Erkundungen in einer versinkenden Verlagslandschaft
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Erkundungen in einer versinkenden Verlagslandschaft
Rüdiger Thomas, Bergisch Gladbach
Christoph Links: Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen. Berlin: Ch. Links 2009, 352 S., €24,90
„Leipzig schließt“ titelte das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel im Februar und weckte damit Assoziationen an „Leipzig liest“, den singulären Veranstaltungsmarathon für Bücherfreunde mit mehr als 1.900 Angeboten während der Leipziger Buchmesse, die im März Jahr für Jahr mit wachsenden Besucherzahlen aufwartet. Eine irritierende Diskrepanz: Während die einst stolze Stadt so berühmter Verlage wie Reclam, Brockhaus oder Insel schmerzliche Verluste beklagen muss, warten die neugierigen Leser mit anhaltenden Rekorden auf.
In dieser Situation kommt die Studie von Christoph Links, punktgenau vor Messebeginn ausgeliefert, gerade recht, erklärt sie doch akribisch eine Entwicklung, die das Land der Verlage nach der deutschen Vereinigung weitgehend auf ein Land der Bücherfreunde reduziert hat. Christoph Links scheint für Überraschungen prädestiniert: Mit seiner Verlagsneugründung ist ihm 1990 ein selten gebliebener Erfolg geglückt, und es ist staunenswert, wie er neben der Verlagsarbeit die aufwendigen Recherchen unternehmen konnte, die er in seiner fundierten Darstellung der ostdeutschen Verlagslandschaft mit ihrem dramatischen Schrumpfungsprozess seit 1990 kondensiert hat.
Das Buch beginnt mit einer schockierenden Bilanz: „Die Verlagslandschaft in Ostdeutschland hat sich in der Zeit zwischen 1990 und 2007 grundlegend verändert. Von den ehemals 78 staatlich lizenzierten Verlagen der DDR existiert in eigenständiger Form heute nur noch ein Dutzend. (…) Selbst mit den neu gegründeten Verlagen zusammen werden in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) heute nur noch 2,2% der gesamten deutschen Buchproduktion erzeugt“. (9) Die Beschäftigtenzahl ist im gleichen Zeitraum auf ein Zehntel zurückgegangen – eine dramatische Verfallsgeschichte, deren Ursachen Christoph Links in seiner bemerkenswerten Studie nachgeht.
In einem instruktiven Überblick resümiert der Autor einleitend die „Entwicklung der Eigentumsverhältnisse im Verlagswesen der SBZ/DDR“. Hier werden auf zehn Seiten die entscheidenden politischen Maßnahmen zur Steuerung des Verlagswesens zusammengefasst und zusätzlich interessante Informationen zur Buchproduktion in der DDR vermittelt. Zwischen 1945 und 1985 hat sich die Zahl der Verlage von 160 auf 78 reduziert, davon waren allein zehn im Besitz der SED, darunter neben dem Agitprop-Verlag Dietz auch der renommierte Verlag für internationale Literatur Volk und Welt. Diese parteieigenen Verlage wiesen für 1985 einen Umsatz von rund 118 Mio. M aus und konnten dabei einen Gewinn von mehr als 36 Mio. M erzielen (27). Trotz solcher erstaunlichen Renditen konnten die Verlage kein nennenswertes Vermögen bilden, mussten sie doch 80 Prozent ihrer Gewinne an den Staat abführen. Die Abschlussbilanz 1989 ergab für alle Verlage in der DDR einen Umsatz von 583 Mio. M, der Buchhandel konnte Publikationen für 840 Mio. M verkaufen. Damit war das Buchwesen ein durchaus relevanter Wirtschaftsfaktor. Für den „Kleinstaat“ DDR, der sich selbst gern als „Leseland“ feierte, ist es überraschend, dass die Durchschnittsauflage der Bücher bereits 1969 mit rund 21.400 Exemplaren angegeben wurde und auch in den 1980er Jahren die Grenze von 20.000 Exemplaren erreichte.
Die 1990 begonnene Privatisierung der Verlage, von denen 52 durch die Treuhandanstalt abgewickelt wurde (andere waren und blieben in kirchlichem Besitz oder gingen an ihre westdeutschen Alteigentümer zurück), erwies sich in weiten Teilen als Geschichte ihrer zumeist schleichenden Auflösung. Christoph Links untersucht die Ursachen dieser Entwicklung, die er nicht monokausal erklärt, sondern als Komplex aus verschiedenen Faktorenbündeln betrachtet. Die Strukturbedingungen der Verlage (Rückstand bei technischer Ausstattung, hoher Personalaufwand), fehlende marktwirtschaftliche Erfahrungen, mangelnde Kapitalausstattung, das Fehlen einer gemeinsamen ostdeutschen Interessenvertretung der Verlage und in erster Linie Fehler der Treuhandanstalt, die sich kaum auf verlegerischen Sachverstand stützte, bildeten eine Mixtur, die das eigenständige Überleben der Verlage fast unmöglich werden ließ.
Das Kernstück der Studie, mit der Christoph Links an der Berliner Humboldt-Universität promoviert wurde, besteht aus Kurzporträts der 78 Verlage, die knappe Angaben zur Verlagsgeschichte, den Programmschwerpunkten, Titelzahl und Umsatz sowie dem „Schicksal“ seit 1990 enthalten. Der längste Verlagseintrag ist dem Aufbau-Verlag gewidmet, den der neue Verleger Lunkewitz gleich zweimal erwerben musste, nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieser wichtigste Belletristik-Verlag der DDR nicht der SED, sondern dem Kulturbund gehört hatte. In dem 14 Jahre dauernden Rechtsstreit zwischen dem Verleger Bernd F. Lunkewitz, der den Verlag ursprünglich am 18. September 1991 übernommen hatte, und der Rechtsnachfolgerin der Treuhandanstalt urteilte der Bundesgerichtshof im Februar 2008, dass „die Treuhandanstalt 1991einen Verlag verkauft hatte, der ihr gar nicht gehörte, da er sich im Eigen-tum des weiterhin bestehenden Kulturbundes befand“ (202). Christoph Links berücksichtigt in seinem Text auch noch die Übernahme durch den Berliner Kaufmann Matthias Koch zum 1. November 2008, nachdem Lunkewitz in einem schockierenden Überraschungscoup ohne Kenntnis seiner leitenden Mitarbeiter im Mai 2008 Insolvenz angemeldet hatte.
Christoph Links ist ein komplexes, komprimiertes, gut lesbares Handbuch zu verdanken, das für die Geschichte des Verlagswesens in der DDR künftig eine unentbehrliche Grund-lage bereitstellt. Außerhalb seines Themenrahmens liegt die Geschichte von Verlagsneugründungen, die seit 1990 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstanden sind. Hier gibt es erfreulicherweise auch einige Erfolgsgeschichten – und die wohl wichtigste hat der Autor als kreativer Verleger selbst geschrieben.
© Rüdiger Thomas
In: Deutschland Archiv, 42. Jg. (2009), H. 3, S. 547-548.