mit der Freiheit des Westens oder, zum Mitgehen mit der Sklaverei des Ostens oder, zum Selbstmord durch Neutralität.“33
Während sich Mäe eine schonungslose Bekämpfung des Kommunismus zum Ziel setzte, beeindruckt ein Beitrag von Helmut Gollwitzer34 über ‚Die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus als unsere Aufgabe‘, der im Juni 1954 in APuZ35 publiziert wurde36, durch seine differenzierte Sichtweise. Es handelt sich um einen Vortrag, den Gollwitzer vor Angehörigen der ‚Dienststelle Blank‘ gehalten hatte. Gollwitzer würdigte dabei Karl Marx als einen „der großen Denker des 19. Jahrhunderts“ und erklärte: „Ich könnte keinen Historiker, Sozialökonomen, Sozialpolitiker, aber auch keinen Pädagogen ernst nehmen, der nicht in irgendeiner Weise auch marxistische Gedanken in sein Denken aufgenommen hätte.“ Vor dem Hintergrund der nicht nur in den USA durch den berüchtigten Senator Joseph McCarthy aufgekommenen Verdächtigungskampagne, sondern auch angesichts der durch die Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen gegen ‚kommunistische Umtriebe‘ ist bemerkenswert, wie entschieden sich Gollwitzer gegen jede Form von Gesinnungsschnüffelei wendete: „Es ist im Marxismus in der Erkenntnis der Entwicklungsgesetze des Kapitalismus, in der schonungslosen Diagnose unserer Zeit soviel einzelnes Wahres, es hat sich auch soviel durchgesetzt, daß es nur borniert ist, etwa heute im Zuge der amerikanischen Hexenjagd nun auch einzelne Professoren zu durchleuchten, wieweit sie marxistische Gedanken aufgenommen haben.“
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31 Vgl. Mäe, Drei Reden gegen den Kommunismus, S. 29.
32 Ebenda, S. 35 f.; siehe auch S. 56.
33 Zitate in: ebenda, S. 57, 61 f.
34 Der Theologe Helmut Gollwitzer, Schüler Karl Barths, war Mitglied der Bekennenden Kirche. Wegen seiner Kontakte zum Widerstand wurde er 1940 zeitweilig inhaftiert. Als Sanitäter an der Ostfront kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Seine Erlebnisse verarbeitete er in dem Bestseller ‚… und führen wohin Du nicht willst‘ (1950). Darin setzte er sich pointiert mit dem Kommunismus in der Sowjetunion auseinander. Zwischen 1950 und 1957 war Gollwitzer Professor für Systematische Theologie in Bonn, was seinen Kontakt zu Paul Franken erklären mag.
35 ‚APuZ‘ ist bis heute das anspruchsvollste publizistische Medium der Bundeszentrale. Die Zeitschrift erscheint seit Ende November 1953 regelmäßig (zuvor hatte es in der zweiten Hälfte desselben Jahres bereits acht Sonderbeilagen gegeben).
36 In: APuZ B 23/54, S. 289–294. Die folgenden Zitate ebenda, S. 291 f.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 131]

An diesem Beitrag ist ebenso aufschlussreich, dass Gollwitzer die fundamentale Differenz zwischen der NS-Weltanschauung und dem Marxismus hervorhob und die pauschalierende Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus ablehnte. Er erkannte in der marxistischen Weltsicht „die Stärke, daß sie auch dem Verstand entspricht und ihn befriedigt, die der Nationalsozialismus mit seinem Mystizismus nicht hatte.“ Allerdings hatte Gollwitzer mit seiner Würdigung den Marxismus als emanzipatorische Gesellschaftstheorie im Blick und verteidigte damit indirekt das Konzept eines demokratischen Sozialismus, in dem seinerzeit in der Programmatik der SPD auch Karl Marx noch seinen Platz hatte, gegen die denunziatorische Sicht eines politischen Konservatismus, wie ihn die CDU in ihrer Bundestagswahlkampagne 1953 mit dem Slogan ‚Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau!‘ plakatierte37. Gollwitzer ließ gleichzeitig kein politisches Missverständnis aufkommen, indem er den fundamentalen Unterschied zwischen Marx und den kommunistischen Diktaturen der Gegenwart konstatierte. Während er den Marxschen Humanismus als „Aufbruch zur Befreiung des Menschen“ begriff, erkannte er im gegenwärtigen kommunistischen Machtsystem „das schlimmste Sklavensystem, das wir in der europäischen Geschichte kennen“.
Es verblüfft, dass Gollwitzer seine Einschätzung vor einem Personenkreis vortragen konnte, aus dem am 7. Juni 1955 das Bundesministerium für Verteidigung hervorgehen sollte, und es nötigt Respekt ab, dass Paul Franken, der geistig-politisch konservativ orientierte Adenauer-Freund, der bis 1956 zusätzlich selbst als Referatsleiter für APuZ verantwortlich blieb, sein Bekenntnis zu einer pluralistischen Orientierung der Arbeit der BZH glaubwürdig praktizierte. Franken machte seine grundsätzliche Auffassung zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus deutlich, als er in einer interministeriellen Besprechung am 20. Oktober 1955 ausführte, dass die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung subjektiv verschieden ausfallen würden, „je nachdem, in welchem weltanschaulichen Lager der einzelne Wissenschaftler stehe. Die christliche Scholastik, der liberale Humanismus oder der sozialdemokratische Marxismus träten der kommunistischen Lehre von ganz verschiedenen Standorten entgegen“38.

V. Das KPD-Verbot als Kulminationspunkt des politischen  Antikommunismus in der Bundesrepublik
Das Bundesverfassungsgericht betrieb den KPD-Prozess zunächst mit großem Zögern, wobei deutlich wurde, dass der erste Präsident des Gerichts, Hermann Höpker Aschoff, einem Verbot der Partei sehr distanziert gegenüberstand. Nachdem er im Januar 1954 verstorben war, übernahm der erst im März 1954 an das oberste Verfassungsgericht berufene vormalige Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof und Präsident des Oberlandesgerichts München, Josef Wintrich, das Amt. Die mündliche Beweisaufnahme wurde am 23. November 1954 eröffnet und nach 51 Verhandlungstagen am 14. Juli 1955 abgeschlossen. Es sollte ein weiteres Jahr dauern, bevor schließlich am 17. August 1956 das Urteil verkündet wurde. Im KPD-Prozess ging es ausschließlich um die Frage, ob die KPD nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes eine verfassungswidrige Partei sei. Das Gericht hatte demnach nicht _________________________________________

37 Vgl. dazu Körner, „Die rote Gefahr“, S. 54 f.
38 Zitiert nach Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst, S. 25.

[132 Rüdiger Thomas]

die Theorie des Marxismus-Leninismus zu beurteilen, sondern die Frage zu prüfen, ob sich für die KPD eine aktive Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nachweisen ließe. Bezeichnenderweise blieb auch auf der Antragsseite der Begriff Marxismus ausgeblendet. Vorsorglich hatte der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Ritter von Lex, in seinem Eingangsplädoyer am 26. November 1954 im Bezug auf die KPD von „Leninismus-Stalinismus“ gesprochen: „Die Kommunisten behaupten, daß es sich bei dieser Lehre um eine bloße Ideologie handle, eine Weltanschauung, die nicht vor Gericht gezogen werden könne. Sie verschweigen dabei, daß die leninistisch-stalinistische Lehre nach ihrem eigenen Inhalt eine Anleitung
zum praktisch-politischen Handeln darstellt.“ Dies werde durch die Schulung und Propaganda der KPD ebenso bewiesen wie durch „die tragische Tatsache,wie diese angeblich bloße Ideologie in der Sowjetzone umgesetzt worden ist und täglich umgesetzt wird“39.
Das juristische Problem bestand darin, zu klären, wo die Grenze zur Verfassungswidrigkeit konkret verläuft. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht in seiner Auslegung des Art. 21 Abs. 2 GG fest: „Eine Partei ist auch nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt.
Es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen“. Dazu sei nicht „ein konkretes Unternehmen“ erforderlich; „dagegen muß der politische Kurs der Partei durch eine Absicht bestimmt sein, die grundsätzlich und dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist“40. Daraus folgerte das Gericht in akzentuierter Abgrenzung zwischen Art. 5 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 2: „Die eindeutig bestimmbare Grenze zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Ziel liegt dort, wo die betrachtend gewonnenen Erkenntnisse von einer politischen Partei […] in ihren Willen aufgenommen, zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht werden.“41 Auch wenn diese begrifflichen Distinktionen respektabel erschienen, klärten sie doch nicht die Grundsatzfrage, ob die Verfassungswidrigkeit auf nachweisbaren Absichten und Zielen oder nachweisbar subversiven verfassungsgefährdenden Handlungen beruhen musste.
So schien Ritter von Lex durchaus nicht sicher, ob der Verbotsantrag erfolgreich sein würde. In seinem Schlussvortrag am 5. Juli 1955 zeigte er nur anfangs die argumentative Nüchternheit, die ihn zuvor ausgezeichnet hatte. Am Ende seiner Ausführungen bediente er sich in seiner Polemik gegen die entrüstet zitierten Propaganda-Invektiven der KPD einer düster-biologistischen Metaphorik, die schockierend an NS-Tiraden erinnert, wenn er der KPD attestiert: „Sie ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der seine Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet.“42
________________________________________________                                                                                         39 Pfeiffer/Strickert, KPD-Prozeß, Bd. 1, S. 148.
40 Ebenda, Bd. 3, S. 612 f.
41 Ebenda, S. 615.
42 Ebenda, S. 116.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 133]

Am 17. August 1956 verfügte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD in allen vier von der Bundesregierung beantragten Punkten: Die KPD wurde als verfassungswidrig festgestellt und aufgelöst, die Bildung von Ersatzorganisationen verboten, das Parteivermögen zugunsten der Bundesrepublik zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen43. Der Verfassungsgerichts-Präsident Josef Wintrich stellte der Urteilsverkündung ungewöhnlicherweise „Klarstellungen“ voran, die in der „Öffentlichkeit“ entstandene „Irrtümer und Missverständnisse“ ausräumen sollten: „Den Antrag, eine Partei zu verbieten, kann die Bundesregierung stellen. Es steht in ihrem politischen Ermessen und unter ihrer ausschließlichen politischen Verantwortung, ob sie den Antrag stellen soll und will. […] Das Gericht hatte also in diesem Verfahren lediglich über die Rechtsfrage zu befinden, ob nach den Zielen und dem Verhalten der KPD der gesetzliche Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG vorliegt. Es hatte zu prüfen, ob diese Ziele mit den Grundvorstellungen unserer Demokratie vereinbar sind. Als Wissenschaftslehre ist die Doktrin des Marxismus-Leninismus nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens.“44
Die Erfahrungen des KPD-Prozesses beeinflussten nicht nur Ritter von Lex in seiner Haltung zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus im eigenen ministeriellen Verantwortungsbereich, sie finden auch in einem publizistischen Vorgang unmittelbaren Ausdruck, in den das Bundesverfassungsgericht und die BZH gemeinsam involviert sind. Die Bundesregierung hatte dem Gericht am 3. März 1955 ein Gutachten überreicht, das sie bei „I. M. Bocheński, Professor für zeitgenössische Philosophie an der Universität Freiburg in der Schweiz“, in Auftrag gegeben hatte45. Er hatte den Auftrag im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des mündlichen Verhandlungstermins erhalten und sein Gutachten am 13. Dezember 1954 abgeschlossen. Es erstaunt, dass der Wortlaut des Gutachtens bereits am 8. Februar 1956 – als das Verfahren noch ein halbes Jahr andauern sollte – in APuZ veröffentlicht wurde46. Aus dieser offensichtlichen Missachtung von Prozessregularien lässt sich ein doppelter Schluss ziehen.
Das Gutachten Bocheńskis konnte keine wesentliche Prozessrelevanz haben, weil es auf den Grundrechtskatalog des GG abzielte und kein Zusammenhang mit der Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 erkennbar war47. Weil dieser Umstand in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden war, gleichzeitig aber die Aufklärung über die
kommunistische Ideologie gerade während des KPD-Prozesses aus politischem Blickwinkel vorrangig wichtig erschien48, erfolgte die Publikation des Textes in APuZ, allerdings ohne jeden Hinweis auf seine ursprüngliche Funktion als Gutachten der Bundesregierung.
________________________________________________                                                                                        43 Vgl. ebenda, S. 582. Das Urteil ist vollständig dokumentiert ebenda, S. 581–746. Ein interessanter Seitenaspekt: Das BVerfG verwendete in der Urteilsbegründung die seinerzeit in der westdeutschen Politik tabuierte Bezeichnung DDR (vgl. ebenda, S. 717 f.).
44 Ebenda, S. 583.
45 Vgl. Ebenda, S. 509–549.
46 Vgl. APuZ, B 6/56, S. 77–95.
47 Thematisch ist lediglich ein Berührungspunkt in Bezug auf die Behandlung der ‚Diktatur des Proletariats‘ feststellbar (vgl. ebenda, S. 537–540 und S. 631–638), doch verwendet das BVerfG diesbezüglich kein Zitat, das von Bocheński verwendet wird. Zudem ist auffällig, dass strukturell, d. h. in der Anlage der Urteilsbegründung des BVerfG, in der Verknüpfung von Zitat und Kommentierung bei der umfassenden Auseinandersetzung mit der kommunistischen Ideologie, eine Analogie in methodischer Hinsicht besteht.
48 Wenig später erschienen die Beiträge von Gustav A. Wetter: Der dialektische Materialismus, in: APuZ B 13/56, S. 214–220 und Jakob Hommes: Kommunistische Ideologie und christlichePhilosophie, in: APuZ B 17/56, S. 265–275.

[134 Rüdiger Thomas]

In einer Themenausgabe der von der BZH herausgegebenen Wochenzeitung ‚Das Parlament‘49 wurden wichtige Auszüge aus dem Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts zusammen mit politischen Stellungnahmen publiziert, unter anderem von Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU), der vor der Bundespressekonferenz erklärte, es werde „keine Hexenjagd“ gegen KPD-Mitglieder geben., Aufschlussreich sind zwei in der Zeitung ‚Das Parlament‘ zitierte ausländische Stimmen von Fritz René Allemann und aus der Londoner ‚Times‘. Die englische Zeitung fragte am 21. August 1956: „Hat man nicht vielleicht einen Hammer zum Knacken einer Nuß gebraucht?“ Der Beitrag zeigte zwar Verständnis für das Parteiverbot, betonte aber gleichzeitig, die vorgebrachten Einwände ernst zu nehmen. In der Beilage zu dieser Zeitungsausgabe, die offensichtlich bereits vor Verkündung des Urteils vorbereitet war und anonym unter dem Titel ‚Lenkung, Organisation und Methoden der kommunistischen Infiltration in der Bundesrepublik‘50 erschien, wurde die staatlich erwünschte Nutzanwendung akzentuiert.Ausgehend von Bedrohungsvorstellungen und der Feststellung, „daß die KPD mit illegalen Methoden ihre Arbeit fortsetzen wird“, wurden Gegenstrategien gefordert, die den Eindruck vermeiden sollten, für bloße antikommunistische Propaganda zu plädieren: „Der Bürger der Bundesrepublik muß sich von der Vorstellung befreien, Kommunisten seien von außen zu erkennen, ihre Methoden seien primitiv. Er muß sich daran gewöhnen, daß die Kommunisten heute hinter jeder Maske auftreten und sich aller Erscheinungsformen des öffentlichen Lebens, aller gesellschaftlichen Schichten und Personen bedienen. […] Es gilt […], durch wissenschaftliche Tätigkeit und breite Information das deutsche Volk gegen die kommunistische Ideologie zu immunisieren, die Interessen der Arbeiterschaft stärker zu berücksichtigen, von der oberflächlichen Einschätzung und billigen Schwarz-Weiß-Agitation abzukommen und eine gründlich differenzierte Erziehungsarbeit, vor allem bei der Jugend, zu leisten. Es wird viel davon abhängen, durch Presse, Funk und Fernsehen wirkliche Sachkenntnis über die Politik der KPdSU und ihr System zu verbreiten und mehr als bisher die positiven Seiten der westlichen Demokratie ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen.“ Der anonyme Verfasser, hinter dem sich die Denkweise des Kommunismus-Experten im Bundesamt für Verfassungsschutz, Günter Nollau51, verbarg, plädierte nachdrücklich dafür, „über den Rahmen von Propagandareden hinaus ein gründliches, ernsthaftes und systematisches Studium
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Vgl. auch – schon unter dem Eindruck des KPD-Verbots – Hommes: Koexistenz – philosophisch beleuchtet, in: APuZ B 39/56, S. 601– 616. Die aktuelle Situation erscheint Hommes als „sehr gefährlich“, weil „der heutige Zustand unseres Volkes und der ganzen westlichen Welt für den verführerischen östlichen Sinn der Parole der Koexistenz überaus anfällig ist“ (S. 602). Insbesondere warnt er vor „einer theologischen Aussöhnung mit der sozialistischen Gesellschaft“, weil „objektiv gesprochen, in der Verkleidung altehrwürdiger theologischer Begriffe der Wolf in den Schafstall Christi eingeschmuggelt wird“ (S. 611).
49 Vgl. Nr. 35/56, 29. 8. 1956. Es ist eine ironische Pointe, dass die folgende Themenausgabe (Nr. 36/56) „Die neue Bundeswehr und ihre künftige Gestalt. Das Bundesministerium für Verteidigung über sich selbst“ behandelt.
50 Vgl. APuZ, B 35/56, S. 545–560. Der Vorspann des Beitrags bezieht sich ausdrücklich auf das KPD-Verbot und auf die „rege Diskussion […], ob der von der Bundesregierung gestellte Antrag außen- und innenpolitisch geschickt und ob es richtig gewesen sei, die Kommunistische Partei Deutschlands für illegal zu erklären.“ Die folgenden Zitate S. 545, 560 u. 550.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 135]

des Kommunismus anzuregen, um die Kräfte zu entwickeln, die den Kadern der SED nicht nur gewachsen, sondern überlegen sind.“ Welche Auswirkungen hatte nun der KPD-Prozess auf die Beiträge zum deutschen Kommunismus in der Zeitschrift APuZ?

VI. Der deutsche Kommunismus wird Thema in APuZ
Schon seit März 1955 wurde im Zusammenhang mit dem KPD-Prozess über die Rolle der BZH in der Auseinandersetzung mit dem deutschen und internationalen Kommunismus in internen und interministeriellen Beratungen gesprochen52. Doch erst seit Oktober 1955 wurde im BMI verstärkt die Einbeziehung der BZH in die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus vorangetrieben. Am 10. Oktober stellte Ritter von Lex in einem Schreiben an Franken der BZH – ganz den Intentionen Bocheńskis folgend – die Aufgabe, sich auf die „weltanschauliche Durchdringung des dialektischen Materialismus und der marxistisch-leninistischen Lehre“ zu konzentrieren, umso „das wissenschaftliche Rüstzeug für die Bekämpfung dieser Lehre zu gewinnen“ 53. Zehn Tage später fand eine „Besprechung zur Frage der Intensivierung des geistigen Impulses gegen den Kommunismus“ statt, an der Vertreter des BMI, des BMG und BZH-Direktor Paul Franken teilnahmen. Staatssekretär Hans Ritter von Lex verwies dabei ausdrücklich auf die psychologischen Folgen des Moskau-Besuchs von Bundeskanzler Adenauer: „Der Glaube an eine friedliche Koexistenz sei im Vordringen.“ Doch klangen in dieser interministeriellen Beratung auch die deutlichen Gegensätze an, die im Hinblick auf die Konzepte der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zwischen BMI und BMG bestanden. Ein Unterabteilungsleiter des BMG mahnte – wohl nicht ohne Hintersinn gegenüber der BZH – an, „dass durch die Auswahl zuverlässiger Mitarbeiter und entsprechender Kontrolle der Arbeit nicht etwa einzelne Ergebnisse der Forschung in falsch verstandener Objektivität kommunistischen Thesen entsprächen“54. Während das BMG den Gesichtspunkt der antikommunistischen Schulung und Propaganda als vordringliche Aufgabe betrachtete55,vertrat das BMI in Übereinstimmung mit Paul Franken das Konzept einer wissenschaftlich fundierten
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51 Vgl. dazu Körner, „Die rote Gefahr“, S. 67.
52 Allerdings hat sich der Fachaufsichtsreferent Lüders noch am 22. 4. 1955 in einer internen Stellungnahme gegen die Annahme gewendet, dass die BZH „für die geistige Bekämpfung des Kommunismus zuständig sei. Die primäre Zuständigkeit für diese Aufgabe fällt jedoch dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen zu. Die Bundeszentrale kann sich mit dem Kommunismus nur insoweit befassen, als es sich um die vergleichende Gegenüberstellung von freiheitlicher Demokratie und kommunistischer Diktatur handelt.“ Hentges, Staat und politische Bildung, S. 246, Anm. 154.
53 Zitiert nach: Hentges, Staat und politische Bildung, S. 247, Anm. 156.
54 Zitiert nach Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst, S. 24 f.
55 Erstmals nach der Bundestagswahl im Oktober 1953 hatte der BMG-Referatsleiter von Dellingshausen seine Bemühungen forciert, eine „leitende zentrale Stelle für die Probleme der Psychologischen Kriegführung“ zu etablieren. Ein interministerielles Koordinierungsgremium, dem in erster Linie die Fachreferenten von BMI, BMG und BZH angehören sollten, nach Themenschwerpunkten jeweils ergänzt durch Vertreter des Auswärtigen Amts, des Verteidigungsministeriums, des Bundespresseamts und des Bundesamts für Verfassungsschutz, trat Ende Juni 1956 erstmals zusammen.  Das Projekt wurde vom BMG im Oktober 1957 jedoch ad acta gelegt, da sich keine Übereinstimmung finden ließ.

[136 Rüdiger Thomas]

pluralistischen Auseinandersetzung, wie es der Aufsichtsreferent für die BZH, Carl H. Lüders, unterstrich. Er erklärte in einer Besprechung am 21. November 1955, die Demokratie dürfe „nicht bei der Abwehr des Kommunismus in Methoden verfallen, die in ihrer geistigen Uniformität der Kampfart der totalitären kommunistischen Weltanschauung entsprächen. Es sei zu begrüßen, dass die verschiedenen Weltanschauungsgruppen, die in der westlichen Demokratie friedlich unter einem gemeinsamen Dach lebten, in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Lehre ganz verschiedene Standorte bezögen“56.
Beiträge zum deutschen Kommunismus finden sich in APuZ erstmals 1955 in zwei Beiträgen, mit einem Schwerpunkt 1956 und (abgeschwächt) 1957. Dagegen ist zwischen 1958 und 1963 ein erheblicher Rückgang erkennbar: In einem Zeitraum von sechs Jahren erschienen lediglich acht Beiträge. Die Häufung in den Jahren 1956/57 ist mit forcierten BMI-Initiativen gegenüber der BZH im Zusammenhang mit dem KPD-Prozess zu erklären. Als erster Beitrag, der offensichtlich im Einvernehmen mit dem BMG in APuZ veröffentlicht wurde, erschien im Juni 1955 eine Studie von Johannes Kurt Klein über ‚Ursachen und Motive der Abwanderung aus der Sowjetzone Deutschlands‘57, die Ergebnisse eines vom BMG in Auftrag gegebenen Gutachtens zusammenfasst. Der Aufsatz zerfällt in zwei Teile, die sich in der Darstellungsweise markant unterscheiden. Der erste Teil geht von der politischen Entwicklung nach der
„Zerreißung Deutschlands“ aus, die „das Staatsgebiet von 1938 in 7 einzelne Territorien“ aufgeteilt habe, darunter „sowjetisch annektiertes Gebiet von Nord-Ostpreußen“ sowie „polnisch annektiertes Gebiet östlich der Oder/Neiße“58. Er ist im Sinne einer kämpferischen Regierungslinie akzentuiert und betont in dramatischer Diktion die Auswirkungen der Repression des kommunistischen Systems. Dagegen ist der zweite Teil, der die Abwanderung aus der SBZ in den Blick nimmt, vor allem instruktiv, weil er detaillierte Statistiken über die Fluchtbewegung enthält. Klein gab die Zahl der Abwanderungen seit Kriegsende mit 2,5 Millionen Menschen an, darunter bis Ende 1951 700 000 „reguläre Umzüge“ von Ostvertriebenen. In seiner Darstellung betonte er den Zusammenhang zwischen den
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Vgl. Creuzberger, Kampf für die Einheit, S. 159–165. Nachdem Carl H. Lüders 1956 das BMI verlassen und Ministerialrat Seifert seine Funktion als Fachaufsichtsreferent übernommen hatte, übte das BMI  zeitweilig verstärkten Druck auf die BZH aus. Seifert hatte im April 1956 gefordert, dass die von der BZH „zu führende Auseinandersetzung mit dem Kommunismus […] durch Einzelweisungen angekurbelt und vorangetrieben werden muß“ und im folgenden Monat vorgeschlagen, in der BZH die Stelle eines „antikommunistischen Referenten“ einzurichten, wofür er  u a. Hans Habe und Ernst Deuerlein genannt hatte. Vgl. Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst, S. 38 f.
Diese massiven Eingriffabsichten liefen aber letztlich ins Leere, weil Ritter von Lex den Freiraum, den Paul Franken beharrlich verteidigte, weitgehend respektierte.
56 Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst, S. 25.
57 Vgl. APuZ, B 24/55, S. 361–381. Der Autor wurde mit dem Hinweis vorgestellt, dass er im „Höheren Schuldienst NRW“ tätig sei. Klein verfasste 1956 auch das Manuskript für die Informationen zur politischen Bildung ‚Mitteldeutschland‘ (Folge 40/41).
58 „Gleich einem Körper, dessen Glieder einer schweren Tortur ausgesetzt sind, ist das ganze deutsche Volk von den Auswirkungen der schrittweisen Sowjetisierung Mitteldeutschlands zutiefst betroffen.“ Ebenda, S. 361.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 137]

politischen und ökonomischen Zwangsmaßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED mit den Entscheidungen zur Abwanderung und nannte als vorrangige Fluchtmotive: „Flucht vor der Vernichtung der persönlichen Freiheit, Flucht oder Abwanderung vor der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz und schließlich Abwanderung aus der Angst, die das sowjetische System in immer stärkerem Ausmaße verbreitet.“ Er differenzierte die Flüchtlinge nach Berufs- und Altersgruppen, wobei er die   speziellen Awanderungsursachen der Oberschüler besonders hervorhob. Ausdrücklich erwähnte Klein die – heute weitgehend vergessene – Zwangslage von Juden als Folge der SED-Propagandakampagne eines ‚Kampfes gegen den Zionismus‘.
Im gleichen Jahr veröffentlichte Jürgen Rühle, ein im Frühjahr 1955 unter dem Druck kulturpolitischer Repressalien in den Westen abgewanderter vormaliger Feuilleton- Redakteur der ‚Berliner Zeitung‘ und Theaterkritiker des ‚Sonntag‘, seinen Beitrag ‚Die Kulturpolitik der Sowjetzone‘59. Rühle zog im Gegensatz zu Gollwitzer ausdrücklich
den Vergleich zum Nationalsozialismus heran: „In den Grundsätzen wie in den Erscheinungen finden sich zwischen beiden erstaunliche Übereinstimmungen und Parallelen.“ Außerdem widmete er sich dem Dilemma der SED-Kulturpolitik: „Macht sie in ihrer Zone echte Zugeständnisse an die kulturelle Freiheit und gestaltet sie einen aufrichtigen gesamtdeutschen Kulturaustausch, so führt das unweigerlich zu einer Aufweichung des totalitären Machtsystems, auf dem die Herrschaft des Kommunismus in Mitteldeutschland beruht. Zieht sie hingegen die Zügel ihrer Diktatur an, um jede freiheitlich kulturelle Regung zu verhindern, wenden sich die Menschen von ihrem System ab, verlieren Kunst und Wissenschaft in ihrem Machtbereich alle Wirkkraft, und die Propagandaoffensive nach dem Westen scheitert.“ Abschließend urteilte der Autor, dass die „Flucht in den Westen“ für die Intellektuellen keine „ideale Lösung“ sei, „denn einmal ist die Bundesrepublik gar nicht in der Lage, allen mitteldeutschen Intellektuellen eine Existenz zu bieten, und außerdem wäre es höchst bedenklich, die siebzehn Millionen Menschen in der Zone ihrer pädagogischen, künstlerischen, wissenschaftlichen und technischen Betreuung zu berauben“60.
Auch wenn die beiden vorgestellten Texte aus heutiger Sicht nicht frei sind von Entrüstungspathos und gelegentlich melodramatisch hinterlegter Polemik bleibt der Informationsgehalt und ein Bemühen um eine differenzierte Sichtweise unverkennbar.
1956 publizierte APuZ acht Beiträge zum deutschen Kommunismus, unter denen die bereits erwähnte regierungsoffiziöse Reaktion auf das KPD-Verbot aus dem Rahmen fällt. In den meisten Texten ist keineswegs eine kämpferisch-propagandistische Sicht dominant, sondern das Angebot ist thematisch und methodisch ebenso vielfältig
gestaltet wie es durch unterschiedliche Darstellungsformen gekennzeichnet ist. So erschien im März 1956 ein anonymer Beitrag ‚Die Bilanz des Kommunismus in der Sowjetzone‘61, der das „nur für einen kleinen Kreis bestimmte stenographische Protokoll“ des XXV. ZK-Plenums der SED in umfangreichen Auszügen auf insgesamt 16 Seiten
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59 Vgl. APuZ, B 47/55, S. 709–720.
60 Zitate ebenda, S. 709, 712 u. 719. Siehe auch Rühle: Wandlungen der kommunistische Kulturpolitik, in: APuZ, B 7/57, S. 99–114, über die Entwicklung in der Sowjetzone S. 109–112. Für die damalige Zeit ist sein Hinweis interessant, dass für die DDR wegen der bundesdeutschen Systemkonkurrenz eine Liberalisierung kaum möglich sei: „Eine Milderung des Zwangssystems […] würde in Mitteldeutschland sehr schnell auf eine Liquidation des kommunistischen Regimes überhaupt hinauslaufen“ (S. 109).

[138 Rüdiger Thomas]

„kommentarlos, denn sie sprechen für sich selbst“ enthielt, darunter das Grundsatzreferat und das Schlusswort Walter Ulbrichts, und neben zahlreichen weiteren Beitragsauszügen auch ein Statement des in die DDR geflüchteten KPD-Vorsitzenden Max Reimann. Auf diesem Plenum kamen aktuelle Probleme der SED-Politik deutlich zur Sprache. Gleichzeitig trat die Bundesrepublik als erfolgreicher Konkurrent in den Blick. So konstatierte Ulbricht: „Es ist eine Tatsache, daß die westdeutsche Wirtschaft 1954 einen Produktionszuwachs von 12% hatte und in der ersten Hälfte 1955 von 16,5%. Die Ausrüstungen der westdeutschen Großbetriebe wurden zu annähernd 70% erneuert. Man kann sagen, daß von allen kapitalistischen Ländern Westeuropas in Westdeutschland am raschesten die Einführung neuer Technik erfolgte.“ Die kritische Lagebeurteilung umfasste nahezu alle Bereiche: Republikflucht der Jugend, „Pessimismus über die Fragen des Aufbaus des Sozialismus“ bei der Intelligenz, mangelnde Arbeitsmoral, Probleme bei der Materialversorgung in der Industrie, Schwierigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung, das „ungenügend entwickelte sozialistische Bewußtsein bei einem großen Teil unserer Funktionäre“ (Otto Grotewohl). In Bezug auf die Bundesrepublik forderte Ulbricht, „daß wir mit Delegationseinladungen usw. in größerem Maßstab die Gewerkschaftler in Westdeutschland beeinflussen. […] Wenn es uns gelingt, ist das eine große Sache und nach unserer Meinung muß es gelingen.“62
Im Schlusskommentar forderte der namentlich nicht genannte Verfasser, dass es „die nächste Aufgabe aller freiheitlichen Kräfte in Westdeutschland“ sei, „diese großangelegte Offensive erfolgreich abzuwehren“. Darüber hinaus müssten in einer „breiten Kampagne politischer Aufklärung auch die letzten Illusionen über den antisozialen Charakter des totalitären Systems zerstört werden“63. Der Beitrag ist als ein politisches Signal zu deuten, dass auch der Westen effiziente geheimdienstliche Aufklärung praktiziert.
Er ist ein spektakuläres Informationsangebot, das westdeutsches Selbstbewusstsein stärken, Aufmerksamkeit gegenüber kommunistischen Einflussversuchen wecken und zugleich eine Irritation beim politischen Gegner auslösen soll. Damit knüpft dieser Text an die Dokumentationspraxis des ‚SBZ-Archiv‘ an64.
________________________________________________                                                                                          61 Vgl. APuZ, B 12/56, S. 189–207.
62 Ebenda, S. 191 u. 207. Im folgenden Jahr erschien ein weiterer Beitrag unter anderem mit einer Dokumentation des Schlussworts von Walter Ulbricht auf dem XV. ZK-Plenum vom 26. 7. 1953 und der sogenannten Harich Plattform, in der eine Reform der SED von innen und eine neue Haltung gegenüber der SPD als Bedingung für eine Überwindung der Spaltung Deutschlands gefordert wurde. Nachdem Harich dieses Papier, für das er eine Publikation in der SED-Theoriezeitschrift ‚Einheit‘ anstrebte, dem sowjetischen Botschafter Puschkin übergeben hatte, wurde er am 29. 11. 1956 verhaftet und im März 1957 wegen „Bildung einer konspirativen staatsfeindlichen Gruppe“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Vgl. Anonym:
Die Opposition in der Sowjetzone am 17. Juni 1953 und heute, in: APuZ, B 23/57, S. 361–370.
63 APuZ B 12/56, S. 207.
64 Das ‚SBZ-Archiv‘ erschien im Auftrag und mit Finanzierung des BMG seit April 1952 zweimal monatlich. „Eigentlich sollte die Zeitschrift objektive Grundlagen für eine fundierte Beurteilung der Verhältnisse in der ‚Zone‘ vermitteln. Aber zunächst standen Anklage, Aufklärung und politische Mobilisierung im Vordergrund; getreu dem Motto, das auf der Titelseite jedes Heftes abgedruckt war: „Besinnt euch auf eure Kraft, der Westen ist stärker!“ Spittmann- Rühle, Drei Jahrzehnte Deutschland Archiv, S. 303.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 139]

Besonders aufschlussreich sind zwei Beiträge von Otto Heinrich von der Gablentz und Helmut Thielicke, die im folgenden Monat die Dokumentation des XXV. ZK-Plenums dramaturgisch geschickt kontrastierten und sich systemvergleichend den Auswirkungen der SED-Herrschaft auf die ostdeutsche Bevölkerung widmeten 65.
Der Politikwissenschaftler von der Gablentz verglich die politische, wirtschaftliche und geistige Struktur von zwei völlig verschieden Ordnungssystemen: „Im Westen ein Volk, das der politischen Erziehung bedarf, um die Chancen der politischen Aktivität zu nutzen. Im Osten ein durch und durch politisch denkendes Volk, dem die Aktivität versagt ist.“ So ergebe sich für das Projekt der Wiedervereinigung eine herausfordernde Ausgangslage: „Die Wiedervereinigung ist nicht umsonst, sie wird ein größeres politisches Risiko einschließen, als es der einfache Anschluß an die Westmächte heute darstellt. Sie wird ein nicht unerhebliches wirtschaftliches Risiko einschließen und organisatorisch Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Sie schließt auch ein geistiges Risiko ein.“66 Der Theologieprofessor Thielicke erkannte in Ost und West das Vorherrschen von zwei divergierenden materialistischen Leitbildern, im Westen eine „metaphysische Aushöhlung des Abendlandes“, im Osten den materialistischen Marxismus-Leninismus. Selbstkritisch gewendet fragte Thielicke, sollten die Bundesdeutschen nicht zu „gewissen Abstrichen bereit sein, wo wir mit Menschen einer Welt zusammengeschlossen werden, deren sozialer Wille sich in einer anderen Gesellschaftsordnung ausgeformt hat, und zwar in einer Ordnung, die auch ihre positiven Elemente hat und die jedenfalls nicht wegen ihres zweifellos vorhandenen ideologischen Mißbrauchs a limine zu verwerfen wäre.“67 Beide Texte zeigten Respekt und Empathie für die Menschen in der DDR und nahmen den ursprünglichen Kern des Marxismus ernst, der sich in der propagierten Ideologie des Marxismus-Leninismus verbarg, „und diese Ideologie ist nicht klein und dumm, wie es die nationalsozialistische war, sondern sie beruft sich immerhin auf eine der größten Geister des 19. Jahrhunderts“ 68.
Dass sich die Redaktion von APuZ auch im Zeitrahmen der politisch-juristischen Bekämpfung des Kommunismus in der Bundesrepublik einem diskursiven Anspruch nicht gänzlich verweigerte, zeigte der Vorgang um einen Beitrag des antikommunistisch aktiven Publizisten Ernest J. Salter. Sein Text ‚Moskau – Bonn – Pankow. Tendenzen der sowjetischen Außenpolitik‘69 bezog sich auf einen Artikel des prominenten, in Moskau lebenden ungarischen Ökonomen Eugen Varga, der im Oktober 1954 in der Moskauer Wochenschrift ‚Nowaja wremja‘ für die sowjetische Koexistenzpolitik geworben hatte. In alarmistischem Tonfall warnte Salter vor einer „Zangenbewegung gegen den zu vernichtenden Gegner“ und hob die Gefahren der kurz zuvor mit der Sowjetunion aufgenommenen diplomatischen Beziehungen hervor: „Während die diplomatischen Beziehungen der Sowjetunion mit der Bundesrepublik Veränderungen in der Führungsschicht der Bundesrepublik herbeizuführen bestimmt sind, versucht der deutsche Kommunismus in Betrieben,Gewerkschaften und Parteien,unter Intellektuellen, Arbeitern und Geschäftsleuten
________________________________________________                                                                                         65 Vgl. Gablentz: Die beiden Deutschland, in: APuZ, B 13/56, S. 209–213; Thielicke: Was sagen wir den jungen Kommunisten am Tage X?, in: APuZ, B 16/56, S. 249–254.
66 Gablentz, Die beiden Deutschland, S. 211 und 213.
67 Thielicke, Was sagen wir, S. 251 und 250.
68 Gablentz, Die beiden Deutschland, S. 211.
69 Vgl. APuZ, B 4/56, S. 58–64.

[140 Rüdiger Thomas]

Voraussetzungen für die direkte Aktion zu schaffen.“70 Es scheint, als ob Varga nur als Vorwand für Salter diente, um die Debatte im BVerfG über die Wiedervereinigungsziele der KPD, niedergelegt in ihrem ‚Programm der nationalen Wiedervereinigung‘, hintergründig zu kommentieren71.
Während die Propagandasprache dieses Textes irritiert, ist die Fortsetzungsgeschichte interessant. Unter dem Rubrum ‚Geschichte und Politik‘ druckte APuZ eine in der Leipziger Zeitschrift ‚Neue Zeit‘ auf Salters rhetorische Attacke erschienene Replik Vargas, der „als der führende Wirtschaftsexperte des Weltkommunismus“ Vorgestellt wurde72. Es folgte eine abschließende Entgegnung Salters, in der er Varga immerhin „theoretische Intelligenz“ attestierte73 und einen moderateren Tonfall wählte.
Obwohl die beiden Protagonisten gezielt aneinander vorbeiredeten, zeigte die  Diktion Salters in seinen beiden Stellungnahmen den Unterschied Zwischen bloßer antikommunistischer Polemik und dem Versuch einer argumentativen Auseinandersetzung auf. Auch wenn diese ohne Annäherung blieb, hatte APuZ mit diesem Experiment eine Eigenständigkeit gezeigt, die seinerzeit ungewöhnlich war.
Dass sich nach dem KPD-Verbot, das auch die SPD befürwortet hatte, der Antagonismus der politischen Konkurrenten abschwächte, zeigen Beiträge in APuZ, die aus dem Ostbüro der SPD hervorgingen. Im Herbst 1957 konnte Stephan Thomas mit seiner weitgehend dokumentarisch hinterlegten Analyse zum Verhältnis von ‚Sozialdemokratie und Kommunismus‘, die von Rosa Luxemburg bis zur aktuellen Konfrontation im geteilten Deutschland einen weiten Bogen spannte74, besondere Aufmerksamkeit hervorrufen. Seinem Beitrag stellte der als ‚Leiter der Ostabteilung beim Parteivorstand der SPD‘ vorgestellte Autor ein Zitat von Kurt Schumacher (SPD) vom 6. Oktober 1947 voran: „Der Staatsfeind des Kommunismus ist die Sozialdemokratie, gegen den die Nachfolgerin der Komintern alle Kräfte mobilisiert. Von dem Ausgang dieses Kampfes hängt die Möglichkeit der Welteroberung durch den Kommunismus ab.“ Offensiv setzte sich Thomas mit der Polemik der SED gegen das Ostbüro der SPD, „d. h. der sozialdemokratischen Widerstandsarbeit in der Zone“, auseinander.
Man kann diesen Text auch als politisches Angebot für eine ideologische große Koalition nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik deuten, denn der Leiter des Ostbüros notierte am Ende seiner Studie zu einem erwünschten Wandel im kommunistischen Weltsystem: „Dazu kann es nur kommen, wenn die permanente Wachsamkeit und die unabdingbare, offensive, ideologisch-politische Auseinandersetzung mit den reaktionären Ideen des Kommunismus so lange wirksam bleiben, bis die sowjetische Führung den illusionären Gehalt ihrer Eroberungspläne erkannt hat.“75
Wie eine Bestätigung zur Effektivität der Aktivitäten des Ostbüros publizierte APuZ am Jahresende 1957 anonym die „Enthüllung eines Geheimprotokolls“ des 33. ZK-Plenums (Oktober 1957) der SED in kommentierten
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70 Zitate in: ebenda, S. 63 und 62.
71 Vgl. dazu im Urteil: Pfeiffer/Strickert, KPD-Prozeß, Bd. 3, S. 672–738.
72 Antwort an Herrn Ernest Salter, in: APuZ, B 24/56, S. 365–366, hier S. 366.
73 Antwort an Herrn Eugen Varga, in: ebenda, 366–369, hier S. 369.
74 Abgedruckt in: APuZ, B 45/57, S. 753–773.
75 Thomas, B 45/57, S. 767 und 772.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 141]

ausführlichen Auszügen76. Es gab Aufschluss über die Absicht von Normerhöhungen, Preissteigerungen, verschärfte Kollektivierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft, Probleme mit der Jugend und der Intelligenz, aber vor allem auch über Konflikte innerhalb der SED und die „Zersetzung der Parteikader“. Der anonyme Schlusskommentar lautete: „Mit einer nicht zu überbietenden Klarheit hat die Diskussion des 33. Plenums das Spannungsfeld aufgerissen, das die SED-Politik kennzeichnet. Auf der einen Seite zwingt die schwierige Wirtschaftslage, durch radikale und harte Maßnahmen, durch Konsumverzicht und erzwungene Mehrleistungen größere Rückschläge und Zusammenbrüche aufzufangen. Diese Maßnahmen verschärfen jedoch auf der andere Seite den politischen Druck von unten, der nicht ohne Einwirkung auf die Partei und ihre Funktionäre bleibt und die Zersetzung vorantreibt.“77
Der Anteil der Beiträge zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, die in APuZ veröffentlicht wurden, erreichte 1957 mit rund 60 Prozent einen Höchststand78. Dazu trug wesentlich der Vorabdruck aller Beiträge aus dem Anfang 1958 als Buchausgabe erschienenen ‚Handbuch des Weltkommunismus‘79 bei, das die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem KPD-Prozess und dem  damit verbundenen Kontakt zu Bocheński80 maßgeblich gefördert und 1958 durch kostenlose Buchverteilung zusätzlich verbreitet hat81. An dem aufwendig gestalteten, von Joseph M. Bocheński und Gerhart Niemeyer herausgegebenen Handbuch haben 15 international renommierte Kommunismusforscher wie David J. Dallin, Walter Kolarz und Karl A. Wittfogel, – jedoch kein einziger deutscher Autor – mitgewirkt.
Der Titel des Werkes ist allerdings missverständlich, handelt es sich doch um eine Darstellung, die sehr pointiert die ideologische Programmatik akzentuiert und überwiegend auf die Sowjetunion fokussiert bleibt, während darin die Analyse konkreter Entwicklungsprozesse im kommunistischen Machtbereich weitgehend ausgeblendet wird.
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76 Anonym: Das 33. Plenum des Zentralkomitees der SED, in: APuZ, B 49/57,          S. 837–851.
77 Ebenda, S. 851.
78 Der Anteil der ‚APuZ-Ausgaben‘, die Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und zum Ost-West-Konflikt enthielten, stieg in den ersten fünf Jahren von 25 Prozent (1954) auf 45 Prozent (1956) und erreichte 1958 50 Prozent, bevor er bis 1963 auf rund ein Drittel zurückging. Häufigste Autoren hierzu waren im ersten Jahrzehnt bis einschließlich 1963 (Fortsetzungen und Vorabdrucke wurden als ein Beitrag gezählt): Joseph M. Bocheński, John Foster Dulles, Henry Kissinger (je sieben); Walter Grottian (sechs); Iring Fetscher, George Kennan, Wolfgang Leonhard, Richard Löwenthal, Boris Meissner, Günther Nollau, Georg Stadtmüller (je fünf).
79 Der Abdruck erfolgte zwischen Juli (B 25/57) und Oktober (B 40/57) in zehn ‚APuZ-Ausgaben‘, verschiedene Beiträge waren gegenüber der Buchfassung geringfügig gekürzt. Dieses außergewöhnliche Verfahren für ein Periodikum erklärt sich wohl auch aus dem Umstand, dass Werner Maibaum, 1956 wissenschaftlicher Mitarbeiter Bocheńskis für das ‚Handbuch‘, 1957 die Redaktion von ‚APuZ‘ übernommen hat.
80 Bocheńskis Idee für das Handbuch ist offensichtlich eine direkte Reaktion auf sein Gutachten im KPD-Prozess. Aufschlussreich ist, dass im Vorwort des ‚Handbuchs‘ zwar auf finanzielle Unterstützung aus den USA hingewiesen wird, aber die Alimentierung von deutscher Seite unerwähnt bleibt.
81 Das Werk wurde in einer Gesamtauflage von 19 592 Exemplaren gedruckt, davon hat die BZH eine Kommissionsauflage von 12 500 Exemplaren garantiert, von der 4000 Exemplare in einer Lehreraktion, zusätzlich 2680 an Religionslehrer verteilt und 4565 verkauft wurden. Vgl. Tätigkeitsbericht der Bundeszentrale für Heimatdienst für das Rechnungsjahr 1958/59 (1. 4. 58–31. 3. 59), Bonn, 13. 1. 1960, S. 6.

