Ursachen und Folgen der Gesellschaftspolitik im SED-Staat
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Rüdiger Thomas
Ursachen und Folgen der Gesellschaftspolitik im SED-Staat
1. Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse
1.2 Schwerpunkte
2. Intentionen und Konzeptionen der Gesellschaftspolitik der SED
2.1 Konstitutionsprinzipien der SED-Herrschaft:
Antifaschismus und Sozialismus 1945–1948
2.1.1 Antifaschismus als Gründungsmythos
2.1.2 Sozialismus als Gesellschaftsstrategie
2.2 Die Festigung der Macht: „Revolution von oben“ 1948–1961
2.3 „Umfassender Aufbau des Sozialismus“ und „Gestaltung
der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ 1961–1989
2.4 Ideologie und Politik
2.5 Legitimationsmuster der Gesellschaftspolitik
2.5.1 Das „ökonomische Grundgesetz“ und die „ökonomische
Hauptaufgabe“
2.5.2 Sozialismus als „gesellschaftliches System“ 1963–1970
2.5.3 „Real existierender Sozialismus“ 1971–1989
3. Folgen der Gesellschaftspolitik
3.1 Gesellschaftsgeschichte als Mentalitätsgeschichte
3.2 Legitimation und Parteiherrschaft
3.3 Die DDR als Lebenswelt
3.4 Psychosoziale Aspekte
3.5 Gesellschaftsgeschichte als Oppositionsgeschichte
3.6 Empirische Sozialforschung
3.6.1 Zur Geschichte der Soziologie in der DDR
3.6.2 Meinungsforschung der SED
3.6.3 Mentalitätswandel in der DDR
3.6.4 Wertemuster der vereinigten Deutschen
Literatur
Zusammenfassung
1. Einleitung
1.1. Erkenntnisinteresse
Die Geschichte der DDR als Politikgeschichte ist schon häufig dargestellt worden (vgl. vor allem Weber 1985, Staritz 1985, zuletzt Weber 1991). Nachdem die geheimen Partei- und Staatsarchive geöffnet sind, wird es möglich sein, die Motive der politischen Akteure und die Genese historischer Prozesse genauer zu interpretieren, doch bleiben dabei Fragen offen, die für die Aufklärung der deutschen Nachkriegsgeschichte zentrale Bedeutung besitzen. Der Staat DDR ist im Wendejahr 1989/90 mit der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 untergegangen, seine Machtstrukturen sind zerbrochen.
Es ist wichtig, die Diktaturgeschichte der DDR detailliert zu untersuchen, noch bedeutsamer ist jedoch die Frage nach der Gesellschaftsgeschichte der DDR; denn die Menschen, die über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren der SED-Herrschaft unterworfen waren, sind ein Teil des vereinten Deutschland geworden.
Die innere Einheit der Deutschen, die Zusammenführung von zwei Teilgesellschaften, läßt sich nur verwirklichen, wenn wir gemeinsam verstehen, wie die Menschen in der DDR gelebt haben, durch welche sozialen und politischen Erfahrungen sie geprägt worden sind. Die Rekonstruktion der Gesellschaftsgeschichte der DDR ist daher eine zentrale Aufgabe historischerund sozialwissenschaftlicher Forschung.
1.2. Schwerpunkte
In der vorliegenden Expertise werden zwei thematische Schwerpunkte gesetzt:
In einer knappen Übersicht werden im ersten Teil Intentionen und Konzeptionen der Gesellschaftspolitik der DDR skizziert, wobei im wesentlichen auf vorliegende Veröffentlichungen und frühere eigene Studien zurückgegriffen wird. Dabei steht die Absicht im Vordergrund, die gesellschaftspolitischen Leitvorstellungen der SED zu kennzeichnen und ihre politisch-programmatische Umsetzung im Ablauf der DDR-Geschichte in einem Periodisierungsschema zu erfassen. Der Begriff „Gesellschaftspolitik“ wurde in der DDR nur selten – gelegentlich unsystematisch ab Mitte der siebziger Jahre – verwendet. In den einschlägigen parteioffiziellen Wörterbüchern ist dieses Stichwort ebensowenig verzeichnet wie in der letzten Ausgabe des „DDR Handbuchs“ (Köln 1985). Im Zusammen-hang unserer Analyse meint Gesellschaftspolitik die Gesamtheit politischer Maßnahmen und ideologischer Begründungen, die auf die (Um-)Gestaltung sozioökonomischer Strukturen, der Lebensbedingungen der Menschen, die administrative Lenkung und Kontrolle gesellschaftlicher Prozesse und die Ausprägung eines (parteikonformen) „sozialistischen Bewußtseins“ gerichtet waren. Gesellschafts-politik erscheint damit als Kernbereich der Herrschaftspraxis im SED-Staat, in dem sich drei zentrale Kategorien der DDR-Geschichte in markanter Weise verschränken: Politikgeschichte, Ideologiegeschichte und Gesellschaftsgeschichte.
