Spurensuche auf einer Kulturinsel
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Spurensuche auf einer Kulturinsel
Rüdiger Thomas, Bergisch Gladbach
Matthias Braun: Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit, Göttingen: Vandenhoek& Ruprecht 2007, 464 S., €31,90
Wer nach ermutigenden Ansätzen im ersten Nachkriegsjahr -zunächst gefördert durch sowjetische Kulturoffiziere – auf eine liberale Kulturpolitik in der SBZ hoffen mochte, wurde seit 1947 zunehmend desillusioniert. Der politische Ost-West-Antagonismus mündete 1948 in das berüchtigte Verdikt gegen den Formalismus, der das Ende aller Illusionen auf eine freie Entwicklung der Künste im Osten Deutschlands markierte. Nach Gründung der DDR fehlte zunächst ein Kulturministerium (bis 1954 Johannes R. Becher zum ersten Minister berufen wurde), stattdessen waren mit der Staatlichen Kommission für Kunst-angelegenheiten und dem Amt für Literatur und Verlagswesen im Sommer 1951 zwei Kontrollinstanzen etabliert worden. Sie bewirkten, dass sich die dunklen Schatten der sowjetischen Kulturpolitik Shdanows auch über die Kulturszene der DDR legten, was auf der Dresdner III. Deutschen Kunstausstellung (1953) ebenso sichtbar wurde wie in den Programmen der Verlage. Diese deprimierende Entwicklung rief bei vielen Kunst-schaffenden gleichermaßen Enttäuschung, Resignation, Argwohn und Kritik hervor. Daher wurden die bereits kurz nach Kriegsende eingeleiteten ersten Sondierungen und Aktivitäten für eine Wiederbelebung der Preußischen Akademie der Künste von den Kulturproduzenten als eine Chance wahrgenommen, dem Prozess einer fortschreitenden Reglementierung der Künste den Anspruch auf eine Selbstbestimmung der Künstler entgegenzusetzen.
Im ersten Kapitel seines materialreichen, quellengestützten Buches schildert Matthias Braun die Gründungsgeschichte der „Deutschen Akademie der Künste“, die schließlich nach langwierigen politisch-administrativen Prozeduren am 24. März 1950 mit einem Staatsakt im Berliner Admiralspalast inauguriert wurde. In seiner Eröffnungsrede stellte Minister-präsident Otto Grotewohl fest: „Was also soll die Akademie der Künste ihrem Wesen nach sein? Nichts mehr und nichts weniger als die höchste Institution der Deutschen Demokratischen Republik im Bereich der Kunst.“ Wer dieser Rede genau zuhörte, konnte bezweifeln, dass die Kunst damit für ihre eigenen Angelegenheiten ein selbstbestimmtes Forum erhalten hätte. Denn als „Ziel und Maßstab“ wurde von Grotewohl gleichzeitig die „Parteinahme für die Sache der Arbeit“ postuliert (S. 35). Ursprünglich war im Oktober 1948 Heinrich Mann das Angebot unterbreitet worden, die Präsidentschaft der künftigen Deutschen Akademie der Künste zu übernehmen, der jedoch seine beabsichtigte Rückkehr nach Deutschland so lange hinauszögerte, bis er zwei Wochen vor Akademiegründung im kalifornischen Santa Monica starb. So wurde Arnold Zweig zum Präsidenten der Akademie berufen, der zunächst nur 22 Mitglieder angehörten, darunter Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Hanns Eisler, Otto Nagel, Gret Palucca, Anna Seghers, Helene Weigel und vier aus dem westlichen Teil stammende Künstler, Heinrich Ehmsen, Otto Pankok, Gustav Seitz und Heinrich Tessenow. Bereits im Vorfeld hatten u. a. Karl Hofer und Karl Schmidt-Rottluff eine Mitgliedschaft abgelehnt. Gustav Seitz wurde 1952 beauftragt, in einem Gespräch mit dem Westberliner Kultursenator Joachim Tiburtius eine durch die Ost-West-Konfrontation bedingte Gegengründung zu verhindern. Doch diese als „Antithese zur Ostakademie“ (so der Architekt und erste Präsident Hans Scharoun) verstandene Institution wurde als Akademie der Künste 1955 ins Leben gerufen und konnte in der Folgezeit ihren Anspruch auf autonomes Handeln weitgehend behaupten. Demgegenüber zeigte sich sehr bald, dass die Aktivitäten der Deutschen Akademie der Künste (die 1972 in Akademie der Künste der DDR umbenannt wurde) weitgehend den kulturpolitischen Leitlinien der SED unterworfen wurde. Diese Tatsache drückte sich sowohl in ihrer administrativen Struktur aus, die den Direktor der Akademie als Partei- und Staatsfunktionär unmittelbar in ihre Pflicht nahm, als auch durch den Anspruch der SED, auf die Zuwahl der Akademiemitglieder nachdrücklich Einfluss zu nehmen.