[142 Rüdiger Thomas]

Nur gelegentlich werden in dem Buch auch andere kommunistisch regierte Staaten einbezogen, während die DDR völlig außer Betracht bleibt. Die Zielsetzung dieser Publikation wurde von den Herausgebern in ihrem Vorwort umrissen: „Bisher fehlte ein relativ kurzes, allen Gebildeten verständliches Werk, das eine zuverlässige Darstellung der wichtigsten Aspekte des Kommunismus mit Belegen aus den Quellen und aus erstklassiger Literatur enthielte“82. Die Publikation des Handbuchs unterstreicht, dass Bocheński seit seiner Begegnung mit Ritter von Lex im Zusammenhang mit dem KPD-Prozess zu einer wichtigen Einflusspersönlichkeit im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus geworden war. Bereits am 11. Juni 1955 teilte er dem Staatssekretär seine ernste Besorgnis „über die allgemeine Lage auf der Front des geistigen Kampfes mit“ und erklärte: „Es besteht also meines Erachtens die dringliche Notwendigkeit, einerseits die Abwehr – und möglicherweise sogar den Angriff – auf geistiger Ebene bedeutend zu intensivieren“. Fasziniert vom Gedanken einer „Eliteschulung“ äußerte von Lex in einer hausinternen Anregung, man könne „an eine vom Bund zu errichtende Akademie denken, als deren Leiter sich kaum eine bessere Kraft finden ließe als Professor Bochenski“ 83.
Das ‚Handbuch des Weltkommunismus‘ ist das sichtbare Resultat seines Zusammenwirkens mit dem Staatssekretär; die wichtigste Konsequenz war aber im November 1957 die Gründung des Ostkollegs der Bundeszentrale für Heimatdienst. Seit Anfang 1956 wurden konkurrierende und widerspruchsvolle Initiativen unternommen, die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus durch die Einrichtung einer Akademie zu institutionalisieren, die vorrangig eine ‚Elitenschulung‘ nach dem Prinzip der Multiplikatorenqualifizierung intendierte84. In einem experimentellen Wirrwarr konnte sich schließlich die BZH die Zuständigkeit für dieses Projekt sichern. Ein junger Berliner Spranger-Schüler, der Professor für Philosophie und Soziologie an der Freien Universität Berlin, Hans-Joachim Lieber, legte schließlich im August 1957 dem BMI ein Memorandum vor, in dem das Ostkolleg als eine wissenschaftlich unabhängige Einrichtung zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus konzipiert wurde85. Wie groß die Unterschiede waren, die ursprünglich zwischen den Erwartungen des Innenministers und den Vorstellungen des wissenschaftlichen Direktoriums des Ostkollegs bestanden, ließ die Eröffnungsveranstaltung des Ostkollegs der Bundeszentrale für Heimatdienst erkennen, die am 22. November 1957 in Köln stattfand. In seiner Eröffnungsrede machte Gerhard Schröder deutlich, dass er die Aufgabe des Ostkollegs auf die ideologische Auseinandersetzung fokussieren wollte: „Es geht hier nicht um den machtpolitischen Gegensatz zwischen Ost und West. Hier geht es allein um die ideologische Auseinandersetzung. Sie ist uns aufgezwungen,

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82 Bocheński/Niemeyer, Handbuch des Weltkommunismus, S. V [Hervorhebung im Original].
83 Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst, S. 11.
84 Vgl. dazu grundlegend ebenda, S. 13–60. Irrtümlich nahm Maibaum an, dass Otto Lenz an dieser Entwicklung noch als Staatssekretär im BKA involviert war, die er bereits im Herbst 1953 verlassen hatte. Die Hauptrolle im Entscheidungsprozess spielte jedoch Ritter von Lex.
Eine ausführliche Darstellung der Vorgeschichte der OK-Gründung mit starker Überakzentuierung auf die antikommunistischen Aktivitäten Gerhard von Mendes, die aber für die Profilierung des Ostkollegs folgenlos blieben, findet sich bei Hentges, Staat und politische Bildung, S. 341–429, zu von Mende insbesondere S. 373 ff.
85 Zum Memorandum vgl. Hentges, Staat und politische Bildung, S. 420 f.

[Der deutsche Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst 143]

weil die östliche Heilslehre mit der Herrschsucht und dem Eroberungswillen einer fanatischen Prophetie auftritt – als der einzig wahre Glauben, der alles seiner Pseudo-Wahrheit unterwerfen will.“86 Der Entwurf der Studienleitung des Ostkollegs legte fest: „Das Ostkolleg ist eine Einrichtung der politischen Bildung und hat eine doppelte Aufgabe. Durch Vorträge wissenschaftlich ausgewiesener Sachkenner des In- und Auslandes bietet es eine systematische Unterrichtung über die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Gegenwartsprobleme Osteuropas und der Sowjetunion. In offener Diskussion […] soll den Teilnehmern der Studientagungen eine eigene Urteilsbildung ermöglicht werden, um die erarbeiteten Einsichten für die geistige Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus und seinen Auswirkungen fruchtbar zu machen – unter Besinnung auf Idee und Wirklichkeit der Freien Welt.“87
Dass es im Ostkolleg von Anfang an gelungen ist, diese Auseinandersetzung in deutlicher Abkehr von den Vorstellungen des Ministers auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, ist ohne die Einsicht des Staatssekretärs Ritter von Lex kaum vorstellbar, der sich schließlich davon überzeugen ließ, die Programmgestaltung und Referentenauswahl im Ostkolleg der BZH in die autonome Verantwortung eines wissenschaftlichen Direktoriums zu legen88. In diesem Gremium repräsentierten paradigmatisch Bocheński und Lieber die Pluralität einer Kommunismusforschung auf wissenschaftlicher Grundlage: Bocheński als Gutachter der Bundesregierung im KPD-Prozess und als führender westlicher Sowjetologe, Lieber als der Herausgeber einer bundesdeutschen Marx-Werkausgabe, die seit 1960 erscheint89. Diese Entwicklung konnte 1956 kaum erwartet werden, doch belegt sie die Überzeugungskraft des Arguments in einer Periode, die sich zu oft durch die Suggestion der Propaganda verführen ließ.
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86 Das Parlament, 47/1957, S. 16.
87 BAK, B 168/772. Zitiert nach: Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst, S. 93
88 Vgl. BMI, Erlass über die Errichtung des Ostkollegs der Bundeszentrale für Heimatdienst vom 28. 11. 1957 (Z9 -09 150 – 950857).
89 Zur frühen Arbeitsphase des Ostkollegs bilanzierend Thomas, Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung,                S. 290–293.
Quelle: Zur Auseinandersetzung mit dem deutschen Kommunismus in der Bundeszentrale für Heimatdienst. Eine kritische Sondierung im Umfeld des KPD-Verbots. In: Stefan Creuzberger/Dierk Hoffmann (Hrsg.): „Geistige Gefahr“ und „Immunisierung der Gesellschaft“. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik. München: Oldenbourg 2014, S. 123-143.

Ein rares Unikat – Gerhard Wolf (2013)

Rüdiger Thomas

Ein rares Unikat

Meine Begegnungen mit Gerhard Wolf

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Es gibt nicht viele, die so sehr in Verlegenheit geraten müssten wie Gerhard Wolf, wenn sie über ihre Profession Auskunft geben sollten. Redakteur, Lektor, Autor, Herausgeber, Verleger, Galerist – das stünde zumindest zur Wahl. Um solchen Entscheidungszwängen zu entgehen und ein Verwirrspiel zu beginnen, könnte man ihn auch als stillen Connaisseur (der Buch- und Bildkunst ebenso wie der Kochkunst zugewandt) und als heimlichen Mäzen vorstellen. In die deutsche Kulturgeschichte hat sich Gerhard Wolf als leidenschaftlicher Aufspürer eingeschrieben, wenn es galt, Entdeckungen in einem Gebiet zu machen, in dem es vielfältige und schmerzhafte Grenzziehungen gab – in einem kleinen Land, das wider den Anschein für ahnungslose Besucher manche reizvolle ästhetische terra incognita aufwies.

Auf der Buchmesse in Frankfurt sind wir uns 1991 zum ersten Mal persönlich begegnet. Gerade war Gerhard Wolf mit Janus press Buchverleger geworden. Schon immer hatte er sich für Menschen eingesetzt, die neue ästhetische Horizonte zu erschließen suchten. Er hatte junge Autoren und Autorinnen ermutigt, ihre Lyrik einfühlsam und engagiert auch in subkulturellen Szenezeitschriften wie der 1986 entstandenen „Ariadnefabrik“ – einem Rarissimum meiner Büchersammlung –interpretiert , indem er die „Befindlichkeit der Sprache“ mit der „Befindlichkeit des Sprechenden“ in Beziehung setzte. Schließlich konnte er  im Aufbau-Verlag ab 1988 Schriftsteller wie Bert Papenfuß-Gorek, Jan Faktor, Gabriele Kachold oder Reinhard Jirgl noch vor dem Ende der DDR unter dem vielsagenden Rubrum  „Außer der Reihe“ vorstellen. Doch wie hatte Christa Wolf im September 1988 in ihrem wunderbaren selbstironischen  Doppelporträt „Er und ich“ zu seinem 60. Geburtstag ahnungsvoll geschrieben:  „Er wäre der ideale Leiter eines kleinen Verlages für zeitgenössische Literatur“.

Ich hatte schon längere Zeit gewusst, dass es diesen einen und besonderen Büchermenschen mit Lust und Leidenschaft, mit Mut und Energie in diesem nahen, fernen Land gab, der zugleich ein Bildermensch war, schon in den frühen Jahren so verschiedenen Künstlern wie Albert Ebert ebenso zugewandt wie Carlfriedrich Claus und später vielen aus der Generation der ostdeutschen Jungen Wilden. Und nun hatten wir uns endlich bei seinem Messedebüt getroffen, an seinem kleinen Stand, umgeben von den ersten fünf Büchern, die er in eigener Regie und auch auf eigenes kommerzielles Risiko – kunstvoll gestaltet und bilderreich ausgestattet –  verlegt hatte. Höchst aufschlussreich für Gerhard Wolfs spontanen Entdeckergeist ist eine Episode, die seiner Verlagsgründung vorausgeht. Im Juni 1990 erreichte Gerhard Wolf ein Brief der jungen sorbischen Autorin Róža Domašcyna: „Ich bin aus Bautzen und meinen Namen dürften Sie noch nie gehört haben. Ich habe noch kein Gedicht in deutscher Sprache veröffentlicht.“ Die Reaktion auf die beigefügten Texte folgt schon nach wenigen Wochen und soll alle Zweifel zerstreuen: „Natürlich sind Sie eine Dichterin.“ Das ist die Vorgeschichte seines ersten Verlagstitels „Zaungucker“. Ein veritabler Coup in diesem Debütprogramm war der Band „das wort auf der zunge“, der von Carlfriedrich Claus ausgewählte Texte von Franz Mon aus 40 Jahren mit seinen eigenen Sprachblättern in Beziehung setzte.

Wir entdeckten rasch, wie viele gemeinsame Interessen uns verbanden, und so begann ein andauerndes Gespräch, das uns seither über mehr als 20 Jahre in vielen weiteren Begegnungen und einigen gemeinsamen Aktionen und Projekten bis heute verbinden sollte. Denkwürdig bleibt vor allem ein langes Gespräch , das ich mit Christa und Gerhard Wolf am 7. Mai 1997 im Erker am Amalienpark für den Katalog der Ausstellung „deutschlandbilder“  führen konnte. Es ist erstaunlich, dass dieses Doppelinterview ein einzelner Versuch geblieben ist, zwei Personen gemeinsam auf die Spur zu kommen, von denen Christa Wolf in dem erwähnten Gedankenaustausch  bemerkte: „Wissen Sie, wir waren früher – mehr als heute, wo wir uns nun so gut kennen, daß wir uns manchmal mit halben Sätzen über Sachen verständigen können – in einem Tag-und Nacht-Gespräch.“

Auch nach seiner eigenen Verlagsgründung bleibt Gerhard Wolf als Autor in anderen Verlagen präsent. 1992 erscheint sein aufschlussreicher Reclam-Band „Sprachblätter Wortwechsel“, der facettenreich Schlaglichter darauf wirft, wie der Autor die beiden zurückliegenden Jahrzehnte als Literatur- und Kunstkritiker mitgestaltend erlebt hat: „es war erregend, das zu beobachten und als Herausgeber, jetzt als Verleger, sich engagierend, daran Anteil zu nehmen“, resümiert Gerhard Wolf in einer Vorbemerkung zu diesem „Denk-Mal“. Wer die von Gerhard Wolf selbst ausgewählten Texte heute liest, wird von einem weiten, tiefschürfenden Blick gefangen genommen und auf eigene Weise mit Protagonisten wieder vertraut, die sich in die deutsche Kulturgeschichte unverwechselbar eingeschrieben haben: Irmtraud Morgner, Elke Erb und Adolf Endler, Sarah Kirsch, aber auch die jungen Autoren der späten Achtziger auf der „FLUCHT NACH VORN“ begegnen uns neben ausgewählten Beiträgen zum Werk von Carlfriedrich Claus, der das ästhetische Selbstverständnis von Gerhard Wolf mehr als jeder andere Bildkünstler aus der DDR herausgefordert und konzeptionell bereichert hat.

Es verwundert nicht, dass der rastlose Entdecker 1997 schließlich auch noch zum Galeristen wurde, den ich am Ursprungsort seiner Kellergalerie, im Nebenhaus der eigenen Wohnung, gern und häufig besucht habe. Seine und Christa Wolfs „Freunde, die Maler“ hatten wir schon 1996 nach dem Ausstellungsdebüt in Rheinsberg auch in der bei Köln gelegenen Abtei Brauweiler zeigen können, und hier bin ich auch Christa Wolf zum ersten Mal in einem langen Gedankenaustausch intensiv begegnet.

Doch möchte ich hier noch eine andere Art von Begegnung in Erinnerung rufen, die ich mit Gerhard Wolf wiederholt erlebt habe, ohne dass er davon wusste. In meiner Bibliothek steht eine Lyrik-Anthologie, die Christa und Gerhard Wolf 1959 herausgegeben haben – die erste gemeinsame Buchveröffentlichung eines Ehepaares, das sich schon 1951 lebenslang miteinander verbunden hatte. Der nobel in Leinen gebundene „Aufbau“-Band enthält neben Gedichten vieler Ahnherren der DDR-Literatur (nur zwei Frauen aus der älteren Generation sind darunter) schon Verse mancher damals noch sehr junger Grenzgänger wie Günter Kunert, Adolf Endler, Reiner Kunze neben Erich Arendt, Peter Huchel, Georg Maurer und Karl Mickel, die auch heute in keiner Lyrik-Anthologie fehlen. Als mir das Buch geschenkt wurde, hatte ich gerade meine Heimatstadt Leipzig republikflüchtig verlassen und stand der Literatur aus der DDR, von der Gerhard Wolf im Erker am Amalienpark sagen sollte, davon könne „man eigentlich erst ab 1963 sprechen“, fremd gegenüber. So habe ich den Band erst wirklich wahrgenommen, als mich   – durch kulturpolitische Restriktionen lange verzögert – ein 1972 publizierter Text von Gerhard Wolf faszinierte, der schon 1968 entstanden war: „Der arme Hölderlin“ ist ein literarisches Experiment, ein  Geniestreich, der sich souverän zwischen den Genres von Erzählung und Psychogramm, Selbstreflexion und Biografie, Essay und Collage bewegt und dabei die Ausdrucksmittel des Autors und die Zitate der historischen Personen absichtsvoll mitunter kaum unterscheidbar verknüpft. Über die Entstehung dieses Textes hat Gerhard Wolf 1984 in einem Brief an Angela Drescher selbst hintersinnig Auskunft gegeben, indem er neben dem „Jahr des französischen Mai in Paris, der studentischen Proteste in Berkeley gegen den Krieg der USA“ die „Augusttage in Prag“ in Erinnerung ruft. Und Hölderlins Verse „Laß in der Wahrheit immerdar/mich bleiben“ erlebte er nach eigenem Bekunden „durch Radiosignale aktuell skandiert“. Verbindungen zu Prager Freunden, die schließlich auch zu einer Bindung in der eigenen Familie führen sollten (Tochter Annette ist ja mit dem Dichter Jan Faktor verheiratet), haben eine schockierende politische Erfahrung auch zu einer persönlichen Desillusionierung werden lassen, in der zugleich eine unerschütterliche und trotzige Selbstbehauptung anklingt, wenn wir im „Hölderlin“ lesen: „Je sicherer der Mensch in sich und je gesammelter in seinem besten Leben er ist, um so heller muß auch sein Auge sein, und das Herz haben wird er für alles, was ihm leicht und schwer und groß und lieb ist in der Welt.“

Schon bei diesem fiktiven Zusammensein mit Gerhard Wolf als faszinierter Leser entstand der Wunsch, jenem Menschen persönlich zu begegnen, der ein Lebensprinzip lebendig werden ließ, das mir selbst vertraut war. Gerhard Wolf hat Reglementierungen und Begrenzungen der Kunst nie akzeptieren wollen und auch die Grenzen zur Bundesrepublik intellektuell früh überschritten. In seinem 1964 publizierten Werk „Deutsche Lyrik nach 1945“ hat er in einer seinerzeit durchaus riskanten politischen Gratwanderung, aber mit sicherem Gespür für die ästhetische Qualität, wie er in einer Vorbemerkung selbst konstatiert „–bei uns in diesem Umfang zum ersten Mal – auch die wesentlichen Stimmen und Strömungen westdeutscher Dichtung erfaßt“, wobei er ebenso deutschsprachige Autoren wie Ingeborg Bachmann und Paul Celan einbezogen hat. Kaum jemand war so mittendrin in den disparaten Kulturszenen der DDR wie er, als scharfsinniger, bisweilen lustvoll sarkastischer Kritiker, vor allem aber als emphatischer Beobachter, Entdecker und Ermutiger, als einfühlsamer Interpret und engagierter Förderer. Gerhard Wolf tat, was er tun musste, ohne sich vor den Folgen zu fürchten,  wenn es um die Verteidigung der Kunst gegen Ignoranz und Verbote ging.

Ohne Sie, lieber Gerhard Wolf, wäre die Kultur in Deutschland ärmer. Sie haben viele Impulse gegeben und manche Entdeckung wäre uns versagt geblieben, wenn Ihre kreative Energie gefehlt hätte, sie sind in vieler Hinsicht ein Ur-Heber, eben ein rares Unikat.

Quelle: Gerhard Wolf. Stimmen der Freunde. Gerhard Wolf zum 85. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich Dieckmann, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2013, S. 179-183.

Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung (2012)

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Rüdiger Thomas

Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung                                            Bundeszentrale für Heimatdienst und Ostkolleg

Eine inhaltsanalytisch orientierte Betrachtung zeigt, dass sich die Bundeszentrale für Heimatdienst (ab 1963: Bundeszentrale für politische Bildung) und das Ostkolleg schon in ihrem Gründungsjahrzehnt mit zielgruppenspezifischen Publikationen und Seminaren für „Bildungseliten“, die durch ein autonomes wissenschaftliches Leitungsgremium konzipiert wurden, überwiegend substanziell und argumentativ mit Theorie und Praxis des internationalen Kommunismus auseinandergesetzt haben.

Einleitung: Antikommunismus als Teil der westdeutschen Mentalitätsgeschichte

Ein Rückblick auf die Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik in den 1950er-Jahren zeigt eine eigentümliche Verschränkung zwischen den Ansätzen einer demokratischen Bewusstseinsbildung und einer antitotalitären Grundhaltung, die sich weniger auf die NS-Diktatur bezieht, in der man eigene Verstrickungen nur zu gern unter dem Rubrum einer „Unschuldsgemeinschaft“[1] zu verdrängen trachtete, als auf den Systemantagonismus zu den sowjetkommunistischen Regimen, der im Nachkriegsdeutschland seine Manifestation in einem ostdeutschen Konkurrenzstaat gefunden hatte, einem „Staat, der nicht sein darf“[2]. Der Antikommunismus wurde daher zu einem grundlegenden Integrationsfaktor für die Entwicklung des politischen Selbstverständnisses der westdeutschen Gesellschaft. Diese Einsicht ist allerdings zu pauschal, um die Mentalitätsgeschichte der frühen Bundesrepublik angemessen zu erfassen. Denn sie verdeckt, dass sich im Westen Deutschlands unterschiedliche Ausprägungen des Antikommunismus nachweisen lassen, die bei einer Analyse von Genese und Erscheinungsformen antikommunistischer Denk- und politischer Verhaltensmuster analytisch und systematisch differenziert werden müssen. Grundlegend lassen sich propagandistischer und rationaler Antikommunismus unterscheiden. Während der als propagandistisch bezeichnete, appellativ und emotional aufgeladene Antikommunismus funktionalisiert wird, um das Demokratiekonzept ex negativo zu legitimieren, ist der rationale Antikommunismus dadurch gekennzeichnet, dass er sich mit Theorie und Praxis des Kommunismus substanziell (tatsachengestützt) und argumentativ auseinandersetzt. In einem Zwischenbereich lässt sich verorten, was als empirischer Antikommunismus bezeichnet werden kann und vor allem auf den Berichten von Zeitzeugen beruht, die ein breites Spektrum zwischen emotionaler Betroffenheit und nüchterner Erkenntnis aufweisen. Und schließlich ist bei der Analyse von Erscheinungsformen des Antikommunismus zu berücksichtigen, an welche Zielgruppen er gerichtet ist und welchen praktischen Zwecken er jeweils dient, etwa in der Auseinandersetzung mit innenpolitischen Konkurrenten, insbesondere im Kontext von Wahlkämpfen. In diesem Beitrag steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit zwei wichtige Institutionen der politischen Bildung in der Bundesrepublik, die Bundeszentrale für Heimatdienst und das Ostkolleg, dem selbstgesetzten Auftrag einer wertorientierten und zugleich wissenschaftlich begründeten Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis des internationalen Kommunismus in ihrer Gründungsperiode gerecht geworden sind.[3] Untersucht wird, welche personellen Konstellationen und konzeptionellen Ansätze die Ausbildung von Organisationsstrukturen bestimmt haben; exemplarisch wird zudem dargestellt, wie konkrete Maßnahmen und Projekte einer bundesweit operierenden politischen Bildung gestaltet waren, die aus der intellektuellen Herausforderung der Theorie des Marxismus und der politischen Systemkonkurrenz mit dem Sowjetkommunismus resultieren.

Gründungsgeschichte der Bundeszentrale für Heimatdienst

Auf der Kabinettssitzung vom 7. September 1951 zeigte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer besorgt darüber, dass sich die Bevölkerung „in steigendem Maße der Demokratie und der Politik der Bundesregierung entfremde“.[4] Im Oktober 1951 verfasste Edmund Forschbach im Auftrag von Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) eine Ausarbeitung über die Aufgaben und den Aufbau einer „Bundeszentrale für Heimatdienst“ und legte diese Ministerialdirektor Hans Globke im Bundeskanzleramt am 23. Oktober 1951 vor. Darin heißt es: „Da die Gefahren für die Demokratie ihre Ursachen nicht nur in der Agitation und den hochverräterischen Bestrebungen ihrer Feinde haben, sondern mindestens ebenso darin, dass unser Volk in weiten Teilen mit der Demokratie nichts anzufangen weiß (…), bedarf die Tätigkeit des Amtes für Verfassungsschutz einer Ergänzung in positiver Hinsicht. Die Behörde für den ‚positiven‘ Verfassungsschutz muss die Bundeszentrale für Heimatdienst (Bz.f.H.) werden. (…) Die Wahlberechtigten werden fast ausschließlich durch Appelle an das Gefühl zu demokratischem Denken und Handeln aufgefordert. Der Appell an das Gefühl aber gibt dem politischen Hasardeur jede Chance, die unwissenden Massen in die Irre zu führen. (…) Am Anfang der Arbeit der Bz.f.H. muss deswegen die Erkenntnis stehen, dass die Nachahmung der ‚Aufklärung‘ und ‚Propaganda‘ der Diktaturstaaten nicht in Betracht kommen kann“.[5] Forschbach knüpfte im Hinblick auf den Namen der projektierten Institution an eine Organisation an, die als „Reichszentrale für Heimatdienst“ im November 1919 etabliert worden war, wobei der antiquiert erscheinende „Heimatdienst“-Begriff auf eine problematische Vorgeschichte verweist, die noch in die Endphase des Ersten Weltkriegs zurückreicht. Denn die im März 1918 auf Wunsch der Obersten Heeresleitung gegründete „Zentralstelle für Heimatdienst“ sollte die Widerstandskraft der Heimatbevölkerung ideologisch stärken – komplementär zur „Zentralstelle für Frontdienst“, die „Vaterländischen Unterricht“ für die Truppe anbot. Die Reichszentrale für Heimatdienst konzentrierte dann „staatsbürgerliche Aufklärung“ auf die „Erziehung zum Staat“, indem sie über die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie, aber auch über das konkrete Regierungshandeln informierte. Sie führte „Staatsbürgerliche Lehrgänge und Bildungstage“ durch und publizierte auch Broschüren und Bücher in einem eigenen Verlag. Im August 1920 erschien die erste Ausgabe der Halbmonatsschrift „Heimatdienst“, die sich außenpolitisch auch mit deutlicher Kritik am Versailler Vertrag positionierte. Die Zentrale war dem Pressechef der Reichsregierung unterstellt, bevor sie 1927 in die Reichskanzlei eingegliedert wurde. Leiter der Reichszentrale war seit ihrer Gründung bis zu ihrer Auflösung (auf Beschluss der NS-Regierung vom 15. März 1933) Richard Strahl.[6] Ihre Zuständigkeiten wurden dem zwei Tage zuvor neu eingerichteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels übertragen. So konnte die Reichszentrale für Heimatdienst in der jungen Bundesrepublik als Opfer der Nazi-Machteroberung gelten und die Bundeszentrale für Heimatdienst an eine in mancher Hinsicht durchaus fragwürdige politische Bildungstradition der Weimarer Republik ausdrücklich anknüpfen.

Dass die Zuordnung der projektierten Bundeszentrale zum Bundesinnenministerium erfolgte, hängt freilich nicht nur mit dem Aspekt des positiven Verfassungsschutzes zusammen, sondern ist auch durch die Personenkonstellation während des Entscheidungsprozesses bedingt. Adenauers wichtigste Beamte im Kanzleramt waren Otto Lenz – 1951–1953 Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes – und vor allem Hans Globke – seit 1949 Ministerialdirigent, 1950 Ministerialdirektor im Kanzleramt, seit 1953 Staatsekretär und Amtschef Adenauers bis 1963 –, der erheblich NS-vorbelastet war, sodass eine Verbindung mit demokratischer Bildungsarbeit im Rahmen des Kanzleramts schon aus diesem Grund nicht zweckmäßig erschienen wäre.

Der vorgesehene Gründungsdirektor der Bundeszentrale für Heimatdienst (BZH), Paul Franken, war seit 1935 ein enger Vertrauter Konrad Adenauers. Er hatte dem katholischen Widerstandskreis um Jakob Kaiser und Adam Stegerwald angehört und in dieser Zeit auch mit Robert Lehr in Verbindung gestanden. Wegen längerer „Schutzhaft“ als „politisch Verfolgter“ eingestuft, war Franken nach dem Krieg zunächst als Privatlehrer tätig, bevor er 1949 als Dozent und 1950 als Direktor an der Pädagogischen Hochschule Vechta wirkte.[7] Adenauer hatte seinen langjährigen Freund bereits kurz nach der ersten Bundestagswahl für eine wichtige Funktion vorgesehen und brieflich seinen Wunsch bekundet, von Franken „zu hören, wofür Sie sich besonders interessieren“.[8) Dass Franken, dem Adenauer zunächst die Funktion eines Regierungssprechers nahegelegt hatte, dem Projekt einer zentralen Einrichtung für politische Erziehung und Bildung Interesse und Sympathie entgegenbrachte, kann nicht verwundern, zumal auch der ihm zugeordnete Innenminister Lehr auf eine integre politische Vergangenheit zurückblicken konnte. Lehr hatte als langjähriger Oberbürgermeister von Düsseldorf wegen seiner oppositionellen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten im April 1933 sein Amt verloren und in den folgenden Jahren dem Widerstandskreis um Karl Arnold angehört. Wenige Monate nach Forschbachs Darlegungen zur Institutionalisierung der politischen Bildung wurde Franken in den konkreten Planungsprozess eingebunden. Bei der BZH sollten – wie Franken auf einer Pressekonferenz am 8. Mai 1952 ausführte – „parteipolitische Tagesfragen“ und „alle Fragen des deutschen Ostens“ ausgeklammert sein. Bundesminister Lehr ergänzte, die BZH solle „eine ganz streng überparteiliche Stelle“ sein, „die, soweit sie Material sammelt und an die Öffentlichkeit bringt, nur absolut einwandfreies, wissenschaftliches Material liefert“. Sie sei „kein Propagandainstrument der Bundesregierung, (…) kein Organ des Ministeriums des Innern, und infolgedessen zusammengesetzt aus Vertretern aller fachlichen Richtungen.“[9) Der 25. November 1952 markiert den Beginn der staatlichen, überparteilichen politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Erlass des Bundesministers des Innern wurde die BZH, 1963 umbenannt in „Bundeszentrale für politische Bildung“, als nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Ministeriums aus der Taufe gehoben. Im Gründungserlass wurde der BZH die Aufgabe übertragen, „den demokratischen und europäischen Gedanken im deutschen Volke zu festigen und zu verbreiten“.[10] Die anfangs vier Referate wurden mit Personen aus dem Umfeld der NS-Gegnerschaft besetzt und politisch nicht einseitig ausgewählt.[11] Der erste zuständige Aufsichtsreferent im BMI, Carl H. Lüders, war bis zu dessen Rücktritt (im Oktober 1950 aus Protest gegen die Wiederbewaffnungspläne Adenauers) persönlicher Referent Gustav Heinemanns gewesen. Das erklärt die vergleichsweise unabhängige Stellung der Anfangsjahre.[12] Dass die BZH als überparteiliche Einrichtung arbeiten sollte, wurde institutionell durch die Bildung des Kuratoriums unterstrichen, das sich zunächst aus 15 Bundestagsabgeordneten zusammensetzte und das die Arbeit des Hauses bis heute begleitet.[13] Titelblatt des Gesamtverzeichnisses der Publikationen der Bundeszentrale für Heimatdienst und der Bundeszentrale für politische Bildung, herausgegeben zum 40-jährigen Bestehen der BpB

Schon in den Anfangsjahren der BZH entwickelte sich ein lange Zeit vorherrschendes Arbeitsprofil: Öffentlich selbst in Erscheinung trat die BZH vor allem über ihre Publikationen, eigene Aktivitäten wurden also in erster Linie mit auflagenstarken Printprodukten entfaltet, von denen die Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“, die Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, und die „Informationen zur politischen Bildung“ mit ihrem hohen Verbreitungsgrad einen erheblichen meinungsbildenden Einfluss hatten und deshalb auch besonders deutlich erkennen lassen, auf welchem Niveau die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in dieser staatlichen politischen Bildungseinrichtung geführt wurde. Indirekt und mittelbar wurde sie in einem erheblichen Umfang durch die finanzielle Förderung unterschiedlichster „freier Träger“ – unter denen sich auch militant antikommunistische Gruppierungen befanden – wirksam, ohne sich für deren Aktivitäten öffentlich in Verantwortung nehmen zu lassen.

Publikationen der Bundeszentrale für Heimatdienst

Es gibt zwar einige wenige Beiträge, die sich mit der Geschichte der Bundeszentrale beschäftigen[14], aber bisher fehlen Studien, die sich auch inhaltsanalytisch orientieren, also die Publikationen der BZH in den Mittelpunkt rücken, mit denen diese unmittelbar Prozesse der Informationsvermittlung und der Urteilsbildung beeinflusst und mitgestaltet hat.

Mit der Gründung der BZH war die Übernahme der zuvor seit September 1950 kommerziell herausgegebenen Wochenzeitung „Das Parlament“ verbunden.[15] Die Wochenzeitung hatte ihren Schwerpunkt in der auszugsweisen Dokumentation von Bundestagsdebatten, doch wurden dort auch – betreut von einer Miniredaktion mit ursprünglich zwei Redakteuren – andere politische Themen einbezogen, zu denen die gelegentliche Berichterstattung über die „Sowjetzone“ und die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus gehörte. Hierzu erschienen bis 1963 zehn Themenausgaben. Als Leitmedien der BZH, die sich mit einem deutlich differenzierten Anspruchsniveau einerseits an wissenschaftsorientierte bildungsqualifizierte Milieus, andererseits an eine breitere Öffentlichkeit, vorrangig aber an Adressaten in den Schulen wandte, sind die Wochenzeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ sowie die „Informationen zur politischen Bildung“ von grundlegender Bedeutung. Dies gilt sowohl allgemein im Hinblick auf Konzepte und Inhalte einer demokratischen politischen Bildung als auch speziell für die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus.

„Aus Politik und Zeitgeschichte“

„Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ), die Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, ist seit ihrer Gründung bis heute das anspruchsvollste publizistische Medium der Bundeszentrale. Die Zeitschrift erscheint seit Ende November 1953 regelmäßig (zuvor hatte es in der zweiten Hälfte desselben Jahres bereits acht Sonderbeilagen gegeben), sie wurde bis 1956 von Paul Franken persönlich mit nur einer Hilfsreferentin betreut.[16] In „APuZ“ waren dabei Beiträge zur demokratischen Erziehung – etwa von Walter Dirks, Theodor Litt und Eduard Spranger –[17], zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus und zur Geschichte der NS-Diktatur zwar prioritär[18], doch wurde schon seit dem ersten Jahrgang auch die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus häufig thematisiert.[19] Während Themen zur kommunistischen Ideologie überwiegend in Originalbeiträgen präsentiert wurden, stammten Analysen zum Ost-West-Konflikt in den ersten Jahrgängen fast ausschließlich von amerikanischen und britischen Autoren.

Im Hinblick auf die kommunistische Ideologie fällt ein Beitrag von Helmut Gollwitzer über „Die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus als unsere Aufgabe“[20] besonders in den Blick, der im Juni 1954 publiziert wurde. Es handelt sich um einen Vortrag, den Gollwitzer vor Angehörigen der Dienststelle Blank gehalten hatte. Dieser Beitrag ist aus drei Gründen bemerkenswert und für die damalige Zeit – der KPD-Verbotsprozess war bereits drei Jahre zuvor initiiert worden – ganz erstaunlich: (1) Gollwitzer würdigt Karl Marx als einen „der großen Denker des 19. Jahrhunderts“ und erklärt: „Ich könnte keinen Historiker, Sozialökonomen, Sozialpolitiker, aber auch keinen Pädagogen ernst nehmen, der nicht in irgendeiner Weise auch marxistische Gedanken in sein Denken aufgenommen hätte.“ (2) Er wendet sich entschieden gegen Gesinnungsschnüffelei: „Es ist im Marxismus in der Erkenntnis der Entwicklungsgesetze des Kapitalismus, in der schonungslosen Diagnose unserer Zeit soviel einzelnes Wahres, es hat sich auch soviel durchgesetzt, daß es nur borniert ist, etwa heute im Zuge der amerikanischen Hexenjagd nun auch einzelne Professoren zu durchleuchten, wieweit sie marxistische Gedanken aufgenommen haben“. (3) Ideologiegeschichtlich akzentuiert Gollwitzer einen fundamentalen Unterschied zwischen der NS-Weltanschauung und dem Marxismus. Er erkennt in der marxistischen Weltsicht „die Stärke, daß sie auch dem Verstand entspricht und ihn befriedigt, die der Nationalsozialismus mit seinem Mystizismus nicht hatte.“ Im Ausblenden der sozialpolitischen Herausforderung des Marxismus sieht Gollwitzer den Grund dafür, dass China ein kommunistischer Staat geworden sei: „China ist das Ergebnis einer versäumten Sozialreform.“ In seinem Beitrag hebt er allerdings gleichzeitig den fundamentalen Unterschied hervor, den er zwischen Marx und den kommunistischen Diktaturen der Gegenwart konstatiert. Gollwitzer markiert dezidiert eine Kluft zwischen dem Marxschen Humanismus als „Aufbruch zur Befreiung des Menschen. Und am Ende steht das schlimmste Sklavensystem, das wir in der europäischen Geschichte kennen.“ Stärker ausgeprägt als bei Gollwitzer verbindet sich in einem zwei Jahre später erschienenen Beitrag von Wenzel Jaksch[21] die Marx-Deutung mit dem politischen Interesse eines engagierten Sozialdemokraten, sich unmissverständlich vom Sowjetkommunismus abzugrenzen, ohne die ideengeschichtlichen Wurzeln der sozialistischen Bewegung zu verleugnen: „Die Schwäche der geistigen Widerstandsfront in Westdeutschland kommt entscheidend aus gewollten und ungewollten Mißverständnissen über die Identität von Marxismus und Sowjet-Kommunismus. (…) Meine Aussage ist, daß die üblichen antimarxistischen Schlagworte als geistige Waffen für die Auseinandersetzung mit dem Osten völlig untauglich sind. Marx ist nun einmal einer der größten Propheten des industriellen Zeitalters (…) Manche seiner Thesen sind heute überholt, aber in entscheidenden Punkten hat er recht behalten, nämlich, daß der Mensch des industriellen Zeitalters sein Leben bewußt gestalten muß, wenn er nicht zum Werkzeug unkontrollierbarer Kräfte herabsinken will.“[22] Jaksch plädiert daher für ein „Programm der sozialen Aufrüstung“, die er mit der Zielsetzung der deutschen Wiedervereinigung verbindet: „Die Sozialordnung Westdeutschlands und später Gesamtdeutschlands ist das Schaufenster der freien Welt gegenüber den Satelliten-Völkern.“ Diese frühen Beispiele illustrieren einen Denkansatz in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, der Marx‘ Ideen kritisch gegen den totalitären Staatssozialismus der kommunistischen Parteiherrschaft in Anschlag bringt.[23] Er antizipiert damit eine Form der Kritik am internationalen Kommunismus, der in der Systemauseinandersetzung seit den ausgehenden 1960ern bis zum Ende der 1980er-Jahre vorherrschend werden sollte. Dieser Sichtweise steht eine andere Richtung entgegen, die den Marxismus als eine Art Opium für die westliche Intelligenz betrachtet und daher die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus unter das Vorzeichen von Bedrohungsvorstellungen rückt. Ideologietheoretisch sind hier vor allem die Schriften von Joseph M. Bochenski und Gustav A. Wetter hervorzuheben.[24] Beide Autoren interessieren sich kaum für Marx, den Bochenski praktisch ignoriert, und behandeln die sowjetische Ausprägung der kommunistischen Ideologie und ihre politischen Implikationen.

