Das Redaktionsgeheimnis
Von außen betrachtet, ist eine Redaktion eine
ziemlich mysteriöse Angelegenheit, über die viele
mit Beklommenheit oder mit Argwohn sprechen.
Wenn man ratlos ist, zieht man gern das Lexikon
zu Rate, doch wird man damit auch nicht recht
klug. Die Franzosen haben den Begriff lanciert,
der seine Entstehung – wie vieles in unserer
Weltgegend – den alten Römern verdankt. Das
lateinische Verb „redigere“ kann man mit „eintreiben“,
aber auch „in einen Zustand bringen“ übersetzen,
und damit sind zwei wichtige Aufgaben
von Redakteuren genau umschrieben. Daneben
kannten schon die alten Römer die Wortverbindung
„redigere ad irritum“, was „vereiteln“ heißt,
womit die schwierigste Funktion einer guten Redaktion
beschrieben wäre. Wer erlesene Manuskripte
eintreibt, andere in einen guten Zustand
bringt und die Veröffentlichung mißglückter
Schreibversuche vereitelt, macht eine lesenswerte
Zeitschrift – so einfach ist das Rezept, aber leider
wirkt es nicht immer. Papier ist geduldig, und
mancher Autor und Leser möchte gern einmal
Kiebitz sein, um dem Geheimnis des „Redaktionsbetriebes“
auf die Spur zu kommen. Versuchen wir
also, den Schleier des Mysteriums zu lüften.
Am besten nähern wir uns der Sache mit unbefangener
Neugierde, wie es einem Redakteur geziemt.
Das Wort enthält – wenn man es ganz
naiv betrachtet – zwei Bestandteile, die gewissermaßen
das Lebenselixier jeder guten Redaktion
bilden: Rede und Aktion.
Was wäre eine Redaktion ohne Rede und Gegenrede,
ohne die Leidenschaft, Ideen auf dem Prüfstand
der Argumente zu erproben? Im Gespräch,
meist und am ergiebigsten auf den Korridoren
spontan improvisiert, seltener auf den von manchem
Autor gefürchteten Redaktionskonferenzen,
hinter deren unerbittlichen Beschlüssen sich
Redakteure gern zu verschanzen pflegen, wenn es
gilt, Manuskripte freundlich aber bestimmt zu retournieren
– im Gespräch erweist eine Redaktion,
ob sie ein lebendiger Organismus ist. Wer
diesen – von dampfendem Kaffee und leider
auch vom Dunstschleier qualmender Zigaretten
begleiteten – Kommunikationsprozeß von außen
beobachtet, gerät oft aus dem Staunen nicht
heraus: Da gibt es die Kompressoren, jene Redakteure,
die ständig unter Überdruck stehen, die
Moderatoren, die durch lakonische Einwürfe das
brodelnde Redaktionsgeschehen am Überkochen
hindern, die Zweifler, die das Wenn und Aber in
artistischen Sprachspielen beschwören, und die
Realisten, die unerbittlich an die verfügbare Zahl
der Ausgaben und die Erscheinungstermine erinnern.
Niemand vermag so recht zu erklären, wie
aus diesem eigentümlichen Konzert widerstreitender
Temperamente im furiosen Finale Konturen
deutlich werden, die mit dem lapidaren Begriff
der “ Redaktionsplanung“ völlig unzulänglich
beschrieben sind.
„Redaktion“ fängt beim Reden an und endet bei
der Aktion. Die intellektuellen Wolkenkuckucksheime
müssen auf den harten Boden der Tatsachen
zurückgeholt werden, prosaisch gesprochen:
Aus Glasperlenspielen müssen geordnete
Buchstabenkombinationen entstehen, damit der
Redakteur sein Handwerk beginnen kann. Wenn
die fremden Federn ihr Werk vollbracht haben,
beginnt die Kunst des Redigierens, die aus einem
Steinbruch, mitunter auch aus einer grotesken
Felsenmelodie, einen einschmeichelnden Traktat,
manchmal auch eine Symphonie mit dem Paukenschlag
entstehen läßt, wobei der wahre Redakteur
über jene Gabe der Täuschung verfügen
muß, die dem Autor den Eindruck vermittelt, er
habe dies alles selber vollendet.
Redakteure, die sich vor, zwischen oder nach getaner
Arbeit erholen möchten, bevorzugen gern
ein Ecklokal. Das beste ist Chrystas Bistro, ein
einladendes Kontor mit einer ewig jungen, optimistischen
Wirtin, die mit ihrem Charme gar ein
halbes Hundert in ihren Bann zu schlagen weiß
und mit Zahlen jongliert als wären es Gymnastikbälle.
Was wäre eine Redaktion ohne schöpferische
Pausen und ohne die dabei produzierten berühmt-
berüchtigten Spontan-Kommentare, die
zum Leidwesen neugieriger Zeitgenossen nie gedruckt
werden. So bleibt dieses Spektakel, das
Renitenztheater in der Bonner Residenzstadt,
den Stammgästen vorbehalten, die ihr Redaktionsgeheimnis
– sozusagen mit dem Dienstsiegel
einer lebens- und manchmal auch schadenfrohen
Verschwiegenheit – wohl zu hüten wissen,
auch wenn manchem dabei gelegentlich die
Ohren klingen müßten.
In manchen Redaktionsstuben haben sich Einzelkämpfer
verschanzt, in anderen fungieren Aktricen
oder Akteure als theatralische Selbstdarsteller
gewissermaßen nach dem Motto : Rabatz
durch Raddatz. Kanoniere und Paradiesvögel garantieren
aber noch keine gute Zeitschrift, sie reichen
allenfalls für eine quicke, bunte Illustrierte,
die gelegentlich unter einem guten Stern stehen
mag, aber selten ein Spiegel der Wirklichkeit ist.
Eine lebendige Zeitschrift braucht eine gute
Mannschaft, sie lebt vom Teamwork und hat im
Glücksfall eine echte Redaktionsgemeinschaft.
Diese braucht vor allem einen ruhenden Pol, jenen
Mittelpunkt, um den die Wirbelstürme kreisen
können, ohne Schaden anzurichten, weil er
immer die Übersicht behält. Eine echte Redaktionsgemeinschaft
ist sozusagen taifunsicher. Sie
ist ein von unsichtbarer Hand gesteuertes Feuerwerk
aus Gedankenblitzen und Paukenschlägen.
Wie kommt ein solches Ereignis zustande? Man
braucht sehr Lang, damit eine solche Gemeinschaft
entsteht – Paul Lang, versteht sich.
© Rüdiger Thomas