Im zweiten Teil sollen die Folgen der Gesellschaftspolitik der SED, d.h. ihreWirkungen auf Bewußtsein und Verhalten der Bevölkerung in der erörtert werden. Damit rückt die Frage nach dem Selbstverständnis der Gesellschaft, genauer: nach vorherrschenden gesellschaftlichen Bewußtseinslagen, Leitbildern, Wertemustern, Verhaltensorientierungen und Habitusformen in den Mittelpunkt. Die Expertise will in diesem Zusammenhang einen Beitrag dazu leisten, leitende Fragestellungen für das Projekt einer Gesellschaftsgeschichte der DDR als Mentalitätsgeschichte zu konkretisieren, indem sie Forschungsergebnisse (Deutungsmuster und Erklärungsansätze) zur Wirkung der Politik auf die Gesellschaft in der DDR systematisiert, vergleichend bewertet, ungelöste Forschungsprobleme benennt und eigene Hypothesen zur Diskussion stellt.
2. Intentionen und Konzeptionen der Gesellschaftspolitik der SED
2.1. Konstitutionsprinzipien der SED-Herrschaft: Antifaschismus und Sozialismus 1945–1948
2.1.1. Antifaschismus als Gründungsmythos
Der antifaschistische Konsens ist zum Gründungsmythos der DDR geworden. Der radikale Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, das Pathos eines grundlegenden Neubeginns, eine Art revolutionäre Romantik, waren in der frühen Nachkriegsphase wichtige Elemente politischer Orientierung und gesellschaftlicher Mobilisierung. Es läßt sich aber nicht übersehen, daß die KPD/SED die Leitidee des Antifaschismus schon frühzeitig politisch instrumentalisiert hat, indem sie sich am Konzept eines strukturellen Antifaschismus orientierte. Von einer parteiideologisch bestimmten Faschismustheorie ausgehend, war dieser Antifaschismus durch drei zentrale Merkmale gekennzeichnet: er war antikapitalistisch, antibürgerlich und antiliberal.
Die antikapitalistische Orientierung zeigte sich zunächst in einer Umgestaltung der ökonomischen Struktur (Bodenreform, Verstaatlichung der Großindustrie) und konnte – wie der Volksentscheid in Sachsen über die „Enteignung der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“ am 30. Juni 1946 gezeigt hat – mit einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung rechnen. Der soziale Umbau Gesellschaftspolitik im SED-Staat, der unter dem Vorzeichen der „Entnazifizierung“ mit der Ausschaltung belasteter Personen aus dem öffentlichen Leben begonnen wurde und schließlich zu einer weitgehenden Deklassierung der bürgerlichen Mittelschichten führte (vgl. Thomas 1983, S. 259 ff.), war der Ausgangspunkt für eine Spaltung der Gesellschaft, die sich in den Ergebnissen der Kreis- und Landtagswahlen in der SBZ am 20. Oktober 1946 zeigte: Während die SED lediglich 47,5% der Stimmen erreichte, konnten die beiden konkurrierenden bürgerlichen Parteien CDU (24,6 %) und LDP (24,5 %) nahezu die Hälfte aller Wähler auf sich vereinigen. Obwohl es der KPD gelungen war, bereits am 14. Juli 1945 die „Einheitsfront antifaschistisch-demokratischer Parteien“ als politisches Aktionsbündnis zu formieren, ist in der frühen Nachkriegszeit zunächst noch ein begrenzter institutionalisierter Pluralismus in der SBZ erhalten geblieben, bevor seit Mitte 1948 endgültig eine Gleichschaltung der bürgerlichen Parteien1 erzwungen wurde (vgl. vor allem Weber 1985, Richter 1990).
In dem Maße, wie der Antifaschismus seine politische Integrationskraft verlor, rückte die sozialistische Zielsetzung der SED in den Vordergrund. Der strukturelle Antifaschismus wurde mit dem Politikmodell des Monopolsozialismus verknüpft, nachdem sich die SED Ende Juni 1948 endgültig zur „Partei neuen Typus“ nach sowjetischem Vorbild erklärt hatte und damit der „unversöhnliche Kampf gegen den Sozialdemokratismus“ einsetzte. Nachdem die Entnazifizierung am 26. Februar 1948 formell beendet worden war, wurde Antifaschismus zum ideologischen Kern einer politischen Freund-Feind-Orientierung, die deutschlandpolitisch wie innergesellschaftlich zu Herrschafts- und Propagandazwecken
instrumentalisiert wurde. Aus dem antifaschistischen Konsens wurde eine oktroyierte politische Monokultur. Der strukturelle Antifaschismus war zum „antifaschistischen Stalinismus“ (Sigrid Meuschel) geworden.