Bochenskis Sichtweise wird zuerst im Februar 1956 unter dem Titel „Die kommunistische Ideologie und die Würde, Freiheit und Gleichheit der Menschen im Sinne des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949“ publiziert. Es ist der Wortlaut seines im Auftrag der Bundesregierung verfassten (dem Bundesverfassungsgericht am 3. März 1955 vorgelegten) Gutachtens für den KPD-Verbotsprozess, ohne dass auf diesen Sachverhalt verwiesen würde. Bochenski lässt für seine Analyse nur die sowjetische Marx-Interpretation gelten: „Jeder Versuch, die Ideologie des Kommunismus aus anderen Quellen herzuleiten, muß als unwissenschaftlich abgelehnt werden. Insbesondere ist es ganz verfehlt, das Verständnis dieser Ideologie aus eigener Deutung der Schriften Marx‘ oder auf Grund einer der zahlreichen nicht-kommunistischen Interpretationen desselben Verfassers gewinnen zu wollen.“[25] Wetters Beitrag „Der dialektische Materialismus“ bezieht sich im Wesentlichen auf die mentalen und sozialpsychologischen Wirkungen der sowjetkommunistischen Ideologie und die Risiken für die westlichen Gesellschaften: „Es ist nämlich dieser Lehre eigen, daß sie selbst ihre Gegner, selbst gegen ihren Willen und ohne daß sie es merken, bis zu einem gewissen Grade formt. (…) Was aber hier entscheidend ist, ist die Tatsache, daß hinter dieser Lehre ein totalitäres Machtsystem steht, welches seine gesamte politische Tätigkeit sowie das ganze kulturelle Leben des Landes nach dieser Lehre ausrichtet und jeder anderen die Möglichkeit entzieht, sich zu entfalten und auszubreiten.“ Wetter hebt die Funktion der kommunistischen Ideologie als „Religionsersatz“ und als „Pseudoreligion“ hervor und macht demgegenüber das Wertefundament des Westens aus Antike und Christentum geltend.[26] Resümiert man die theoretischen Beiträge zum Kommunismus in „APuZ“, dann zeigt sich, dass die beiden Grundansätze der geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, die auch in den folgenden Jahrzehnten in Erscheinung treten, bereits in den 1950er-Jahren präformiert worden sind: Während die Richtung einer aufgeklärten Marxexegese die Gegensätze zwischen Karl Marx und dem Sowjetkommunismus hervorhebt, vertritt die antikommunistische Fundamentalkritik die These, dass es zwischen Marx, Lenin und Stalin einen inneren Zusammenhang gebe, sodass die Realität der sowjetkommunistischen Diktatur in dieser Perspektive als Konsequenz des Marxschen Denkens gedeutet wird. Auch zum Ost-West-Konflikt erscheinen bereits in den ersten „APuZ“-Jahrgängen zahlreiche Beiträge. Dabei fällt auf, dass deutsche Sichtweisen zunächst fast vollständig fehlen, die meisten Beiträge stammen von renommierten amerikanischen Autoren, darunter auch prominente Politiker; es handelt sich meist um übersetzte Nachdrucke aus renommierten Fachzeitschriften wie „Foreign Affairs“. Es finden sich Beiträge von Politikern wie Winston Churchill (B 42/54) und John Foster Dulles (B 42/54 und 51/54), vor allem aber von führenden Kommunismusexperten wie George F. Kennan, Henry A. Kissinger und Richard Löwenthal. In den vier letzten Ausgaben des Jahres 1954 bringt „APuZ“ Vorabdrucke aus Kennans weit ausgreifendem Buch „Das Amerikanisch-Russische Verhältnis“. Es schließt mit der Erkenntnis: „(…) gerade weil diese Spannung so tief im Werdegang unserer Epoche verwurzelt ist, soll man anerkennen, daß sie nicht auf einmal, nicht mit irgendeinem einzelnen Handgriff und erst recht nicht mit den fatalen Mitteln aggressiver Gewalt zu lösen ist.“[27] Ähnlich argumentiert auch Roger Makins, britischer Botschafter in den USA, in seinem Beitrag „Die Welt nach dem Kriege: Die dritte Phase“.[28] Gegenüber den beiden bedrohlichen Alternativen, einem totalen thermonuklearen Krieg oder einer Selbstpreisgabe des Westens durch Schwäche, gibt es für Makins in der gegenwärtigen, dritten Nachkriegsphase der Ost-West-Auseinandersetzung nur einen vernünftigen Weg: „Ich kann nicht glauben, daß das sowjetische System so vollkommen der menschlichen Psyche und wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit entspricht, daß es sich nicht selbst widerlegt oder im Laufe der Zeit verändert, wenn wir nur unsere Stärke und den Glauben an unsere Ideale bewahren. (…) Nach meiner Ansicht müssen wir uns in der dritten Phase in dieser einzig annehmbaren politischen Richtung bewegen. Die (…) äußerste Wachsamkeit fordernde Form der Koexistenz ist keineswegs die Welt, die wir uns erhofften. Doch verfügen wir über genügend Kraft- und Energiequellen und über Schutzmöglichkeiten, um den uns am Herzen liegenden Dingen des Lebens weiter nachgehen zu können. Die beiden übrigen Alternativen sind unerträglich, weil wir die heiligsten Güter des Lebens aufgeben und uns selbst zerstören würden.“ Ein Vierteljahr später begegnet uns der noch in London lebende Autor Richard Lowenthal (sic!) mit seinem Beitrag „Bedingungen für den Frieden“.[29] Löwenthal kommentiert zum Kalten Krieg: „Er wäre durchaus zu beenden und die uns drückende militärische und seelische Last könnte gewiß verringert werden, auch wenn der ideologische Streit fortdauern sollte. Aber zu diesem Ergebnis kann es nur kommen, wenn die wichtigsten Streitfälle auf diplomatischem Wege beigelegt werden.“ Als „drei wichtige Gruppen ungelöster Fragen“ nennt Löwenthal den asiatischen und den europäischen Komplex sowie das Abrüstungsproblem. Schließlich mahnt er, sich durch Bedrohungsvorstellungen nicht in der intellektuellen Freiheit auf der Suche nach Konfliktlösungen einschränken zu lassen: „Totalitäre Staaten unterdrücken nicht nur ihre unmittelbaren Opfer – die von ihnen ausgehende Gefahr wirft ihre beklemmenden Schatten über die Grenzen hinaus und erstickt jede freie Diskussion, die der Atem der Demokratie ist.“ Wenig später kommt auch Henry A. Kissinger mit seinem Beitrag „Die amerikanische Politik und der Präventivkrieg“ in „APuZ“ zu Wort. Ein Kernsatz lautet: „Die Forderung eines Präventivkrieges ist also von einer Aura der Irrealität umgeben.“[30] Der frühe Erfinder der „Eindämmungspolitik“, George F. Kennan, perzipiert die Sowjetunion Mitte der 1950er-Jahre unter dem Vorzeichen ihrer Machtpolitik und sieht die ideologische Anziehungskraft des Kommunismus weltpolitisch als gering an: „In Wirklichkeit hat die ideologische Anziehungskraft des Kommunismus seit der Mitte der dreißiger Jahre allgemein nachgelassen. Seine Theorien sind in zunehmendem Maße als die Dogmen einer außergewöhnlich primitiven und starren Scheinwissenschaft erkannt und verurteilt worden, die sich heute in ihren meisten Hypothesen als falsch herausgestellt hat und deren Prophezeiungen in vielen Fällen von den tatsächlichen Ereignissen Lügen gestraft worden sind. Das Prestige der Sowjetunion fußt heute in zunehmendem Maße auf ihrer Fähigkeit zu rücksichtsloser Organisation, ihrer strengen Disziplin und der furchterregenden militärischen Stärke, was nichts mit geistigen Qualitäten zu tun hat.“ Die Politik der „Eindämmung“ erfordert in dieser Sichtweise, „zu verhindern, daß infolge einer verhängnisvollen Naivität in bestimmten Ländern politische Elemente an die Macht kommen, die unmittelbar von Moskau kontrolliert werden.“[31] Der nüchtern-abwägende Realismus, der in solchen Analysen zur Geltung kommt, konnte auf die öffentliche Urteilsbildung durchaus als Korrektiv gegenüber Bedrohungsvorstellungen wirken, die seinerzeit vor allem auf die Atomwaffen fokussiert waren. Paul A. Hoffman konstatierte im Herbst 1955 in „APuZ“: „Eine Meinungsbefragung ergab kürzlich, daß 73% aller Amerikaner einen Krieg für unvermeidlich halten. Ich fand dies bestürzend und deprimierend: denn gäbe es Krieg, so würde vermutlich die ganze Welt zerstört werden.“[32] Dass die weltpolitische Bedrohung durch die Sowjetunion ein wichtiges Argument für den europäischen Integrationsprozess darstellt, verdeutlicht der Beitrag des russischen Exil-Schriftstellers Michael Prawdin „Rußland, Sowjetrußland oder Europa?“ exemplarisch und mit dramatischem Unterton. Prawdin konstatiert, „daß die russische Gefahr in der Form der Sowjetgefahr Europa gerettet hat, indem sie die europäischen Länder im 20. Jahrhundert zwang, ihre kleinlichen, widerstreitenden Interessen endlich zu vergessen und mit ihrer tausendjährigen Selbstzerfleischung aufzuhören, um sich zu einer kulturellen und administrativen Einheit zusammenzuschließen.“[33] Hier wird ein Motiv erkennbar, das in der frühen Bundesrepublik große Bedeutung hatte: Der Antikommunismus war ein wichtiger Integrationsfaktor für eine demokratische Gesellschaft, die sich ihrer eigenen Werte erst noch vergewissern musste. Als scharfer Kritiker der von Nikita S. Chruschtschow seit 1955 propagierten Politik der „friedlichen Koexistenz“ erweist sich der demokratische amerikanische Präsidentschaftskandidat Averell Harriman 1956, der nachdrücklich und im alarmistischen Tonfall davor warnt, gegenüber der Sowjetunion in Illusionen zu verfallen: „Ihr Ziel ist die Zerstörung alles dessen, woran wir glauben, und die eventuelle Weltherrschaft des sowjetischen Kommunismus. (…) Die Männer des Kreml haben deutlich zu verstehen gegeben, daß es ihr Ziel ist, Feindschaft und Hader und selbst Krieg unter den anderen Nationen aufzurühren, den Nordatlantikpakt aufzubrechen und mittels wirtschaftlicher und politischer Manöver, Propaganda und vorsätzlicher Unruhestiftung die kommunistische Herrschaft über die ganze Welt auszudehnen.“[34] Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass in der Mitte der 1950er-Jahre in den Veröffentlichungen zum Ost-West-Konflikt wissenschaftlich fundierte Beiträge einer realistischen Schule, die auch heute noch durch ihre analytische Nüchternheit bestechen, im Vordergrund gegenüber propagandistisch aufgeladener Polemik stehen. Diese gewinnt jedoch nach dem Realitätsschock der sowjetischen Intervention gegen die ungarische Revolution und der von Chruschtschow seit Ende 1958 initiierten Berlin-Krise, die mit dem Mauerbau im August 1961 ihren desillusionierenden Abschluss findet, an Bedeutung.[35]

Probleme der innenpolitischen Entwicklung in der Sowjetunion werden umfangreich bereits seit der ersten regulären Ausgabe von „APuZ“ behandelt. Bis Anfang der 1960er-Jahre sind dazu etwa 80 Beiträge publiziert worden. Dabei spielen die Zäsur des XX. Parteitages der KPdSU 1956, Ausmaß und Folgen der „Entstalinisierung“, Wandlungen der Sowjetgesellschaft, Ansätze von Wirtschaftsreformen neben den Repressionsmechanismen des Überwachungssystems eine besondere Rolle.[36]

Der Beitrag von Herman(n) F. Achminow über „Die Oberschicht in der Sowjetunion“ kann als exemplarisch für die Art und Weise der Auseinandersetzung mit Problemen der Sowjetunion in „APuZ“ gelten. Diese Ausgabe war – trotz der irritierenden Zählung (47/1953), die jener der Wochenzeitung „Das Parlament“ folgte, als deren Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ bis heute erscheint – das erste „APuZ“-Heft überhaupt.

Besonders bemerkenswert war die Publikation des Erfahrungsberichtes der ehemaligen Kommunistin Margarete Buber-Neumann in „APuZ“, 22/1958. In diesem Zusammenhang sind auch verschiedene Erlebnisberichte über die sowjetischen Straflager hervorzuheben, die eine erfahrungsgeschichtliche Dimension, eingangs als empirischer Antikommunismus charakterisiert, einbringen. Neben Beiträgen von Wolfgang Leonhard, Joseph Scholmer, Margarete Buber-Neumann und Albertine Hönig[37] soll hier vor allem auf einen Text von Aurel von Jüchen verwiesen werden, dessen schonungslose Nüchternheit in der retrospektiven Lektüre besonders eindrucksvoll wirkt. „Der Gefangene erfuhr in der tödlichen Abgeschiedenheit eines Lagers im Ural oder am Nördlichen Eismeer hinter hohen Palisaden und Stacheldrahtzonen viel, viel mehr von der Wirklichkeit der Sowjetunion als die Abgeordneten, die auf dem Wege des parlamentarischen Austauschs in die Sowjetunion fahren, oder als die Schriftsteller, die sich zu einem Treffen von Schriftstellern dorthin begeben.“[38] Der evangelische Pfarrer, wegen kirchlicher Jugendarbeit aus der SED ausgeschlossen, 1950 verhaftet und zu 15 Jahren Zwangsarbeit in Workuta verurteilt, hat nach seiner Entlassung 1955 nicht verlernt, differenziert zu denken, indem er das Sowjetsystem als fundamentalen Abfall von den Ideen Marx‘ wahrnimmt und die Koexistenz als alternativlos betrachtet. Die Situation in den anderen kommunistisch regierten Ländern in Europa, den als „Satellitenstaaten“ charakterisierten Regimes, und im kommunistischen China findet dagegen erst nach 1956 Aufmerksamkeit. Dafür liefern die Entwicklungen in Polen[39] und Ungarn wichtige Anstöße. Der Jahrgang 1957 wird durch den Beitrag von Joseph Scholmer über „Die Revolution in Ungarn“ eröffnet. Ihm steht als Motto ein Marx-Zitat („New York Times“, 12.4.1853) voran: „Rußland hat nur einen Gegner: die explosive Macht der demokratischen Ideen und den der Menschheit angeborenen Freiheitsdrang.“ Scholmers Resümee: „Die Bilanz der Sowjets in Ungarn zeigt einen militärischen Sieg und eine politische Niederlage. Moskau hat sich gegenüber den kommunistischen Parteien der freien Welt, den Satelliten und den farbigen Völkern als eine reaktionäre und imperialistische Macht demaskiert. Die vom Kreml propagierte Koexistenz ist unglaubwürdig geworden.“[40] Drei Jahre später wird Henry Kissinger, damals Direktor des Internationalen Seminars der Harvard-Universität, offen formulieren, welche Schlussfolgerungen der Westen aus diesem schockierenden und desillusionierenden Vorgang ziehen muss: „Das Beispiel Ungarn hat schlüssig bewiesen, daß der Westen nicht bereit ist, Aufstände in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang mit eigenen Machtmitteln zu unterstützen.“[41] Ein Sonderfall in der Publikationspraxis von „APuZ“ ist mit dem von Joseph M. Bochenski und Gerhart Niemeyer herausgegebenen „Handbuch des Weltkommunismus“ (1958) verbunden: Der Titel des Werkes ist irreführend, handelt es sich doch um eine Darstellung, die fast ausnahmslos auf die Sowjetunion fokussiert ist. Das Buch, dessen Textteil 640 Druckseiten umfasst, wird in insgesamt zehn Ausgaben von „APuZ“ mit geringfügigen Kürzungen nahezu vollständig vorabgedruckt.[42] Die Zielsetzung dieser Publikation wird von den Herausgebern in ihrem Vorwort umrissen: „Bisher fehlte ein relativ kurzes, allen Gebildeten verständliches Werk, das eine zuverlässige Darstellung der wichtigsten Aspekte des Kommunismus mit Belegen aus den Quellen und aus erstklassiger Literatur enthält.“[43] Rückblickend wirkt dieses Handbuch mit seiner starken Akzentuierung auf die ideologische Programmatik reichlich abstrakt, weil darin die Analyse konkreter, mit empirischen Daten gestützter Entwicklungsprozesse weitgehend ausgeblendet bleibt.

Grundlegend für die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen System der Volksrepublik China war der Beitrag von Karl F. Wittfogel in „ApuZ“, 19/1958. Das kommunistisch regierte China[44] wird 1957 noch als „Juniorpartner Moskaus“ wahrgenommen.[45] In Beiträgen, die nach dem August 1958 erscheinen, als Mao Tse Tung mit der Propagierung der „Volkskommunen“[46] eine beschleunigte Entwicklung zum Kommunismus (den „Großen Sprung nach vorn“) und damit mittelbar einen Vorrang gegenüber der Sowjetunion postuliert hatte, rückt der ideologische Gegensatz zur Sowjetunion zunehmend in den Vordergrund.[47] In diesem Zusammenhang ist ein erstaunlicher Vorgang zu registrieren: Erst- und einmalig druckt „APuZ“ einen Artikel aus der sowjetischen Parteizeitung „Prawda“ vom 12. Juni 1960 nach, der mit den chinesischen Ideologen indirekt, aber unmissverständlich abrechnet.[48] Dass es Ende der 1950er-Jahre vor allem wegen Chruschtschows Koexistenzpolitik auch weltpolitisch erhebliche Differenzen zwischen den beiden kommunistischen Vormächten gab, macht ein Beitrag von Georg Paloczi-Horvath deutlich: „Die Ereignisse des Jahres 1959, die tibetische Revolte, die chinesische Reaktion auf Chruschtschows Amerikareise und seine Friedenspolitik, Chruschtschows Weigerung, sich im chinesisch-indischen Grenzkonflikt eindeutig auf die chinesische Seite zu stellen: all dies sind Symptome für Meinungsverschiedenheiten.“[49] Auffällig ist, dass „APuZ“ die SBZ/DDR in den ersten beiden Jahren ausblendet. Dies fiel in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen (BMG), das diesbezüglich mit Nachdruck eigene Zuständigkeit reklamierte[50] und mit dem „SBZ-Archiv“ ein themenspezifisches Periodikum etabliert hatte.[51] Seit Mitte 1955 wird allerdings argumentiert, dass DDR-Themen von der BZH dann aufgegriffen werden könnten, wenn sie den Themenbereich der Ost-West-Auseinandersetzung einbeziehen würden. Der erste Beitrag hierzu, „Ursachen und Motive der Abwanderung aus der Sowjetzone Deutschlands“[52], ist die Kurzfassung einer „Ausarbeitung“ von Johannes Kurt Klein für das BMG, eine faktenreiche Analyse der Entwicklung, offenbar durch das Ministerium angeregt, zeitlich in unmittelbarer Nähe zum zweiten Jahrestag des 17. Juni 1953 platziert. Auch wenn in der Folgezeit die Entwicklung in der DDR eher sporadisch in das Programm von „APuZ“ aufgenommen wird[53], behält sich das BMG das prioritäre Informationsrecht für diesen Bereich, realisiert mit einer „zweigeteilten Publikationspraxis“, mit eigenen Veröffentlichungen ebenso wie durch gezielte Förderung von antikommunistischen Verlagsprojekten, weitgehend selbst vor.[54]

Nach dem KPD-Verbot durch das Bundesverfassungsgericht vom 17. August 1956, das vom „Parlament“ in einer Themenausgabe (35/1956) dokumentiert wird, rückt die Abwehr von kommunistischer Infiltration, Bedrohung und Propaganda kurzzeitig in den Fokus von „APuZ“, durch offensichtlich vom BMI veranlasste anonyme Beiträge.[55] Nur zwölf Tage nach dem KPD-Verbot erscheint ein Text, der die staatlich erwünschte Nutzanwendung akzentuiert. Ausgehend von Bedrohungsvorstellungen werden Gegenstrategien gefordert, die den Eindruck vermeiden sollen, für bloße antikommunistische Propaganda zu plädieren: „Der Bürger der Bundesrepublik muß sich von der Vorstellung befreien, Kommunisten seien von außen zu erkennen, ihre Methoden seien primitiv. Er muß sich daran gewöhnen, daß die Kommunisten heute hinter jeder Maske auftreten und sich aller Erscheinungsformen des öffentlichen Lebens, aller gesellschaftlichen Schichten und Personen bedienen. (…) Es gilt (…), durch wissenschaftliche Tätigkeit und breite Information das deutsche Volk gegen die kommunistische Ideologie zu immunisieren, die Interessen der Arbeiterschaft stärker zu berücksichtigen, von der oberflächlichen Einschätzung und billigen Schwarz-Weiß-Agitation abzukommen und eine gründlich differenzierte Erziehungsarbeit, vor allem bei der Jugend, zu leisten. Es wird viel davon abhängen, durch Presse, Funk und Fernsehen wirkliche Sachkenntnis über die Politik der KPdSU und ihr System zu verbreiten und mehr als bisher die positiven Seiten der westlichen Demokratie ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen.“[56]

„Informationen zur politischen Bildung“

Die „Informationen zur politischen Bildung“ wurden bereits im Startmonat der Bundeszentrale für Heimatdienst (November 1952) noch unter fremder Regie verlegt. Vom Staatsbürgerlichen Aufklärungsdienst Wiesbaden herausgegeben, wurden die ersten beiden Folgen als bloße Übernahmen deklariert. Ab Folge 3 („Europa, was es ist und werden kann“, Januar 1953) erschienen die zunächst nur jeweils vier Seiten umfassenden Informationsblätter, die für Schulen und Betriebe bestimmt waren, „im Einvernehmen mit der Bundeszentrale“, ab Folge 12 (September/Oktober 1953) zeichnete die BZH selbst als Herausgeberin verantwortlich, ab Folge 20 wurde der Umfang sukzessive erweitert. In der Folge 4 wurde zum ersten Mal der Titel „Informationen zur politischen Bildung“ verwendet. Im Folgenden wird ein Überblick über Themen und Darstellungsweise der „Informationen“ gegeben, die sich in den 1950er-Jahren im weiteren Sinn mit dem Kommunismus auseinandergesetzt haben. Auflagenhöhe und Adressatengruppen lassen es reizvoll erscheinen, einen Vergleich mit dem Programm von „APuZ“ zu ziehen. Summarisch betrachtet wirken die Texte der „Informationen“ eher volkspädagogisch, zeichnen sich jedoch ganz überwiegend durch sachliche Informationsvermittlung aus, auch wenn sie qualitativ nicht mit dem anspruchsvollen Angebot von „APuZ“ konkurrieren können.

Die „Informationen“ haben bis 1963 zwei separate Adressatengruppen. In textgleichen Ausgaben sind die „Informationen zur politischen Bildung“ (zunächst vorrangig für die „Hand des Lehrers“ als Vermittlungsangebot gedacht) für die Schulen bestimmt, während sich die „Staatsbürgerlichen Informationen“ in erster Linie an Betriebe (über Redakteure von Werkzeitungen etc.) richten.[57] Anregungen zu einer politischen Elementarbildung sollen die Arbeiterschaft als Zielgruppe erreichen. Bis Dezember 1962 wurden insgesamt 100 Ausgaben publiziert. Seit Ende 1963 erscheinen die „Informationen zur politischen Bildung“ nur noch unter diesem Titel, sie werden zwar überwiegend in Schulen genutzt, stehen aber auch anderen Bestellern kostenlos zur Verfügung. Bereits 1964 nähert sich die Gesamtauflage pro Heft der Millionengrenze, das entspricht zum gleichen Zeitpunkt dem Zehnfachen der Auflage, die „APuZ“ als wissenschaftlich fundiertes Informationsmedium aufweist.[58] Auch wenn für die „Informationen“, von denen seit Anfang der 1960er-Jahre etwa vier neue Ausgaben pro Jahr erscheinen, ein deutlicher Anstieg des Anspruchsniveaus, eine erhebliche Ausweitung der Umfänge und die Einbeziehung oft umfangreichen kartographischen Materials registriert werden können, steht die Verständlichkeit der Texte für breite Nutzergruppen bis heute im Vordergrund. Das erste Heft der „Informationen zur politischen Bildung“, das sich der deutschen Teilung widmet, wird im Mai 1953 (Folge 7) zum Thema „Berlin – Vorposten der Freiheit“ publiziert. Knapp werden die Geschichte der politischen Spaltung Berlins wie auch die Berlin-Blockade referiert, ebenso der Rechtsstatus „Westberlins“, bevor dieses als „Leuchtturm der Freiheit“ und als „Sammelpunkt des Flüchtlingsstroms aus der Sowjetzone“ mit statistischen Angaben für das Jahr 1952 gewürdigt wird, in dem Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz der SED den „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR angekündigt hatte, „d. h. die völlige Angleichung an die Verhältnisse in der Sowjet-Union“. Seitdem flüchteten „mehr und mehr Menschen, denen es unerträglich geworden ist, sich weiterhin dem bis in die letzte private Sphäre hineinreichenden Terror zu beugen: Es sind (…) all jene, die sich bedroht fühlen, weil sie aus politischen oder religiösen Gründen nicht mitmachen können und wollen.“ (4)

Es fällt auf, dass die „Informationen“ frühzeitig einen Themenschwerpunkt setzen, der in „APuZ“ bis 1958 ausgeblendet bleibt. Im September 1953 erscheint eine Ausgabe über „Die Gebiete jenseits der Oder und Neisse“ (Folge 11), die nach einem kurzen historischen Überblick über die Geschichte des deutschen Ostens auf die Vertreibungen eingeht: „Der Versuch einer totalen Vertreibung der Deutschen aus dem östlichen Mitteleuropa, der sich im Schicksalsjahr 1945 abgespielt hat, ist nächst dem Dreißigjährigen Krieg vielleicht das tragischste Ereignis der deutschen Volksgeschichte.“ (2) Ausführungen über das kommunistische Regime in Polen werden nicht gemacht, vielmehr wird der Verlust der Oder-Neiße-Gebiete aus den territorialen Ansprüchen Stalins in Ostpolen erklärt. Die Lösung des Problems sei eine „Frage der Weltpolitik geworden, die nach menschlichem Ermessen durch internationale Regelungen entschieden werden wird“. Hervorgehoben durch Sperrdruck ist der Satz: „Die Entfesselung eines dritten Weltkrieges zur Wiedergewinnung des deutschen Ostens wird vom deutschen Volk eindeutig abgelehnt.“ (6) Um diese Haltung zu unterstreichen, wird ausdrücklich auf die Charta der Heimatvertriebenen vom 5. Augst 1950 verwiesen, die „einer Politik der Rache und Vergeltung in feierlicher Form entsagt“ (6). Mitte 1956 erscheinen zwei weitere Ausgaben über „Die deutschen Ostgebiete“ (Folgen 42/43 und 44/45), die im ersten Teil „Geschichte und kulturelle Leistung“, im zweiten Teil „Die wirtschaftliche Bedeutung“ behandeln. Bezeichnend ist, dass ganz überwiegend auf die lange Historie eingegangen wird, während jeweils nur ein kurzer Schlussabschnitt die Zeit nach 1945 thematisiert. Die Resümees lauten: „Kein Deutscher wird einen Verzicht auf diesen Ostraum, die Heimat vieler Millionen Vertriebener, aussprechen. Nur eine aus freien Wahlen hervorgegangene gesamtdeutsche Regierung wird – entsprechend dem Völkerrecht – in einem kommenden Friedensvertrage zu bindenden Abmachungen über die Ostgebiete kommen können.“ (I, 8) Im Sinne der europapolitischen Orientierung der Bundesrepublik wird eine gemeinsame Interessenlage und Verantwortung auch im Hinblick auf den Verlust der deutschen Ostgebiete betont: „Durch die Sowjetisierung des ostdeutschen Wirtschaftsgebiets ist ein seit achthundert Jahren deutscher Kultur- und Wirtschaftsraum nicht nur dem deutschen Volke, sondern auch den Völkern Westeuropas entzogen worden. Vor der Tatsache, daß in die ostdeutschen Gebiete ein Wirtschaftssystem eingedrungen ist, das das Leben der freien Völker bedroht, darf die Welt die Augen nicht verschließen.“ (Folge II, 8) Im Herbst 1958 schließt sich eine weitere Ausgabe unter dem völkerrechtlich akzentuierten Titel „Die Ostgebiete des Deutschen Reiches unter fremder Verwaltung seit 1945“ (Folge 70/71) an, die sich kritisch mit den Verhältnissen im kommunistischen Polen beschäftigt und unter Beifügung entsprechender Karten deutsche Ansprüche auf diese Gebiete unterstreicht, wobei der Friedensvertragsvorbehalt „für die territorialen und politischen Fragen der Oder-Neisse-Gebiete“ im gleichen Sinne wie 1956 wiederholt wird.[59]

Eine Ausgabe zum „Volksaufstand des 17. Juni 1953“ (Folge 19) erscheint im Mai/Juni 1954. Dem von einem knappen Vorwort eingeleiteten Text, der den Zwangscharakter des SED-Regimes hervorhebt und den Aufstand als Ausdruck des Freiheitswillens der Bevölkerung deutet, folgt eine Schilderung des konkreten Verlaufs der Aufstandsbewegung, die auch in den Zusammenhang der Gesamtentwicklung in Osteuropa gestellt wird: „(…) seit dem Tode Stalins, im März des Jahres 1953, ging ein unterirdisches Grollen und Beben durch den gesamten Herrschaftsbereich des Bolschewismus (…) Aber niemand dachte daran, daß es gerade Deutschland sein würde, wo der Funke überspringen, die seelische Erregung entzünden und zum Ausbruch bringen würde.“ (Folge 19/2)

Im Herbst 1954 erscheint eine 20 Seiten umfassende Doppelausgabe (Folge 22/23) über „Die Ost-West-Spannung in der Weltpolitik“. Ausgehend von einer Darstellung der weltpolitischen Situation am Ende des Zweiten Weltkrieges wird die „Bolschewisierung Osteuropas“ und die „Bildung des Ostblocks“ unter sowjetischer Vorherrschaft thematisiert, die zentralen Ost-West-Konflikte, fokussiert um die Berlin-Blockade und den Korea-Krieg, werden dargestellt, schließlich wird die Gründung und Entwicklung der NATO behandelt und ein Überblick über gescheiterte Bemühungen um eine Konfliktbeilegung auf den Außenministerkonferenzen 1954 gegeben. Im März 1956 beschäftigt sich – der vorherrschenden kultur- und wirtschaftshistorischen Ausrichtung folgend – eine Ausgabe der „Informationen“ mit „Mitteldeutschland“ (Folge 40/41), welche bezeichnenderweise die beiden Stifterfiguren des Naumburger Domes, Ekkehard und Uta, auf der Titelseite zeigt. Im Vorwort heißt es denn auch: „DEUTSCHLAND als Lebensraum unseres Volkes und seiner Kultur ist jedoch mehr als ein gegenwärtiger politischer oder wirtschaftlicher Zustand.“ Es gelte sich bewusst zu machen, dass ein Gesamtdeutschland, das durch die „politischen Hilfsbegriffe West-, Mittel- und Ostdeutschland“ bestimmt werde, „nicht nur um uns, sondern auch in uns lebt und damit weitgehend unabhängig von zeitbedingten Territorialregelungen ist.“ Immerhin legt der Text das Schwergewicht auf die „Entwicklung Mitteldeutschlands nach 1945“. Seit Ende 1956 erscheinen bis 1961 insgesamt zehn Ausgaben, die sich mit Entwicklungen in verschiedenen osteuropäischen Ländern beschäftigen. Am Beginn stehen zwei Doppelhefte über die russische Revolution von 1917. Ihr Autor ist Hans Koch, Direktor des Osteuropa-Instituts München, der auch in die frühe Gründungsgeschichte des Ostkollegs seinerzeit prominent involviert war. Die beiden Folgen (48/49 und 50/51) sind faktenreich, ohne polemische Akzente in den Vordergrund zu rücken. Sie werden durchaus dem Anspruch substanzieller Information gerecht, der seit Mitte der 1950er-Jahre generell die Darstellung der „Informationen zur politischen Bildung“ bestimmt.

Noch deutlicher tritt diese Akzentsetzung in zwei Ausgaben hervor, die jeweils „12 Karten mit Erläuterungen zur Geschichte Rußlands und der Sowjetunion“ (Folge 54/55 Mai/Juni 1957) und genau zwei Jahre später „12 Karten und Textbeiträge zur Landes- und Wirtschaftskunde der Sowjetunion“ (Folge 78/79) zum Inhalt haben. Es sind dies die ersten Ausgaben der „Informationen zur politischen Bildung“ mit einem umfangreichen Kartenteil, später ein Markenzeichen von besonderem Gewicht in dieser Publikationsreihe. Anfang 1961 erscheint eine Ausgabe „Das Herrschaftssystem der Sowjetunion“ (Folge 91).[60] Sachlichkeit zeichnet das Anfang 1960 publizierte Heft aus, das „Die Entwicklung in Polen seit 1945“ zum Thema hat.[61] Weniger umfangreich fällt im Herbst desselben Jahres eine Ausgabe über die Entwicklung in der Tschechoslowakei seit 1945 aus (Folge 89), die entschiedener politische Kritik äußert als das vorausgegangene Polen-Heft: „Die Entwicklung in der Tschechoslowakei ist seit dem Umsturz von 1948 durch eine weitgehende Kontinuität gekennzeichnet, ihre Phasen werden überwiegend von den Ereignissen in der Sowjetunion und denen der Weltpolitik bestimmt. (…) Es wäre aber eine Täuschung, wollte man glauben, daß die Bevölkerung in ‚Moskaus treuestem Satellitenland‘ sich in großem Umfang zum Kommunismus bekennt.“ (20) Über ein Jahr verteilt, sind drei Ausgaben seit März 1960 Südosteuropa gewidmet. Mit historischer Fundierung wird die Entwicklung im jugoslawischen Vielvölkerstaat unter Marschall Tito mit seinem eigenen „jugoslawischen Weg“ dargestellt (Folge 86), ein weiteres Heft informiert über Rumänien, Bulgarien und Albanien (88), die dritte Folge betrifft Ungarn (Folge 92). Hier ist unter dem Eindruck der Niederschlagung der Revolution vom Oktober 1956 am bilanzierenden Schluss ein pessimistischer Grundton zu vernehmen: „Das madjarische Volk erträgt die nach dem Scheitern seines Freiheitskampfes wieder errichtete kommunistische Diktatur in stummer Ergebenheit. Vom Westen enttäuscht, der es nach seiner Meinung im Stich ließ, von seinem Schicksal erbittert, versucht es sein Dasein nach den gegebenen, unabänderlichen Umständen einzurichten. Aber es hat innerlich auf die Freiheit trotzdem nicht verzichtet, und es wird darauf auch nie verzichten!“ (16) Etwa ein Drittel der „Informationen“, die im ersten Jahrzehnt (bis Ende 1962) erscheinen, sind Themen gewidmet, die sich mit dem Kommunismus beschäftigen.[62] Auffällig ist dabei der Vorrang länderkundlicher Darstellungen und das erhebliche Gewicht, das im Gegensatz zu „APuZ“ den „deutschen Ostgebieten“ zukommt. Nur eine Ausgabe widmet sich demgegenüber explizit dem Ost-West-Konflikt, und das für „APuZ“ wesentliche Thema der kommunistischen Ideologie wird erstmals 1964 in zwei Ausgaben (Manuskript: Joseph M. Bochenski) aufgegriffen. Diese markante Differenz in den Publikationsprogrammen der beiden BZH-Leitmedien lässt sich einerseits durch die unterschiedlichen Adressatengruppen, andererseits durch die Bezugnahme der „Informationen“ auf die Lehrpläne der Schulen erklären, doch sollte dabei auch der Einfluss der jeweiligen Fachreferatsleiter in der BZH nicht völlig außer Betracht bleiben.

Vorgeschichte einer Neugründung: Die Entstehung des Ostkollegs

Seit Oktober 1955 wird im Bundesinnenministerium verstärkt über die Einbeziehung der Bundeszentrale für Heimatdienst in die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus nachgedacht. Am 20. Oktober findet eine „Besprechung zur Frage der Intensivierung des geistigen Impulses gegen den Kommunismus“ statt, an der Vertreter des BMI, des BMG und BZH-Direktor Paul Franken teilnehmen. Staatssekretär Hans Ritter von Lex verweist dabei ausdrücklich auf die psychologischen Folgen des Moskau-Besuchs Konrad Adenauers: „Der Glaube an eine friedliche Koexistenz sei im Vordringen.“ Ein Unterabteilungsleiter des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen mahnt an, „dass durch die Auswahl zuverlässiger Mitarbeiter und entsprechender Kontrolle der Arbeit nicht etwa einzelne Ergebnisse der Forschung in falsch verstandener Objektivität kommunistischen Thesen entsprächen“.[63] Während das BMG den Gesichtspunkt der antikommunistischen Schulung und Propaganda im Vordergrund sieht, vertritt das BMI das Konzept einer wissenschaftlich fundierten pluralistischen Auseinandersetzung, wie es der Aufsichtsreferent für die BZH, Carl H. Lüders, unterstreicht. Er erklärt kurze Zeit später (in einer Besprechung am 21. November 1955), die Demokratie dürfe „nicht bei der Abwehr des Kommunismus in Methoden verfallen, die in ihrer geistigen Uniformität der Kampfart der totalitären kommunistischen Weltanschauung entsprächen. Es sei zu begrüßen, dass die verschiedenen Weltanschauungsgruppen, die in der westlichen Demokratie friedlich unter einem gemeinsamen Dach lebten, in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Lehre ganz verschiedene Standorte bezögen.“ Damit stützt das Haus die Äußerung Frankens aus der interministeriellen Besprechung vom 20. Oktober, wonach die Ergebnisse der Auseinandersetzung subjektiv verschieden ausfallen würden, „je nachdem, in welchem weltanschaulichen Lager der einzelne Wissenschaftler stehe. Die christliche Scholastik, der liberale Humanismus oder der sozialdemokratische Marxismus träten der kommunistischen Lehre von ganz verschiedenen Standorten entgegen.“[64] In einer Kuratoriumssitzung hatte Lüders am 12. März 1956 eine Ergänzung des Auftrags der BZH vorgeschlagen, „hierzu gehört die Verbreitung der Kenntnis des wahren Wesens aller totalitären Ordnungen und Anschauungen“.[65] Doch unterbleibt eine in diese Richtung zielende Erlassergänzung, nicht zuletzt, weil man dagegen Einwände der SPD-Mitglieder im Kuratorium der BZH fürchtete. 1956 scheint es, dass sich die ideologietheoretische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus im widerspruchsvollen politischen Kontext des im August (fast fünf Jahre nach der Antragstellung durch die Bundesregierung im November 1951) vom Bundesverfassungsgericht verfügten KPD-Verbots[66] und unter dem Eindruck der sowjetischen Koexistenz-Propaganda, die auch in der Bundesrepublik nach Adenauers Moskau-Reise im Vorjahr und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion ihre Wirkung in wichtigen Bereichen der bundesdeutschen Publizistik nicht verfehlt hat, neu akzentuiert.

Die Gründungsgeschichte des Ostkollegs (OK) ist – soweit es die Aktenlage noch ermöglicht – von Werner Maibaum rekonstruiert worden. Nicht hinreichend deutlich wird aus den Akten, die Maibaum im Bundesarchiv gesichtet hat[67], der konkrete Einfluss Joseph M. Bochenskis auf die OK-Gründung. Dass sein Impuls erheblich war, erklärt sich aus dem Umstand, dass Bochenskis Gutachten im KPD-Prozess eine wichtige, für die Begründung des Verbotsurteils maßgebliche Bedeutung haben sollte, wie ein detaillierter Vergleich zwischen seinem vom BMI dem Gericht vorgelegten Gutachten und der Urteilsbegründung zeigen würde.[68]

Nur zwei Monate nach Vorlage des Gutachtens beim BVerfG schreibt Bochenski (am 11. Mai 1955) an Ritter von Lex einen ausführlichen Brief, in dem er erklärt, dass er „über die allgemeine Lage auf der Front des geistigen Kampfes sehr ernst besorgt“ sei, und folgert: „Es besteht also meines Erachtens die dringliche Notwendigkeit, einerseits die Abwehr – und möglicherweise sogar den Angriff – auf geistiger Ebene bedeutend zu intensivieren.“ Dieses Schreiben hat Lex (am 10. Oktober 1955) mehreren Abteilungen im BMI zugeleitet und geäußert, man könne „an eine vom Bund zu errichtende Akademie denken, als deren Leiter sich kaum eine bessere Kraft finden ließe, als Professor Bochenski“.[69] Während Maibaum Bochenskis zentrale Bedeutung für die „Etablierung des Ostkollegs“ hervorhebt, zeigt eine eingehendere Betrachtung der Vorgeschichte, dass sich Bochenskis nachdrücklicher Impuls mit verschiedenen Aktivitäten einflussreicher antikommunistischer Intellektueller (die sich im „Witsch-Kreis“ des Kölner Verlegers Joseph Caspar Witsch zusammengefunden hatten) überschnitt, die unter Initiative des BMI und mit engagierter Beteiligung des Oberregierungsrats im Bundesamt für Verfassungsschutz, Günther Nollau, die BZH als Finanzier und Organisator für verschiedene Versuchstagungen in Anspruch nahmen. Der Oberregierungsrat im Bundesamt für Verfassungsschutz Günther Nollau publizierte auch in „APuZ“, u.a. über den „Internationale(n) Kommunismus – heute“ (13/1961).

Dabei ließ sich anfangs nicht klar erkennen, wie das Verhältnis zwischen einer zentralisierten Kommunismusforschung und einer – wie es hieß – „Elitebildung“ zur Immunisierung gegen kommunistische Propaganda aussehen sollte. Eine Initiative des Direktors des Münchner Osteuropa-Instituts Hans Koch (der Adenauer 1955 als Experte nach Moskau begleitet hatte) versandete schließlich ebenso wie der Versuch, eine Einrichtung zur Elitebildung mit einem (aus der NS-Zeit erheblich vorbelasteten) Leiter/Geschäftsführer Gerhard von Mende zu installieren (wobei der Umstand eines Herzinfarkts von Mendes diesen Plan und seine Einflussmöglichkeit auf die folgende Entwicklung seit Herbst 1956 faktisch außer Kraft setzten).

Man kann es in diesem experimentellen Wirrwarr einen glücklichen Zufall nennen, dass Hans-Joachim Lieber, bei Eduard Spranger an der Freien Universität Berlin habilitierter Professor für Philosophie und Soziologie, im Mai 1956 in die Sondierungsphase als Referent einer der Versuchstagungen in Niederbreisig – nun schon unter der Tagungsregie der BZH – involviert wird, dort großen Eindruck hinterlässt und sich animiert fühlt, im Sommer 1957 in den Explorationsprozess mit einem „Memorandum über den Aufbau des Instituts für ostpolitische Studien in Köln“ substanziell einzugreifen.[70] Am 13. September 1957 fixiert das BMI die Gründungsschritte der Einrichtung, für die kurz zuvor das Kölner Haus am Stadtwaldgürtel angeboten wurde, weitestgehend auf der Basis von Liebers Organisationskonzept: Einrichtung eines wissenschaftlichen Direktoriums mit Programmhoheit.