Die Studie von Matthias Braun ist der erste Versuch, eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Akademie der Künste zu bieten, doch wird diese auf zwei Schwerpunkte fokussiert. Sie untersucht im Rückgriff auf alle relevanten Archivbestände einerseits die Einwirkungen der Partei und die kontrollierenden Aktivitäten der Staatssicherheit auf die Tätigkeit der Akademie und reflektiert an ausgewählten Sachverhalten, wie sich die Akademie der Künste in wichtigen politischen Konfliktlagen und bei kulturpolitischen Kontroversen verhalten hat. Matthias Braun hat damit eine Konfliktgeschichte der Akademie vorgelegt. Sie beschreibt die Spielräume und deckt die Gren-zen auf, eigenständige Positionen und Ansprüche gegenüber der Staatspartei und ihren Kontrollorganen zu entwickeln oder gar zu behaupten. Und sie belegt auch, wie sich manche Akademiemitglieder zu politischen Zwecken instrumentalisieren ließen.
Der Autor, der als Literatur- und Theaterwissenschaftler mit bemerkenswerten Studien zur Literaturgeschichte der DDR hervorgetreten ist (u. a. mit einem Werk zur Literaturzeitschrift „Sinn und Form“, 2004) und in der Abteilung Bildung und Forschung der BStU arbeitet, gliedert seine Studie nach den Amtszeiten der Akademiepräsidenten Arnold Zweig (1950 – 1953), Johannes R. Becher (1953 – 1956), Otto Nagel (1956 – 1962), Willi Bredel (1962 -1964), Konrad Wolf (1965 – 1982) und Manfred Wekwerth (1982 – 1989). Besondere Beachtung finden die Reaktionen der Akademie auf die „Krisen und politischen Großereignisse“, insbesondere den 17. Juni 1953, den Mauerbau, den Prager Frühling, den KSZE-Prozess, die Biermann-Ausbürgerung und die Perestrojka-Politik Gorbatschows. Außerdem werden wichtige kulturpolitische Ereignisse in den Blick genommen: Welche Stellung hat die Akademie zum von der SED-Führung proklamierten Bitterfelder Weg („Greif zur Feder, Kumpel!“) bezogen, wie hat sie auf die Absetzung Peter Huchels reagiert, der unter dem Druck der Partei-administration Ende 1962 sein Amt als Chefredakteur der von der Akademie herausgegebenen Zeitschrift „Sinn und Form“ niederlegte, die Walter Jens seinerzeit als „die wohl wichtigste Literaturrevue aller Deutschländer“ bezeichnet hat ? Als Beispiele für zwei gescheiterte Innovationsschübe in der Literatur der DDR werden das von Stephan Hermlin initiierte Projekt „Junge Lyrik“ (1962) und die seit Ende 1980 von Franz Fühmann angeregte Anthologie junger Autoren thematisiert, bei deren Scheitern – wie Braun zeigt – die Staatssicherheit stärker Einfluss nehmen konnte als in anderen Fällen. (Die Anthologie ist schließlich – bereits nach Fühmanns Tod – 1985 im Kölner Verlag Kiepenheuer&Witsch unter dem Titel „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ erschienen, herausgegeben von Elke Erb und Sascha Anderson.) Aufschlussreich sind auch die Ausführungen über Stephan Hermlins Initiative für die „Berliner Begegnung“ zur Friedensförderung im Dezember 1981, die als Versuch eines gesamtdeutschen Dialogs im Osten und Westen nicht unumstritten war.
Durch diese Themenzentrierung gelingt es dem Autor, Einblicke in das Selbstverständnis der Akademie und ihre Diskussionskultur zu vermitteln und dabei deutlich werden zu lassen, wie stark ihre Aktivitäten durch machtpolitische Ansprüche und kulturpolitische Interessen begrenzt worden sind. Dass auch der „zumeist fachlich gut ausgebildete und politisch verlässliche Mitarbeiterstab“ der Akademie, die nach den Zuwahlen von 1983 mehr als 100 Mitglieder hatte, bis 1989 auf 345 Personen anwachsen sollte und als ein „Gegengewicht zu der nicht kalkulierbaren Künstlerschaft gedacht“ war (S. 23), hebt der Autor ausdrücklich hervor, hält hierfür jedoch mit Recht eine eigene Untersuchung für erforderlich. Seine Darstellung schließt mit einem kursorischen Blick auf die Abwicklungsperiode der Akademie unter der Präsidentschaft Heiner Müllers, die ebenfalls eine gründliche Aufarbeitung verdienen würde.