2.1.2. Sozialismus als Gesellschaftsstrategie
Taktische Erwägungen hatten die KPD in ihrem Gründungsaufruf vom 11. Juni 1945 veranlaßt, die Auffassung zu verbreiten, „daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland“ (Dokumente, Bd. 2, S. 12) entspreche. Im Zusammenhang mit den zunächst kontrovers geführten Verhandlungen über die Vereinigung zwischen KPD und SPD auf der Sechziger-Konferenz im Dezember 1945 (vgl. Gruner/Wilke 1981) hat Anton Ackermann für die KPD schon Anfang 1946 „zwischen dem Programm- Minimum, das die Vollendung der demokratischen Erneuerung anstrebt, und dem Programm-Maximum, das die Verwirklichung des Sozialismus betrifft“, unterschieden (Ackermann 1946, S. 23). Ob die Arbeiterklasse „auf friedlichem Wege und unter Beschränkung auf rein gesetzliche Mittel“ in den „Besitz der ganzen Macht kommen“ kann, macht die KPD davon abhängig, daß die Republik nicht „von neuem Gewaltinstrument in den Händen reaktionärer Kräfte wird“ (ebd., S. 31). In den „Grundsätzen und Zielen der SED“, die im April 1946 auf dem Vereinigungsparteitag beschlossen wurden, läßt die Partei ihren politischen Vormachtanspruch offen erkennen: „Die Sozialistische Einheitspartei erstrebt den demokratischen Weg zum Sozialismus; sie wird aber zu revolutionären Mitteln greifen, wenn die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie verläßt“ (Dokumente, Bd. 2, S. 37). Die Gleichschaltung betraf zunächst die Führungsebene der Parteien, während in der Mitgliedschaft zum Teil weiterhin eigenständige Positionen vertreten wurden, die sich von der Linie der SED deutlich unterschieden. Dieses „Oppositionspotential“ hat die Parteien später teilweise verlassen (auch durch Abwanderung in die Bundesrepublik), blieb aber in einem schwer bestimmbaren Umfang latent erhalten, auch wenn es kontrolliert und kanalisiert worden war. Es muß weiteren Forschungen überlassen bleiben, die politischen Einstellungen der Mitglieder von Blockparteien im Verlauf der DDR-Geschichte genauer zu erfassen und zu bewerten.
Die „revolutionäre Umgestaltung“ der Gesellschaft war bereits 1945 unter dem Vorzeichen der „Errichtung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ ökonomisch und sozialstrukturell eingeleitet worden, sie verwandelte sich jedoch zunehmend in eine „Revolution von oben“, nachdem die SED durch die Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht das politische Machtmonopol erlangt hatte (vgl. dazu im einzelnen Staritz 1984, Kleßmann 1991). Es waren taktische Überlegungen, die die Partei veranlaßten, bei der Staatsgründung am 7. Oktober 1949 auf eine sozialistische Verfassung zu verzichten. Auf Initiative Walter Ulbrichts proklamierte erst die Parteikonferenz der SED im Juli 1952, „daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist“ (Dokumente, Bd. 2, S. 171). Die SED folgte dem Konzept einer Erziehungsdiktatur, indem sie die Umgestaltung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nach ihren eigenen Maßgaben zu vollziehen beanspruchte, ohne sich dabei der Zustimmung der Gesellschaft zu vergewissern, in deren Interesse zu handeln sie vorgab. Nicht Zustimmung durch Wahlen, sondern Begründung durch Ideologie sollte die Politik der Staatspartei legitimieren.