Die frühe Arbeitsphase des Ostkollegs

Das „Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst“ wird am 22. November 1957 durch Innenminister Gerhard Schröder (CDU) eröffnet.[71] Der Organisationserlass, ebenso wie die Geschäftsordnung des Direktoriums, in Anwesenheit des Ministers mit den Direktoriumsmitgliedern beraten, wird am 28. November verfügt.[72] Der Erlass überträgt „die wissenschaftliche Verantwortung für die Arbeitsplanung des Ostkollegs bis auf weiteres einem Direktorium“, das sich seine Geschäftsordnung selbst gibt.

In beiden Texten wird nichts über die Konzeption des OK ausgeführt, stattdessen wird die wissenschaftliche Eigenverantwortung des Direktoriums, das zunächst aus zehn Mitgliedern besteht[73], und somit seine weitgehende Autonomie für die Programmplanung hervorgehoben. Die Programme der Studientagungen zeigen bereits in den Anfangsjahren, dass der Anspruch, eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis des Kommunismus zu betreiben, in einer bemerkenswerten Weise eingelöst werden konnte.

Das Spektrum war so pluralistisch, wie es die beiden Protagonisten Bochenski und Lieber signalisieren: der eine als Ratgeber der Bundesregierung im KPD-Prozess, der andere als Herausgeber einer bundesdeutschen Marx-Ausgabe, die seit 1960 erscheint. Lieber wird der erste geschäftsführende Direktor des Hauses (diese Funktion wechselt im Jahresturnus und wird durch Wahl innerhalb des Gremiums bestimmt). Erster hauptamtlich beschäftigter, für die konkrete Programmplanung und die Einladungsaktivitäten zuständiger Studienleiter wird der vom BMI ernannte Rudolf Wildenmann[74], den 1959 der Osteuropahistoriker Karl-Heinz Ruffmann (bis Ende1961) ablöst, der bei der Profilierung des OK eng mit Hans-Joachim Lieber kooperiert. Obwohl im Hinblick auf den Marxismus von konträren Positionen ausgehend, vertreten Lieber und Bochenski, der ihm 1959 nach Günther Stökl als dritter geschäftsführender Direktor nachfolgt, für das Ostkolleg gemeinsam eine Konzeption, die als Ziel die Immunisierung der intellektuellen und politischen Eliten der Bundesrepublik gegen die kommunistischen Ideen durch aufklärende Information verfolgt und diese auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen trachtet. So erklärt sich auch der institutionelle Rahmen des Ostkollegs mit der starken Stellung eines wissenschaftlichen Direktoriums, dem in der Frühzeit mit Gerhard von Mende[75] auch eine vormals massiv in die NS-Politik verstrickte Person „eines undurchschaubaren Intellektuellen und Strippenziehers im Kalten Krieg“[76] angehörte. Obwohl von Mende in den beiden ersten Jahren noch häufig als Referent an Tagungen des OK mitwirkte, hatte er auf die programmatische Ausrichtung und Wissenschaftskonzeption des Ostkollegs keinen nachweisbaren Einfluss. Dass er im Direktorium isoliert war, zeigt auch der Umstand, dass ihm die Position eines geschäftsführenden Direktors versagt blieb. Die Programme des Ostkollegs hatten thematische Kerne (Geschichte, Ideologie, Herrschaftssystem, Wirtschaft, Außenpolitik der Sowjetunion), die in vier bis fünf Einheiten umfassenden „Grundvorlesungen“ behandelt wurden. Diese wurden durch variable Themenaspekte ergänzt, zusätzlich wurden Beiträge zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in die Tagungsprogramme einbezogen. Eine Auswertung der Programme für die zehn ersten Tagungen im Ostkolleg[77] zeigt, dass neben den Kernthemen und wechselnden Einzelthemen (wie Rechtssystem, Erziehungssystem, Kirchen, Nationalitäten in der Sowjetunion, „Satelittenstaaten“, China) meist abschließend und kontrastierend über „Die weltpolitische Lage“ (Theodor Schieder), „Europa zwischen Ost und West“ (Walter Hofer) oder das Thema „Der Geist des Abendlandes und das Menschenbild des Kommunismus“ (Theodor Litt) referiert wurde. Auch die beiden für die 1955 gegründete Schule des Bundesamtes für Verfassungsschutz zuständigen Beamten Günther Nollau („Die internationale Zusammenarbeit der kommunistischen Parteien“) und Heinrich Degenhardt („Die Methoden der kommunistischen Politik in der Bundesrepublik“) kamen – allerdings nur in den Anfangsjahren – häufiger im OK zu Wort. Prominente Teilnehmer der ersten Tagungen waren beispielsweise Hermann Pörzgen („FAZ“), Reinhard Appel („Stuttgarter Zeitung“), Franz Herre („Rheinischer Merkur“) sowie mehrere Bundesrichter. Über die Aktivitäten des Ostkollegs in den ersten vier Jahren gibt ein Bericht Aufschluss, den Karl-Heinz Ruffmann, der zu diesem Zeitpunkt seine Funktion als Studienleiter des Ostkollegs aufgab, um den neu gegründeten Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte an der Universität Erlangen zu übernehmen, Ende 1961 vorlegte.[78] Bis dahin hatten 123 Studientagungen im Kölner Haus und vier auswärts stattgefunden, darunter waren 96 „Normaltagungen“ (für die seit 1960 der Begriff „Studientagungen“ eingeführt wurde), zehn Kurztagungen für Wirtschaftler und Journalisten (Dauer: dreieinhalb Tage), fünf Sondertagungen für Verwaltungsjuristen (Dauer: 14, dann zehn Tage, darin eine mit Schwerpunkt DDR), drei Sondertagungen für Pädagogen, drei West-Ost- und vier Aufbautagungen (für qualifizierte Teilnehmer aus den Grundtagungen, erstmals 1961 durchgeführt). „Auf den Normaltagungen (Dauer: eine Woche, Teilnehmer: Angehörige verschiedener Berufe) wurden Grundkenntnisse über den Sowjetkommunismus vermittelt. Dabei ergab sich aus den in der Anfangszeit gesammelten Erfahrungen die Notwendigkeit, die eigene Position in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus stärker herauszuarbeiten.“ Mit einem Sonderseminar wirkte das OK bei der Attaché-Ausbildung des Auswärtigen Amtes mit; zudem veranstaltete es Seminare für Stabsoffiziere an der Führungsakademie der Bundeswehr. Unter den 4.444 Teilnehmern stellte der höhere Verwaltungsdienst mit etwa einem Sechstel den höchsten Anteil, je ein Zehntel waren Lehrer an höheren Schulen, Offiziere oder Teilnehmer aus dem Bereich der Wirtschaft, acht Prozent Studenten, drei Prozent waren Hochschullehrer und wissenschaftliche Assistenten, Angehörige der Justiz waren mit sechs Prozent, Journalisten und Gewerkschaftler mit je vier Prozent vertreten, zu geistlichen und anderen kirchlichen Berufen gehörten drei Prozent. 155 Teilnehmer (3,5%) kamen aus dem Ausland, vornehmlich aus der Schweiz und aus Österreich. Insgesamt 120 „wissenschaftlich ausgewiesene Sachkenner“ waren im Zeitraum von November 1957 bis Ende 1961 als Referenten im OK tätig, darunter 26 „führende ausländische Sowjetologen“. Die Grundvorlesungen wurden weitgehend von den Mitgliedern des Direktoriums des Ostkollegs gehalten.

Eine Broschüre des OK, die Ende 1963 auch in drei Fremdsprachen (Englisch, Französisch, Spanisch) gedruckt wurde, enthält neben einem Musterprogramm auch exemplarisch Leitfragen, die im Rahmen der Seminare erörtert werden sollten. Dort heißt es beispielsweise: „Was hat sich in der Sowjetunion seit Stalins Tod verändert? Ist es wahr, dass das kommunistische Russland die USA in der Wirtschaft überholen wird? Warum hat Chruschtschow Veränderungen in der sowjetischen Wirtschafts- und der Parteiorganisation betrieben? Wieweit ist die Ideologie ein bestimmender Faktor der sowjetischen Innen- und Außenpolitik? Gibt es Anzeichen, dass sich die Sowjetunion in ein bürgerliches System verändert? Welche politische Bedeutung hat das Nationalgefühl der nichtrussischen Völker? Ist die friedliche Koexistenz eine konkrete Hoffnung oder eine vorsätzliche Irreführung? Streben die politischen Führer der SU weiter nach der Weltrevolution oder wollen sie allein die Macht des Sowjetstaates erhalten? Was können wir tun, um der konstanten Bedrohung des Kommunismus in der Welt zu widerstehen?“[79] Das Direktorium verstand das OK als weltweit einzige Bildungsinstitution, die für qualifizierte Bevölkerungsschichten eine geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auf wissenschaftlicher Grundlage etabliert hatte. Dies wurde 1964 durch zwei Sonderveranstaltungen unterstrichen: Im Mai fand ein Erfahrungsaustausch über „Vorurteile und Klischees bei der Behandlung von Ostfragen“ statt, an dem insgesamt 38 namhafte Journalisten und Direktoriumsmitglieder teilnahmen. Im Dezember 1964 war es endlich gelungen, eine bereits seit September 1962 vom Direktorium angeregte supranationale Veranstaltung zu realisieren, die unter dem Arbeitstitel „NATO-Tagung“ stand. An dem „Internationalen Colloquium“ zum Rahmenthema „Ostforschung und politische Bildung“ (in der Planungsverantwortung des neuen, aus der Bundeszentrale Anfang 1964 als Studienleiter übergewechselten Werner Maibaum) nahmen 50 Personen, Ostforscher, Botschaftsvertreter sowie Repräsentanten von Bildungseinrichtungen zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus aus den NATO-Mitgliedsstaaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Portugal und den USA sowie aus Schweden, der Schweiz und die Mitglieder des OK-Direktoriums teil.[80] Während Karl-Heinz Ruffmann in einem Beitrag „Entstehung und Stellung des Ostkollegs im Rahmen der politischen Bildung“ vorstellte, sollten zwei Grundsatzreferate, die unterschiedliche Akzente setzten, als Debattenimpulse dienen. Joseph M. Bochenski referierte „Zur geistigen Auseinandersetzung mit der kommunistischen Ideologie“[81], und Hans Joachim Lieber bilanzierte „Erfahrungen über Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Aufklärung“. Das Kolloquium wurde durch den Bundesinnenminister Hermann Höcherl eröffnet, der sich – anders als sein Amtsvorgänger Gerhard Schröder – bereits auf der Linie eines rationalen Antikommunismus bewegte. „In seinen Ausführungen betonte er, daß eine Immunisierung gegenüber dem Totalitarismus ohne eine eingehende Berücksichtigung des totalitären Sowjetsystems unmöglich ist. Politische Bildung darf aber nicht mit staatlicher Schulung verwechselt werden. Sie soll vielmehr die Voraussetzungen für eine persönliche Entscheidung aller Staatsbürger schaffen, die auf sachgemäßer Unterichtung und differenzierter Aufklärung basiert.“ Bochenski betrachtete in seinem Eingangsbeitrag die „Intensivierung der geistigen Auseinandersetzung“ als „die bedeutendste Aufgabe, die der politischen Bildung im Bereich der Analyse kommunistischer Wirklichkeit gestellt ist“. Er lehnte die Ausarbeitung einer „Gegenideologie“ strikt ab, „weil die Grundwerte unserer westlichen Lebensordnung nicht in dogmatischer Weise bestimmbar sind“. Stattdessen müsse sich die politische Bildung darauf konzentrieren, „die gemeinsamen Elemente der Grundwerte bewußt zu machen.“ Diese Fokussierung auf die Ideologie wurde in der Diskussion erheblich relativiert. „Von besonderer Bedeutung sind dabei die wirtschaftliche Entwicklung, Wandlungen der politischen Struktur und eine zunehmend deutlicher werdende Differenzierung der monolithischen Ideologie innerhalb der kommunistischen Welt.“ Liebers Referat[82] verwies auf Vorurteilsstrukturen, die bei einer „auf Aufklärung abzielenden politischen Bildungsarbeit“ beachtet werden müssten. Diese zeigten sich generationenspezifisch, in Klischeevorstellungen oder einer verbreiteten „Neigung zum Denken in Alternativ-Modellen.“[83] Ein vorwiegend affektiv akzentuierter Antikommunismus stehe zudem im Zusammenhang mit der eher emotional bestimmten Abwehrreaktion eines bloßen „Anti-Antikommunismus“. Lieber hob die doppelte Aufgabe hervor, „im Zuge von Informierung über das Sowjetsystem zugleich kritische Bewußtseinserhellung über die eigene Lebensordnung leisten zu müssen“.[84]

Fazit: Rationaler Antikommunismus als wissenschaftliche Aufklärung

Eine eingehende Analyse der Bundeszentrale für Heimatdienst und des Ostkollegs in der Gründerzeit der Bundesrepublik führt zu einem Ergebnis, das mit vordergründigen Pauschalurteilen, wie sie noch 50 Jahre nach Gründung der Bundeszentrale zu vernehmen waren, keineswegs übereinstimmt. „In den 50er Jahren wirkte sie (…) an der antikommunistischen Restauration mit, war ein Auffangbecken diverser Naziideologen und verstand sich als deutsche Antwort auf die Re-Education der Westalliierten“ – so leitet Felix Klopotek ein Interview mit Gudrun Hentges ein[85], die sich als Kritikerin der Bundeszentrale wiederholt exponiert hat. Hentges verweist dabei einerseits ausschließlich (und insoweit zu Recht) auf die gravierende NS-Belastung Gerhard von Mendes und zum anderen auf den Umstand, dass die Bundeszentrale in den 1950er-Jahren – neben dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen – auch strikt antikommunistische Organisationen finanziell gefördert hat. Dabei werden jedoch entscheidende Faktoren ausgeblendet: Das Gründungspersonal der Bundeszentrale war ausnahmslos dem deutschen Widerstand gegen Hitler verbunden, und die publizistischen Eigenaktivitäten des Hauses werden dabei völlig außer Acht gelassen. Eine Inhaltsanalyse der Leitmedien der Bundeszentrale in ihrem Gründungsjahrzehnt, die mit ihren hohen Auflagen eine große Reichweite sowohl in bildungsqualifizierten sozialen Milieus als auch im Rahmen der politischen Bildung in der Schule hatte, ergibt, dass die Eigenpublikationen der BZH – zumal im Vergleich mit anderen in dieser Zeit publizierten Beiträgen – überwiegend dem Informationsanspruch eines rationalen Antikommunismus im Sinne einer tatsachengestützten Information und einer wissenschaftlichen Analyse zugeordnet werden können. Dabei zeigen sich unter dem Anspruch einer pluralistischen Orientierung auch politische Urteilspositionen, die gelegentlich nicht frei von einer polemischen Diktion gewesen sind, doch sind solche Texte, für die hier ebenfalls Beispiele präsentiert worden sind, in der deutlichen Minderheit. Dass auch die Tätigkeit des Ostkollegs in der Verantwortung eines weitgehend politisch unabhängigen Direktoriums mit Referentenauswahl und Tagungskonzepten den Prinzipien wissenschaftlicher Aufklärung weitgehend gefolgt ist, konnte hier zumindest exemplarisch sichtbar werden. Die Wirksamkeit einer Bildungsarbeit, die an dem Gebot einer wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ausgerichtet war, demonstriert indirekt eine Einschätzung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, die in ihrer absurden Polemik verdeutlicht, wie sich ein ideologischer Anti-Antikommunismus als Gegenmodell irregeleiteter Formen der Auseinandersetzung ausnimmt: „Die Bundeszentrale für Heimatdienst ist die offizielle Propagandazentrale der Bonner Regierung. Ihre Haupttätigkeit besteht in Hetze gegen das sozialistische Lager, besonders gegen die Sowjetunion und die DDR; Förderung des Revanchismus durch Propagierung der Bonner Revanchepolitik; Bekämpfung fortschrittlicher Bestrebungen in Westdeutschland mit den Mitteln der Publizistik; politische ideologische Beeinflussung der westdeutschen Bevölkerung mit dem Ziel, sie durch Vermittlung einer sogenannten staatsbürgerlichen Bildung für den westdeutschen Staat zu gewinnen und auf die Linie der Adenauer-Politik festzulegen; Rechtfertigung des nationalen Verrats der westdeutschen Imperialisten mit Hilfe der Propagierung der NATO und der Idee der sogenannten europäischen Integration.“[86] Solche Phrasen aus den Bunkern des Kalten Krieges sind wahrlich kein Zeichen für Recherchesorgfalt oder analytischen Verstand. Die Westexperten aus dem Osten hätten besser ihren Lenin gelesen: „Die Wahrheit ist immer konkret.“[87] Ein solcher unabgegoltener Denkanstoß könnte Anlass sein, der Bundeszentrale im 60. Jahr ihres Bestehens auch zu ihrer Arbeit in den Gründerjahren Respekt zu bezeugen.

 

Fußnoten

1.Jörg Echternkamp, Nach dem Krieg. Alltagsnot, Neuorientierung und die Last der Vergangenheit 1945–1949, Zürich 2003, S. 206. Vgl. auch Heidrun Kämper, Der Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit. Ein Beitrag zur Geschichte des sprachlichen Umbruchs nach 1945, Berlin/New York 2005

2.Ernst Richert, Das zweite Deutschland. Ein Staat, der nicht sein darf, Gütersloh 1964.

3.Der Zeitrahmen umfasst für die Bundeszentrale für Heimatdienst die Jahre 1952–1963, für das Ostkolleg die Entwicklung bis 1964

4.Rede Adenauers, in: Mitteilung des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, 802/51 v. 12.9.1951. – Schon am 13.6. hatte der Bundestag über die Einrichtung einer Bundeszentrale für Heimatdienst debattiert, gegen die die SPD allerdings noch einwandte, diese könne als Instrument der Regierung missbraucht werden: Verhandlungen des Deutschen Bundestags, I. Wahlperiode 1949, 151. Sitzung v. 13.6.1951, Stenograph. Berichte, S. 6007CffSchreiben von Forschbach an Globke v. 23.10.1951 (Für die Einsichtnahme dankt d. Vf. Werner Maibaum).

5.Zur Geschichte der Reichszentrale vgl. insb. Johannes Karl Richter, Die Reichszentrale für Heimatdienst. Geschichte der ersten politischen Bildungsstelle in Deutschland und Untersuchung ihrer Rolle in der Weimarer Republik, Diss. FU Berlin 1963 (Auszüge: Ders., Die Reichszentrale für Heimatdienst, in: APuZ, B 25/63, S. 3–30); Klaus Wippermann, Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung. Die Reichszentrale für Heimatdienst in der Weimarer Republik, Köln/Bonn 1976; eine konzise Zusammenfassung: Benedikt Widmaier, Die Bundeszentrale für politische Bildung. Ein Beitrag zur Geschichte staatlicher politischer Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 1987,           S. 15–18.

6.Vgl. – quellenkritisch zu lesen – [Richard] Strahl, Die Reichszentrale für Heimatdienst (RfH). Bericht über die Entstehung und Tätigkeit der staatlichen politischen Volksaufklärung in der Weimarer Republik (unveröff. Ms. 1956, BArch). Kritisch zu Strahl vgl. Widmaier (Anm. 6), S. 18.

7.Zur Biografie Frankens und seinem Verhältnis zu Adenauer vgl. Widmaier (Anm. 6), S. 33 – 37, zit. S6.

8.Den Vorschlag Adenauers zit. Josef Rommerskirchen, Ein Leben für die Freiheit, in: Das Parlament, 17.12.1983.

9.Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 53 v. 10.5.1952, S. 573.

10.GMBl 3 (1952), S. 318. – Lehr hatte den später gebilligten Text des Erlasses bereits am 8.2.1952 dem Bundeskabinett vorgelegt und am 8.7. mitgeteilt, dass die BZH bereits am 1.3. ihre Tätigkeit aufgenommen habe. Ein Vorstoß des Bundespresseamts, in bestimmten Angelegenheiten beteiligt zu werden (BArch B 136/5893), blieb unberücksichtigt (zur Abgrenzung der Zuständigkeiten: ebd. B 106/3253). Vgl. Kabinettssitzung vom 7.10., »http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1952k/kap1_2/kap2_70/para3_5.html« [15.5.2012].

11.„Carl Christoph Schweitzer und Enno Bartels stammten aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche. (…) Walter Jacobsen [SPD] (…) verbrachte die Kriegsjahre als Gegner der Nationalsozialisten in Schweden. (…) Josef Rommerskirchen, führender Funktionär der deutschen katholischen Jugend, Mitbegründer und mehrjähriger Vorsitzender des Deutschen Bundesjugendring.“: Widmaier (Anm. 6), S. 37.

12.Am 20.10.1953 übernahm Gerhard Schröder das BMI, das während der Tätigkeit von Staatssekretär Hans Ritter von Lex (der am 31.10.1960 pensioniert wird) zunächst seine Unabhängigkeit weitgehend bewahren konnte, bevor sich seit 1957 administrative Kontrollansprüche verschärften. Der Nachdruck eines 1957 von der BZH publizierten Textes von Renate Riemeck, die als radikale Kriegsdienstgegnerin und 1960 als Gründungsmitglied der DFU hervorgetreten war, in einem Band der BZH-Schriftenreihe führte zum „Maulkorberlass“ des BMI v. 12.8.1960, der eine vorherige Vorlage aller Publikationen der BZH im BMI verfügte, wovon auch „APuZ“ betroffen war: vgl. Widmaier (Anm. 6), S. 64 u. 89, Anm. 7. Nach der BMI-Amtsübernahme durch Hermann Höcherl am 14.11.1961 wurde der Erlass unwirksam.

13.Ein seinerzeit ebenso erwogener Wissenschaftlicher Beirat wurde erst 1970 eingerichtet.

14.Siehe dazu neben Widmaier (Anm. 6) Wolfgang Beywl, Die Bundeszentrale für politische Bildung, Mag.-arb., Bonn 1977; mit einseitig kritischer Tendenz für das Gründungsjahrzehnt Gudrun Hentges, Heimatdienst, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 47 (2002) 11, S. 1318–1321; dies., Die Bundeszentrale für politische Bildung im Umbruch, in: Christoph Butterwegge/dies. (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 251–281; dies., Staat und politische Bildung: Gründung, Methoden, Zielstellungen und Konzeptionen der Bundeszentrale für politische Bildung (i. Ersch.).

15.Zu Entstehungsgeschichte und Arbeitsweise: Willi E. Weber, Die ersten Jahre der Zeitung, in: Das Parlament, 38/1981, S. 8f: Der Hamburger Verlag Girardet & Co. hat die Wochenzeitung mit Unterstützung des BMI gegründet, Weber bezeichnet Ministerialrat Lüders als ihren „Erzeuger“. Von den beiden Redakteuren war „einer der Regierungskoalition, der andere der Opposition im Bundestag zuzurechnen“. Einem als Kontrollinstanz eingerichteten Beirat gehörte seit Januar 1952 auch Franken an.

16.Bis einschl. 1958 waren die APuZ-Ausgaben römisch nummeriert, zur Vereinheitlichung werden hier arabische Ziffern verwendet. Bis 1962 wurden die Seiten jedes Jahrgangs durchlaufend gezählt.

17.Exemplarisch: Walter Dirks, Politische Bildung, in: APuZ, B 51/53, S. 6–11; Theodor Litt, Die Selbsterziehung des deutschen Volkes, B 3/54, S. 25–34; Theodor Eschenburg, Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, B 22/54, S. 278–285; Eduard Spranger, Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung, B 48/56, S. 749–760.

18.Mit Beiträgen zu Politik und Zeitgeschichte bis 1963 am häufigsten in APuZ vertreten waren Helmut Krausnick und Theodor Litt (je 7), Theodor Eschenburg, Hans Rothfels und Josef Wulf (6): vgl. Aus Politik und Zeitgeschichte. Gesamtverzeichnis 1953–1992, Hg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1993.

19.Der Anteil der APuZ-Ausgaben, die Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und zum Ost-West-Konflikt enthielten, stieg in den ersten fünf Jahren von 25% (1954) über 45% (1956) auf 50% (1958). Häufigste Autoren hierzu waren im ersten Jahrzehnt bis einschl. 1963 (Fortsetzungen und Vorabdrucke als ein Beitrag gezählt): Joseph M. Bochenski, John Foster Dulles, Henry Kissinger (je 7); Walter Grottian (6); Iring Fetscher, George Kennan, Wolfgang Leonhard, Richard Löwenthal, Boris Meissner, Günther Nollau, Georg Stadtmüller (je 5).

20.In: APuZ, B 23/54, S. 289–294. Die folgenden Zitate ebd., S. 291f. – Der Theologe Helmut Gollwitzer, Schüler Karl Barths, war Mitglied der Bekennenden Kirche. Wegen seiner Kontakte zum Widerstand wurde er 1940 zeitweilig inhaftiert. Als Sanitäter an der Ostfront kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Seine Erlebnisse verarbeitete er in dem Bestseller „… und führen wohin Du nicht willst“ (1950; ein „großes historisches Dokument“, Theodor Heuss), der eine pointierte Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus enthält. 1950–1957 war Gollwitzer Professor für Systematische Theologie in Bonn, was seinen Kontakt zu Paul Franken erklären mag.

21.Wenzel Jaksch (1896–1966), sudetendeutscher Sozialdemokrat, seit Beginn des Zweiten Weltkrieges im britischen Exil, in Westdeutschland Vorsitzender der Seliger-Gemeinde (der vertriebenen sudetendeutschen Sozialdemokraten), war seit 1961 Vizepräsident der Sudetendeutschen Landsmannschaft und seit 1964 Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen.

22.Wenzel Jaksch, Der Kampf um Wiedervereinigung und Heimatrecht als sozialistische Aufgabe, in: APuZ, B 26/56, S. 396–404, hier 397 (Hervorhebung i. Orig.). Das Folgende ebd., S. 399. – Vgl. auch Stephan Thomas [Leiter der Organisationsabt. des SPD-Parteivorstandes], Sozialdemokratie und Kommunismus, in: APuZ, B 45/57, S. 753–773.

23.Eine ähnliche Argumentation findet sich drei Jahre später bei Iring Fetscher, Die Freiheit im Lichte des Marxismus-Leninismus, in: APuZ, B 48/57, S. 817–835.

24.Vgl. Joseph M. Bochenski, Der sowjetrussische dialektische Materialismus, München 1950; Gustav A. Wetter, Der dialektische Materialismus. Seine Geschichte und sein System in der Sowjetunion, Freiburg i. Br. 1952.

25.In: APuZ, B 6/56, S. 77–95, hier S. 78.

26.Gustav A. Wetter, Der dialektische Materialismus, in: APuZ, B 13/56, S. 217.

27.George F. Kennan, Das Amerikanisch-Russische Verhältnis. Rückschau, in: APuZ, B 51/54, S. 669–673, hier 673.

28.In: APuZ, B 50/54, S. 659–664. Das Folgende ebd., S. 663f.

29.In: APuZ, B 7/55, S. 101–105. Das Folgende ebd., S. 105.

30.In: APuZ, B 39/55, S. 589–594, hier S. 591.

31.George F. Kennan, Die Sonne und der Nordwind. Gedanken zur Lösung der Ost-West-Spannung, in: APuZ, B 6/55, S. 89–95, hier S. 91 u. 93.

32.Paul A. Hoffman, Der Friede, für den wir kämpfen, ist in Sicht und wir können ihn gewinnen, in: APuZ, B 39/55, S. 595–598, hier S. 595.

33.Michael Prawdin, Rußland, Sowjetrußland oder Europa? Warum verstehen wir die Sowjets nicht?, in: APuZ, B 5/55, S. 73–86, hier S. 86.

34.Averell W. Harriman, Der sowjetische Angriff auf die amerikanische Politik. Die unerkannte Gefahr, in: APuZ, B 28/56, S. 421–425, hier S. 421 u. 424.

35.Siehe dazu APuZ, B 13/60 (mit Beiträgen von Adlai E. Stevenson, George F. Kennan u. Dean G. Acheson) sowie Nelson A. Rockefeller, Zielstrebigkeit in der Politik, in: APuZ, B 22/60, S. 337–347.

36.Exemplarisch (als erster APuZ-Beitrag zur SU überhaupt): Herman F. Achminow, Die Oberschicht in der Sowjetunion, in: APuZ, B 47/53, S. 1–6; Boris Meissner, Die Ergebnisse des 20. Parteikongresses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, B 30/56, S. 457–494; David Burg, Psychologische und soziale Folgeerscheinungen der Aufhebung des Terrors in der Sowjetunion, B 43/58, S. 569–579. – Wichtige Autoren zu diesem Komplex sind weiterhin u.a. (Verweis nur auf die jew. erste Veröffentlichung in APuZ): Bertram D. Wolfe (B 8/54), Walter Grottian (48/55), Jane Degras (25/56), Ossip K.Flechtheim (41/56), Wolfgang Leonhard (34/55), Walter Kolarz (31/57), Hermann Weber (43/57), Georg Paloczi-Horvath (36/60), Walter Laqueur (15/63) und Karl C. Thalheim (28/63).

37.In ausführlichen Auszügen werden die beiden Bücher von Joseph Scholmer, Die Toten kehren zurück. Bericht eines Arztes aus Workuta (APuZ, B 15–17/55), und Wolfgang Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder (B 34 u. 35/55), vorgestellt. Eindrucksvoll ist auch die Dokumentation „Letzte Briefe aus Stalingrad“ (Vorabdruck: B 52/55). Siehe auch Margarete Buber-Neumann, Schicksale deutscher Kommunisten in der Sowjetunion, B 22/58, S. 277–291; Albertine Hönig, Leben in Workuta, B 6–8/58, S. 61–111.

38.Aurel von Jüchen, Was die Hunde heulen, Vorabdruck in: APuZ, B 36–39/58, S. 465–487 u. 489–512, zit. S. 466. Das Folgende ebd., S. 503.

39.Vgl. vier Beiträge von Alfred Burmeister, in: APuZ, B 37/56, S. 573–586; B 47/56, S. 733–747; B 24/57, S. 371–382; B 47/58, S. 625–633. Vgl. auch bilanzierend Ernst Birke u.a., Die Sowjetisierung Ost-Mitteleuropas 1945 – 1957, in: APuZ, B 38/59, S. 477–497. „Bei einer Gesamtbilanz ist (…) die Ablösung dieses Gebietes von West- und Mitteleuropa und seine Angleichung an den Osten unverkennbar. Neben der wirtschaftlichen Eingliederung in das neue Sowjetimperium erfolgt auch eine kulturelle Enteuropäisierung, die vielfach durch die zwangsweise Entfernung der deutschen Bevölkerung als eine der wichtigsten Klammern zum Westen erleichtert wurde.“ (S. 483).

40.Joseph Scholmer, Die Revolution in Ungarn, in: APuZ, B 1/57, S. 1–16, hier S. 16.

41.Henry A. Kissinger, Auf der Suche nach Stabilität, in: APuZ, B 42/59, S. 554–564, hier S. 555.

42.Vgl. im Jg. 1958 die Ausgaben 25, 26, 30, 32, 33, 34, 36, 37, 39, 40. Dieses außergewöhnliche Verfahren für ein Periodikum erklärt sich wohl auch aus dem Umstand, dass Werner Maibaum, seit 1956 wiss. Mitarbeiter Bochenskis für das „Handbuch“, 1957 die APuZ-Redaktion übernommen hat.

43.APuZ, B 25/57, S. 383.

44.Ein grundlegender Beitrag zur Charakterisierung der VR China als „Apparatgesellschaft“ stammt von dem renommierten Sinologen und Verfasser des Standardwerks „Die orientalische Despotie“ (1957) Karl A. Wittfogel, Die chinesische Gesellschaft, in: APuZ, B 19/58, S. 229–239, hier 238: „Da die Herrscher ihre totale Macht durch eine Regierung ausüben, die (…) praktisch die gesamte wirtschaftliche und soziale Tätigkeit der Bevölkerung kontrolliert, stehen wir einer totalitären Apparatpartei gegenüber.“

45.Vgl. Anonym, Rotchina – der Juniorpartner Moskaus, in: APuZ, B 17/57, S. 271–282. – 1954–1961 erscheinen insg. 29 Beiträge mit der Autorenangabe „Anonym“ oder „…“ in APuZ (allein acht 1957), die überwiegend Themen aus dem Bereich der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus behandeln. Seither ist diese für eine wissenschaftlich orientierte Zeitschrift dubiose Praxis aufgehoben.

46.Vgl. dazu Max Biehl, Volkskommunen in China, in: APuZ, B 4/59, S. 33–36; G.f. Hudson, Mao, Marx und Moskau, B 42/59.

47.An Yowev, Die ideologischen Gegensätze zwischen Chruschtschow und Mao Tse-tung, in: APuZ, B 26/60, S. 417–428; vgl. auch Boris Meissner, Der ideologische Konflikt zwischen Moskau und Peking, B 11/61, S. 131–147.

48.Über den „linken Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, in: APuZ, B 26/60, S. 426–428.

49.Georgi Paloczi-Horvath, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, in: APuZ, B 36/60, S. 573–588, hier S. 580 (Vorabdruck aus: ders., Chruschtschow, Frankfurt a. M. 1960).

50.Vgl. dazu ausführlich Stefan Creuzberger, Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949–1969, Düsseldorf 2008. – Zwischen BMG und BZH bestand eine erhebliche Rivalität, weil das Ministerium gegenüber dem Ansatz Frankens, der eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kommunismus postulierte, Methoden einer psychologischen Einflussnahme auf die Bewusstseinsbildung der westdeutschen Bevölkerung favorisierte. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten veranlassten das BMG zu zunehmender Distanzierung von der BZH und zu einer verstärkten Kooperation mit dem Bundesvertriebenenministerium und dem Bundesministerium der Verteidigung. (Es ist bezeichnend, dass in dem informationsreichen, sorgfältig recherchierten Buch Creuzbergers Paul Franken im Register nicht verzeichnet ist.)

51.„SBZ-Archiv“ erschien i. A. und mit Finanzierung des BMG seit April 1952 als zweimal monatlich erscheinende Reihe. „Eigentlich sollte die Zeitschrift objektive Grundlagen für eine fundierte Beurteilung der Verhältnisse in der ‚Zone‘ vermitteln. Aber zunächst standen Anklage, Aufklärung und politische Mobilisierung im Vordergrund; getreu dem Motto, das auf der Titelseite jedes Heftes abgedruckt war: ‚Besinnt euch auf eure Kraft, der Westen ist stärker!'“: Ilse Spittmann-Rühle, Drei Jahrzehnte Deutschland Archiv, in: Wolfgang Thierse u.a. (Hg.), Zehn Jahre Deutsche Einheit, Opladen 2000, S. 303.

52.In: APuZ, B 24/55, S. 361–381.

53.Etwa Jürgen Rühle, Die Kulturpolitik der Sowjetzone, in: APuZ, B 47/55, S. 709–720. – 1956/57 erscheinen zahlreiche Beiträge von anonymen Autoren, z.B. in B 12/56 ein Protokoll der 25. ZK-Tagung der SED sowie u.a. mit Dokumenten oder Analysen zur Situation in der DDR in: B 15/56, B 24/56, B 41/56, B 11/57, B 23/57, B 49/57. Hervorzuheben ist der Beitrag von Hermann Weber, Von Rosa Luxemburg zu Walter Ulbricht, B 31 u. 32/59, S. 389–427.

54.Vgl. dazu Creuzberger (Anm. 51), S. 461–478. – Eine eingehende Inhaltsanalyse der Eigenpublikationen des BMG bis Mitte der 1960er-Jahre steht noch aus. Wichtige Vorstudien sind die Arbeiten von Klaus Körner, zuletzt: Die rote Gefahr. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik von 1950 bis 2000, Hamburg 2003.

55.Anonym, Lenkung, Organisation und Methoden der kommunistischen Infiltration in der Bundesrepublik, in: APuZ, B 35/56, S. 545–560 (Der Vorspann hierzu bezieht sich ausdrücklich auf das KPD-Verbot und auf die „rege Diskussion […], ob der von der Bundesregierung gestellte Antrag außen- und innenpolitisch geschickt und ob es richtig gewesen sei, die Kommunistische Partei Deutschlands für illegal zu erklären.“); Anonym, Kommunistische Untergrundarbeit in Deutschland, B 41/56, S. 643–647. Vgl. auch Wolfgang Leonhard, Die Parteischulung der SED (1945–1956), in: APuZ, B 44/56, S. 689–704.

56.In: APuZ, B 35/56 [29.8.1956!], S. 560.

57.„Dem Menschen im Betrieb galt die besondere Aufmerksamkeit unter dem Gesichtspunkt der Abwehr kommunistischer Infiltration.“: Tätigkeitsbericht der BZH 1956/57, S. 8.

58.„Informationen“: Auflage 920.000, „Das Parlament“ (mit „APuZ“): 100.000 Ex.: Tätigkeitsbericht der Bundeszentrale für politische Bildung für das Rechnungsjahr 1964, 11.2.1965, S. 42 u. 6.

59.Das Thema Vertreibung und deutsche Ostgebiete wird in APuZ erst wesentlich später aufgegriffen. Dass es die Redaktion als heikel empfindet, zeigt der Vorspann zu Beiträgen, die zwischen Herbst 1958 und April 1960 erscheinen: „Wir beginnen heute mit dem Abdruck einer Reihe von Artikeln, die sich mit dem Polen von heute und mit der durch die Abtrennung der deutschen Ostgebiete geschaffenen Problematik auseinandersetzen. Autoren verschiedenster Anschauungen werden das Wort erhalten, so daß die Urteilsbildung dem Leser überlassen bleibt. In keinem Fall stellt ein Artikel die Meinungsäußerung der herausgebenden Stelle dar.“ (APuZ, B 45/58, S. 593). – Dokumentiert wird zunächst die Rede der nahezu unbekannten Kongressabgeordneten Carroll Reece, Das Recht auf Deutschlands Osten, in: APuZ, B 45/58, S. 593–612, die scharfe Töne anschlägt: „Wir sollten keinen Zweifel darüber lassen, daß die deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße, die seit 1945 unter provisorischer fremder Verwaltung stehen, bis heute und weiterhin rechtlich und gesetzlich ein Teil Deutschlands sind, der militärisch besetzt ist und jetzt unter gleichsam kriegsmäßiger Verwaltung der beiden kommunistischen Mächte steht.“; „In der Tat, nur im Schutz der sowjetischen Armee kann Polen letztlich sicher sein, an seinem Kriegsraub festhalten zu können.“ (S. 595 u. 611) In derselben Ausgabe ruft der Göttinger Historiker Percy Ernst Schramm, Polen in der Geschichte Europas, ebd., S. 613–622, die Geschichte Polens als „Leidensweg“ in Erinnerung, „härter als das [Leid] irgend eines anderen großen Volkes in Europa“, und plädiert unter Ausklammerung der Grenzfrage für einen „Weg der Verständigung“ (S. 616, 618 u. 622). Theodor Schieder, Die Ostvertreibung als wissenschaftliches Problem, B 17/60, S. 282–288, führt im April 1960 u.a. aus, die „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, die seit 1954 erschien, solle „etwas von dem verspüren lassen, was wir als Gesamthaftung des deutschen Gesamtvolkes für seine Vergangenheit bezeichnen können und was als eine Konsequenz der früher so betonten nationalen Solidarität auf uns genommen werden muß.“ (S. 288).

60.Die Beiträge beider Hefte hat Gerhard von Mende verfasst. Blickt man auf von Mendes Vergangenheit (vgl. Anm. 75), so trifft auf diese Texte zu, was Winfried Schulze (Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989) als „Objektivität als Heilmittel“ charakterisiert.

61.Das Heft zieht in seinem reichhaltigen und fundierten Informationsangebot erkennbar aus dem 1959 publizierten „Osteuropa-Handbuch. Polen“, Hg. Werner Markert, erheblichen Nutzen.

62.Vgl. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen 1952–1992, Hg. BpB, Bonn 1992, S. 97–99.

63.Hier und im Folgenden im Wesentlichen unter Bezug auf Werner Maibaum, Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst. Gründungsgeschichte und Aufbauphase, Hg. BpB, Bonn 2004, zit. S. 24 u. 25.

64.Ebd., S. 25.

65.Widmaier (Anm. 6), S. 46.

66.Beim BVerfG bestanden erhebliche Zweifel an der Begründbarkeit des KPD-Verbots, weil es – anders als beim bereits nach elf Monaten verhängten SRP-Verbot – nicht auf Tathandlungen zur „Untergrabung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gestützt werden konnte, sondern sich auf die Unvereinbarkeit der kommunistischen Staatslehre von der „Diktatur des Proletariats“ mit den Prinzipien des Grundgesetzes stützte.

67.Maibaum (Anm. 63). Vgl. v. a. BArch B 106/21611.

68.Das Verbotsurteil in: BVerfG 5, 85, das Gutachten Bochenskis in: KPD-Prozess. Dokumentarwerk zu dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD vor dem 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe 1956, Bd. 3, S. 509ff, und bereits zuvor nach Vorlage beim BVerfG im März 1955 (ohne Angabe des Entstehungszusammenhangs und Verwendungszwecks) in: APuZ, B 6 /56.

69.Zit.: Maibaum (Anm. 63), S. 11.

70.Das „Memorandum“ ist undatiert, zit.: Maibaum (Anm. 63), S. 58–60.

71.Bericht in: Das Parlament, 47/1957, S. 16. In seiner mit bellicoser Rhetorik unterlegten Eröffnungsrede fokussiert Schröder die Aufgabe des OK auf die ideologische Auseinandersetzung: „Es geht hier nicht um den machtpolitischen Gegensatz zwischen Ost und West. Hier geht es allein um die ideologische Auseinandersetzung. Sie ist uns aufgezwungen, weil die östliche Heilslehre mit der Herrschsucht und dem Eroberungswillen einer fanatischen Prophetie auftritt – als der einzig wahre Glauben, der alles seiner Pseudo-Wahrheit unterwerfen will.“ Schröder redet hier zwar einmal von der – den sonst im interministeriellen Verkehr und im Gebrauch der BZH vorherrschenden – „geistig-politische(n) Auseinandersetzung mit dem Kommunismus“, formuliert aber als Aufgabe des OK, „vielen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens Tätigen Erkenntnisse für die geistige Bekämpfung des Kommunismus [zu] vermitteln.“ (ebd.) Der Entwurf des OK (unter Mitwirkung des Direktoriumsmitglieds Werner Markert) hingegen erklärte: „Das Ostkolleg ist eine Einrichtung der politischen Bildung und hat eine doppelte Aufgabe. Durch Vorträge wissenschaftlich ausgewiesener Sachkenner des In- und Auslandes bietet es eine systematische Unterrichtung über die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Gegenwartsprobleme Osteuropas und der Sowjetunion. In offener Diskussion (…) soll den Teilnehmern der Studientagungen eine eigene Urteilsbildung ermöglicht werden, um die erarbeiteten Einsichten für die geistige Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus und seinen Auswirkungen fruchtbar zu machen – unter Besinnung auf Idee und Wirklichkeit der Freien Welt.“: BArch B 168/772, zit.: Maibaum (Anm. 63), S. 93.

72.BMI, Erlaß über die Errichtung des Ostkollegs, 28.11.1957, http://www.bpb.de/36447 [15.5.2012].