Es bleibt nicht aus, dass man im Hinblick auf Ereignisse und Kontroversen, die der Autor ausgewählt hat, Lücken entdeckt, das gilt vor allem für die Sektionen Musik und Bildende Kunst, die auf die Kunstentwicklung in der DDR dadurch besonderen Einfluss nehmen konnte, dass die Akademiemitglieder Meisterschüler betreuen durften. Braun thematisiert in diesem Zusammenhang die von Fritz Cremer initiierte Akademie-Ausstellung „Junge Kunst/Malerei“, die mit Werken von mehr als 70 jungen experimentierfreudigen Künstlern am 15. September 1961 eröffnet wurde und heftige Kritik bei der Kulturbürokratie hervorrief, sodass eine geplante Folgeausstellung zur Plastik unterbleiben musste. Man hätte sich hier gewünscht, dass die Zeit ab Mitte der 1980er Jahre, als sich die Sklerose des politischen Systems immer deutlicher abzu-zeichnen begann, ausführlicher untersucht worden wäre. Dass sich die Akademie in den späten 1980er-Jahren erweiterte Aktionsmöglichkeiten zu schaffen wusste, zeigt die Geschichte der ersten Beuys-Ausstellung in der DDR, die am 15. Januar 1988 im Berliner Marstall eröffnet und anschließend in der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst gezeigt wurde. Obwohl sich Willi Sitte als Präsident des Verbandes Bildender Künstler dezidiert gegen das Projekt ausgesprochen hatte und sich die ZK-Abteilung unter Ursula Ragwitz höchst distanziert zeigt, gelang es der Akademie mit Unterstützung des stellv. Kulturministers Dietmar Keller die Ausstellung mit Zeichnungen von Beuys unter dem beschwichtigenden Titel „Beuys vor Beuys“ zu realisieren. Es wäre lohnend gewesen, die Vorgeschichte dieser spektakulären Schau, die insbesondere junge Künstler und Kunstwissenschaftler in der DDR nachhaltig beeinflusst hat, unter der Leitfrage von Braun aus den Akten zu rekonstruieren.
Infolge seiner thematischen Eingrenzung gibt Brauns ver-dienstvolles Buch keine Aufschlüsse über die internen Kulturdiskurse, die auf den Sitzungen der Akademie, angeregt durch Referate von Ernst Bloch (der hier 1955 seinen berühmten Vortrag „Differenzierungen im Begriff Fortschritt“ hielt) bis zu den Reflexionen Robert Weimanns zur modernen Ästhetik, Impulse zur Entwicklung einer ästhetischen Theorie jenseits des sozialistischen Realismus vermittelten. Auch die unter der Bezeichnung „Nationale Forschungs- und Gedenk-stätten der DDR für deutsche Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts“ zum 35. Jahrestag der Akademie-Gründung etablierte Forschungseinrichtung kann Braun nur kurz erwähnen (vgl. 405 – 410), ohne ihre Arbeit näher zu beleuchten.
Über die beiden von der Stiftung Archiv der Akademie der Künste herausgegebenen Editionen mit Dokumenten zur Geschichte der (ostdeutschen) Akademie der Künste („Die Regierung ruft die Künstler“,1993; Zwischen Diskussion und Disziplin, 1997) führt die Studie von Matthias Braun in doppelter Hinsicht wesentlich hinaus: Indem sie interne Debatten der Akademie auswertet, macht sie erneut deutlich, dass ihre Mitglieder differenziert betrachtet werden müssen: Hier finden sich in jeder Periode ebenso Beispiele für bedingungslose Parteiloyalität wie auch der Respekt fordernde Mut zu eigenständiger Kritik an den kulturpolitischen Restrik-tionen des SED-Staates. Im Hinblick auf die Einwirkung der Machtorgane kommt Braun zu dem Ergebnis, dass „die Partei- und Staatsführung zu keinem Zeitpunkt die Entscheidungs-macht in Sachen Akademie aus der Hand gab“. Obwohl es auch unter den Akademiemitgliedern Informanten gab, verneint der Autor die These, dass das MfS „starken Einfluss auf den kulturpolitischen Kurs und die Zusammensetzung und Steue-rung der Akademiemitgliedschaft“ ausüben konnte: „Als nicht haltbar erwies sich ebenfalls die Annahme, dass die ‚Kulturinsel’ Akademie vom MfS intensiv überwacht und durch IM in Schlüsselpositionen konspirativ gesteuert wurde.“ (S. 12/13) Matthias Brauns gründlich recherchierte, sorgfältig abwägende Studie ist eine bedeutsame Ergänzung zu Joachim Walthers grundlegender Analyse zum „Sicherheitsbereich Literatur“ (1996) und ein wichtiger Beitrag zur Kulturgeschichte der DDR, ebenso nüchtern wie facettenreich – eine empfehlenswerte spannende Lektüre.
© Rüdiger Thomas
In: Deutschland Archiv, 41. Jg. (2008), H. 3, S.550-552.