2.2. Die Festigung der Macht: „Revolution von oben“ 1948–1961
Die Transformation des politischen und ökonomischen Systems, die seit 1945 unter dem Vorzeichen einer „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ eingeleitet und als „revolutionäre Umgestaltung“ bis 1961 fortgeführt wurde, hatte auch einen tiefgreifenden sozialen Wandel bewirkt: Die Gesellschaft der DDR wurde im Prozeß einer politisch induzierten, zunehmend stärker reglementierten Abstiegs- und Aufstiegsmobilität neu formiert. Im Rahmen der Entnazifizierung wurde in den ersten Nachkriegsjahren eine weitgehende Reorganisation von Justiz, Verwaltung und Bildungssystem vollzogen. Das
Besitzbürgertum wurde schrittweise enteignet, das Bildungsbürgertum verdrängt, Arbeiter und Bauern bildeten die neue „Kaderreserve“, die durch gezielte bildungspolitische Privilegierung aktiviert wurde (Thomas 1988). Die forcierte Mobilisierung (Belwe 1989) orientierte sich weniger an sozialistischen Gleichheitsidealen als an antibürgerlichen Affekten und politischen Machtansprüchen der SED. Sie hat den antifaschistischen Konsens außer Kraft gesetzt und die Gesellschaft gespalten: Die Zustimmung der sozialen Aufsteiger war mit einer wachsenden Ablehnung deklassierter Schichten verbunden. Die Loyalität der Arbeiter war labil, wie sich am 17. Juni 1953 deutlich gezeigt hat (vgl. jetzt Mitter/Wolle 1993, S. 27–162).
In den fünfziger Jahren war die DDR zu einer blockierten Konfliktgesellschaft geworden, die über keine Regelungs-mechanismen verfügte, reale Interessengegensätze öffentlich auszutragen. Statt dessen folgte die SED dem stalinschen Konzept einer „Verschärfung des Klassenkampfes“ (Dokumente, Bd. 2, S. 172), die zu einer „Umleitung sozialer Konflikte“ (Ralf Dahrendorf) führte. Die Bürger der DDR hatten zwar innergesellschaftlich keine Wahl, doch konnten sie innerdeutsch zwischen zwei Gesellschaften optieren. Sie konnten sich dem staatlichen Verfügungsanspruch durch Abwanderung in den Westen entziehen. Der latente Grundkonflikt der DDR-Gesellschaft, den die SED durch die Ausschaltung politischer Opposition institutionell blockiert hatte, wurde nach außen verlagert: Der innergesellschaftliche Klassenkonflikt trat als intergesellschaftlicher Systemkonflikt in Erscheinung. Die von der Sowjetunion garantierte Stabilität der Herrschaft war gleichzeitig die Ursache einer Instabilität der Gesellschaft. Die Massenabwanderung in den Westen Deutschlands, die etwa ein Sechstel der Gesamtbevölkerung umfaßte, reduzierte zwar einerseits sozialen Protest und politische Opposition, verursachte aber gleichzeitig einen erheblichen ökonomischen Substanzverlust und wurde damit zur zentralen Ursache einer sich zuspitzenden prekären Destabilisierung. Die vollständige Abriegelung nach außen, die am 13. August 1961 vollzogen wurde, war eine Anwendung politischen Zwangs, der sich gegen die ganze Gesellschaft richtete. In diesem Sinn stellt sie den Kulminationspunkt und zugleich das Ende der „Revolution von oben“ dar.
2.3. „Umfassender Aufbau des Sozialismus“ und „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ 1961–1989
Die nachrevolutionäre Periode, die nach der „Schocktherapie“ (Stefan Doernberg) der gewaltsamen Selbstabschließung einsetzte, war durch vielfältige Versuche gekennzeichnet, die Akzeptanz der SED-Herrschaft mit Hilfe von Konzepten partieller Modernisierung (Zapf 1991) zu erhöhen, die politische Stabilisierung durch ökonomische Konsolidierung und den Ausbau eines sozialistischen Wohlfahrtsstaates zu erreichen. Dabei stand in den sechziger Jahren die Wirtschaftspolitik im Vordergrund, während seit Beginn der siebziger Jahre eine integrale Gesellschaftspolitik praktiziert wurde, die als „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ ideologischen Ausdruck fand.
Obwohl sich in dieser nachrevolutionären Periode wichtige Unterschiede in der programmatischen Orientierung aufweisen lassen und Akzentverschiebungen in der praktischen Politik deutlich werden, kann nicht von einem substantiellen Wandel in der Herrschaftspraxis der SED gesprochen werden, der eine qualitative Differenz zwischen den sechziger Jahren (Spätphase der Ära Ulbricht) und der anschließenden Entwicklungsetappe, die durch Erich Honecker bestimmtwurde, markieren könnte. Insbesondere erscheint es problematisch, die ökonomischen Experimente der sechziger Jahre als Reformpolitik zu charakterisieren und diese gegenüber dem „real existierenden Sozialismus“ der Honecker-Ära unter legitimationstheoretischen und systempolitischen Aspekten positiv abzugrenzen (so Meuschel 1992).