73.Bei Gründung des OK wurden als Mitglieder des Direktoriums berufen: Joseph M. Bochenski, Hans Koch († 9.4.1959), Hans Joachim Lieber, Werner Markert, Gerhard von Mende († 16.12.1963), Werner Philipp, Georg von Rauch, Hans Raupach, Günter Stökl; Karl C. Thalheim. Das Direktorium kooptierte 1960 Boris Meissner, weiterhin bis 1963 Otto Schiller sowie Karl-Heinz Ruffmann (vgl. Maibaum [Anm. 63], S. 100 – 103.). Während die Gründungsmitglieder des Direktoriums vom BMI ernannt waren und insoweit auch dessen politische Interessen erkennen lassen, geben die Kooptierungen durch das Direktorium Aufschluss über dessen wissenschaftliche Grundhaltung. Dabei sind ausnahmslos unbelastete und liberale Persönlichkeiten ausgewählt worden, darunter in der Folgezeit u.a. Ernst Fraenkel, Hans-Adolf Jacobsen oder Peter Christian Ludz. Nicht einmal als Referent im OK berücksichtigt wurde der NS-belastete deutsch-baltische Osteuropahistoriker Reinhard Wittram (Göttingen), auch das Marburger Herder-Institut war im Direktorium nicht präsent. – Zur Ostforschung der NS-Zeit vgl. Werner Philipp, Nationalsozialismus und Ostwissenschaften, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 33 (1983), S. 286–303. Zur geschichtspolitischen Belastung der Ostforschung siehe auch Rüdiger Hohls/Konrad Jarausch, Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000; Kai Arne Linnemann, Das Erbe der Ostforschung: Zur Rolle Göttingens in der Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit, Marburg 2002, S. 9–33, zur Ostforschung insb. S. 16ff. Für die Nachkriegsentwicklung vgl. als instruktiven Überblick Jens Hacker, Osteuropa-Forschung in der Bundesrepublik, in: APuZ, B 37/60, S. 591–622.

74.Wildenmann begann seine Karriere als Redakteur der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung“ und wurde nach einer Tätigkeit im BMI wegen seiner Verwaltungskompetenz ausgewählt; er hatte keinen Bezug zur Kommunismusforschung.

75.Wegen Gerhard von Mende ist der BZH, insb. von Gudrun Hentges (Anm. 15), ein nachwirkendes Erbe von NS-Gedankengut unterstellt worden. Geb. 1904 in Riga war Mende als Russlandforscher auf die „türko-tatarischen sowjetischen Völker“ spezialisiert und hatte 1936 seine Schrift „Der nationale Kampf der Rußlandtürken. Ein Beitrag zur nationalen Frage in der Sowjetunion“ publiziert. Sein Buch „Die Völker der Sowjetunion“ (1939) enthält stark antisemitische Formulierungen. Im Juni 1941 wurde Mende im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete als Experte zunächst für den Kaukasus, später darüber hinaus für „Fremde Völker“ tätig. Gleichzeitig wechselte er 1941 von der Posener an die Berliner Universität auf einen Lehrstuhl für Volks- und Landeskunde der Sowjetunion und wurde 1944 auf den „Lehrstuhl für Volkstumskunde des Ostraums“ berufen (vgl. dazu Ingo Loose, Der Turkologe Gerhard von Mende, in: Rüdiger vom Bruch u.a. [Hg.], Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Stuttgart 2005, S. 62–67). Mende sah in den muslimischen Turkvölkern der SU eine Widerstandskraft gegen den Kommunismus, die sich während des Zweiten Weltkriegs in einem eigenen Sonderverband formierte (für die der spätere Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer verantwortlich war). Nach Kriegsende ist Mende kurzzeitig als Professor für Russlandkunde in Hamburg tätig, muss diese Funktion wegen seiner NS-Belastung aber schon bald verlassen. Er findet seit 1949 als Experte Kontakt zu antikommunistischen US-Organisationen, u.a. Radio Free Europe, Radio Liberty und CIA (vgl. Bernd Stöver, Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947–1991, Köln u.a. 2002, S. 317ff). Durch Unterstützung des Bundesvertriebenenministers Oberländer baut er Mitte der 1950er-Jahre zunächst ein „Büro für heimatvertriebene Ausländer“ in Düsseldorf auf, aus dem 1956 die „Forschungsstelle Osteuropa“ (ihre Berichte erscheinen unter dem Namen „Forschungsdienst“) hervorgeht, die verschiedene Expertisen für Bonner Regierungsstellen erarbeitet. Offenbar aufgrund politischer Protektion durch Oberländer und BMI-Beamte wird Mende 1957 Mitglied im Direktorium nicht nur des Ostkollegs, sondern 1961 auch im neu gegründeten Bundesinstitut zur Erforschung des Marxismus-Leninismus, ohne jedoch in beiden Gremien jemals Leitungsfunktionen einzunehmen. Die Behauptung Looses (S. 66f, unter Berufung auf Hentges), Mende habe „eine zentrale Rolle als konzeptioneller Vordenker der Errichtung des in Köln ansässigen Ostkollegs“ gespielt und „maßgeblichen Einfluss auf dessen Struktur und inhaltliche Ausrichtung“ genommen, erweist die quellengestützte Rekonstruktion der Gründungsgeschichte und Frühphase des OK als haltlos. Mende publizierte dreimal bei der BZH (APuZ, B 16/60; Informationen zur politischen Bildung, Folgen 78/79 u. 91). Im OK hat Mende 1957–1959 häufiger als Referent von Studientagungen mitgewirkt, und zwar zu Wirtschaftsgeografie und Herrschaftssystem der Sowjetunion, nicht jedoch zu seinem aus der NS-Zeit belasteten Spezialgebiet, das er in der Forschungsstelle weiter betrieb. Die v. Vf. gesichteten Protokolle der Direktoriumssitzungen enthalten keine substanziellen Beiträge von Mendes zur Tätigkeit des OK.

76.Stefan Meining, Eine Moschee in Deutschland. Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen, München 2011, S. 106.

77.Diese Materialien sind offenbar nicht archiviert. Für die Überlassung von Kopien dankt d. Vf. seinem früheren Kollegen Horst Müller.

78.Vgl. Rechenschaftsbericht des Ostkollegs […] für die Zeit vom 22. November 1957 bis 31. Dezember 1961, BArch B 168/723, zit.: Maibaum (Anm. 63), S. 94–99, Anh. 5. Das Folgende ebd.

79.Das Faltblatt liegt d. Vf. in englischer Sprache vor.

80.Werner Maibaum, gez. Rüdiger Thomas, Bericht über das internationale Kolloquium vom 14. bis 16.12.64, 27.1.1965. Die folgenden Zitate ebd. – Das gedruckte Tagungsprogramm liegt d. Vf. vor.

81.Wiedergabe nach Maibaum/Thomas (Anm. 80). Die Argumentation folgt Joseph M. Bochenski, Der freie Mensch in der Auseinandersetzung zwischen West und Ost, in: APuZ, B 23/63, S. 3–12.

82.Hans Joachim Lieber, Erfahrungen über Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Aufklärung (unveröff., von Lieber für die Weitergabe autorisiertes Typoskript; im Besitz d. Vf.).

83.„Während bei den jüngeren Teilnehmern ständig wachsend ein zunehmender Grad an Informiertheit über das Sowjetsystem zu beobachten ist, sind bei der älteren Generation oft nur solche Kenntnisse vorhanden, die einzelnen Tatbeständen des Sowjetsystems beigeordnet sind (etwa auf Grund von Erlebnissen aus der Kriegsgefangenschaft oder auf Grund einseitiger Lektüre). (…) Damit ist nicht nur ein Schwarz-Weiß-Denken gemeint, das nach dem Motto hier alles gut, dort alles schlecht verfährt und das zum Zweck einer Abwertung des Sowjetsystems die eigenen Lebensordnung unkritisch verklärt. Ein solches Schwarz-Weiß-Denken ist zunehmend im Schwinden begriffen, und zwar in dem gleichen Maße, in dem die Kenntnis über Wandlungsprozesse im Sowjetsystem der Nach-Stalin-Zeit zunimmt und in dem gleichen Maße auch, in dem die Wirklichkeit der eigenen Gesellschaft in ihrem Spannungsgefüge kritisch durchdacht wird.“ (Ebd., S. 2f).

84.Hier trifft sich Liebers Konzept mit Neuansätzen, die Christina von Hodenberg seit den frühen 1960er-Jahren auch im westdeutschen Journalismus erkennt: „Dem Appell an den antikommunistischen Konsens stellte man das Bild einer Öffentlichkeit entgegen, in der Konflikt und Demokratie zum Tagesgeschäft gehörten.“ (Dies., Die Journalisten und der Aufbruch zur kritischen Öffentlichkeit, in: Ulrich Herbert [Hg.], Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002, S. 304). Vgl. auch dies., Konsens und Krise: Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006.

85.Der Heimatdienst, in: StadtRevue. Das Kölnmagazin 12/2002, »http://www.stadtrevue.de/archiv/archivartikel/328-der-heimatdienst/« [15.5.2012]. Zu Mende erklärt Hentges: „Er nahm sowohl auf die konzeptionelle Ausrichtung des Ostkollegs als auch auf die personelle Besetzung der Dozentenstellen maßgeblichen Einfluss, entwickelte Seminarkonzeptionen und trat als Referent auf.“ Für die ersten beiden Einschätzungen lassen sich keine Belege finden (s.o., Anm. 75).

86.Zusammenstellung über die „Bundeszentrale für Heimatdienst“ mit dem „Ostkolleg“, o.J. (1963), BStU, MfS, ZAIG 9895. Siehe auch K. Wohlgemuth, Die „Bundeszentrale für Heimatdienst“ – Ein Instrument zur Propagierung der Bonner Kriegspolitik, in: Dokumentation der Zeit, 8/1961, S. 12–20.

87.W. I. Lenin, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, in: ders., Ausgewählte Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 595.

Die vorliegende Studie ist aus einem Vortrag hervorgegangen, gehalten am 4.11.2011 auf der Tagung „Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik Deutschland. Zur politischen Kultur im Kalten Krieg“ in Königswinter, veranstaltet vom Institut für Zeitgeschichte, vom Lehrstuhl für Neuere Geschichte I des Historischen Instituts der Universität Potsdam, von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem „Deutschland Archiv“.

 

Bildungsgeschichten – Gespräch mit Rüdiger Thomas über Vergangenheit und Zukunft der bpb (2012)

Bildungsgeschichten – Gespräch mit Rüdiger Thomas über Vergangenheit und Zukunft der bpb

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Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 46–47/2012, S.43-49)

Hans-Georg Golz: Herr Thomas, Sie haben von 1964 bis 2003 die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in bedeutenden Funktionen mitgestaltet. Was waren die wichtigsten Etappen? [1]

Rüdiger Thomas: Meine Tätigkeit für die Bundeszentrale gliedert sich in zwei Phasen: Von 1964 bis 1981 war ich im Kölner Ostkolleg der bpb beschäftigt. Im Herbst 1981 habe ich dann die Leitung der Arbeitsgruppe Publizistik in Bonn übernommen, zu der neben der Wochenzeitung „Das Parlament“, die 2000 in die Verantwortung des Deutschen Bundestages übergegangen ist, auch diese Zeitschrift und die Schriftenreihe gehörten.

Sie haben 1958, mit gerade 18 Jahren, die DDR verlassen. Warum beschäftigt sich ein junger Mann dann im Westen so intensiv mit dem Marxismus, dem Kommunismus sowjetischer Prägung und dem ostdeutschen Parallelstaat?

Ich hatte an der Leipziger Thomasschule Abitur gemacht und aus politischen Gründen keine Zulassung zum beabsichtigten Mathematikstudium erhalten. Nicht selten hat die Entscheidung gegen das DDR-System ein nachfolgendes Interesse für die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ausgelöst. So war es auch bei mir.

Ich möchte mit Ihnen zunächst über das Ostkolleg sprechen, das im November 1957 gegründet worden ist. Kann man dieses, insbesondere in seiner frühen Arbeitsphase, als eine antikommunistische Einrichtung des ideologischen Kalten Krieges betrachten?

Die ersten sechs Jahre habe ich die Aktivitäten des Ostkollegs nicht selbst miterlebt, doch habe ich mit Ausnahme der beiden umstrittensten Personen, die mit dem Ostkolleg verbunden waren, Gerhard von Mende und Hans Koch, alle anderen Gründungsmitglieder des wissenschaftlichen Direktoriums persönlich kennengelernt. Für diese vor meiner eigenen Mitwirkung liegende Zeit habe ich nun die Programme der Seminare, die Teilnehmerlisten und die Sitzungsprotokolle des Direktoriums durchgesehen und dabei meine eigene Erfahrung bestätigt gefunden, dass das Ostkolleg seine Arbeit unter den Anspruch einer „wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus“ stellte. Aus meiner Sicht hat das Ostkolleg diese Aufgabe überwiegend eingelöst. Das war nur deshalb möglich, weil die Konstruktion dieser einzigartigen Bildungseinrichtung strukturell eine weitgehende Unabhängigkeit von politischen Eingriffen gewährleistete. Denn das wissenschaftliche Direktorium konnte über die Programmgestaltung und die Auswahl der Referierenden autonom entscheiden. Das galt nicht nur gegenüber dem Bundesinnenministerium (BMI), sondern auch im Hinblick auf die Leitung der Bundeszentrale für Heimatdienst (BZH), wie die bpb bis 1963 hieß. Dieses Autonomiekonzept hatte der junge Berliner Philosophie- und Soziologieprofessor Hans-Joachim Lieber entwickelt. Dass es vom Ministerium akzeptiert wurde, war vornehmlich Staatssekretär Hans Ritter von Lex zu verdanken.

Inwieweit hat die Entwicklung des politischen Umfeldes ihre Arbeit beeinflusst?

Meine lange Tätigkeit im Ostkolleg fiel in eine Periode, die durch wichtige politische Umbrüche gekennzeichnet ist. Innenpolitisch sind zentrale Stichworte die Bildung der ersten großen Koalition 1966, der 1969 die Ablösung der CDU als langjährige Regierungspartei durch die sozialliberale Koalition folgte. Der Grundlagenvertrag 1972 eröffnete eine neue Periode der Deutschland- und Ostpolitik, in der sich frühe Hoffnungen und folgende Enttäuschungen vermischten. In der internationalen Politik war der Schock der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 durch die sowjetische Okkupation ein einschneidendes Ereignis; ebenso nach der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO 1973 vor allem der KSZE-Prozess. Während die politische Entwicklung durch das Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konflikt, durch „antagonistische Kooperation“, charakterisiert war, rückten im Ostkolleg schon seit 1965 Bemühungen in den Vordergrund, Kontakte nach Osteuropa mit dem Ziel anzubahnen, auch Wissenschaftler aus dem Ostblock als Referenten für die Seminare des Ostkollegs zu gewinnen.

Zwar hatten sich nach den Krisenhöhepunkten Mauerbau 1961 und Kubakrise 1962 erste Anzeichen einer politischen Neuorientierung gezeigt, als US-Präsident John F. Kennedy Anfang 1963 seine „Strategie des Friedens“ konzipierte und Egon Bahr im Juli 1963 in Tutzing gegenüber der „Zone“ sein neues Konzept einer Einwirkung durch Kontaktaufnahme mit der DDR als „Wandel durch Annäherung“ vorstellte, doch blieben diesen Absichtserklärungen unmittelbare politische Erfolge zunächst versagt. Wie wirkte sich das auf die Arbeit des Ostkollegs aus?

Frühe Sondierungen zur Kontaktaufnahme stießen vor allem auf sowjetischer Seite zunächst auf ein ablehnendes Echo, bevor Ende 1967 erste Referenten aus der Sowjetunion im Ostkolleg zu Gast waren. Zu diesem Zeitpunkt hat Werner Maibaum, der Studienleiter des Ostkollegs, vor allem intensive Kontakte in die ČSSR, darunter zu Ota Šik, angebahnt, die rasch ein jähes Ende fanden und sich nachfolgend nur noch in der Mitwirkung exilierter Wissenschaftler wie Jiří Kosta und Milan Prucha realisieren ließen. Im Rückblick muss es befremdlich erscheinen, wie rasch der Westen nach dem jähen Ende des „Prager Frühlings“ zur weltpolitischen Tagesordnung überging, doch das Ostkolleg sollte davon profitieren: Von 1969 an wirkten immer häufiger Referenten aus Polen und Ungarn, weitgehend über Kontakte mit den Akademien der Wissenschaften, an Tagungen des Ostkollegs mit, dazu kamen wiederholt Gäste aus dem blockfreien Jugoslawien. Am wichtigsten waren von Beginn der 1970er Jahre an die Kontakte nach Polen. 1972 hatte sich eine deutsch-polnische Schulbuchkommission konstituiert, die sich die Ausarbeitung von gemeinsamen Empfehlungen für die Darstellung in Schulbuch und Unterricht beider Länder zum Ziel setzte. So konnte 1975, auch dank der Unterstützung durch den Direktor des polnischen Instituts für internationale Angelegenheiten, Marian Dobrosielski, eine erste Tagung mit deutschen Schulbuchautoren aus renommierten Schulbuchverlagen der Bundesrepublik in Polen realisiert werden, der ähnliche Seminare folgten, die dann auch in Zusammenarbeit mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands und dem Verband Deutscher Schulgeografen initiiert wurden. Im November 1977 fand in Köln eine erste gemeinsame Tagung für deutsche und polnische Geschichtslehrer statt. 1978 gelang es schließlich, mit einer Gruppe von westdeutschen Historikern und Geografen ein erstes Seminarprojekt in der Sowjetunion zu realisieren, das neben Moskau auch Leningrad und Minsk einschloss.

Gab es ähnliche Initiativen in Richtung DDR?

Bis zum Ende der DDR konnten nur wenige Referenten zu Tagungen des Ostkollegs eingeladen werden. Dabei waren direkte Kontakte zu wissenschaftlichen Einrichtungen nicht möglich. Nach Aushandlung des Grundlagenvertrages genehmigte das BMI Initiativen des Ostkollegs zur Einladung von Referenten aus der DDR, obwohl diese zunächst nur über das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) in Ost-Berlin erfolgen konnten. Das IPW war sowohl dem ZK der SED wie dem Ministerrat unterstellt, woraus sich die politische Brisanz einer solchen Vorgehensweise ergab. In Abstimmung mit dem wissenschaftlichen Direktorium unternahm Werner Maibaum mit mir 1972 einen Informationsbesuch im IPW. In den folgenden Jahren konnten über das IPW einige wenige Personen aus der DDR, Historiker und Geografen, im Ostkolleg referieren, doch erwies sich dieses Verfahren als wenig ermutigend. So konnte im Ostkolleg zwar wissenschaftlich über die DDR informiert, aber kaum mit Wissenschaftlern aus der DDR diskutiert werden.

Was war der Grund dafür, dass Sie 1981 vom Ostkolleg in die Bundeszentrale nach Bonn gewechselt sind?

Ich hatte schon 1967 durch Direktor Paul Franken das Angebot erhalten, die Redaktion von APuZ zu übernehmen, wollte in dieser Phase aber das Ostkolleg nicht verlassen. Dort hatte ja gerade mit der Anbahnung von Ostkontakten eine überaus interessante Phase begonnen; außerdem schien mir die Bonner Aufgabe zu früh zu kommen. Es war eine glückliche Entscheidung von Franken, dass er Enno Bartels, einem der vier Gründungsreferenten der BZH, damals die Redaktion von APuZ übertragen hat. Bartels war zunächst der einzige Redakteur. Erst im Februar 1973 wurde die Redaktion durch Klaus Wippermann und Gerd Renken zu einem Team erweitert, und die Zeitschrift erlangte ein neues Profil: Alle Ausgaben standen fortan unter einem Rahmenthema, was zur Folge hatte, dass ein hoher Anteil der Beiträge im Ergebnis einer sorgfältigen Themenplanung aus Autorenaufträgen hervorgegangen ist. Während ich am Ostkolleg tätig war, gab es kollegiale Verbindungen nach Bonn, mich interessierte neben APuZ vor allem die Schriftenreihe. Dort sind in den beiden ersten Jahrzehnten überwiegend schmalere Broschüren erschienen, häufig aus APuZ-Beiträgen hervorgegangen, daneben vor allem Sammelbände zur Didaktik der politischen Bildung in den verschiedenen Schularten. Erst seit Mitte der 1970er Jahre wurden auch umfangreiche Bücher publiziert, wie wir sie aus Verlagsprogrammen kennen. Diese Buchproduktion erschien mir besonders reizvoll. Dabei war mir bewusst, dass die bpb nicht in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Verlagen treten konnte und sollte, mit denen sie ja seit ihrer Gründung durch Verlagsankäufe in Verbindung stand. Es ging vielmehr darum, thematische Lücken im Angebot zu schließen und auch neue Formen der Kooperation mit Verlagen zu erproben.

Fiel Ihnen der Schritt von einer universitätsnahen, wissenschaftlich orientierten Seminararbeit hin zur breiten, zielgruppenorientierten politischen Bildung schwer? Wie würden Sie den Unterschied beschreiben?

Schon im Ostkolleg hatte ich praxisnah erfahren, dass politische Bildung die spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen berücksichtigen muss. In der bpb gab es dafür die beiden Arbeitsgruppen „Publizistik“ und „Politische Bildung in der Schule“, die diesem Sachverhalt markant Rechnung getragen und eine sinnvolle Arbeitsteilung im Publikationssektor ermöglicht haben. Die „Informationen zur politischen Bildung“ sind mit ihrer Millionenauflage seit ihren frühen, von Carl-Christoph Schweitzer initiierten Anfängen bis heute das erfolgreichste Produkt der bpb und ihr markantestes Erkennungszeichen geblieben. Während für diesen Arbeitsbereich der pädagogische Anspruch der bpb im Vordergrund stand, hat sich die von mir verantwortete Arbeitsgruppe – darin dem Ostkolleg vergleichbar – stärker am Anspruchsniveau wissenschaftlich fundierter Informationsvermittlung orientiert. Der Unterschied zu meiner Tätigkeit im Ostkolleg bestand eher in der Differenz zwischen der personalen Interaktion eines Seminarbetriebs und einer verlegerischen Aktivität, die durch das kollegiale und kreative Miteinander in einer Redaktion stärker bestimmt war als durch die Reflexion von Konzepten zur Didaktik politischer Bildung.

Die Neuprofilierung der Schriftenreihe in den 1980er Jahren ist eng mit Ihrem Namen verbunden. Christoph Kleßmanns Bände über die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte etwa sind heute noch Standardwerke. Von manchen Schriftenreihebänden sind im Laufe der Jahrzehnte bis zu 200.000 Exemplare vertrieben worden. Welche Meilensteine würden Sie identifizieren?

Von Meilensteinen würde ich nicht sprechen, sondern von Erfolgen, die sich einem großen Freiraum verdanken, den die Hausleitung – von seltenen Ausnahmen abgesehen – stets gewährt hat; von einem idealen Teamwork mit engagierten und kreativen Kolleginnen und Kollegen und dem seltenen Glück, mit vielen herausragenden Autoren bei ausreichenden finanziellen Ressourcen kooperieren zu dürfen. Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass zahlreiche Werke in enger Kooperation mit renommierten Verlagen realisiert wurden. Es fällt mir schwer, einzelne Publikationen hervorzuheben. Aber ich stimme Ihnen zu: Kleßmanns beide Bände zur gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte von 1945 bis 1970, die 1982 beziehungsweise 1988 erschienen, haben für mich im Rückblick einen besonderen Stellenwert. „Die doppelte Staatsgründung“ war nicht nur das erste Buch, das ich in der Schriftenreihe verlegen durfte, es war auch die erste Darstellung überhaupt, welche die Geschichte der beiden deutschen Staaten im Gesamtzusammenhang einer „asymmetrischen Beziehungsgeschichte“ in den Blick genommen hat. Zeitlich parallel, zwischen 1981 und 1987, wurde andernorts eine schwergewichtige „Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in fünf Bänden publiziert. Als in der Historiografie der gesamtdeutsche Blick durch eine staatsgeschichtliche Perspektive verlorenzugehen drohte, waren Kleßmanns Bände eine bemerkenswerte Ausnahme.

Sie haben etwa zehn Jahre lang die Redaktion der APuZ geleitet. Was war die Idee hinter der 1953 erstmals erschienenen Zeitschrift?

Franken hatte erkannt, dass der Bundeszentrale mit der Übernahme der Wochenzeitung „Das Parlament“, die bereits Mitte der 1950er Jahre eine Auflage von rund 80.000 Exemplaren erreichte, ein optimales Medium für die kostenfreie zusätzliche Verbreitung anspruchsvoller, wissenschaftlich fundierter und zugleich aktueller Beiträge zur Politik und Zeitgeschichte zur Verfügung stand. Wie sich das Publikationsprogramm von APuZ im ersten Jahrzehnt entwickelt hat, habe ich in einer Inhaltsanalyse in einem ersten Umriss untersucht.[2] Ganz überwiegend sind die Beiträge wissenschaftlich fundiert, informativ und differenziert, Autorenkreis und Themenspektrum haben sich zunehmend erweitert. Im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus habe ich nur wenige Beiträge gefunden, die – wie es doch dem „Zeitgeist“ entsprochen hätte – durch aufgeladene Polemik bestimmt waren. Vorherrschend war eine faktenorientierte Information, die ich als „rationalen Antikommunismus“ bezeichnet habe. Franken hat mit APuZ seine wichtigste berufliche Spur hinterlassen, und alle Redakteurinnen und Redakteure sind der damit verbundenen Herausforderung stets aufs Neue gerecht geworden, eine Einschätzung, die ich seit zehn Jahren in meiner neuen Rolle als neugieriger Leser immer wieder bestätigt finde.

Welche Erinnerungen haben Sie an den historischen Herbst 1989 und die deutsche Vereinigung 1990?

Die Maueröffnung habe ich sozusagen live erlebt. Die von der bpb zum Staatsgründungsjubiläum im Reichstagsgebäude veranstaltete Tagung „Vierzig Jahre politische Bildung in der Demokratie“ hat mich am Tag nach der Maueröffnung nach Berlin geführt. Dort bin ich nachmittags in einer Konferenzpause noch zaghaft selbst auf die Mauer direkt vor dem Brandenburger Tor geklettert. Auf der Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus habe ich abends Willy Brandt gehört – ein unvergessliches Erlebnis in einer hoch emotionalen Atmosphäre, in der sich kaum jemand vorstellen konnte, wie sich in einem Prozess fortschreitender Beschleunigung der Weg zur staatlichen Wiedervereinigung vollziehen würde. In den folgenden Monaten bin ich wiederholt im „Haus der Demokratie“ gewesen, wo wir die unabhängigen Bürgerbewegungen im Hinblick auf die erste demokratische Volkskammerwahl mit unseren Materialien und mit Seminarprojekten unterstützen wollten. Ich hatte vor allem einen persönlichen Kontakt zur “ Initiative Frieden und Menschenrechte“ gefunden, woraus erste gemeinsame Publikationspläne mit Armin Mitter und Stefan Wolle entstanden sind. Diese publizierten bereits im Februar 1991 in APuZ Beiträge über das Ministerium für Staatssicherheit. Nach Auflösung des dem vormaligen Ministerium für innerdeutsche Beziehungen unterstellten Gesamtdeutschen Instituts (GDI) Anfang 1992 wurde der bpb die administrative Verantwortung für das „Deutschland Archiv“ übertragen. Durch diese Entscheidung und die Übernahme zahlreicher Kolleginnen und Kollegen aus dem GDI rückten die Geschichte der DDR und der deutsche Einigungsprozess in den 1990er Jahren in den Mittelpunkt unserer Arbeit. Die erste Buchmesse, an der die bpb als Ausstellerin in der traditionsreichen Buch- und Messestadt Leipzig präsent sein konnte, fand im April 1991 statt. Auf dieser Messe war die Nachfrage nach unseren Publikationen bei zahllosen ostdeutschen Besuchern besonders auffällig. Favorit war das „Kleine Rechtswörterbuch“ – symptomatisch für den frühen Wunsch nach Orientierung über den Rechtsstaat. Wichtig war auf dieser Messe auch die Begegnung mit Christoph Links, der mit seinem neu gegründeten Verlag ein intensiver Gesprächspartner wurde, mit dem die bpb in der Folgezeit zahlreiche Kooperationen realisiert hat. In dem gemeinsam projektierten Werk „DDR-Geschichte in Dokumenten“ (1998) ist übrigens erstmals der „Schießbefehl“ dokumentiert worden.

Wie schätzen Sie den zurückgelegten Weg zur in den 1990er Jahren viel zitierten „inneren Einheit“ Deutschlands ein? Welche Rolle spielte dabei die Arbeit der bpb?

Nachdem seit der deutschen Wiedervereinigung, die tatsächlich eine Neuvereinigung war, mehr als zwei Jahrzehnte vergangen sind, ziehe ich eine entschieden positive Bilanz. Das gilt insbesondere für das zurückliegende Jahrzehnt; denn für die jüngere Generation ist die DDR in eine historische Distanz gerückt, die nicht mehr mit der eigenen Lebensgestaltung verbunden ist. Heute stehen die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten im Vordergrund, für die jungen Ost- wie für die Westdeutschen, denen die Einheit zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Politisch und gesamtgesellschaftlich betrachtet hinterlässt das erste Jahrzehnt dagegen einen zwiespältigen Eindruck. Die unvergessliche Euphorie des Anfangs war schnell verflogen, die schockbehaftete Geschichte der Treuhand hat manche Illusionen zerstört, die gesamtdeutsche Solidarität nicht alle Bewährungsproben bestanden. Bedrückt hat mich der Umstand, dass viele aus der Generation der Älteren im Osten unseres Landes die beruflichen Chancen des Neubeginns nicht nutzen konnten und unerwartet erleben mussten, was Arbeitslosigkeit zumal als psychische Belastung bedeutet. Bereichernd war dagegen von Anfang an der persönliche Kontakt zu vielen Menschen, die in der DDR im „aufrechten Gang“ gelebt hatten. In solchen Begegnungen hat sich die innere Einheit wie selbstverständlich ergeben. Daraus sind für meine Arbeit in der bpb viele wichtige Projekte erwachsen. Vor allem möchte ich Ehrhart Neuberts „Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989“ (1997) und Stefan Wolles „Die heile Welt der Diktatur“ (1998) erwähnen. In diesen bis heute wichtig gebliebenen Schriftenreihebänden konnten sich ostdeutsche Autoren aus jüngeren Generationen profilieren, die Wissenschaft und Erfahrungskompetenz überzeugend zu verbinden wussten. Aus dem intensiven Gedankenaustausch mit dem Leipziger Kultursoziologen Bernd Lindner ist seinerzeit auch eine neue Publikationsreihe, „Deutsche ZeitBilder“, entstanden, die seit 1998 in verschiedenen Ausgaben Aspekte der DDR-Geschichte in einer neuen Darstellungsform mit einer spezifischen Verbindung von Text und Bild in den Blick rückt. Lindner hat in dieser Reihe die erste Publikation „Die demokratische Revolution in der DDR“ vorgelegt, ebenfalls ein Longseller. Wer sich umfassend über die zahlreichen Aktivitäten der bpb im deutschen Einigungsprozess informieren möchte, findet detailliert Aufschluss in dem Bericht, den die bpb der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ 1997 vorgelegt hat.[3] Besonders wichtig scheint mir dabei der Beitrag, den die bpb zur Ausbildung von Politik- und Gemeinschaftskundelehrern geleistet hat. In einem von der bpb betreuten zertifizierten Fernstudium konnten rund 2500 vormalige Lehrkräfte der Fächer Geschichte und Staatsbürgerkunde die Qualifikation für das neu eingerichtete Fach Politik/Gemeinschaftskunde erwerben. Apropos: Bereits 1988 war mir in der „Frankfurter Rundschau“ die bemerkenswerte Situationsanalyse eines jungen evangelischen Vikars aus der „Kirche von unten“ aufgefallen, den ich im gleichen Jahr in einem Beitrag für die gesamtdeutsche Zeitschrift „Niemandsland“ zitiert habe. Der Autor: Thomas Krüger. Später hat sich herausgestellt, dass wir manche gemeinsamen Freunde in der DDR hatten, doch persönlich begegnet sind wir uns erst, als er 2000 Präsident der bpb wurde. Mit ihm bin ich in einer Art ursprünglichem Einvernehmen nach einer leider nur kurzen gemeinsamen Arbeitsperiode bis heute verbunden geblieben. Die Ausstellung „Mauersprünge“ (2002) mit ost- und westdeutscher Kunst und Kultur der 1980er Jahre ist dafür ein wichtiges Zeugnis.

Wie „unabhängig“ war die Bundeszentrale „zu Ihrer Zeit“, und wie wichtig ist diese Unabhängigkeit für das Renommee und die Breitenwirkung des Hauses, das ja in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag begeht?

In der Zeit, als ich für die bpb tätig war, das gilt für das Ostkolleg ebenso wie für mehr als 20 Jahre in meinem Verantwortungsbereich für Publikationen, habe ich feststellen können, dass das BMI die Unabhängigkeit unserer Arbeit immer weitestgehend respektiert hat. Eine Ausnahme bildet eine kurze Periode am Anfang der 1960er Jahre, in der Innenminister Gerhard Schröder eine der Drucklegung vorausgehende Prüfung wichtiger Publikationen durch das BMI verfügt hat, die als „Maulkorberlass“ in die Geschichte eingegangen ist, ohne dass aus dieser in der Presse seinerzeit heftig kritisierten Maßnahme tatsächliche Publikationsverbote hervorgegangen wären. Nach meiner Überzeugung ist der wichtigste Garant für die Unabhängigkeit der bpb das Kuratorium aus Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen gewesen, das auch in schwierigen Situationen unser Haus nachdrücklich und fraktionsübergreifend unterstützt hat. Hier wären viele Namen aus allen politischen Lagern zu nennen, die ich hier nicht im Einzelnen würdigen kann. Dem Kuratorium war es zu verdanken, dass seit Juli 1990 für „Das Parlament“ ein Redaktionsstatut wirksam wurde. Es garantierte die Handlungsfreiheit der Redaktion gegenüber zuvor nach der Geschäftsordnung zulässigen Eingriffen des Direktoriums, insbesondere bei den selbst konzipierten „Themenausgaben“. Schließlich war das Kuratorium auch maßgeblich an der Wiederherstellung der Einzelleitung des Hauses durch einen Präsidenten im Jahr 1992 beteiligt. 1973 hatte die sozialliberale Koalition mit der Begründung politischer Ausgewogenheit an der Spitze des Hauses ein Dreierdirektorium mit je einem Vertreter, der von CDU/CSU, SPD und FDP nominiert werden konnte, installiert. Dieses hat sich in mancher Hinsicht als schwer praktikabel erwiesen, weil es in dieser Leitungsstruktur ein Vetorecht bei strittigen Sachverhalten gab, das die Arbeit mitunter erschwerte. Und last but not least: Nach Einführung des Wissenschaftlichen Beirats, der bereits bei Gründung des Hauses vorgesehen war, aber erst 1970 erstmals berufen worden ist, hat sich auch dieses Gremium bis heute immer wieder als wichtige, kompetente und wertvolle Hilfe erwiesen.

APuZ, Schriftenreihe und die „Informationen zur politischen Bildung“ sind bis heute Flaggschiffe der bpb. Welche Zukunft haben gedruckte Medien?

Wir sollten uns erinnern: Bücher hat es – spätestens seit Aristoteles – schon vor rund 2400 Jahren gegeben, lange bevor der Buchdruck in der vor 550 Jahren entstandenen Gutenberg galaxy (Marshall McLuhan) ihre massenhafte Verbreitung ermöglicht hat. Im digitalen Zeitalter entsteht leicht ein Missverständnis: Wer gezielt Einzelinformationen sucht, kann diese mit einem Mausklick in zuvor ungeahnter Geschwindigkeit elektronisch abrufen, „googeln“, wie inzwischen auch der „Duden“ konstatiert. Wer freilich in einem Wissensgebiet den aktuellen Forschungsstand in der Form eines geordneten, ja „vernetzten“ Überblicks erfassen möchte, bleibt auf den „Typus Buch“ auch künftig angewiesen. Es ist dabei nachrangig, ob ein solches „Buch“ seine Nutzer als Handschrift, durch Kopien verbreitet, in Druckfassung oder elektronisch erreicht. Die Grundfrage der Buchproduktion bleibt aktuell: Wie muss ein Werk gestaltet sein, um nicht nur (Einzel-)Information, sondern systematisch Bildung zu vermitteln? Es ist heute allenfalls in Umrissen vorstellbar, wie sich im digitalen Zeitalter das jahrhundertelange „Leitmedium“, das technologisch durch den Computer abgelöst worden ist, in einen Medienverbund einfügen könnte, ohne seine unverzichtbare Funktion der „Überschaubarkeit“ in klaren Strukturen und Ordnungsmustern zu verlieren. Norbert Bolz hat dafür in einem aufschlussreichen Buch die Stichworte „Wissensdesign“ und „Hypermedia“ gefunden. Es handelt sich hierbei um Such- und Gestaltungsprozesse, in denen – navigierend auf verschiedenen Ebenen und mit einer Überfülle von Informationen konfrontiert – sich schließlich in neuen Verknüpfungen „autorenlose Texte, die sich gleichsam im Lesen schreiben“,[4] generieren und damit auch die Grenzen zwischen Urheber und Nutzer verwischen.

Was wünschen Sie der staatlichen politischen Bildung im digitalen Zeitalter?

Dass sie unabhängig bleibt, personell und finanziell ausreichend ausgestattet wird, kreativ und zielgruppenorientiert neue Wege beschreitet und dabei ihre Markenkerne erhält. Es ist bezeichnend, dass der Visionär Thomas Morus, Autor der „Utopia“ (1516), als der Urheber eines häufig Gustav Mahler zugeschriebenen Diktums gilt, das Kontinuität und Wandel in einen sinnhaften Zusammenhang stellt: „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Diese Einsicht sollte auch die Zukunft der bpb begleiten.

Fußnoten

  1. Das Gespräch fand Ende September 2012 in Bonn statt.
  2. Vgl. Rüdiger Thomas, Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung, 16.5.2012, »http://www.bpb.de/136249« (1.11.2012), gekürzte Fassung in: Deutschland Archiv, 45 (2012) 2, S. 277–290.
  3. Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Der Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung zur Förderung des Prozesses der deutschen Einheit, in: Materialien der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, Bd. VII, Baden-Baden–Frankfurt/M. 1999, S. 159–227.
  4. Vgl. Norbert Bolz, Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse, München 1993, S. 183–233, hier: S. 223.

Quelle: http://www.bpb.de/apuz/148222/bildungsgeschichten-vergangenheit-und-zukunft-der-bpb

Literatur-Geschichten

 

Deutschland Archiv 5/2011 – Literaturjournal

Literatur-Geschichten

Kurzbeschreibung:

Die Verlagsgeschichte von Kiepenheuer bietet einen interessanten Einblick in 100 Jahre deutscher Zeitgeschichte, das Hamburger Autoren-Streitgespräch von 1961 ist ein bezeichnendes Kapitel deutsch-deutscher Literaturgeschichte.

Siegfried Lokatis/Ingrid Sonntag (Hg.): 100 Jahre Kiepenheuer-Verlage, 424 S., Berlin: Links 2011, € 29,90, ISBN: 9783861536352.

Jens Thiel (Hg.): Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West 1961. Eine Dokumentation, 448 S., Berlin: Aurora 2011, € 19,95, IBSN: 9783359025160.

Es sind schon 15 Jahre vergangen, seit Wolfgang Emmerichs „Kleine Literaturgeschichte der DDR“ zuletzt erschienen ist. Das erstmals 1981 bei Luchterhand publizierte Werk ist seinerzeit in einer erweiterten Neuausgabe im Leipziger Kiepenheuer Verlag veröffentlicht worden, und noch immer warten wir auf eine neue Gesamtdarstellung der Literaturgeschichte der DDR, die jetzt auf der Basis umfassend zugänglicher Quellen und mit einem vom politischen Systemantagonismus befreiten Blick die Literatur, die im östlichen Teil Deutschlands entstanden ist, bilanziert und gleichzeitig die Autoren und Bücher würdigt, die nun schon zwei Wiedervereinigungsjahrzehnte reflektieren.

Statt dessen sind bis heute zahlreiche Publikationen vorgelegt worden, die einzelne Aspekte zur Literaturentwicklung thematisieren und die sich nur schwer zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen. Wo wir vergeblich auf die „große Erzählung“ warten, müssen Einzelbeschreibungen die Neugier auf das Unabgegoltene wachhalten.

 „100 Jahre Kiepenheuer-Verlage“ 

Über Innenansichten des Literaturbetriebs geben Publikationen Auskunft, die Verlagen aus der DDR gewidmet sind. Ein exemplarischer Beitrag ist der von Simone Barck und Siegfried Lokatis herausgegebene Sammelband „Fenster zur Welt“ (Berlin 2003), der die Geschichte des Verlages Volk und Welt vorstellt. Das Werk überzeugt durch eine facettenreiche Komposition mit mehr als 80 Einzelbeiträgen, weil es die Schwierigkeiten und Erfolge des Verlages bei seinem beharrlichen Bemühen um eine Öffnung zur literarischen Welt und zur ästhetischen Moderne perspektivenreich und anschaulich beschreibt. Seit März dieses Jahres haben wir einen neuen überzeugenden Grund, den Erkenntnis- und Unterhaltungswert von Verlagsgeschichten hervorzuheben. Der von Siegfried Lokatis und Ingrid Sonntag herausgegebene Sammelband „100 Jahre Kiepenheuer-Verlage“ ist ein Unikum in der deutschen Verlagsgeschichte. Er beschreibt eine Entwicklung, die mit dem wagemutigen Verleger Gustav Kiepenheuer 1910 in Weimar ihren Anfang nimmt und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in zwei getrennten Verlagen im Osten und Westen Deutschlands auf höchst verschiedene Weise und unter den Bedingungen des Kalten Krieges fortgesetzt wird. So vermittelt dieses Buch auch ein Exempel der intellektuellen Teilungsgeschichte der Deutschen, bevor die Wiedervereinigung schließlich 2010 das Ende des ostdeutschen Verlages zur Folge hat.

Wer in diesem lobenswerten Buch eine lineare monografische Erzählung vermisst, wird schnell die Vorzüge dieses Sammelbandes schätzen lernen, zu dem 40 Insider, Zeitzeugen und Buchforscher facettenreich beigetragen haben. Der damit verbundene Perspektivenwechsel macht die Lektüre besonders reizvoll und die dem Leser überlassene Herausforderung, aus den vielen Einzelsichten selbst ein Gesamtbild zusammenzufügen, steigert die kulturgeschichtliche Neugier und intensiviert das Leseerlebnis.

Siegfried Lokatis bemerkt in seiner Einleitung, dass es sich hier um die „vielleicht spannendste Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts“ handelt. „Gleich einem Proteus wechselt dieser Verlag die Gestalt, Ort und Programm, Größe, Namen und rechtliche Form, er bildet Absplitterungen und vervielfältigt sich.“ (12)

Die Geschichte beginnt mit dem Weimarer Sortimentbuchhändler Gustav Kiepenheuer, der am 1. April 1910 unter seinem Namen einen eigenen Verlag gründet. Nach Anfängen mit buchkünstlerischen Editionen findet Kiepenheuer nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 in Potsdam einen neuen Standort und übersiedelt 1929 schließlich nach Berlin. Die Potsdamer Jahre werden, in einem eigenen Kapitel gewürdigt, als die „goldenen Zwanziger“ zu einem Höhepunkt in der Verlagsgeschichte. Gustav Kiepenheuer wird zur wichtigen Heimstatt des literarischen Expressionismus, hier erscheinen Werke von Bertolt Brecht und Anna Seghers, zu den Autoren zählen Gottfried Benn, Heinrich Mann, Arnold Zweig, Carl Zuckmayer, aber auch Georg Bernhard Shaw und Upton Sinclair. Zu einer Legende wird der Europa-Almanach (1925), den Dirk Heißerer als eine „einzigartige Summe der künstlerischen Strömungen“ (92) in Literatur und bildender Kunst würdigt, projektiert und komponiert von Hermann Kasack und Carl Einstein gemeinsam mit dem Kunstexperten Paul Westheim. Schon in Berlin publiziert Kiepenheuer 1932 Joseph Roths „Radetzkymarsch“, einen der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts.

Die Zeit des Nationalsozialismus wird zum dunkelsten Kapitel der Verlagsgeschichte, 75 Prozent der Verlagsproduktion werden verboten, teilweise vernichtet, viele Autoren müssen das Exil wählen, ebenso wie der Verlagslektor Fritz Landshoff, der sie nun im Amsterdamer Exilverlag Querido publiziert. Der Mut Kiepenheuers zeigt sich an der Veröffentlichung von Otto Pankoks „Die Passion Christi“ (1937), die heftige Schmähungen des berüchtigten SS-Organs „Stürmer“ provoziert und ein Verbot nach sich zieht. Als ein bitterer Kommentar auf die hoffnungslosen Zeitumstände erscheinen 1942 noch Goyas „Caprichos“. Schon längst angefeindet und in seinen verlegerischen Aktivitäten einschneidend behindert, wird der Verlag schließlich im August 1944 durch die NS-Reichsschrifttumskammer geschlossen.

Volker Wahl schildert in seinem Beitrag, wie es Gustav Kiepenheuer, der 1945 nach Weimar zurückkehrt, mit maßgeblicher Unterstützung durch Theodor Plivier, den Autor des „Stalingrad“-Romans, und Joseph Caspar Witsch, den Leiter der thüringischen Landesstelle für Buch- und Bibliothekswesen, nach monatelangen Bemühungen im März 1946 gelingt, eine Verlagslizenz für die SBZ zu erhalten. Kiepenheuer sondiert anschließend, diese Lizenz auf andere Besatzungszonen auszuweiten. Als Witsch, dem seine NS-Vergangenheit vorgeworfen wird, im März 1948 in den Westen flüchtet, bereitet er mit dem Einverständnis Kiepenheuers die Gründung der Gustav Kiepenheuer GmbH in Hagen (Westfalen) vor, die im März 1949 in das Handelsregister eingetragen wird. Als Gustav Kiepenheuer am 6. April 1949 stirbt, entschließt sich seine Frau Noa in der SBZ zu bleiben und dort den Weimarer Verlag fortzuführen. Der folgende Rechtsstreit zwischen Joseph Caspar Witsch und Noa Kiepenheuer wird am 21. Mai 1951 mit einem Vergleich beendet, der festlegt, dass fortan beide Verlage völlig getrennt voneinander agieren. Ab November 1951 firmiert der inzwischen in Köln ansässige Westverlag unter dem Namen Kiepenheuer & Witsch.

Während der Weimarer Verlag Gustav Kiepenheuer die Nachteile eines Privatunternehmens in der DDR im Hinblick auf Autorenlizenzen und Papierzuteilung immer stärker zu spüren bekommt und in Nischen abgeschoben wird[1], wobei Noa immerhin das Kunststück fertigbringt, ein Paris-Buch der Colette und 1967 eine erste Lasker-Schüler-Ausgabe in der DDR zu publizieren, gelingt Kiepenheuer & Witsch ein unaufhaltsamer Aufstieg. Dieser wird – wie Ingrid Boge zeigt – maßgeblich durch die Partnerschaft ermöglicht, die Joseph Caspar Witsch mit Fritz Landshoff eingeht. Dieser stützt ihn nicht nur durch eine relevante finanzielle Beteiligung, sondern wird vor allem durch die Vermittlung wichtiger Autoren, darunter Vicki Baum, Annemarie Selinko (mit ihrem Bestseller Désirée“), Erich Maria Remarque, Erich Kästner und Irmgard Keun unentbehrlich. Auch Heinrich Böll findet vor allem durch Landshoffs nachdrückliche Empfehlung zum Verlag. Vor diesem Hintergrund erscheint es höchst befremdlich, dass Landshoff im April 1953 von Witsch „aus dem Verlag hinauskatapultiert“ wird (243).

Wie Klaus Körner in seinem instruktiven Beitrag „Kiepenheuer & Witsch und der Kalte Krieg in Deutschland“ zeigt, engagiert Witsch sich zunehmend in enger Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen für Publikationen, die der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus dienen. Dieses Engagement reicht von Propagandaschriften und dem Vorgänger des „Deutschland Archivs“, dem „SBZ-Archiv“, bis zu Bestsellern wie Wolfgang Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ (1955) und Carola Sterns Ulbricht-Biografie (1964).

Als Witsch 1967 stirbt, kauft sein Schwiegersohn Reinhard Neven DuMont Kiepenheuer & Witsch. Unter seiner Leitung und nach dem Eintritt von Helge Malchow in das Lektorat (1981) gewinnt der Verlag ein linksliberales Profil. Neben dem Werk von Heinrich Böll, das weiter ein Kernstück des Verlagsprogramms bildet, wird Günter Wallraff zu einem der neuen Erfolgsautoren. 1985 erscheint bei KiWi (wie der Verlag sich selbst nun abkürzt) die von Elke Erb und Sascha Anderson herausgegebene Anthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ mit Texten unabhängiger junger Autoren aus der DDR, worüber Klaus Michael in einem aufschlussreichen Text berichtet.

Wenn es einen kleinen Mangel gibt, dann kommt die Verlagsgeschichte des letzten Vierteljahrhunderts in diesem Sammelband zu kurz, das gilt auch für die späten Jahrzehnte des ostdeutschen Verlages, den – neben Informationen über die Abwicklung von Kiepenheuer – nur noch ein kurzer, Programmschwerpunkte skizzierender Beitrag von Thorsten Ahrend streift.

Das wichtigste Kapitel des Sammelbandes ist der „Kiepenheuer Verlagsgruppe Leipzig und Weimar 1977–1990“ gewidmet. Als Noa Kiepenheuer, die den privaten Verlag mit wenigen Glanzlichtern über zwei Jahrzehnte am Leben erhalten konnte, im November 1971 stirbt, ist die Zukunft des Verlages höchst ungewiss, zumal seine Lizenz zu diesem Zeitpunkt auf Ende 1973 beschränkt ist. Es beginnt eine Übergangszeit von sechs Jahren, in der von den kulturpolitischen Instanzen verschiedene Integrationsmodelle sondiert werden. Die Tochter Noas, Eva Mayer, ist zunächst nicht bereit, den Status des Verlages preiszugeben. Sie erklärt aber schließlich ihre Bereitschaft, einer Übernahme in „Volkseigentum“ zuzustimmen, was das Privatunternehmen vor einer Zukunft als Staats- oder Parteiverlag bewahren soll.

Schließlich wird 1977 mit den Privatverlagen Insel, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung und Paul List die Kiepenheuer-Gruppe gebildet, treuhänderisch verwaltet von der Hauptverwaltung Verlage im Ministerium für Kultur – ein ökonomischer Sonderfall, bei dem freilich der Einfluss der SED gewahrt bleibt. Seit 1979 wird die Kiepenheuer-Gruppe von Roland Links geleitet, der 1954–1978 bei Volk und Welt zuletzt als leitender Lektor tätig gewesen war. Dem neuen Verlagschef gelingt es mit Geschick und Beharrlichkeit, die Personen und Ressourcen der vereinigten Verlage zusammenzuführen und ein Verlagsprogramm zu entwickeln, das neben einem kulturgeschichtlichen Schwerpunkt auch Veröffentlichungen von in der DDR beargwöhnten Autoren wie Sigmund Freud und Franz Kafka (1982) durchzusetzen vermag, während seine Versuche, Nietzsche und Schopenhauer zu publizieren, am Widerstand der Zensoren scheitern. Dass nicht nur die SED-Kulturpolitik Schranken setzt, sondern auch Interessenkonflikte zwischen den DDR-Verlagen ausgetragen werden, illustriert die Kontroverse zwischen Reclam und Kiepenheuer um die Edition einer „Kamasutram“-Ausgabe, die ein Briefwechsel zwischen den rivalisierenden Verlagen dokumentiert, den der Illustrator Lothar Reher zur Verfügung gestellt hat.

Zu den berührenden Texten des Sammelbandes zählt der Beitrag von Ernst-Peter Wieckenberg über die „Bibliothek des 18. Jahrhunderts“, die der Cheflektor von C. H. Beck gemeinsam mit Roland Links 1981 vereinbart hat. Sie wurde als gemeinsames Projekt konzipiert, in Leipzig hergestellt und von beiden Verlagen in ihrem jeweiligen Währungsgebiet vertrieben. Wieckenberg schildert eindrucksvoll die Atmosphäre dieser Zusammenarbeit, hebt die Akribie des Leipziger Lektorats hervor, berichtet von den produktionstechnischen Problemen und rühmt die List seines Partners. Er porträtiert Roland Links treffend, wenn er ihn als einen Verleger beschreibt, der, Jean Cocteau zitierend, wissen wollte, „bis wohin man zu weit gehen könne“ (330) und würdigt seine ostdeutschen Kollegen mit dem Resümee, „dass unser Respekt vor der intellektuellen Leistung und der moralischen Anstrengung vieler Kollegen in der DDR im Laufe der Jahre wuchs. Und ich wage die Behauptung, dass die Entfremdung zwischen den kulturellen Eliten der DDR und der Bundesrepublik noch größer gewesen wäre, wenn es solche Kontakte vor 1989 nicht gegeben hätte.“ (338)

Kurzum: „100 Jahre Kiepenheuer-Verlage“ ist ein rundum gelungenes Buch, ein spannendes Kapitel aus der deutschen Kulturgeschichte und ein wirkliches Lesevergnügen.

„Ja-Sager oder Nein-Sager“

Ein interessantes Kapitel der deutschen Literaturgeschichte betrifft die Kontakte zwischen den Schriftstellern aus den beiden antagonistischen Staaten. Der von Jens Thiel herausgegebene Band „Ja-Sager oder Nein-Sager“ dokumentiert ein „Lehrstück aus dem Kalten Kulturkrieg“ (7), „von Abstoßung und Annäherung, von Konfrontation und Kooperation“ (23) gekennzeichnet. Es ist ein Drama in zwei Akten, das hier in einer kenntnisreichen Einleitung des Herausgebers vorgestellt und in seinem Ablauf und seiner Rezeptionsgeschichte ausführlich dokumentiert wird. Es beginnt mit einer Blamage für die freiheitliche Demokratie, die mit einem listigen Unternehmen des in der DDR residierenden Pen-Zentrums Ost und West „tolpatschig“ wie ein „Elefant im PEN-Club“ umgeht – so konstatiert die „FAZ“ süffisant das Ende einer gescheiterten Westexpedition.

Thiel rekapituliert knapp die Vorgeschichte: Nachdem es Ende 1948 Erich Kästner und Johannes R. Becher gelungen war, die Aufnahme eines PEN-Zentrums Deutschland in den 1921 gegründeten internationalen Schriftstellerverband PEN zu erreichen, kam es 1951 zu seiner Spaltung. Als in Darmstadt 1951 desillusioniert ein separates Deutsches PEN-Zentrum Bundesrepublik entstanden war, verfolgte die DDR mit dem von ihr gesteuerten PEN-Zentrum Ost und West, dem nur noch wenige westdeutsche Schriftsteller (darunter Johannes Tralow als Präsident bis 1960) angehörten, eine eigene kulturpolitische Strategie. Obwohl sie zuvor beschlossen hatte, ihre Kongresse in Berlin abzuhalten, wurde die XII. Generalversammlung des PEN-Zentrums Ost und West für den 7.–9. Dezember 1960 kurzfristig nach Hamburg einberufen. Die Durchführung der geplanten Veranstaltung endete, bevor sie beginnen konnte, in einem Eklat, als die ursprünglich zugesagten Veranstaltungsräume, vorwiegend in der Hamburger Universität, kurzfristig verweigert wurden und der Polizeipräsident eine Pressekonferenz abrupt beenden ließ. „Die Zeit“ reagierte auf dieses politisch motivierte Verbot gegen eine vom Amt für Verfassungsschutz als „kommunistische Tarnorganisation“ eingestufte Vereinigung mit einem Artikel „Die roten Dichter und Hamburgs Polizei“, in dem sie den buchstäblich aus Hamburg hinausgeworfenen ostdeutschen PEN-Akteuren anbot, die geplante Veranstaltung auf eigene Kosten und in ihren Redaktionsräumen durchzuführen. Dass der Herausgeber der „Zeit“, Gerd Bucerius, der damals zugleich Bundestagsabgeordneter der CDU war, im RIAS wenige Tage später seine Ablehnung äußerte, sich „hinter eine Maginotlinie des Geistes zurückzuziehen“ (Dok. 52, 151), war eine unzweideutige Antwort auf die Schelte der Presseabteilung der CDU/CSU-Fraktion, die gegen das „Zeit“-Angebot vom 16. Dezember noch am gleichen Tag entrüstet protestiert und konstatiert hatte, die Redaktion hätte ihre Einladung besser „an jene schriftsteller gerichtet, die aus der zone nach berlin und westdeutschland flüchten mussten (…).“ (Dok. 42, 138)

Das von der „Zeit“ angebotene „Hamburger Streitgespräch“ fand am 7. und 8. April 1961 in der Hamburger Universität statt. Zwar wurden die ursprünglich vorgesehenen Themen aufgenommen, doch wurde aus der intern geplanten Veranstaltung nun ein wirklicher Ost-West-Dialog. Der Ablauf sollte festgelegten Spielregeln folgen. Ost- und Westdeutsche sollten unter abwechselnder Moderation auf zwei Podien, für die von jeder Seite drei Teilnehmer bestimmt wurden, gemeinsam diskutieren. Dafür war einige Prominenz aufgeboten: darunter aus der DDR Arnold Zweig, der ostdeutsche PEN-Präsident, Wieland Herzfelde, Stephan Hermlin, Peter Hacks und Hans Mayer, aus der Bundesrepublik Siegfried Lenz, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Marcel Reich-Ranicki und Martin Beheim-Schwarzbach. „Tolstoj, die Krise der Kunst und wir“ bildete den herantastenden Auftakt, das zweite Podium „Der Schriftsteller in Ost und West“ erwies sich als der brisante Höhepunkt, vom Feuilletonchef der „Zeit“, Rudolf Walter Leonhardt moderiert, der abschließend von einem „Pulttrauma“ sprechen sollte. In einem lebhaften Streitgespräch, das vor allem durch Reich-Ranicki geprägt war, wurden grundlegende Konflikte offengelegt, ohne dass es zu einem Eklat gekommen wäre.

Martin Beheim-Schwarzbach, der dieses Podium einleitete, verdanken wir den Buchtitel, als er feststellte: „Ein Problem, das in Anwesenheit von Kollegen und Gästen aus dem ach so fernen Osten naheliegt zu behandeln, ist natürlich das Problem der littérature engagée oder non-engagée, was man mit seinen mehrfachen Verzweigungen auch noch mit anderen Namen bezeichnen kann, etwa der zweckgebundenen und der zweckfreien Literatur oder auch des Konformismus und des Nonkonformismus, oder, wie einige es auch ausdrücken, der Ja-Sager und Nein-Sager“. (Dok. 83, 251)

Weniger zurückhaltend formulierte Reich-Ranicki seine Kritik an der DDR-Kulturpolitik, als er – mit vielen Beispielen untermauert und an die Zensurpraxis erinnernd – lapidar feststellte: „Ich glaube, daß die Weltliteraur des 20. Jahrhunderts praktisch in der Deutschen Demokratischen Republik unterdrückt, ignoriert, teilweise bekämpft, teilweise totgeschwiegen wird.“ (Dok. 83, 264). Es ist eine ironische Pointe, dass Hans Mayer, der zwei Jahre später in die Bundesrepublik übersiedelt, gegen diese furiose Attacke eine Verteidigung des ostdeutschen PEN versucht, indem er diesen vom Regierungshandeln trennt und seine persönlichen Aktivitäten hervorhebt, die literarische Kommunikation zwischen den beiden Deutschländern aufrechtzuerhalten: „[Walter] Jens, Enzensberger und Ingeborg Bachmann sind im vorigen Jahr mit Peter Huchel und Hermlin bei unseren Studenten gewesen. Es ist noch nicht vier Wochen her, daß Günter Grass auf meine Einladung in Leipzig gewesen ist und aus der ‚Blechtrommel‘ und den Gedichten vorgelesen hat. Werke also, die durchaus, wenn Sie so wollen, in einem offiziellen Sinn als dekadent, als antihumanistisch bezeichnet werden.“ (Dok. 83, 271)

Als Mayer die von Reich-Ranicki kritisierte Blockierung von Autoren weltliterarischer Bedeutung in der DDR vornehmlich als Devisenproblem erklärte, konnte er freilich nur Gelächter ernten, zumal darunter auch wichtige sowjetische und polnische Autoren waren. Hier zeigte sich, dass öffentliche Streitgespräche an Grenzen stoßen mussten, wo der Konflikt zwischen intellektueller Erkenntnis und politischer Loyalität nicht mehr auflösbar schien. Pikant ist ein Nachspiel: Wie Hermann Kant die Debatte empfunden hat, verrät ein (erstmals 1995 von Karl Corino in „Die Akte Kant“ veröffentlichter) Treffbericht Hermann Kants über das Hamburger Streitgespräch vom 25. April 1961 (das die Schreibfehler eines ignoranten Stasi-Mitarbeiters beibehält): „Bei der zweiten Veranstaltung fing der Pole REICH-RANITZKI sofort die Diskussion mit dem Problem HARICH und dem Nichterscheinen bestimmter Bücher in der DDR an. Am stärksten wurde er von dem Leipziger Literaturprofessor MEYER angegriffen und geschickt gekontert. MEYER, der bei uns sonst eine schwankende Haltung einnimmt und mitunter aggressiv gegen unsere Linie auftritt, vertrat dort sehr konsequent unsere Auffassungen. Da man die sonstige Haltung von MEYER in Westdeutschland gut kennt, lösten seine Ausführungen Bewegung unter den Zuhörern aus und seine Diskussion kam, wie man in späteren Diskussionen feststellte, gut an.“ (Dok. 116, 384)

Das Protokoll des Hamburger Streitgesprächs hat „Die Zeit“ bereits im Mai 1961 unter dem Titel „Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager?“ publiziert, ohne die Beiträge der Beteiligten freilich autorisieren zu lassen, was einige kritische Reaktionen (bei dem ostdeutschen Heinz Kamnitzer ebenso wie bei dem westdeutschen Hans Magnus Enzensberger) auslöste. Jens Thiel hat in seiner Dokumentation auf das Fragezeichen verzichtet, ohne diesen Unterschied zu erklären. Das von ihm herausgegebene Buch führt aber über die Protokollbroschüre weit hinaus, weil es durch die beigefügten Dokumente, die vom Herausgeber mit instruktiven Erläuterungen ergänzt wurden, die Umstände erhellt, in denen sich Dialogversuche im kulturellen Leben eines gespaltenen Landes vollzogen haben.

Es ist eine gute Entscheidung, die Dokumentation mit Statements abzuschließen, die wenige Wochen nach der Hamburger Begegnung auf dem V. Schriftstellerkongress in Ost-Berlin formuliert worden sind (Dok. 121, 401ff). Hier setzte sich Hermann Kant, der zu diesem Zeitpunkt noch kein eigenes Buch veröffentlicht hatte, als beflissener Literaturfunktionär in Szene, der in dünkelhafter Manier über die Literatur aus der Bundesrepublik urteilte: „Der Zirkel, mit dem viele westdeutsche Schriftsteller ihren Standpunkt umgreifen, ist nicht sehr weit geöffnet. Die soziale Fläche, die in ihrem Werk erscheint, wirkt oft außerordentlich beschränkt.“ Auch auf die eingeladenen Gäste Martin Walser und Günter Grass nahm Kant wenig Rücksicht. Zwar konzedierte er den beiden prominenten westdeutschen Autoren, daß es ihnen „ganz offensichtlich weder an Talent noch am langen Atem des Epikers gebricht“, doch wandte er gegen die „Blechtrommel“ ein: „Mit den Augen eines physischen und psychischen Monstrums läßt sich nichts anderes sehen, als das, was Oskar Matzerath sah und wie er es sah.“ Leider zitiert Thiel diese Passage nicht, weil er sich auf Kants Kommentar zum Hamburger Streitgespräch beschränkt. Günter Grass reagierte auf Kant in der gebotenen Schärfe, die auch als nachgetragene Ergänzung zu dem Hamburger Streitgespräch angesehen werden kann: Kant hatte den abwesenden Enzensberger heftig angegriffen, der vor einem „Bürgerkrieg“ gewarnt hatte. Grass protestierte entschieden, indem er Kants Attacke „sehr demagogisch“ nannte: „Was fehlt diesem Staat nach meiner Meinung? Ein Lyriker wie Enzensberger dürfte hier gar nicht den Mund aufmachen, wenn er Bürger der DDR wäre. (…) Lassen Sie Taten sehen! Geben Sie den Schriftstellern die Freiheit des Wortes!“ (Dok. 121, 404)

Wenige Monate später wurde die Mauer in Berlin errichtet. Eine kulturelle Eiszeit war die Folge, und Günter Grass war nicht der Einzige, der den ostdeutschen Autoren öffentlich vorhielt, den Mauerbau zumindest stillschweigend zu dulden, denn: „Wer schweigt, wird schuldig“. Offizielle Kontakte zwischen den Schriftstellern waren unter diesen Bedingungen vorerst abgebrochen. Als sich Ende Januar 1963 Autoren der Gruppe 47 mit einigen Schriftstellern aus der DDR in der Evangelischen Akademie Weißensee trafen, geschah dies – unautorisiert und improvisiert – sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Erst im Mai 1964 glückte ein neuer politisch sanktionierter Dialogversuch, als es Hans Werner Richter gelang, in seiner vom SFB und NDR ausgestrahlten Sendung „Berlin X-Allee“ ein gesamtdeutsches Autorengespräch zu arrangieren, an dem Hermann Kant, Max Walter Schulz und Paul Wiens aus der DDR sowie Günter Grass, Uwe Johnson und Heinz von Cramer teilnahmen. Da wurde – von Johnson angestoßen – über die Frage reflektiert, ob es noch eine gemeinsame Sprache in der Literatur gäbe und Grenzen für die „ästhetische Freiheit“ verordnet werden dürften, was Grass vehement verneinte. Es wurden Pläne geschmiedet für Autorenlesungen im jeweils anderen Staat, aber am Ende stand doch die Desillusionierung: Es wurde erneut deutlich, dass die Schriftsteller den poltischen Fundamentalkonflikt zwischen beiden Staaten nicht überbrücken konnten, als Günter Grass an die aktuellen Schikanen gegen Robert Havemann erinnerte. Trotz manch gutgemeinter Absichtserklärungen hat dieses öffentliche Gespräch keine Fortsetzung gefunden.

Und wo die Leser den Autoren nicht persönlich begegnen konnten, haben sie Wege gefunden, sich auf mitunter abenteuerliche Weise zumindest deren Bücher zu verschaffen. Das wird beklemmend oder anekdotisch in dem lesenswerten Sammelband „Heimliche Leser in der DDR“ berichtet.[2] Dies alles sind deutsche Literatur-Geschichten, die eine gesamtdeutsche Literaturgeschichte nicht vergessen darf. Vor allem aus diesem Grund verdienen die beiden hier vorgestellten Bücher viele neugierige Leser. Sie werden mit der Lust der Erkenntnis reich belohnt.

 Fußnoten

1  Vgl. dazu auch Reiner Merker, „… und stets Künder seiner Zeit zu sein“? Neuausrichtung und Behauptung des Gustav Kiepenheuer Verlags zu Beginn der 50er-Jahre in der DDR, in der vorliegenden Ausgabe.

2  Siegfried Lokatis/Ingrid Sonntag (Hg.), Heimliche Leser in der DDR. Kontrolle und Verbreitung unerlaubter Literatur, Berlin 2008 (rezensiert in: DA 42 (2009)1, S.182f).

In: http://www.bpb.de/themen/Q13BYP,0,0,LiteraturGeschichten.html).

Wiederabdruck in: Deutschland Archiv 44(2011)2, S. 295-300.

Das Redaktionsgeheimnis

Das Redaktionsgeheimnis

Von außen betrachtet, ist eine Redaktion eine
ziemlich mysteriöse Angelegenheit, über die viele
mit Beklommenheit oder mit Argwohn sprechen.
Wenn man ratlos ist, zieht man gern das Lexikon
zu Rate, doch wird man damit auch nicht recht
klug. Die Franzosen haben den Begriff lanciert,
der seine Entstehung – wie vieles in unserer
Weltgegend – den alten Römern verdankt. Das
lateinische Verb „redigere“ kann man mit „eintreiben“,
aber auch „in einen Zustand bringen“ übersetzen,
und damit sind zwei wichtige Aufgaben
von Redakteuren genau umschrieben. Daneben
kannten schon die alten Römer die Wortverbindung
„redigere ad irritum“, was „vereiteln“ heißt,
womit die schwierigste Funktion einer guten Redaktion
beschrieben wäre. Wer erlesene Manuskripte
eintreibt, andere in einen guten Zustand
bringt und die Veröffentlichung mißglückter
Schreibversuche vereitelt, macht eine lesenswerte
Zeitschrift – so einfach ist das Rezept, aber leider
wirkt es nicht immer. Papier ist geduldig, und
mancher Autor und Leser möchte gern einmal
Kiebitz sein, um dem Geheimnis des „Redaktionsbetriebes“
auf die Spur zu kommen. Versuchen wir
also, den Schleier des Mysteriums zu lüften.
Am besten nähern wir uns der Sache mit unbefangener
Neugierde, wie es einem Redakteur geziemt.
Das Wort enthält – wenn man es ganz
naiv betrachtet – zwei Bestandteile, die gewissermaßen
das Lebenselixier jeder guten Redaktion
bilden: Rede und Aktion.
Was wäre eine Redaktion ohne Rede und Gegenrede,
ohne die Leidenschaft, Ideen auf dem Prüfstand
der Argumente zu erproben? Im Gespräch,
meist und am ergiebigsten auf den Korridoren
spontan improvisiert, seltener auf den von manchem
Autor gefürchteten Redaktionskonferenzen,
hinter deren unerbittlichen Beschlüssen sich
Redakteure gern zu verschanzen pflegen, wenn es
gilt, Manuskripte freundlich aber bestimmt zu retournieren
– im Gespräch erweist eine Redaktion,
ob sie ein lebendiger Organismus ist. Wer
diesen – von dampfendem Kaffee und leider
auch vom Dunstschleier qualmender Zigaretten
begleiteten – Kommunikationsprozeß von außen
beobachtet, gerät oft aus dem Staunen nicht
heraus: Da gibt es die Kompressoren, jene Redakteure,
die ständig unter Überdruck stehen, die
Moderatoren, die durch lakonische Einwürfe das
brodelnde Redaktionsgeschehen am Überkochen
hindern, die Zweifler, die das Wenn und Aber in
artistischen Sprachspielen beschwören, und die
Realisten, die unerbittlich an die verfügbare Zahl
der Ausgaben und die Erscheinungstermine erinnern.
Niemand vermag so recht zu erklären, wie
aus diesem eigentümlichen Konzert widerstreitender
Temperamente im furiosen Finale Konturen
deutlich werden, die mit dem lapidaren Begriff
der “ Redaktionsplanung“ völlig unzulänglich
beschrieben sind.
„Redaktion“ fängt beim Reden an und endet bei
der Aktion. Die intellektuellen Wolkenkuckucksheime
müssen auf den harten Boden der Tatsachen
zurückgeholt werden, prosaisch gesprochen:
Aus Glasperlenspielen müssen geordnete
Buchstabenkombinationen entstehen, damit der
Redakteur sein Handwerk beginnen kann. Wenn
die fremden Federn ihr Werk vollbracht haben,
beginnt die Kunst des Redigierens, die aus einem
Steinbruch, mitunter auch aus einer grotesken
Felsenmelodie, einen einschmeichelnden Traktat,
manchmal auch eine Symphonie mit dem Paukenschlag
entstehen läßt, wobei der wahre Redakteur
über jene Gabe der Täuschung verfügen
muß, die dem Autor den Eindruck vermittelt, er
habe dies alles selber vollendet.
Redakteure, die sich vor, zwischen oder nach getaner
Arbeit erholen möchten, bevorzugen gern
ein Ecklokal. Das beste ist Chrystas Bistro, ein
einladendes Kontor mit einer ewig jungen, optimistischen
Wirtin, die mit ihrem Charme gar ein
halbes Hundert in ihren Bann zu schlagen weiß
und mit Zahlen jongliert als wären es Gymnastikbälle.
Was wäre eine Redaktion ohne schöpferische
Pausen und ohne die dabei produzierten berühmt-
berüchtigten Spontan-Kommentare, die
zum Leidwesen neugieriger Zeitgenossen nie gedruckt
werden. So bleibt dieses Spektakel, das
Renitenztheater in der Bonner Residenzstadt,
den Stammgästen vorbehalten, die ihr Redaktionsgeheimnis
– sozusagen mit dem Dienstsiegel
einer lebens- und manchmal auch schadenfrohen
Verschwiegenheit – wohl zu hüten wissen,
auch wenn manchem dabei gelegentlich die
Ohren klingen müßten.
In manchen Redaktionsstuben haben sich Einzelkämpfer
verschanzt, in anderen fungieren Aktricen
oder Akteure als theatralische Selbstdarsteller
gewissermaßen nach dem Motto : Rabatz
durch Raddatz. Kanoniere und Paradiesvögel garantieren
aber noch keine gute Zeitschrift, sie reichen
allenfalls für eine quicke, bunte Illustrierte,
die gelegentlich unter einem guten Stern stehen
mag, aber selten ein Spiegel der Wirklichkeit ist.
Eine lebendige Zeitschrift braucht eine gute
Mannschaft, sie lebt vom Teamwork und hat im
Glücksfall eine echte Redaktionsgemeinschaft.
Diese braucht vor allem einen ruhenden Pol, jenen
Mittelpunkt, um den die Wirbelstürme kreisen
können, ohne Schaden anzurichten, weil er
immer die Übersicht behält. Eine echte Redaktionsgemeinschaft
ist sozusagen taifunsicher. Sie
ist ein von unsichtbarer Hand gesteuertes Feuerwerk
aus Gedankenblitzen und Paukenschlägen.
Wie kommt ein solches Ereignis zustande? Man
braucht sehr Lang, damit eine solche Gemeinschaft
entsteht – Paul Lang, versteht sich.

 

© Rüdiger Thomas

Abschied von der Bundeszentrale für politische Bildung: 2003

Abschied von der Bundeszentrale für politische Bildung: 2003

Berlin/Bonn, 28. April 2003

Liebe Kolleginen und Kollegen,

es ist soweit. Am 30. April 2003 beende ich meinen aktiven Dienst für die bpb. Fast vierzig Jahre war ich dabei und mittendrin an drei Standorten: Köln, Bonn und Berlin. In dieser langen Zeit bin ich schon fast ein Fossil geworden: Ich habe alle Präsidenten und Direktoren erlebt, die für unser Haus verantwortlich waren, von Paul Franken bis Thomas Krüger. Es waren ereignisreiche Jahre, auf die ich heute zurückblicke. An ihrem Beginn stand die noch frische Erinnerung an die Schocktherapie des Mauerbaus, und sie kulminierten in der deutschen Vereinigung, weniger als ein Jahr nach dem Mauerfall, den ich am 10. November bei einem Kongress der bpb unvorhergesehen und live, tatsächlich auf der Mauer stehend, erleben durfte.

Der amerikanische Präsident John F. Kennedy hatte 1963 mit seiner „Strategie des Friedens“ den schwierigen, komplizierten Prozess einer Ost-West-Entspannung eingeleitet, der für meine Tätigkeit am Kölner Ostkolleg (1964 bis 1981) entscheidende Bedeutung hatte. Mein Wechsel zur bpb, als Arbeitsgruppenleiter Publizistik, im September 1981, war die größte Herausforderung in meinem Berufsleben. Sehr schnell erkannte ich, dass ich von der Leidenschaft des Büchermachens infiziert war. Und noch heute bin ich dankbar, dass wir schon in meinen frühen Bonner Jahren mit Christoph Kleßmanns beiden Schriftenreihe-Bänden die erste gesamtdeutsche Geschichte für den Zeitraum von 1945 bis 1970 publizieren konnten.

Ich habe viel Glück gehabt mit meinen Kolleginnen und Kollegen und mit meinen Autoren. Das Ostkolleg war durch eine geradezu familiäre Atmosphäre geprägt, dort habe ich im Umgang mit Persönlichkeiten wie Joseph M. Bochenski oder Richard Löwenthal lernen dürfen, was „herrschafsfreier Diskurs“ bedeutet. In meiner Bonner Zeit hat mich das inspirierende intellektuelle Klima, das die Redaktion der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ über alle personellen Wechsel hinweg in fünf Jahrzehnten ausgezeichnet hat, besonders nachhaltig beeindruckt. Und die euphorische Stimmung, die man als Insider auf den Buchmessen verspürt, wenn man Freunden und Kollegen, Verlegern und Autoren begegnet, zählt ebenfalls zu den Erlebnissen, die ich nicht vergessen werde.

Am Ende meines Berufslebens habe ich noch einmal Neuland betreten: Ich hoffe, dass die kurze Zeit, die ich in Berlin tätig sein konnte, dazu beigetragen hat, meinen Berliner Kolleginnen und Kollegen ein Wirkungsfeld zu eröffnen, in dem sie ihre kreativen Fähigkeiten und ihre große Einsatzbereitschaft im Interesse unseres Hauses voll entfalten können. Die freundliche Offenheit und die intensive Unterstützung, die mir unsere BerlinerInnen entgegengebracht haben, hat mir diese letzte Aufgabe leicht gemacht. Hätte ich ein Jahr früher in Berlin sein können, wären die Ergebnisse unseres gemeinsamen Tuns deutlicher sichtbar – so bleibt ein kleiner Wermutstropfen, der zu jedem Abschied gehört.

Ob meineArbeit für die bpb nützlich gewesen ist, müssen andere beurteilen. Ich habe mich jedenfalls in der bpb die meiste Zeit wohl gefühlt. Die persönlichen Kontakte und ein menschenfreundliches Klima waren für mich wichtiger als jedes Produkt, das wir im gemeinsamen Tun realisiert haben. Sie bilden den Nährboden für kreative Arbeit und eine Entwicklung, in der sich Kontinuität und Erneuerung auf fruchtbare Weise miteinander verbinden. Die Zusammenarbeit mit jungen Kolleginnen und Kollegen, das Miteinander mit zahlreichen Volontärinnen und Volontären, die ich in mehr als zwanzig Jahren in meine Obhut nehmen durfte, war für mich eine besondere Freude, sie hält unser Haus jung, treibt uns voran und macht uns bewusst, was die Übernahme von Verantwortung bedeutet.

Im Rückblick auf fast vier Jahrzehnte wünsche ich mir zum Abschied, dass wir unter dem Eindruck vielfältiger, erfreulicher Innovationen nch Abschluss unseres Jubiläumsjahres nicht vergessen, dass unser Haus eine Geschichte besitzt, in der sich Traditionen entdecken lassen, die wir nicht einfach beiseite schieben sollten. Der Komponist Gustav Mahler hat den schönen, kühnen Satz formuliert: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Aus diesem Geist habe ich mich bei der Erneueurng der bpb, die unser Präsident Thomas Krüger ins Werk gesetzt hat, nach besten Kräften engagiert und über die Fortschritte und Erfolge, die wir in den letzten Jahren gemeinsam erreicht haben, sehr gefreut.

Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir engegengebracht und für die Geduld, mit der Sie mich ertragen haben und wünsche Ihnen Freude und Erfolg bei Ihrer Arbeit und persönliches Wohlergehen.

Mit herzlichen Grüßen

Rüdiger Thomas

 

© Rüdiger Thomas

Von der Lust und Last des Büchermachens

Von der Lust und Last des Büchermachens

Rede für Edmund Budrich am 27. März 1992
Eine lose Gedankenlese für einen back-listenreichen Verleger

                                                                                                                                 Ich möchte Sie einladen, mit mir eine gefährliche Leidenschaft zu erkunden. Es handelt sich um den Bücherwahn. Er hat eine lange Geschichte, und es mag paradox klingen: Bibliomanie hat es schon gegeben, als es noch keine Bücher gab. Lange vor der Erfindung des Buchdruckes sind die ersten großen Bibliotheken entstanden – wovon man sich noch heute in Ephesos überzeugen kann: Die Celsus-Bibliothek ist ein einzigartiges Denkmal der Buchgeschichte, ein vollkommenes Bauwerk, ein Raum außerhalb der Zeit, ein Traum schöpferischer Phantasie, eine Bibliothek ohne Bücher; denn die kostbaren Handschriften, die schon damals die Welträtsel entschlüsseln wollten, sind längst in Rauch aufgegangen.

Als ich an diesem Platz stand, drängte sich mir plötzlich ein merkwürdiger Vergleich auf. Ich fühlte mich nach Frankfurt versetzt, auf die Buchmesse. Der Gedankensprung von Ephesos in die Main-Metropole überbrückt fast zwei Jahrtausende – und angestoßen wurde er offenbar durch den Kontrast, der größer nicht sein kann: Im vergangenen Jahr haben in Frankfurt 8.500 Verlage fast 350.000 Bücher präsentiert, davon fast 100.000 Neuerscheinungen. Und eine Viertelmillion Besucher hat dieses Spektakel, das ebenso viel Geduld wie Kondition erfordert, tapfer durchgestanden. Aus der Szene kommen fast alle zu diesem weltweit wichtigsten Messeplatz für Bücher, auch wenn niemand so recht zu wissen scheint, warum. Man muß einfach präsent sein – so lautet die häufigste Antwort der Büchermacher, die hier gelegentlich eher wie Buchmacher wirken. Dabei wird verschwiegen, daß viele gern nach Frankfurt fahren und ebenso froh sind, wenn alles vorbei ist.

Mit Frankfurt sind wir alle, die mit Büchern zu tun haben, in einer Art Haßliebe verbunden. Es ist eine seltsame Mischung angespannter Erwartung und intellektueller Neugierde, die uns an diesen Ort treibt, und mancher Neuling hat auf diesem gigantischen Buchmarkt gar euphorische Gefühle: Es ist der Rausch dabei zu sein. Doch rasch kommt auch Beklemmung auf, in drangvoll fürchterlicher Enge wird die Luft zum Atmen knapp, Resignation breitet sich aus gegenüber einem uferlosen Angebot, das uns fast erdrückt und hoffnungslos überfordert, schließlich bekommt man Alpträume: Die Buchmesse läßt uns in der Rolle des Zauberlehrlings zurück, der die Geister nicht zu bannen wußte, die er selbst gerufen hat.

Sie werden mich also vielleicht verstehen, wenn ich bekenne, daß mir Ephesos besser gefällt als Frankfurt. Ich habe dafür eine einfache Erklärung: Am meisten faszinieren uns die Bücher, die es gar nicht gibt, die wir uns erst noch vorstellen. Sie bewegen unsere Phantasie, ohne uns zu bedrängen. Wer so denkt, ist für die Sucht des Büchermachens anfällig: Denn was als Idee im Kopf entsteht, drängt nach konkreter Gestaltung. Verleger sind Menschen, die ihre eigenen Bücher haben wollen, selten selbst geschrieben, aber häufig von ihnen angeregt und immer selbst geplant: Es ist der Reiz des Machens, der sie antreibt, sie sind sozusagen Prozeßkünstler. Wenn ein Buch fertig ist, gehört es dem Vertrieb, und es gilt neue Programme zu projektieren. So erklärt sich der Bücherberg, den wir in Frankfurt vergeblich zu erklimmen suchen.

Doch die Büchermacher lassen sich dadurch nicht aufhalten. Die Mediengesellschaft hat das Buch nicht zu einer liebenswürdigen Antiquität werden lassen – wie manche voreilig prophezeit haben. Der Bücherwahn breitet sich fröhlich weiter aus. Während in der Bundesrepublik 1960 27.000 Neuerscheinungen registriert wurden, hatte sich diese Zahl 30 Jahre später mehr als verdoppelt. So erfreulich das klingen mag: Die Kehrseite der Medaille muß ebenfalls betrachtet werden. Kommunikationsforscher haben festgestellt, daß im Hinblick auf Reichweiten – wie viele Menschen nutzen ein bestimmtes Medium? – und Nutzungsdauer- wieviel Zeit wird dafür aufgewendet?- seit Mitte der siebziger Jahre bei allen Printmedien also Bücher, Zeitschriften und Zeitungen – eine rückläufige Tendenz, ein „Verfall der Lesezeit“ zu erkennen ist. Während der tägliche Zeitaufwand für Buchlektüre in der Gesamtbevölkerung Mitte der achtziger Jahre durchschnittlich 17 Minuten ausmachte – bei Zeitungen war es das Doppelte – wurden für das Fernsehen genau zwei Stunden ermittelt.

Offenbar leben wir in einer eiligen Gesellschaft, in der es die Bilder leichter haben, unsere – freilich passive – Aufmerksamkeit zu erwecken als die Schriftzeichen, die uns zur Konzentration und Gedankenarbeit animieren wollen. Für Büchermacher gibt es aber keinen Grund für Krisenstimmung: denn es hat sich auch gezeigt, daß die Zahl der Buchkäufer seit Ende der sechziger Jahre ständig gewachsen ist. Fast zwei Drittel der Bevölkerung hat innerhalb der letzten zwölf Monate mindestens ein Buch gekauft, vor zwanzig Jahren war es nur die Hälfte. So lautet der zusammenfassende Befund: Buchkauf nimmt zu, Buchlektüre stagniert.

Wollen wir diesen Widerspruch auflösen, bieten sich zwei Erklärungen an:                                                                                                                           1. Bücher sind auch zu Prestigeobjekten geworden, die man haben und vorzeigen muß, damit man seine Bildung unter Beweis stellen kann. Nur in 10 Prozent der Haushalte gibt es gar kein Buch. Der Durchschnitt hat fast 200.                                                                                2. Bücher werden gezielter genutzt als in der Vergangenheit. In ihnen wird nachgeschlagen, was man wissen möchte. Der Benutzer liest selektiv und läßt sich nicht mehr vom Autor an die Hand nehmen, der Anfang und Ende bestimmt.

Man sollte diesen Sachverhalt nicht pauschal kritisieren, sondern vielmehr differenziert beurteilen. Dieses Leseverhalten ist gewiß fragwürdig, wenn es sich auf die Belletristik bezieht. Und der Verdacht ist begründet, daß hier der Anteil der vollständig gelesenen Werke der Schönen Literatur für die Autoren deprimierend gering sein dürfte. Hier wird der Absatz vor allem durch die Bestsellerlisten bestimmt, die nach dem fatalen Mechanismus der sich selbst erfüllenden Prophezeihung wirken: Gekauft wird, was „in“ ist – den Büchermachern soll ’s recht sein, Risiko eingeschlossen; denn dieses Geschäft funktioniert sozusagen ohne Rücksicht auf Verluste.

Dagegen erscheint selektive Lektüre bei Sachbüchern durchaus vernünftig: Der Leser emanzipiert sich bis zu einem gewissen Grade vom Autor, indem er sich auf seine eigenen Interessen beschränkt und dadurch Zeit gewinnt, die in der Freizeitgesellschaft rätselhafterweise zu einem besonders knappen Gut geworden ist.

In diesem Zusammenhang muß man bedenken, daß der überwiegende Teil der Bücher als „Sachbuch“ eingeordnet werden kann – ohne daß dieser Begriff exakt definiert wäre. Das zeigt ein Blick in die Deutsche Bibliographie, die wir dem Börsenverein verdanken. Nur knapp ein Sechstel aller Buchtitel entfiel 1990 auf Belletristik, sechs Prozent auf Kinder- und Jugendliteratur, aber mehr als ein Fünftel allein auf das allerdings sehr weit gefaßte Sachgebiet Sozialwissenschaften.

Genug der Statistik: Zahlen können verwirren, wenn sie massenhaft präsentiert werden; doch können sie die erwähnte Paradoxie zwischen steigendem Bücherkauf und sinkender Buchlektüre erklären helfen und gleichzeitig Hinweise geben, wie man Bücher gestalten sollte, die Leser von heute und morgen ansprechen.

Das ist ein weites Feld und soll hier nicht ernsthaft erörtert werden. Die einfachste Antwort lautet: Wir sollten möglichst viele gute Bücher produzieren. Aber was ist ein gutes Buch? Ein gutes Buch ist wie ein Modellkleid: exklusiver Stoff, anziehend gestaltet. Wir sollten die attraktiven Farben nicht vergessen, nicht den raffinierten Zuschnitt und außerdem will ich hinzufügen, daß ich Mini mehr schätze als Maxi. Das alles ist leichter gesagt als getan. Es müssen viele Faktoren zusammenkommen, damit wir überwältigt sind.

Am Anfang steht der Couturier, doch den Erfolg sichert erst das Mannequin. Wollen wir so frivol sein und einen Moment lang die Modebranche und das Büchermachen miteinander vergleichen: Man kann ohne Kleider leben und auch ohne Bücher, doch hält es die Konvention – die wir Kultur nennen – für unschicklich, darauf ganz zu verzichten. Mode und Buchgewerbe folgen beide dem Grundgesetz der Werbung, daß der schönste Inhalt erst durch eine attraktive Verpackung voll und ganz zur Geltung kommt. Verleger sind meist zugeknöpfter als Mannequins, und längst nicht alle Autoren sind so charmant und offenherzig wie diese. Verleger teilen die Vorliebe der Couturiers für die schlanke Darbietung und fürchten üppiges Übermaß – diese Neigung ist den meisten Autoren fremd, die sich nur selten kurz und knapp drapieren wollen. Ein guter Verleger hat einem Couturier voraus, daß seine Werke beliebig oft verkauft werden können. Aber natürlich sind die Verleger weder Couturiers noch Mannequins – obwohl der Gedanke reizvoll ist: Wer jemals in Frankfurt war, hat auch dort den Jahrmarkt der Eitelkeiten auf dem Messe-Laufsteg besichtigen können, der die Atmosphäre der Haute Couture bestimmt – buchstäblich, aber auch mit allem Drum und Dran.

Da die meisten Verleger immer noch – warum eigentlich? – Männer sind, wollen wir sie – wenn wir uns schon entscheiden müssen – doch eher den Couturiers als den Mannequins zurechnen. Was für die Couturiers gilt, trifft auch auf die Büchermacher zu: Gute Verleger sind selten. Man kann sie vielleicht mit allgemeinen Worten beschreiben, doch bleibt ein unerklärbarer Rest, den man in der persönlichen Begegnung selbst erfahren muß. Gute Verleger sind heimliche Zauberer, die manchmal auch die Kunst des Unmöglichen beherrschen. Sie sind skeptisch gegen pompöses Blendwerk und bevorzugen die leisen Töne. Sie halten Distanz, oft auch zu sich selbst, und sind doch verläßliche Freunde.

Gute Verleger sind selten. Einen haben wir in unserer Mitte, und heute ist ein willkommener Anlaß, ihm Glück zu wünschen und ihm zu danken. Was soll man jemandem zueignen, der von Büchern umgeben ist? Könnte ich über die Celsus-Bibliothek verfügen, wäre diese vielleicht ein passendes Präsent – eine Quelle der Inspiration für neue Bücher, selbst ausgedacht. Aber glücklicherweise bin ich nicht Celsus oder der Erbauer der Bibliothek, sein Sohn Tiberius Aquila, sonst wäre ich schon lange tot. So habe ich etwas anderes ausgewählt: Es ist ein Bücherverzeichnis, das anläßlich der Deutschen Buchausstellung 1947 in Berlin erschienen ist und alle Neuerscheinungen von 1945 bis 1947 umfaßt. Eine Art VLB, das ist das für alle Bücherfreunde unentbehrliche „Verzeichnis lieferbarer Bücher“, das erste nach dem Krieg – aus einer Zeit, in der wir beide noch kaum vom Büchermachen geträumt haben. Ein Buch, das wenig Platz beansprucht und an viele Bücher erinnnert, also auch eine Art Bibliothek im Kopf. Wer übrigens die Preise sieht, könnte leicht ins Schwärmen geraten. Doch Nostalgie soll heute nicht aufkommen, ich habe damals nichts verpaßt, denn 1947 lernte ich gerade lesen und Edmund Budrich setzte die Konkurrenz – Könige und gelegentlich wohl auch Damen – schachmatt. Erst viel später sind wir beide selbst unter die Büchermacher geraten, und ich muß gestehen: Das ist zwar eine gefährliche Leidenschaft – aber eine von den wenigen, die nützlich sind. Es ist ein Geschäft für Verrückte, aber es gibt kein schöneres.

 

© Rüdiger Thomas

Abschied vom Ostkolleg: Oktober 1981

Abschied vom Ostkolleg: Oktober 1981

Abschied vom Ostkolleg: Oktober 1981

 

Vorsicht ist geboten beim Abschiednehmen: Leicht gerät man dabei in Schwärmerei, doch Lob labt zwar die Seele, aber es lähmt auch den Verstand. Als ich gestern mein historisches Gedächtnis zu aktivieren versuchte, brauchte ich schon ein rückwärts gerichtetes Langzeitprogramm. Im neuen Jahr wird das Ostkolleg 25 Jahre alt, und zwei Drittel dieses immerhin respektablen Abschnitts war ich dabei – beinahe ein Methusalem des Hauses. Da ist es tröstlich, zwei Weggefährten in dieser Runde zu sehen, die sogar noch länger mit dem Ostkolleg verbunden sind. Herrn Ruffmann habe ich noch als Kölner Student – gewissermaßen incognito – erlebt, und in den langen Jahren der Zusammenarbeit habe ich mich durch sein rhetorisches Temperament und die seltene Verbindung  aus liebenswürdiger Konzilianz und frappierendem Durchsetzungsvermögen faszinieren lassen – ich wäre froh, wenn ich sagen dürfte, davon etwas gelernt zu haben. Herrn Maibaum schulde ich Dank für eine Kollegialität, die mehr war als nur die vielzitierte gute Zusammenarbeit. Unsere Kooperation, die nie durch einen ernsthaften Konflikt getrübt war, ergab sich nicht allein aus einer weitreichenden Überenstimmung in der Sache, sondern auch und vor allem aus einer unerschütterlichen wechselseitigen Solidarität.

Mit diesem Hause sind viele Erinnerungen verbunden, die in den berühmt-berüchtigten Tischgesprächen der hier beschäftigten Mitarbeiter am schmackhaftesten serviert werden – auch wenn sie zuweilen dem ominösen Baron von Münchhausen und seinem Hang zur Legendenbildung Konkurrenz machen. Zu den Gerüchten zählt die gelegentlich geäußerte Vermutung, daß ich mit dem Ostkolleg verheiratet gewesen wäre. Wahr hingegen ist, daß ich – unter allgemeiner Anteilnahme – von hier aus geheiratet habe. Gustav Heinemann hat recht:  Eine Institution kann man nicht lieben, aber Gerüchte entstehen selten ohne Grund, und so will ich eingestehen, daß ich diesem Haus auf eine intensive, schwer zu benennende Weise verbunden war, die weniger war als Leidenschaft und gleichzeitig mehr als nur nüchternes Engagement. Das Ostkolleg hat mich irgendwie fasziniert und ich bedaure, daß ich es nicht selbst erfunden habe. Mein Verhältnis zum Ostkolleg war wohl doch – wenn die Vokabel nicht zu hoch gegriffen ist – von einer Art Enthusiasmus bestimmt; oder sollte ich nicht einfach sagen, daß mir die Arbeit immer – fast immer – Spaß gemacht hat.

Kann man dafür Gründe finden? Fangen wir als Tribut an die Wissenschaft abstrakt an. Da ist das Ziel politischer Bildung, das Hans-Joachim Lieber am Beginn meiner Tätigkeit im Ostkolleg programmatisch in die Formel gefaßt hat, „Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Aufklärung“ zu erproben. Der Glaube an die Wirkung aufgeklärter Vernunft ist mir – naiv, wie ich gelegentlich wirklich bin – trotz zahlreicher gegenteiliger praktischer Erfahrungen immer noch nicht abhanden gekommen, doch bleibe ich ein – wenn auch skeptisch eingefärbter – Optimist. Da sind vor allem aber die konkreten und lebendigen Erfahrungen eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen allen, die für die Entwicklung dieses Hauses verantwortlich sind. Die Diskussionen, die mit dem wissenschaftlichen Direktorium durch viele Jahre und mit wechselnden Personen geführt worden sind, waren Beispiele eines herrschaftsfreien Dialogs und also einer wirklich demokratischen Gemeinschaft – einer Kommunität von Wissenschaftlern – , ohne daß es dafür perfektionierter Statuten bedurft hätte. Die Geltung des Arguments war hier nie von Rang und Namen, noch viel weniger von Parteipräferenzen abhängig, sondern immer von der Qualität und Stringenz der Begründung. Vielleicht hat uns die Leidenschaft an der Erkennntis im Meinungsstreit gelegentlich bis hart an die Grenze des guten Tons geführt – der gegenseitige Respekt ist davon jedoch nie tangiert worden, und diese Erfahrung registriere ich mit besonderer Dankbarkeit. Ihnen allen fühle ich mich nicht nur durch gemeinsame Arbeit, sondern auch persönlich verbunden, und darin liegt die eigentliche Erklärung für die Tatsache meiner großen Anhänglichkeit gegenüber dem Ostkolleg, die sich in einer entsprechend langen, vielleicht allzu langen Seßhaftigkeit ausgewirkt hat.

Daß ich zum Ostkolleg gekommen bin – wer weiß das noch? – hat Günther Stökl verschuldet, und dies darf zum Abschied nicht verschwiegen werden. In absentia fällt mein Dank an einen vorzüglichen Lehrer und väterlich-grantelnden Freund seiner Studenten nicht weniger herzlich aus. Diese Erinnerung gibt gleichzeitig Anlaß, an die vielen unverwechselbaren und eindrucksvollen Persönlichkeiten zu erinnern, die dem Ostkolleg als Mitglieder des Direktoriums in besonderer Weise verbunden waren und meinen Weg streckenweise begleiteten. Wenn ich hier Josef Bochenski, Hans Raupach, Peter Ludz, Richard Löwenthal und Klaus von Beyme gewissermaßen stellvertretend erwähne, so wird noch einmal schlagartig deutlich, wie stark das Ostkolleg durch Wissenschaftler angeregt wurde, von denen unser alter und neuer Kollege Müller sagte, daß man sie mit „der Koryphäe“ bezeichnen müsse, während ich – die griechische Herkunft des Wortes mißachtend – „die Koryphäe“ vorzog. Inzwischen hat sich der Duden meiner Sprachregelung angeschlossen, obwohl ich heute freimütig bekennen möchte, daß in diesem Fall unser geschätzter Kollege Müller recht hatte. Mit Hans Raupach verband mich eine außerdienstliche Leidenschaft: die Liebe zu Bach. Gelegentlich haben wir uns bei Tagungen verschwörerisch verständigt, indem wir uns die Nummern von Bach-Kantaten soufflierten. So konnte ein Diskussionsbeitrag die Nummer 35 erhalten („Geist und Seele wird verwirret“) oder ein ermüdendender Arbeitsabschnitt die Nummer 82 („Ich habe genug“).

Auch wenn manche Puritaner solche Seitensprünge sinnenfroher Wissenschaft für anrüchig halten, will ich hier offen bekennen, daß ich mit Boris Meissner seit langer Zeit ein verschwiegenes, leidenschaftliches und aufregendes Verhältnis unterhielt – zum Fußball. In grauer Vorzeit stand ein Europapokalfinale zwischen Bayern München und Atletico Madrid just zu dem Zeitpunkt auf dem Programm, als eine Direktoriumssitzung anberaumt war. Da sich Richard Löwenthal zu verspäten schien, faßte das erlauchte Gremium auf Betreiben der oben apostrophierten Verschwörer den ebenso frivolen wie spontanen Entschluß, den Sitzungsbeginn zu verschieben, um – unter Vernachläassigung oft bewiesener demokratischer Tugenden – König Fußball zu huldigen. Kaum hatte sich die erwartungsvolle Gesellschaft vor dem Fernsehapparat niedergelassen, erschien der bis dato ausgebliebene, schon fast vergessene Nachzügler und forderte eilig, zur Sache zu kommen. Wie eine ertappte, aber folgsame Schulklasse erhob sich die Runde und nahm ihre verantwortungsvolle Arbeit auf. Richard Löwenthal hatte die Fußballriege buchstäblich ins Abseits gestellt, doch diese hatte nach kurzer Beratung eine neue Taktik parat. Ein Pendelverkehr zwischen Küche und Konzil wurde eingerichtet, bei dem sich die enttäuschten Gesichter zusehends aufhellten. Die stille Rache gegenüber der pflichteifrigen Autorität des fußballfernen Rix Löwenthal bestand darin, daß er bei seinen rhetorischen Attacken viermal durch die enthusiastischen Reaktionen seiner fußballbegeisterten Mitstreiter buchstäblich ins Leere traf und beinahe zum ersten Mal aus dem Konzept geraten wäre. Ob bei dieser Sitzung, deren wichtigstes Resultat ein Fußballergebnis war, weitere Beschlüsse gefaßt wurden, ist in meiner Erinnerung verblaßt, und so kann ich mit Boris Meissner heute nur noch feststellen, daß es eine denkwürdige Direktoriumssitzung gab, auf der nach einem hoffnungsvollen Präludium und einem schockartigen Rückschlag Bayern München schließlich doch noch Richard Löwenthal besiegt hat. Wichtigste Lehre aus diesem politologischen Contredanse: Die „friedliche Koexistenz“ zwischen Wissenschaft und Hauswirtschaft hat über den Antagonismus von Pflicht und Neigung triumphiert.

Wenn ich auf meineTätigkeit im Ostkolleg zurückblicke, dann ist mir persönlich mein bescheidener Beitrag zur Ost-West-Verständigung am wertvollsten. Vor allem in Polen habe ich im Zusammenhang mit den vom Ostkolleg projektierten Studienreisen und durch zahlreiche Seminare enge persönliche Freunde gefunden, und es freut mich besonders, daß ich den gerade gewählten neuen Vorsitzenden des wissenschaftlichen Direktoriums, Walter Mertineit, im Rahmen unserer gemeinsamen Bemühungen um eine deutsch-polnische Verständigung kennenlernen durfte.

Zuletzt kommt das Wichtigste: Allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich täglich zusammenarbeiten konnte, gilt mein Dank für eine von wechselseitiger Sympathie getragene Kollegialität, die dem Ostkolleg eine nur noch selten anzutreffende menschenfreundliche Arbeitsatmosphäre beschert hat, an der alle miteinander gemeinsam Anteil hatten. Ist alles gesagt? Rückblickend stelle ich fest, dies ist alles viel zu nüchtern ausgefallen und – leider typisch – auch viel zu lang. Es gibt Erinnerungen an persönliche Begegnungen mit Ihnen allen, die in Jahren gewachsen und so intensiv geworden sind, daß sie lebendig bleiben und sich – so hoffe ich –im direkten Kontakt fortsetzen werden. Aber ich bin nicht mehr jung genug für Schwärmereien und noch nicht alt genug für Sentimentalitäten, oder täusche ich mich da womöglich selbst? Da Sie mich kennen, wissen Sie, was ich ausdrücken möchte, wenn ich den Schlußsatz eines meiner Lieblingsbücher als Dank an das Ende stelle: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.

 

© Rüdiger Thomas

Zur Geschichte soziologischer Forschung in der DDR

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Zur Geschichte soziologischer Forschung in der DDR

Rüdiger Thomas

Soziologie, die Wissenschaft von der Gesellschaft, zielt auf die Erkenntnis sozialer Tatsachen. Sie ermittelt, was der Fall ist, wie es dazu kam und welche Faktoren sozialen Wandel kennzeichnen. Soziologie ist seit ihrer Entstehung als Wissenschaftsdisziplin um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf gesellschaftliche Aufklärung gerichtet, und ihre Geschichte ist eng mit der Entfaltung der Ideologietheorie verbunden. Als kritische Sozialwissenschaft scheint sie zur Rechtfertigung von Herrschaftsverhältnissen wenig tauglich und ist daher von den Mächtigen lange Zeit eher mit Skepsis und Argwohn registriert worden. Erst die forcierte Entwicklung der empirischen Sozialforschung seit der Mitte unseres Jahrhunderts hat einen Einstellungswandel hervorgerufen. In wachsendem Maße wurden außerwissenschaftliche Verwertungsinteressen auf die Soziologie gerichtet: Vor allem die Kenntnis vorherrschender gesellschaftlicher Bewußseinslagen und Motivstrukturen ließ sich als Herrschaftswissen nutzen, das gleichermaßen politischen Erfolg und ökonomische Effizienz gewährleisten sollte. Im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Aufklärung und sozialtechnologischer Instrumentalisierung angesiedelt, hat die Soziologie in den offenen Gesellschaften der westlichen Industriestaaten seit vielen Jahrzehnten eine unangefochtene Position erlangt– was sich am deutlichsten in der Allgegenwart der Umfrageforschung zeigt.

Eine völlig andere Situation bestand in den Ländern des stalinistisch geprägten Staatssozialismus, in denen die Soziologie jahrzehntelang massiv diskreditiert wurde, weil sie den ideologischen Gralshütern der „Hauptverwaltung Ewige Wahrheiten“ (Robert Havemann) als kritische Sozialwissenschaft suspekt war.

Die Entwicklung der Soziologie in der DDR als selbständige Wissenschaftsdisziplin vollzog sich in einem komplizierten Emanzipationsprozeß vom universellen gesellschaftswissenschaftlichen Geltungsanspruch des Marxismus-Leninismus1. Nachdem in den ersten Nachkriegsjahren bis zur Gründung der DDR verschiedene Universitäten noch soziologische Lehrveranstaltungen angeboten hatten2  und zunächst – überwiegend von bürgerlichen Soziologen – zahlreiche Studien insbesondere zur Arbeits- und Gruppensoziologie publiziert werden konnten3, wurde die Soziologie unter dem Vorzeichen einer „Überwindung des Objektivismus“4 seit 1950 als „bürgerliche Wissenschaft“ strikt abgelehnt.

Jürgen Kuczynski hatte schon Mitte der fünfziger Jahre verschiedene Versuche unternommen, soziologische Forschungen in der DDR anzuregen, doch konnte er den politischen Widerstand zunächst nicht überwinden, der sich aus dem Geheimhaltungssyndrom der SED-Führung ergab. Kuczynski vertrat die Auffassung. daß spezifische „soziologische Gesetze“ von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des historischen Materialismus abgegrenzt werden müßten und nur im Ergebnis einer konkreten Sozialforschung ermittelt werden könnten5.

Seit Ende der fünfziger Jahre wurden in der DDR sozialpsychologische und jugendsoziologische Untersuchungen durchgeführt6, seit Beginn der sechziger Jahre wurde die Auseinandersetzung mit der „bürgerlichen Soziologie“ intensiviert. Dieser Prozeß beinhaltete nicht nur den Versuch einer ideologischen Abgrenzung, sondern trug auch zur Rezeption soziologischer Forschungsmethoden und Theoriekonzepte bei und vermittelte damit wichtige Impulse für die Entwicklung der DDR-Soziologie7.

Paradoxerweise hatte die DDR aus Gründen ihrer internationalen Präsenz und Reputation schon seit Ende der fünfziger Jahre den Eindruck erweckt, eine institutionalisierte soziologische Forschung zu betreiben. Bereits 1959 hatten DDR-Wissenschaftler am IV. Weltkongreß der International Sociological Association (ISA) in Mailand und Stresa teilgenommen. 1961 wurde in der Vereinigung der Philosophischen Institutionen der DDR eine Sektion Soziologie begründet, die insbesondere Funktionen der Außenrepräsentation wahrnehmen sollte und 1962 als nationale Vertretung der Soziologen in der DDR in die ISA aufgenommen wurde.

Die schwierige Formierungsphase der DDR-Soziologie, die noch weitgehend vom gesellschaftswissenschaftlichen Theorieimperialismus des historischen Materialismus beherrscht wurde, endete erst mit dem VI. Parteitag der SED (Januar 1963), auf dem „die weitere Entfaltung der theoretischen Arbeit auf dem Gebiet der marxistischen Gesellschaftswissenschaft, der Lehre von der Leitung und Entwicklung der Gesellschaft“ gefordert wurde, gleichzeitig erfolgte die Ankündigung: „Von den Gesellschaftswissenschaftlern werden verstärkt soziologische Forschungen durchgeführt“8.

Bei diesen Formulierungen fällt auf, daß die Soziologie noch nicht als selbständige Wissenschaftsdisziplin benannt wurde, sondern statt dessen soziologische Forschung als Aufgabe der Gesellschaftswissenschaftler erscheint, womit die lange umstrittene Frage nach dem Verhältnis zwischen dem historischen Materialismus als allgemeiner Gesellschaftstheorie und der Soziologie als konkreter Gesellschaftsanalyse weiter offen blieb.

 

II

Erst die Wende zu einem technokratischen Sozialismus in der DDR, die mit der Einführung des „neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ im Juli 1963 verbunden war, führte zur endgültigen Konstituierung einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin mit einem – freilich politisch motivierten – spezifischen  Forschungsauftrag. Kurt Hager umriß Anfang 1964 ihre zentralen Aufgaben in einem Grundsatzartikel, der in der theoretischen Zeitschrift der SED „Einheit“ publiziert wurde: „Die soziologische Forschung in der DDR muß weiterentwickelt werden. Durch soziologische Massenforschungen zu grundlegenden und umfassenden Problemen unserer gesellschaftlichen Entwicklung wird ein wichtiger Beitrag zur politischen Führungs- und Leitungstätigkeit der Partei und des Staates geleistet. In der gegenwärtigen Periode des umfassenden Aufbaus des Sozialismus stehen vor allem jene Probleme und Prozesse im Mittelpunkt der soziologischen Forschung, die der wissenschaftlich-technische Fortschritt in Industrie und Landwirtschaft für das Leben und die Entwicklung der verschiedenen sozialen Gruppen und Schichten mit sich bringt „9.

Mit dieser politischen Rechtfertigung der Soziologie wurde eine Phase der Institutionalisierung eingeleitet. Im September 1964 beschloß das Politbüro der SED die Bildung des Wissenschaftlichen Rates für Soziologische Forschung, 1965 wurde eine Forschungsabteilung für marxistisch-leninistische Soziologie am Institut für Gesellschaftswissenschaften (seit 1976 Akademie für Gesellschaftswissenschaften) beim ZK der SED eingerichtet (Direktor: Rudi Weidig), die bis zum Herbst 1989 eine Anleitungs- und Kontrollfunktion für die soziologische Forschung in der DDR ausübte. Bereits 1964 war ein Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED etabliert worden, das repräsentative Bevölkerungsbefragungen zu verschiedenen Themen durchführen sollte, die vor allem auch die Akzeptanz der Politik betrafen. 1966 wurde das Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig (Direktor: Walter Friedrich) gegründet, das dem Amt für Jugendfragen beim Ministerrat der DDR unterstellt wurde. Das ZIJ konzentrierte sich auf die empirische Untersuchung der Mentalitätsentwicklung von Schülern, Studenten, Lehrlingen und jungen Arbeitern (auch in Form von Intervallstudien), die für die Ausarbeitung einer neuen jugendpolitischen Konzeption von der Partei- und Staatsführung zeitweilig als relevante Orientierungsgrundlage betrachtet wurde.

Zur Vermittlung soziologischer Forschungsergebnisse wurde im parteieigenen Dietz-Verlag 1965 eine „Schriftenreihe Soziologie“begründet. „Soziologie und Praxis“ lautete programmatisch der Titel der ersten Veröffentlichung, in der konstatiert wurde, „daß rein abstrakte und scholastische Diskussionen über den Gegenstand der marxistischen Soziologie überwunden sind. Es herrscht das Bestreben vor, über den Weg der praktischen Forschung Gegenstand und Aufgabenbereich der marxistischen Soziologie als Wissenschaft zu erarbeiten“10. Für die Stellung der Soziologie in der DDR ist es jedoch bezeichnend, daß bis zum politischen Umbruch im Herbst 1989 keine eigene Fachzeitschrift existierte. Das Periodikum „Jugendforschung“ konnte lediglich von 1967 bis 1972 erscheinen und wurde am Beginn der Honecker-Ära – vermutlich wegen der Brisanz mancher Forschungsergebnisse –  wieder eingestellt. Der fachinternen Kommunikation dienten vor allem die „Informationen zur soziologischen Forschung in der DDR“, die seit 1965 als Typoskriptdruck in kleiner Auflage von der Zentralstelle für soziologische Information und Dokumentation der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED herausgegeben wurden, sowie eine Reihe interner Arbeitspapiere, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich und der westlichen Forschung überwiegend ganz verschlossen waren. Gelegentlich – insbesondere vor den Kongressen der ISA – wurden soziologische Beiträge in Sonderheften der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“ publiziert – womit die nachrangige öffentliche Bedeutung der Soziologie erneut unterstrichen wurde.

Nachdem bereits seil 1964 soziologische Lehrveranstaltungen an den Hoch- und Fachschulen angeboten werden konnten, wurde 1967 Soziologie als Nebenfachstudium für Ökonomen und Philosophen eingeführt, doch besteht erst seit 1975 an den Universitäten in Berlin, Halle und Leipzig eine eigenständige Studienrichtung Soziologie, die mit der Qualifikation als Diplom-Soziologe  abgeschlossen werden kann.

Bis zum Ende der sechziger Jahre wurden die institutionellen und personellen Kapazitäten – wenn auch in einem sehr begrenzten Rahmen – sukzessive ausgeweitet. Wichtige Forschungsschwerpunkte lagen zunächst neben der Jugendforschung insbesondere im Bereich der Industrie- und Arbeitssoziologie, der Agrarsoziologie sowie der Kultur- und Bildungssoziologie11. An der 1970 gegründeten Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR wurde eine Abteilung Soziologie des Bildungswesens (Leiter: Artur Meier) eingerichtet, die für die bildungssoziologische Forschung bis zur Mitte der achtziger Jahre wichtige Beiträge erbracht hat12. Untersuchungen über Arbeitszufriedenheit, Betriebsklima, Fluktuationsursachen signalisierten eine deutliche Orientierung auf Aspekte der Systemstabilisierung und Effektivitätssteigerung. Jugend- und kultursoziologische Forschungsprojekte waren auf die Ausprägung des sozialistischen Bewußtseins und gesellschaftliche Integration gerichtet – worin sich die politische Funktionalisierung soziologischer Forschung deutlich zeigte.

 

III

Die Soziologie-Kongresse in dcr DDR markieren wichtige Einschnitte ihrer Entwicklung. Der I. Kongreß zum Thema „Soziologie im Sozialismus“ wurde 1969 durchgeführt und behandelte vor allem Probleme der Industrie- und Agrarsoziologie, der Kultur- und Bildungssoziologie sowie der Jugendforschung13. Eine Bestandsaufnahme der soziologischen Forschung in der DDR am Ende der sechziger Jahre vermittelte auch das „Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie“14. Diese Veröffentlichung und andere Publikationen zeigten deutlich, daß in der Rezeption moderner sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden noch ein erheblicher Rückstand vorhanden war15  und die meisten soziologischen Untersuchungen „oft Detailprobleme auf der Ebene einzelner Betriebe und ähnlicher begrenzter Bereiche zum Gegenstand hatten“16.

Erst in den siebziger Jahren erfolgte eine Intensivierung und Oualifizierung der soziologischen Forschung, die sich allmählich westlichen Forschungsstandards anzunähern suchte. Freilich erhielt der westliche Beobachter nur begrenzte Einblicke, da die Durchführung soziologischer Untersuchungen und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse seit 1965 einer staatlichen Genehmigungspflicht unterlagen.

In der ersten Hälfte der siebziger Jahre rückte die Analyse der Sozialstruktur und des sozialen Wandels in der DDR in den Vordergrund. die insbesondere unter der Fragestellung einer Annäherung der Klassen und Schichten, der allmählichen Überwindung des Gegensatzes von körperlicher und geistiger Arbeit sowie von Stadt und Land thematisiert wurde. Daneben erhielt die Erforschung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen besonderes Gewicht, die in erster Linie im Hinblick auf ihre produktionsrelevanten Wirkungen betrachtet wurde.

Auf diese Forschungsschwerpunkte war auch der II. Kongreß der marxistisch-leninistischen Soziologie in der DDR konzentriert, der im Mai 1974 unter dem Thema „Der Beitrag der marxistisch-leninistischen Soziologie zur Leitung und Planung sozialer Prozesse bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ durchgeführt wurde17 . Die vom Institut für maxistisch-leninistische Soziologie am Institut für Gesellschaftswissenschaften durchgeführte „Sozialstrukturuntersuchung 1973“ stellte mit etwa 10.000 befragten Personen die erste umfassende Felduntersuchung der DDR-Soziologen dar, bezeichnenderweise wurden ihre Ergebnisse allerdings nur selektiv publiziert, ein Gesamtbericht durfte nicht vorgelegt werden18. Mit der Veröffenllichung eines Lehrbuchs „Grrundlagen der marxistisch-leninistischen Soziologie“ (1977) wurde der Versuch unternommen. das „wissenschaftliche Selbstverständnis der Soziologie in der DDR“ zu profilieren19. Als „Instrument der Leitung und Planung gesellschaftlticher Prozesse“  sollte die Soziologie die folgenden drei grundlegenden Anforderungen erfüllen:

1. Sie hat „wesentliche Seiten unserer gesellschaftlichen Entwicklung im Hinblick auf die Ermittlung des erreichten Niveaus zu untersuchen … Eine solche Niveauanalyse erfordert gleichzeitig,die Differenziertheit gesellschaftlicher Entwirklungsprozesse durch eine exakte Ermittlung der gruppenspezifischen Besonderheiten aufzudecken“.

2. Sie hat „die Einflußfaktoren zu analysieren, die auf gesellschaftliche Erscheinungen und Prozesse einwirken“, wobei die „Erforschung sozialer Grundprozesse“ im Mittelpunkt steht. „Hierzu gehört die Entwicklung der Klassen und Schichten, die Herausbildung einer sozialistischen Lebensweise der Werktätigen und damit im Zusammenhang die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten.“

3. Sie hat „die Entwicklungstendenzen im gesellschaftlichen Leben aufzudecken, so daß eine Prognose künftiger sozialer Situationen möglich wird“ 20.

 

IV

Mit der auf dem VIII. Parteitag der SED ( 1971) proklamierten „ökonomischen Hauptaufgabe“, die den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung postulierte. wurde ein neues Leitbild, die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ proklamiert, das die DDR-Soziologie vor neue Aufgahen stellte: Insofern die sozialistische Gesellschaft in Abwendung von Walter Ulbrichts Konzept der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ als ein komplexes und differenziertes Gebilde aufgefaßt wurde, das durch spezifische und gezielte Maßnahmen der Sozialpolitik wirksam mobilisiert werden sollte, erhielt die Sozialstrukturfoschung wachsende Bedeutung. Gleichzeitig wurde es erforderlich, Forschungsstrategien zu entwickeln, die das „materielle und kulturelle Lebensniveau“, die Lebensbedingungen unterschiedlicher sozialer Gruppen, im Rahmen einer „Niveauanalyse“ konkret ermitteln sollten. Unter dem politischen Anspruch, die gesellschaftliche Entwicklung zu planen und zu leiten, mußten Kennziffern und Indikatoren definiert werden, die eine differenzierte Einflußnahme auf verschiedene soziale Schichten und Gruppen ermöglichen sollten.

Der grundlegende Zusammenhang zwischen soziologischer Forschung und solchen gesellschaftlichen Verwertungsinteressen wurde von den Soziologen zur Rechtferligung ihrer Forschungsaktivitäten stark in den Vordergrund gestellt. In diesem Rahmen kam es auch zu einer Wiederbelebung der Sozialpolitikforschung.

Begriff und Konzept der Sozialpolitik galten in der DDR fast zwei Jahrzehnte lang lediglich als symptomatischer Bestandteil kapitalistischer Krisen- und Konfliktregulierung und wurden daher unter diesem pejorativen Vorzeichen strikt abgelehnt. Nachdem die SED 1946 „Sozialpolitische  Richtlinien“ verabschiedet hatte, wurde der Begriff sehr bald aus der politischen und wissenschaftlichen Diskussion eliminiert, obwohl verschiedene Versuche unternommen wurden, Sozialpolitik nicht nur als Korrektiv im Sinn einer Fürsorgepolitik aufzufassen, sondern als „Neugestaltung der sozialen Verhältnisse“21  zu interpretieren und damit eine eigenständige Sozialpolitikforschung zu legitimieren.

Erst Mitte der sechziger Jahre konnte Helga Ulbricht eine erste wissenschaftliche Studie zur „sozialistischen Sozialpolitik“ vorlegen22 , in der sie konstatierte, daß bis zum Ende der fünfziger Jahre „die Notwendigkeit oder auch die Existenz einer sozialistischen Sozialpolitik verneint (wurde), obwohl ihre praktische Handhabung seit Kriegsende das Gegenteil bewies“23. Während Sozialpolitik in dieser ersten „Phase der Verdrängung“ ausschließlich als „Korrekturinstanz einer nicht rationalen Gesellschaftspolitik“ perzipiert wurde24, blieb sie in einer zweiten „Phase der Anpassung“ ( 1957/58 bis 1964/67) auf die Gewährleistung sozialer Sicherheit eingegrenzt25, als „möglichst weitgehender Schutz vor den vielfältigen Wechselfällen des Lebens“26 definiert. Ein systematischer „Aufbau theoretischer und entsprechender institutioneller Grundlagen“ der Sozialpolitikforschung läßt sich erst in einer dritten Phase seit Mitte der sechziger Jahre registrieren27 .

Die Entwicklung eines eigenständigen sozialpolitischen Konzepts in der DDR bedeutete „die Abkehr von dem Gedanken, mit dem Volkswirtschaftsplan ein einheitliches Instrument zur Entwicklung der Gesellschaft zu haben“28, Sozialpolitik wurde nunmehr als aktives Element der Gesellschaftsgestaltung betrachtet. „Erst die Abgrenzung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik von der traditionellen Sozialpoliltik, der Nachweis der Systemkonformität der sozialistischen Sozialpolitik und ihe Einbindung in die Gesamtpolitik, erlaubte, in der politischen und ideologischen Diskussion in  der DDR die Sozialpolitik in den Vordergrund zu rücken und neben die Wirtschaftspolitik zu stellen“29.

Die „Arbeitskräfteorientierung der Sozialpolitik“30 bestimmte bis Mitte der siebziger Jahre die wissenschaftliche Diskussion in diesem neu etablierten Forschungsbereich, der bezeichnenderweise  zunächst vornehmlich an der Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ in Bernau institutionell verankert und systematisch  bearbeitet wurde31.

Nachdem die Partei- und Staatsführung die „Leitung und Planung sozialer Prozesse“ als ein wichtiges Element ihrer Politik deklariert hatte, forcierte sie Ausbau und Qualifizierung der Sozialpolitikforschung. Anfang 1974 wurde ein Wissenschaftlicher Rat für Sozialpolitik und Demographie eingerichtet, vier Jahre später erfolgte die Gründung des Instituts für Soziologie und Sozialpolitik (Direktor: Gunnar Winkler) der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Sozialpolitik wurde nun in einem umfassenden Sinn als „Gesamtheit der Maßnahmen, Zielsetzungen, Aktivitäten, Mittel und Methoden zur Durchsetzung einer angestrebten sozialen Entwicklung im Rahmen der Gesamtpolitik“32  oder als „Gesamtheit der Maßnahmen und Mittel … zur Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus“33 verstanden, die „zur planmäßigen Befriedigung der differenzierten materiellen und geistigen Bedürfnisse der Menschen unterschiedlicher sozialer Gruppen“34 dient.

Für die wissenschaftliche Diskussion wurde in wachsendem Maß die Entwicklung einer Theorie gesellschaftlicher Bedürfnisse bedeutsam, die sich für Planungszwecke systematisieren und als quantifizierbare Kennziffern operationalisieren lassen, damit – analog zur ökonomischen Effektivität – „soziale Effektivität“ gemessen werden kann35. Eine solche Fragestellung kann umfassend auf einer gesicherten empirischen Grundlage nur im Rahmen einer Sozialberichterstattung beantwortet  werden, die sowohl über adäquate Indikatorensysteme als auch über die entsprechenden sozialstatistischen Daten verfügt. Dadurch wird der Zusammenhang von Sozialpolitik und Sozialindikatorenforschung deutlich, deren Anfänge in der DDR Mitte der siebziger Jahre registriert werden können und im Zusammenhang mit der Neubestimmung der Sozialpolitik stehen.

Auf dem Hintergrund der Systemauseinandersetzung wurde „sozialistische Sozialpolitik“ vom Kapitalismus dadurch prinzipiell abgegrenzt, daß sie nicht in erster Linie eine Korrektiv- und Kompensationsfunklion haben sollte, sondern in ein gesellschaftspolitisches Gesamtkonzept eingebunden wurde, das im Leitbild der „sozialistischen Lebensweise“ zusammengefaßt war. Ursprünglich als ideologisches Legitimationsmuster verstanden, verstärkte sich seit Mitte der siebziger Jahre zunehmend die Tendenz, sozialistische Lebensweise als Einheit von materiellen, kulturellen und geistigen Lebensbedingungen sozialökonomisch und soziologisch zu konkretisieren. „Umfang und Qualität der Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse der  Bevölkerung“ wurden als „wichtiger Gradmesser der sozialistischen Lenbensweise“ angesehen36.

Der Begriff „Lebensweise“ war im Rückgriff auf die Klassiker des Marxismus-Leninismus37  am Beginn der siebziger Jahre in der gesellschaftswissenschaftlichen Literatur etabliert worden und diente zunächst vor allem zur ideologischen Abgrenzung gegenüber dem westlichen Konzept der „Lebensqualität“38 .Seit Mitte der siebziger Jahre wurde der sozialökonomische Aspekt der sozialistischen Lebensweise und damit auch der Zusammenhang mit Begriffen wie Lebensstandard und Lebensniveau deutlicher akzentuiert39.

 

V

Der 3. Soziologie-Kongreß der DDR, der im März 1980 zum Thema  „Sozialstruktur und Lebensweise bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ stattfand40 , ließ erkennen, daß zwei Forschungssehwerpunkte zunehmende Bedeutung erlangt hatten: Einerseits wurde die Forderung verstärkt, ein System sozialer Indikatoren zu entwickeln, das eine umfassende Analyse der Lebensbedingungen in der DDR-Gesellschaft ermöglichen sollte41.  Andererseits war man bestrebt, „die Differenziertheit in der Entwicklung, in den Ausdrucksformen und in der Ausprägung der sozialistischen Lebensweise“ zu analysieren, die sich „in wesentlichen Unterschieden in den Arbeits- und Lebensbedingungen, im Inhalt der Arbeit, in Unterschieden im Lebensniveau und nach wesentlichen Differenzierungen in der Qualifikation, in unterschiedlichen Interessen sowie auch in unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen der Werktätigen der verschiedenen sozialen Gruppen“ ausdrückt42.

Am 21. Oktober 1980 wurde der neue (jeweils für fünf Jahre festgelegte) Zentrale Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswisssenschaften 1981 – 1985 vom Politbüro der SED bestätigt. Dort wurde im grundsätzlichen Aufgabenkatalog festgestellt: „Neue Erkenntnisse werden zur Einheitlichkeit und Differenziertheit der sozialistischen Lebensweise erwartet. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Entwicklung eines Systems sozialer Indikatoren für die Leitung und Planung sozialer Prozesse“43. Im einzelnen sollte sich die soziologische Forschung vor allem auf die Analyse der Sozialstruktur, „der Entwicklung der sozialen Beziehungen in und zwischen den Klassen und Schichten“ konzentrieren und „zur weiteren Ausarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen der Leitung und Planung sozialer Prozesse beitragen44. Damit wurden Schwerpunkte der Forschung markiert, die auf die Bedeutung der Sozialindikatorenforschung als Instrument zur Wohlfahrtsmessung (Niveauanalyse), zur Dauerbeobachlung des sozialen Wandels und zur Planung der gesellschaftlichen Entwicklung ausdrücklich verweisen.

Eine konzentrierte Beschäftigung mit der Sozialindikatorenforschung läßt sich in der DDR-Soziologie erst seit 1978 nachweisen, nachdem das Institut für Soziologie und Sozialpolitik an der Akademie der Wissenschaften gegründet und dort ein entsprechender  Forschungschwerpunkt „Methodologie und Methodik der soziologischen Forschung“ (Bereichsleiter: Horst Berger) eingerichtet worden war. Dieser Befund erscheint aus zwei Gründen überraschend: Einerseits gab es in der Sowjetunion, Ungarn und der CSSR schon vor der Mitte der siebziger Jahre erste Bemühungen, die Impulse der westlichen Sozialindikatorenforschung für die Planung und Leitung gesellschaftlicher Prozesse nutzbar zu machen; andererseits bestand auch in der DDR – wie oben dargestellt – ein politisches Interesse an der Entwicklung geeigneter Steuerungsinstrumente für eine effektive Gestaltung der Sozialpolitik.

Zwar hatte in der DDR bereits in der ersten Hälfte der siebziger Jahre eine wissenschaftliche Diskussion über die Entwicklung von Konzeptionen zur Verbindung zwischen ökonomischer und sozialer Planung eingesetzt, die nach geeigneten Instrumenten zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse suchte, doch wurde diese Debatte zunächst eindeutig von den Wirtschaftswissenschaftlern bestimmt. Ökonomen halten schon in den sechziger Jahren die ersten Beiträge zu einer empirisch-quantitativ orientierten Lebensstandard- und Zeitbudgetforschung geleistet45 und waren auch Wegbereiter einer Analyse der Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR-Gesellschaft.

Die Forschungsaktivitäten der Ökonomen waren durch die Absicht geleitet, das traditionelle System der Volkswirtschaftsplanung effzienter zu gestalten, eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Bereichen der gesamtgesellschaflichen Planung zu erreichen und Entwicklungsniveaus konkret zu messen. Diese Orientierung kam exemplarisch in dem Sammelband „Das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes und seine volkswirtschaftliche Planung“ (1975) zum Ausdruck: „Für die Planung der Volkswirtschaft ist ein konstanter Fluß von Informationen und Ziffern erforderlich. Sie ermöglichen, den erreichten Stand und sich abzeichnende Entwicklungstendenzen festzustellen, sie sollen das Wesentliche einer bestimmten qualitativen Erscheinung quantitativ zum Ausdruck bringen und, bezogen auf ihre Verwendung, bei der Analyse und Planung die Möglichkeit bieten, Schlußfolgerungen für die weitere Entwicklung abzuleiten“46.

Ein wichtiger Erkenntnisfortschritt war mit Forschungsansätzen verbunden, das ideologisch präformierte Leitbild der sozialistischen Lebensweise als sozialökonomische Planungskategorie zu operationalisieren, indem es mit einer Theorie der individuellen Bedürfnisse verknüpft wurde. Im Mittelpunkt der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung stand die  kennziffernmäßige Erfassung des Lebensniveaus, gegliedert nach Bedürfniskomplexen bzw. nach den Ebenen der Gesamtgesellschaft, einzelner Klassen und Schichten sowie unterschiedlicher sozialer Gruppen47. Als „Bedürfniskomplex“ wurde dabei „die Zusammenfassung vieler Einzelbedürfnise bezeichnet, die sich auf gleiche Grundfunktionen beziehen“48. Zu den Bedürfniskomplexen wurden gezählt: Arbeitsbedingungen – Ernährung  – Kleidung – Wohnung – Gesundheit – Bildung – Kultur – Kommunikation49. Fur die langfristige Planung sollten die Bedürfniskomplexe so operationalisiert werden, „daß konkrete Ziele abgeleitet werden können, die sich in einzelnen Planteilen niederschlagen und insgesamt bilanziert werden“50.

Bereits in der Mitte der siebziger Jahre war die Volkswirtschaftsplanung im Hinblick auf die quantitative Bestimmung der materiellen Lebensbedingungen stark ausdifferenziert: „So wurde festgestellt, daß in der DDR die Planung und Statistik mit 121 Hauptkennziffern des Lebensniveaus arbeiten, von denen allerdings die meisten eine mehr oder minder große Zahl einzelner Kennziffern zusammenfassen. So gliedern sieh beispielsweise die Hauptkennziffern Nahrungsmittelverbrauch in 34, Anschaffung industrieller Konsumgüter in 28, Krippen in 5, Tarife und Gebühren in 7 und Arbeiterversorgung in 27 einzelne Kennziffern. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Kennziffern für spezielle Zwecke, so daß für eine detaillierte Untersuchung des Lebensniveaus mehr als 1000 Kennziffern benötigt werden“51.

In solchen Feststellungen zeigte sich eine Art von Planungsperfektionismus, die auf dem Hintergrund rückständiger Standards der Datengewinnung und Datenverarbeitung geradezu  illusionär anmutet. Gleichzeitig läßt die Auswahl der Bedürfniskomplexe eine Tendenz zum ökonomischen Reduktionismus im Hinblick auf die Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktionen erkennen, die sicher auch aus dem ökonomischen Entstehungs- und Verwertungszusammenhang dieser Forschungsansätze erklärbar ist.

Die Konstruktion von Systemen sozialer Iindikatoren wurde in der DDR-Soziologie seit 1978 als Forschungsproblem im Institut fur Soziologie und Sozialpolitik bearbeitet, die ersten Forschungsergebnisse wurden 1980 publiziert52. Im allgemeinen wurden drei Gründe fur die Etablierung einer eigenen Sozialindikatorenforschung genannt: das politische Verwertungsinteresse (Planungsrelevanz); das soziologische Erkenntnisinteresse (Forschungsrelevanz); das komparative Interesse (internationale Vergleichsstudien)53. Horst Berger und Herbert F. Wolf haben daneben auch den Aspekt der Selbstaufklärung der Gesellschaft betont: „Schließlich erfordert die sozialistische Demokratie exakte Information über den erreichten Entwicklungsstand und die künftigen Entwicklungstendenzen … In diesem Sinne sind soziale Analysen und Prognosen, wie sie durch Sozialindikaloren ausgedrückt werden, in der Darstellung der Problemhaltigkeit und Kompliziertheit unserer  Entwicklungsprozesse zugleich ein mobilisierendes Element“54.

Im Hinblick auf den Ursprung der Sozialindikatorenbewegung in den westlichen Industrieländern55  waren die DDR-Soziologen aus verständlichen politischen Gründen bemüht, die eigenen Forschungsansätze gegenüber dem westlichen Entstehungshintergrund abzugrenzen und ihren sozialismusspezifischen Schwerpunkt zu unterstreichen, indem sie auf die Planungsrelevanz sozialer Indikatoren für die Gestaltung einer sozialistischen Sozialpolitik und gleichzeitig auf den Zusammenhang mit dem Konzept der sozialistischen Lebensweise verwiesen. Die prinzipielle Differenz zwischen der westlichen und der sozialistischen Sozialindikatorenforschung  wurde vor allem auf der theoretischen Ebene markiert. Gegen die westliche Sozialindikatorenforschung wurde der Positivismusvorwurf geltend gemacht, der sie konzeptionell grundsätzlich von der gesellschaftstheoretischen Fundierung der marxistisch-leninistischen Soziologie unterscheide56. Unbeschadet von dieser gesellschaftwissenschaftlich molivierten (deutlich ideologisch eingefärbten) Kritik an der westlichen Sozialindikatorenbewegung eigneten sich die DDR-Soziologen das begriffliche und methodische Instrumentarium der westlichenSozialindikatorenforschung aber weitgehend an. So definierte Artur Meier – im Anschluß an Erik Allardt – Sozialindikatoren als  „Kennziffern einer auf die Deskription und normative Analyse gesellschaftlicher Zustände angelegten Sozialwissenschaft im Dienste einer bestimmten Sozialpolitik, ein statistisches Instrument zur Diagnose und Planung gesellschaftlicher Prozesse und Lebensbereiche“57. Die grundlegende Unterscheidung zwischen objektiven Sozialindikatoren (die Lebensbedingungen quantitativ erfassen) und subjektiven Sozialindikatoren (die Lebenszufriedenheit in unterschiedlichen Lebensbereichen messen) wurde von DDR-Soziologen ebenfalls übernommen58 .

Indem die konzeptionelle Differenz bei der Konstruktion von Sozialindikatorensystemen auf eine prinzipielle gcsdlschaflstheoretische Differenz zurückgeführt wurde, ergab sich zugleich die Möglichkeit, den Sozialindikatorenansatz für den Vergleich unterschiedlicher Gesellschaftssysteme weitgehend in Frage zu stellen. Statt dessen wurde gefordert, „die qualitativen Merkmale der sozialistischen Lebensweise quantitativ so zu erfassen, daß sie in ihrer Gesamtheit die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung nachweisen. Der Vergleich einzelner Indikatoren oder Kennziffern unterschiedlicher sozialökonomischer Qualität dürfte nur in Ausnahmefällen sinnvoll sein; verglichen werden kann nur das System in seiner Gesamtheit, da es in der Totalität die historisch neue Oualität der sozialistischen Lebensweise und damit der sozialistischen Gesellschaftsordnung widerspiegelt … Darüber hinaus ist es zweifelsohne schwierig … die qualitativ bestimmten Merkmale der sozialistischen Lebensweise quantitativ mittels der ‚Sozialindikatoren‘ zu erfassen“59.

Der Rückstand einer empirischen Sozialindikatorenforschung in der DDR ist auf dem 3. Soziologie-Kongreß der DDR ausdrücklich konstatiert worden: „Soziale Indikatoren sind ein wichtiges Instrumentarium für die soziologische Erforschung von Sozialstruktur und Lebensweise der sozialistischen Gesellschaft. Die Hauptfunkton von Indikatorensystemen besteht darin, wesentliche Entwicklungsprozesse der Sozialstruktur und Lebensweise kennziffernmäßig widerzuspiegeln. Um die Zielstellungen, Prinzipien und Aufgaben sozialistischer Sozialpolitik in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft begründen, analysieren, planen, leiten, kontrollieren und realisieren zu können, bedarf es der Ausarbeitung von Systemen sozialer Indikatoren für verschiedene Bereiche der Gesellschaft“60. Der politische Auftrag an die DDR-Soziologen, eine eigene sozialismusspezifische Sozialindikatorenforschung zu begründen, setzte sie einem prekären Erkenntnisdilemma aus: die systempolitische Vorgabe, Konzeptionen einer vergleichenden Wohlfahrtsmessung aus ideologischen Gründen zurückzuweisen, hatte zur Folge, daß damit zugleich die Übernahme der erprobten westlichen Indikatorentableaus für die eigene Sozialberichtestattung ausgeschlossen wurde. So erklärt sich, daß die DDR-Soziologie zwar die Terminologie der westlichen Sozialindikatorenforchung benutzte, im Hinblick auf die Konstruktion von Indikatorensysemen aber einen eigenen Weg beschreiten mußte.

Eine erste systematische Einführung in die Sozialindikatorenforschung der DDR haben Horst Berger und Eckhard Priller 1982 vorgelegt und dabei gleichzeitig die wichtigsten Forschugnsaufgaben umrissen: „Unseres Erachtens muß sich die Indikatorenforschung auf zwei zusammengehörende Hauptgebiete konzentrieren. Erstens gilt es, für wichtige Objektbereiche der soziologischen Forschung Standardindikatoren bzw. theoretisch bestimmte und empirisch geprüfte Indikatorenbatterien zu entwickeln, damit die Vergleichbarkeit und Effektivität soziologischer Untersuchungen ggewährleistet und erhöht werden kann. Zweitens gilt es, Systeme sozialer Indikatoren zu erarbeiten, die als wichtiges Mittel für eine wissenschaflich begründete und effektive Informationsbasis zur Erhöhung des Niveaus der Leitung und Planung der komplexen sozialökonomischen Entwicklung unserer sozialistischen Gesellschaft beitragen“61.

 

VI

Während die Phase der Konzeptualisierung der Soziaindikatorenforschung in der DDR noch einigermaßen transparent blieb, vollzog sich ihre Operationalisierung unter weitgehender Geheimhaltung. Bis 1984 wurde am Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften ein „System sozialer Indikatoren zur Analyse, Leitung und Planung der sozialistischen Lebensweise“ ausgearbeitet62, das als Grundlage für die Entwicklung einer Sozialberichterstattung in der DDR dienen sollte, die seit 1985 in Ansätzen versucht worden ist, obwohl sich erhebliche Probleme bei der Datenbeschaffung zeigten. Bis 1989 wurden schließlich vier Berichte zur sozialen Lage in der DDR verfaßt: „Damit wurde von Anbeginn das Ziel verfolgt, auf Tendenzen in der Entwicklung der sozialen Lage, auf vorhandene Diskrepanzen in den Lebensbedingungen verschiedener sozialer Gruppen und territorialer Einheiten aufmerksam zu machen. Vor allem in den Berichten 1988 und 1989 wurde auf zunehmende Widersprüche in der sozialen Entwicklung verwiesen. Hoher Vertraulichkeitsgrad und eine Begrenzung der angefertigten Stückzahlen auf höchstens zehn Exemplare/Jahr, die der damaligen Partei- und Staatsführung übergeben wurden, verhinderten die erforderliche Öffentlichkeit. Es wird für die historische Aufarbeitung dieser Zeit auch von Interesse sein, in welchem Maße sich Wissenschaftler der Analyse realer Prozesse stellten, ohne die Unterordnung der Wissenschaft unter politische Interessen einzelner Spitzenfunktionäre überwinden zu können“63.

Der Sachverhalt, der erst nach dem politischen Umbruch im November 1989 bekannt geworden ist, dokumentiert auf signifikante Weise das Dilemma der DDR-Soziologie in den achtziger Jahren. Schon am Ende der siebziger Jahre war die soziologische Forschung in der DDR wachsendem politischen Argwohn ausgesetzt, weil sie Ergebnisse zutage gefördert hatte, die im deutlichen Kontrast zur ideologischen Erfolgspropaganda standen. Das Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED wurde 1978 nach einer persönlichen Entscheidung Erich Honeckers, der offenbar kontroverse Debatten im Politbüro vorausgegangen waren, geschlossen. Als Begründung nannte Honecker gegenüber der Institutsdirektorin Helene Berg u. a. „die Spionagetätigkeit des Klassengegners nehme ständig zu und es müsse alles getan werden, daß ihm keine Daten in die Hände fallen64. Die Begründung läßt den Schluß zu, daß die Ergebnisse der Umfrageforschung für die Politik der SED ungünstiger ausgefallen waren, als der Generalsekretär erwartet hatte. Warum sonst hätte er fürchten müssen, daß der Klassengegner daraus Kapital schlagen könnte? So wurde in einem Akt der Realitätsverdrängung der Überbringer schlechter Nachrichten als ihr Urheber diskreditiert und man befreite sich von den irritierenden Resultaten seiner Aktivität durch einfache Institutsauflösung.

Auch das Zentralinstitut für Jugendforschung geriet wiederholt unter Existenzdruck, weil es mit seinen Untersuchungen die Grenzen sozialistischer Bewußtseinsbildung in der jungen Generation markiert und damit auch auf neue Konflikte und Widersprüche in der DDR-Gesellschaft verwiesen hatte65. In dem Maße, wie sich die Soziologie um gesellschaftliche Aufklärung bemühte, wurde sie mit administrativen Mitteln verschärft diszipliniert und auf eine instrumentelle sozialtechnologische Hilfsfunktion beschränkt. Zahlreiche renommierte Soziologen wie Heinz Kallabis, Hansgünter Meyer oder Peter Voigt wurden Opfer massiver Disziplinierungsmaßnahmen66, die Genehmigungspraxis für empirische Untersuchungen und Buchveröffentlichungen wurde unkalkulierbar restriktiv gehandhabt67 , so daß erhebliche Teile der relevanten soziologischen Forschung in eine Grauzone68  abgedrängt wurden, die ihre Außcnwahrnehmung weitgehend verhinderte.

Spektakuläre neue Akzentsetzungen in der soziologischen Forschung der DDR wurden zuletzt in der ersten Hälfte der achtziger Jahre erkennbar, als Manfred Lötsch die These vertrat, in der DDR sei die Periode sozialen Wandels weitgehend abgeschlossen. Die Entwicklung der Gesellschaft zur „sozialen Stabilität“69  wird dabei vorwiegend  durch ökonomische Faktoren erklärt: „Während extensives Wirtschaftswachstum durch tiefgreifende Veränderungen in den zahlenmäßigen Proportionen der Klassen und Schichten gekennzeichnet ist, beruht intensives Wachstum auf einer Stabilisierung der herausgebildeten zahlenmäßigen Proportionen der Klassen- und Schichtenstruktur“70. Lötsch wies nach, daß die weitreichenden Prozesse sozialer Mobilität in den fünfziger und sechziger Jahren durch eine zunehmende Tendenz zur Reproduktion der Sozialstruktur abgelöst worden sind, wobei seit Beginn der siebziger Jahre die Selbstrekrutierung von Eliten zugenommen hat71.

Dieser soziologische Befund ließ sich vordergründig mit dem Gleichheitsprinzip sozialististischer Gesellschaftspolitik nur schwer vereinbaren. Seine politische Sanktionierung ergab sich vornehmlich aus der ökonomischen Interessenlage der SED. Lötsch unterstrich die Notwendigkeit, das Verhältnis von Gleichheitszielen und Effektivitätszielen in der Politik neu zu bestimmen, die traditionelle Vorstellung „sozialer Homogenität“ durch ein Konzept zu ersetzen, das die „ökonomisch effektive Funktion sozialer Unterschiede“ im Sinne einer verstärkten Anwendung des Leistungsprinzips anerkennt72.

Während die Debatte über das Verhältnis von Gleichheit und Differenzierung im Sozialismus zunächst kontrovers verlief, war die von Lötsch verfochtene Position in der Mitte der achtziger Jahre zur herrschenden Auffassung der Soziologen geworden. Ihre politische Brisanz wurde durch ihre ökonomische Plausibilität in den Hintergrund gerückt. Freilich zogen die Herrschenden daraus keine gesellschaftspolitischen Konsequenzen. Die Gerontokratie des Politbüros ließ alles beim alten: Die Soziologen wurden nicht zur gesellschaftlichen Innovation in Anspruch genommen, sondern blieben auf die Rolle von Sozialtechnologen beschränkt.

Diese fragwürdige Situation wurde auf dem 4. Kongreß der marxistisch-leninistischen Soziologie, der vom 26. bis 28. März 1985 unter dem Thema „Soziale Triebkräfte des ökonomischen Wachstums“ unter Teilnahme von etwa 350 Soziologen stattfand, besonders deutlich. Realitätsblinde Systemapologetik mußte zur Legitimation einer Wissenschaft herhalten, deren kritische Erkenntnisfunktion durch ihre politische Instrumentalisierung überlagert (teilweise erstickt) wurde, wie aus dem Vorwort zur Kongreßdokumentation deutlich hervorgeht: „Angesichts der Krise in entwickelten kapitalistischen Industrieländern und im Gegensatz zu Konzeptionen insbesondere konservativer bürgerliche Sozialwissenschaftler zur Rechtfertigung von Sozialabbau und zur kapitalistischen Rationalisierung mit ihren sozialen Folgen wie Massenarbeitslosigkeit und Angriffen auf soziale Errungenschaften der Werktätigcn bot sich auf dem Kongreß eine völlig andere, eine wahrhaft humanistische und optimistische Perspektive“73.

Wenn man genauer hinsieht, wird jedoch deutlich, daß hinter dieser glattpolierten Fassade erhebliche Interessenkonflikte zwischen Politik, Ideologie und soziologischer Forschung verborgen waren, die Rudi Weidig in seinem Hauptreferat zumindest vorsichtig apostrophierte. Dabei wurde –  wenn auch durch beflissene Rhetorik überdeckt – das zunehmende Dilemma realsozialistischer Machtausübung in der DDR angedeutet: der wachsende Widerspruch zwischen der realen Politik und ihrer gesellschaftlichen Akzptanz, die sich in den konkreten Interessen und Bedürfnissen der Menschen manifestiert. Wenn soziologische Untersuchungen – wie von Weidig betont – „eine allgemeine Tendenz: nämlich die wachsenden qualitativen Ansprüche an alle Lebensbereiche“ zeigen74, dann wirft das zwangsläufig Fragen nach der Wohlfahrtkompetenz, nach der Qualität der „Gesellschaftsstralegie der SED“, auf – auch wenn diese nicht explizit gestellt werden.

Andeutungsweise wurden sogar Mängel im System der sozialistischen Demokratie eingestanden: „So zeigten unsere Forschungen, daß bei einer zunehmenden Zahl von Werktätigen, besonders bei jüngeren Menschen, das Bedürfnis stark ausgeprägt ist, … sich als Subjekt betätigen und bestätigen zu können, an Entscheidungen, die eigene Lebcnsinteressen und Leistungen betreffen, mitzuwirken, aktiv eigene Interessen und Meinungen geltend zu machen … „75. Während Weidig diesen Partizipationsanspruch vorwiegend auf die Sphäre der Produktion bezog, haben jugendsoziologische Untersuchungen sehr deutlich das Ausmaß an Entfremdung zwischen politischer Führung und Gesellschaft, die Folgenlosigket sozialistischer Erziehung und Bewußtseinsbildung, die Zunahme eines Legitimationsdefizits aufgewiesen76.

 

VII

Es kennzeichnet den Charakter der Politik ebenso wie den Zustand der Soziologie, daß solche kritischen Befunde vor der Wende im Spätherbst 1989 der Öffentlichkeit unzugänglich blieben. Es kann daher nicht geleugnet werden: Soziologische Forschung in der DDR war während ihrer 25jährigen institutionalisierten Existenz in der DDR 77 in erheblichen Teilen „Parteiarbeit“, disponibles „Herrschaftswissen“78, als kritische Sozialwissenschaft weitgehend suspendiert. Einzelne DDR-Soziologen haben diese bittere Erkenntnis auf dem 5. Soziologie-Kongreß. der vom 6. bis 8. Februar 1990 unter dem neugewählten Thema „Soziologie im Prozeß der Erneuerung“ durchgeführt wurde79, ausgesprochen und selbstkritisch Bilanz gezogen: Fixiert auf die Gesellschaftstheorie der Herrschenden habe sich die Soziologie als unfähig erwiesen, die „entstandenen Widersprüche im grundlegenden Bedingungs- und Strukturzusammenhang der Gesellschaft“ und die Zuspitzung der Krise des politischen Systems zu erkennen, „und so mußte sich die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft schließlich vor der gesellschaftlichen Praxis blamieren“80.

Unter den angestrebten Bedingungen herrschaftsfreier pluralistischer Forschung steht die Soziologie in der DDR vor neuen Aufgaben, die sie nur lösen kann, wenn sie sich von den Hypotheken der Vergangenheit befreit. Zu einer Bilanz gehört, daß man Mängel und Versagen markiert, zugleich aber auch nach der bleibenden Substanz einer Forschung fragt, die zumindest in Teilen dem Ziel gesellschaftlicher Aufklärung verpflichtet blieb81 . Die Qualität von Forschungsergebnissen kann nicht durch politische Gütesiegel festgestellt werden, sie muß sich im wissenschaftlichen Diskurs erweisen. Dazu möchte der vorliegende Sammelband, der Beiträge von Soziologen aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vereinigt und Analysen präsentiert, die vor und nach dem Umbruch 1989 verfaßt worden sind, einen Beitrag leisten.

 

Anmerkungen

1  Zur Geschichte der Soziologie vgl. vor allem Emil Schmickl: Soziologie in der DDR als Ergebnis sozialen Wandels und politischer Programmatik. Analysen und Berichte aus Gesellschaft und Wissenschaft 1/75, Erlangen 1975; ders.: Soziologie, in: Hans Lades/Clemens Burrichter (Hrsg.): Produktivkraft Wissenschaft. Sozialistische Szialwissenschaften in der DDR, Hamburg 1970, S. 137ff. Hellmuth G. Bütow: Zur Entwicklung der Soziologie und Sozialpsychologie in der DDR, in: Rüdiger Thomas (Red.):Wissenschaft und Gesellschaft in der DDR, München 1971, S. 166ff.

2  Vgl. dazu Helmut Steiner: Zur Soziologie nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, in: Christoph Cobet (Hrsg.): Einführung in Fragen an die Soziologie in Deutschland nach Hitler1945 – 1950, Frankfurt a. M. 1988, S. 76ff.

3  Vgl. etwa H. Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien. Eine soziologische Untersuchung an 498 Familien, Berlin 1948; G. Eisermann (Hrsg.):Gegenwartsprobleme der Soziologie. Alfred Vierkandt zum 80. Geburtstag, Potsdam 1949.

4  Siehe dazu Joachim Streisand: Kritisches zur deutschen Soziologie. Ein Beitrag zur Überwindung des Objektivismus. Diss. Humboldt-Universität, Berlin 1952.

5  Bezeichnenderweise wurde seine Studie unter dem Titel „Sociologiceskie zakony“ zuerst in der sowjetischen Zeitschrift Voprosy filosofii 5/1957, S. 95ff. publiziert. Nachdruck in Jürgen Kuczynski: Sudien zu einer Geschichte der Gesellschaftswissenschaften. Bd. 10, Berlin 1978, S. 224ff. Vgl.auch: Merkwürdiges Schicksal und ungelöste Grundfragen einer Wissenschaft, ebd., S. 157ff.

6   Vgl dazu Hellmuth G. Bütow: Soziologie und empirische Sozialforschung I und II. Hochschulinformationen 5/1965 u. 1/1967.

7   Peter Christian Ludz: Soziologie und empirische Sozialforschung in der DDR, in: ders. (Hrsg.): Studien und Materialien zur Soziologie der DDR (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 8), Köln/Opladen 1964, S. 327ff.

8   Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1963, S. 102.

9  Kurt Hager: Probleme und Aufgaben der Gesellschaftswissenschaten nach dem 5. Plenum des ZK, in: Einheit 4/1964, S. 60.

10  Soziologie und Praxis, Berlin 1965, S. 11.

11 Einen guten Überblick bietet Peter Christian Ludz: Soziologie und Marxismus in der Deutschen Demokratischen Republik. 2 Bde., Neuwied 1972, der repräsentative Beiträge von DDR-Soziologen für diesen Zeitraum zusammengestellt hat. Vgl. hierzu auch Dieter Voigt: Soziologie in der DDR, Köln 1975.

12 Vgl. insbesondere Artur Meier: Soziologie des Bildungswesens, Berlin 1974.

13 Vgl. dazu Soziologie im Sozialismus, Berlin 1970.

14  Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, Berlin 1969. Eine wesentlich erweiterte und überarbeitete 2.Auflage erschien 1977.

15 Vgl. dazu als Beispiel: Einführung in die soziologische Forschung. Hrsg. von Horst Jetzschmann, Heinz Kallabis, Robert Schulz und Horst Taubert, Berlin 1966.

16  Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, Berlin 1977.

17  Die Ergebnisse des Kongresses sind in 3 Bänden dokumentiert: Soziologische Probleme der Klassenentwicklung in der DDR; Lebensweise – Kultur – Persönlichkeit; Aktivität – Schöpfertum – Leitung und Planung, jeweils Berlin 1975.

18  Zum Konzept vgl. Zur Sozialstruktur der sozialisitschen Gesellschaft, Berlin 1974. – Weiterführende Iinformationen bei Horst Laatz: Klassenstruktur und soziales Verhalten. Zur Entstehung der empirischen Sozialforschung in der DDR, Köln 1990; vgl. auch ders., Soziologische Forschung und Gesellschaft in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte,   B 16 – 17/84, S. 18ff. (Der Autor war an der Sozialstrukturuntersuchung 1973 maßgeblich beteiligt.)

19  Georg Aßmann/Rudhart Stollberg (Hrsg.): Grundlagen der marxistisch-leninistischen Soziologie, Berlin 1977, S. 6.

20  Ebd., S. 26f.

21  Thalmann 1948. Zit. bei Werner Ruß: Die Sozialversicherung in der DDR, Frankfurt/M. 1982, S. 8.

22  Helga Ulbricht: Aufgaben der sozialistischen Sozialpolitik bei der Gestaltung der sozialen Sicherheit in der DDR. Habilitationsschrift, Leipzig 1965. Die Autorin konstatiert in der Einleitung, daß es „keine geschlossene Darstellung über die sozialistische Sozialpolitik in der DDR, weder über ihre Zielsetzung, noch über ihre Aufgaben“ gibt, noch nicht einmal eine „geschlossene Übersicht darüber, auf welchen Gebieten, mit welcher konkreten Zielsetzung und mit welcher Intensität Sozialpolititk betrieben wird“ (S. VIII).

23  Ebd., S. 62.

24  Wolf-Rainer Leenen: Zur Frage der Wachstumsorientierung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik in der DDR, Berlin 1977, S. 20f.

25  Eb., S. 22f.

26  Gunter Thude, Soziale Sicherheit, Berlin 1965, S. 14.

27  Leenen: Sozialpolitik (Anm. 24), S. 24.

28  Ruß: Sozialversicherung (Anm. 21), S. 16.

29  Ebd., S. 19.

30  Leenen : Sozialpolitik (Anm. 24), S. 75.

31  Vgl. zu dieser Periode insbesondere: Sozialpolitik, Betrieb, Gewerkschaften, Berlin 1972.

32  Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin 1978, S. 633.

33  Wörterbuch der Soziologie (Anm. 16), S. 583.

34  Wörterbuch zur sozialistischen Jugendpolitik, Berlin 1975, S. 265.

35  „Der gesellschaftliche Effekt sozialpolitischer Maßnahmen wird gemessen an der vorrangigen Befriedigung von Bedürfnissen, die objektiven gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechen und von der Mehrheit der Bevölkerung als vordringlich angesehen werden“. (Ebd.) Zum Begriff der „sozialen Effektivität“ vor allem Otto Reinhold: Ökonomische und soziale Effektivität, in: Hauptwege zur Steigerung der Arbeitsproduktivität für die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften der DDR. Jg. 1978 – Nr. W 8, Berlin 1979, S. 79ff.

36  Wörterbuch der Soziologie (Anm. 16), S. 390.

37 „Diese Weise der Produktion … ist vielmehr schon eien bestimmte Art, … ihr Leben zu äußern, eine bestimmte Lebensweise derselben. Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren. Was die Individuen also sind, das hängt ab von den materiellen Bedingungen ihrer Produktion.“ (Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 3, Berlin 1958, S. 21.)

38  Vgl. dazu Hans Dietrich Engelhardt u. a. : Lebensqualität – Zur inhaltlichen Bestimmung ener aktuellen politischen Forderung, Wuppertal 1973; Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): „Lebensqualität?“ Von der Hoffnung, Mensch zu sein, Köln 1974.

39  Vgl. dazu zusammenfassend Michael Langhof: Sozialistische Lebensweise – Ideologischer Kampfbegrif oder sozialökonomische Planungskategorie, in: Die DDR im Entspannungsprozeß. Lebensweise im realen Sozialismus. Dreizehnte Tagung zum Stand der DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, 27. bis 30. Mai 1980. Edition Deutschland Archiv, Köln 1980, S. 18ff. Aus der Fülle von Veröffentlichungen in der DDR sei auf folgende resümierende Studien verwiesen: Probleme der sozialistischen Lebensweise. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften der DDR, Jg. 1977 – W 5, Berlin 1977 und Günter Manz: Aspekte der Bestimmung und der planmäßigen Gestaltung der sozialistischen Llebensweise, in: Wirtschaftswissenschaft 8/1981, S. 936ff.

40 Vgl. den Kongreßband Lebensweise und Sozialstruktur, Berlin 1981 sowie: Bericht über den 3. Kongreß der marxistisch-leninistischen Soziologie in der DDR, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 8/1980, S. 978 ff.

41  Siehe dazu Michael Häder: Indikatoren zur soziologischen Analyse von Sozialstruktur und Lebensweise, in: Lebensweise und Sozialstruktur (Anm. 40), S. 304ff.

42  Autorenkollektiv unter Leitung von Gunnar Winkler: Ökonomische und soziale Probleme der weiteren Ausprägug der sozialistischen Lebensweise. Thesen, in: Probleme der Lebensweise (Anm. 39), S. 15.

43  Zentraler Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften 1981 bis 1985, in: Einheit 12/1980, S. 1216.

44  Ebd., S. 1217.

45  In der DDR wurde 1963 der „Arbeitskreis Lebensstandard“ des „Beirats für ökonomische Forschung“ gegründet. Vgl. dazu ausführlich Autorenkollektiv unter Leitung von Günter Manz: Beiträge zur Lebensstandardforschung, Berlin 1967; insbesondere Gerhard Lippold: Zur Systematik der Kennziffern des Lebenstandards, ebd., S. 32ff. – Zur Zeitbudgetforschung: Autorenkollektiv unter Leitung von Gerhard Lippold: Das Zeitbudget der Bevölkerung, Berlin 1971.

46  Das mateielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes und seine volkswirtschaftliche Planung, Berlin 1975, S. 72.

47  Ebd., S. 41.

48  Heinz-Dieter Haustein/Günter Manz: Bedürfnisse – Bedarf – Planung, Berlin 1976, S. 89.

49  Vgl. Lebensniveau (Anm. 46), S. 100.

50  Haustein/Manz: Bedürfnisse (Anm. 48), S. 86.

51  Lebensniveau (Anm. 46), S. 44. – Die Planungsordnung der DDR enthielt eine große Anzahl von Kennziffern zur Planung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung, die jedoch nicht auf einzelne Verantwortungsbereiche aufgeschlüsselt waren, sondern als quantitative Zielgrößen fungierten. Vgl. Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft 1976 bis 1980 (Gbl. 1974, Sonderdruck Nr. 775 a/b) bzw. 1981 bis 1985 (GBl. 1980, Sonderdruck Nr. 1020). Vgl. auch Lexikon der Wirtschaft. Volkswirtschaftsplanung, Berlin 1980, S. 440f.

52  Vgl. dazu im einzelnen Rüdiger Thomas: Sozialindikatoren als Evaluationskriterien für systemvergleichende Analysen (untersucht am Beispiel der beiden deutschen Staaten), Forschungsbericht Köln/Bonn 1982 (vervielf. Typoskript), S. 57ff. Die wichtigsten Beiträge dieser frühen Implementierungsphase waren Artur Meier: Sozialindikatorenbewegung und bürgerliche Alltagssoziologie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1/1980, S. 71 ff.; Horst Berger/Herbert F. Wolf: Indikatoren für die soziologische Analyse von Sozialstruktur und Lebensweise, ebd., S. 95ff.; Horst Berger/Werner Klimek: Zum Begriff und zur Rolle von Indikatoren in der soziologischen Forschung, In: Jahrbuch für Soziologie und Sozialpolitik 1980, Berlin 1980, S. 146ff.; Horst Berger/Werner Klimek/Eckhard Priller: Vergleichende Studie über soziale Indikatoren, in: Protokolle und Informationen des Rates für Sozialpolitik und Demographie 1/1980; Ursula Kaftan: Methoden zur Unterscheidung subjektiver und objektiver Indikatoren, in: Informationen zur soziologischen Forschung in der DDR 5/1980, S. 39 ff.; Kurt Mühler: Bemerkungen zur komplexen Beschreibung und Prognose sozialer Prozesse mittels Sozialindikatoren, in: Informationen zur soziologischen Forschung in der DDR 4/1982, S. 3 ff.

53  So etwa Gunnar Winkler: Zur höheren Qualität der Verbindung von Soziologie und Sozialpoliitk, in: Jahrbuch für Soziologie und Sozialpolitik 1982, Berlin 1982,  S. 32. Vgl. auch ähnlich Berger/Klimek: Indikatoren (Anm. 52), S. 155.

54  Berger/Wolf: Indikatoren (Anm. 52), S. 97.

55  Grundlegende Beiträge sind Raymond A. Bauer (ed.): Social Indicators, Cambridge/Mass. 1966; Wolfgang Zapf: Probleme und Möglichkeiten der Sozialberichterstattung. Eine Studie im Auftrag der Kommission für wirtschaftlichen Wandel, Mannheim 1975; Rudolf Werner: Soziale Indkatoren und politische Planung. Eine Einführung in Anwendungen der Makrosoziologie, Reinbek 1975; Christian Leipert: Gesellschaftliche Berichterstattung. Eine Einführung in Theorie und Praxis sozialer Indikatoren, Berlin/Heidelberg/New York 1978; Matthias Peters/Peter Zeugin: Sozialindikatorenforchung. Eine Einführung, Stuttgart 1979. – Internationale Vergleiche behandeln Joachim Hoffmann-Nowotny (Hrsg.): Soziale Indikatoren. Internationale Beiträge zu einer praxisorientierten Forschungsrichtung, Frauenfeld/Stuttgart 1976;  ders. (Hrsg.): Soziale Indikatoren im internationalen Vergleich, Frankfurt/New York 1980; Charles L. Taylor (ed.): Indicator Systems for Political, Economic and Social Analysis, Cambridge/Mass. u. Königstein 1980. Vgl. auch Reimut Emde: Sozialindikatoren und Systemvergleich, Frankfurt/New York 1979.

56  Vgl. dazu Eckhard Priller: Methodologische und methodische Probleme der Indikatorengewinnung in der soziologischen Forschung, Diss. Humboldt-Universität Berlin 1978 (unveröff. Typoskript), S. 68.

57  Meier: Sozialindikatorenbewegung (Anm. 52), S. 72.

58  Vgl. Herbert F. Wolf: Subjektive Sozialindikatoren und sozialistische Lebensweise, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 3/1983, S. 250 ff. – Berger/Priller unterscheiden: „Sozialindikatoren zur Erfassung des Aufwandes“, „Sozialindikatoren zur Erfassung der erreichten Leistungen und erzielten Ergebnisse“ sowie „Sozialindikatoren zur Erfassung der Zufriedenheit mit sozialen Maßnahmen“. (Horst Berger/Eckhard Priller: Indikatoren in der soziologischen Forschung, Berlin 1982, S. 86).

59  Berger/Klimek:Indikatoren (Anm. 52), S. 158.

60  Die Arbeitsgruppen des 3. Soziologie-Kongresses in der DDR, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1/1980, S. 92.

61  Berger/Priller: Indikatoren (Anm. 58), S. 143.

62  Vgl. Horst Berger u. a.:System sozialer Indikatoren der sozialistischen Lebensweise, in: Soziologie und Sozialpolitik. Beiträge aus der Forschung 1/1984, S. 41ff.

63  Gunnar Winkler (Hrsg.): Sozialreport ’90. Daten und Fakten zur sozialen Lage in der DDR, Berlin 1990, S. 7.

64  Walter Friedrich: Sozialwissenschaften in der DDR. Die rosarote Brille – selbstverordnet, in: Das Parlament, Nr. 18 vom 27. April 1990, S. 8.

65  Ebd.

66  Solche Repressalien haben die Geschichte der DDR-Soziologie begleitet. Heinz Kallabis wurde bereits Ende der sechziger Jahre als Professor an der Gewerkschaftshochschule Bernau fristlos entlassen, weil er eine kritische politische Soziologie vertrat. Hansgünter Meyer, erster amtierender Vorsitzender der im Februar 1990 gegründeten Gesellschaft für Soziologie, wurde 1974 aus dem Wissenschaftlichen Rat für Soziologische Forschung entfernt und an das Akademie-Institut für Wissenschaftstheorie versetzt. Der Rostocker Universitätslehrer Peter Voigt wurde 1984 gemaßregelt, weil er Kritik an der sozialpolitischen Konzeption der SED geübt hatte. Vgl. dazu: Die DDR-Soziologie ist nicht mehr länger geheim, in: Berliner Zeitung vom 1. Februar 1990, S. 9; Der Spiegel, Nr. 123 vom 19. März 1990,          S. 85.

67  Zwei symptomatische Beispiele: Ein von Walter Friedrich herausgegebenes „Handbuch der Jugendforschung“ wurde 1969 noch nach Drucklegung eingestampft. Der für 1985 angekündigte Sammelband „Sozialstruktur der DDR“ erschien mit 3jähriger Verzögerung (Berlin 1988).

68  Besonders instruktiv sind die Festgaben, die das Zentralinstitut für Jugendforschung zum 50. und 60. Geburtstag von Walter Friedrich 1979 und 1989 als Typoskriptdrucke vorgelegt hat. Von den etwa 430 umfangreichen Forschungsberichten des ZIJ sind nur geringe Teile veröffentlicht worden.

69  Manfred Lötsch/Joachim Freitag: Sozialstruktur und soziale Mobilität, in: Jahrbuch für Soziologie und Sozialpolitik 1981, Berlin 1981, S. 95.

70  Rudi Weidig: Soziale Triebkräfte ökonomischen Wachstums, in: Soziale Triebkräfte ökonomischen Wachstums. Materialien des 4. Kongresses der marxistisch-leninistischen Soziologie in der DDR, 26. bis 28. März 1985, Berlin 1986, S. 18.

71  Manfred Lötsch: Probleme der Reduzierung wesentlicher Unterschiede zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1/1980, S. 35f.

72  Manfred Lötsch: Soziale Strukturen als Wachstumsfaktoren und als Triebkräfte des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 6/1982, S. 721; Ingrid Lötsch/Manfred Lötsch: Soziale Strukturen und Triebkräfte: Versuch einer Zwischenbilanz und Weiterführung der Diskussion, in: Jahrbuch für Soziologie und Sozialpoliitk 1985, Berlin 1985, S. 174. Zum Gesamtthema vgl. Heiner Timmermann (Hrsg.): Sozialstruktur und sozialer Wandel in der DDR, Saarbrücken 1988.

73  Soziale Triebkräfte (Anm. 70), Vorwort S.6.

74  Rudi Weidig: Soziale Triebkräfte (Anm. 70), S. 41.

75  Ebd., S. 46 f.

76  Vgl. dazu Walter Friedrich: Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 16 – 17/90, S. 25ff.

77  Wichtige neuere soziologische Literatur wird erfasst in: Zentralstelle für Information und Dokumentation: Auswahlbibliographie soziologisch relevanter Publikationen aus der DDR 1985 – 89 (Redaktionsschluß: 25. Oktober 1989); Zetralinstitut für Jugendforschung – Abt. Information: Ausgewählte Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Jugendforschung (vorwiegend 1985 – 1989); Bibliographie Sozialpolitik 1984 – 1988. Soziologie und Sozialpoliitk. Beiträge aus der Forschung, Berlin 1989.

78  Marianne Schulz/Jan Wielgohs: Wessen Interessen vertritt die Soziologie? Wider die antidogmatische Legende einer Wissenschaft. Referat auf dem 5. Soziologie-Kongreß der DDR, 6. Februar 1990 (unveröffentl. Typoskript), S. 2 f.

79  Vgl. Walter Süß: „Die besungene Zukunft ist beendet“, in: Das Parlament, Nr. 8 vom 16. Februar 1990, S. 9; Katharina Belwe: 5. Soziologie-Kongreß in der DDR (Gesamtdeutsches Institut, Bonn, 25. März 1990).

80  Schulz/Wielgohs: Welche Interessen (Anm. 80), S. 4. Die beiden Autoren haben kürzlich eine Studie vorgelegt, die dem kritisierten Mangel abzuhelfen sucht: Jan Wielgohs/Marianne Schulz: Reformbewegung und Volksbewegung. Politsche und soziale Aspekte im Umbruch der DDR-Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 16 – 17/90, S. 15ff.

81  Vgl. dazu auch Manfred Lötsch: Stand und Perspektiven der DDR-Soziologie. Thesen, in: Deutschland Archiv 4/1990, S. 552ff.

 

In: Heiner Timmermann (Hrsg.): Lebenslagen. Sozialindikatorenforschung in beiden Teilen Deutschlands. Saarbrücken: Verlag Rita Dadder 1990, S. 9-35.

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