2.4. Ideologie und Politik
Für die Geschichte der DDR ist es von erheblicher Bedeutung, Funktion und Wirkung der Ideologie im politischen Systemzusammenhang genauer zu betrachten. Im Anschluß an die Ideologietheorie von Karl Marx hat die SED Ideologie ganz allgemein als „System der gesellschaftlichen… Ideen, die durch die materiellen Verhältnisse der Gesellschaft, insbesondere die Produktionsverhältnisse, bedingte Klasseninteressen zum Ausdruck bringen“, verstanden und in diesem Sinn zur Kennzeichnung ihrer politisch-programmatischen Orientierung auch den Begriff „sozialistische Ideologie“ verwendet. Diese
wird als konkret-historischer Ausdruck der „wissenschaftlichen Weltanschauung“ des Marxismus-Lenismus interpretiert und mit einem Monopolanspruch verbunden: „Die I. der Arbeiterklasse ist zum Unterschied von allen anderen I. wissenschaftlich begründet, offen parteilich und eine Anleitung zum praktisch-revolutionären Handeln“ (Kleines politisches Wörterbuch, Berlin 1988, S. 396). Der Marxismus-Leninismus ist gleichzeitig durch seinen Universalismus (Anspruch auf umfassende Welterklärung) wie durch seinen Monismus (strikte Ablehnung des Pluralismus) bestimmt. Der daraus abgeleitete Geltungsanspruch schließt die Anerkennung alternativer Theoriekonzepte und Politikstrategien als gleichwertige Optionen prinzipiell aus. Innerhalb der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie werden die Postulate der Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit identifiziert, wobei Parteilichkeit gleichermaßen die Parteinahme für die (einzige) wissenschaftliche Weltanschauung bedeutet, wie auch die Verpflichtung beinhaltet, aktiv handelnd für die Verwirklichung der sozialistischen Ideologie in der gesellschaftlichen Praxis einzutreten. Ideologie fungierte im politischen System der DDR vorrangig als Mittel zur Rationalisierung von Herrschaft. Sie bestimmte nicht den konkreten Inhalt der praktischen Politik, sondern begrenzte vielmehr den Handlungsspielraum der Gesellschaft. Sie sicherte die Ausübung der Macht, indem sie die Gesellschaft dem Autoritätsanspruch der Staatspartei uneingeschränkt unterwarf und dabei einem „Legitimationsmaximalismus“ (Schröder 1993, S 95) huldigte. In diesem Sinne kann man feststellen, daß die Diktatur der Partei in der Diktatur der Ideologie ihren theoretischen Ausdruck gefunden hat (ebd., S. 80).
Die Darstellung des Geltungsanspruchs sozialistischer Ideologie (vgl. dazu ausführlich Thomas 1981, S. 47 ff.) gibt noch keinen Aufschluß über ihre tatsächliche Bedeutung für den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß der DDR. Politisch bedeutsam war vor allem die Rechtfertigungsfunktion der Ideologie, mit der sich der Monopolsozialismus schließlich in der „sozialistischen Verfassung“ der DDR 1968 sogar verfassungspolitisch zu legitimieren suchte (vgl. Art. 1). Ein wichtiges Forschungsproblem liegt in der Frage, ob und in welchem Umfang die sozialistische Ideologie, die von der SED proklamiert wurde, dazu beigetragen hat, Systemintegration und gesellschaftliche Mobilisierung zu fördern. Für die SED war Gesellschaftspolitik das zentrale Aktionsfeld, Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Kontinuität und Wandel gesellschaftspolitischer Legitimationsmuster sollen daher im folgenden skizziert werden.
2.5. Legitimationsmuster der Gesellschaftspolitik
2.5.1. Das „ökonomische Grundgesetz“ und die „ökonomische Hauptaufgabe“
Als Fundament der Gesellschaftspolitik erscheint in ideologietheoretischer Perspektive die Konzeption der Wirtschaftspolitik, die in der Ideologiegeschichte der DDR wechselweise um den Begriff „ökonomisches Grundgesetz“ oder „ökonomische Hauptaufgabe“ des Sozialismus zentriert worden ist. Es ist daher aufschlußreich, die entsprechenden Formulierungen im Verlauf der Parteigeschichte der SED zu vergleichen:
– 2. Parteikonferenz der SED (Juli 1952):
„Ziel unserer sozialistischen Wirtschaftspolitik ist die Verwirklichung des von Genossen Stalin formulierten ökonomischen Grundgesetzes: Sicherung der maximalen Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft durch ununterbrochenes Wachstum und stetige Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis der höchstentwickelten Technik“ (Dokumente, Bd. 2, S. 173).
– V. Parteitag der SED (Juli 1958):
„Die ökonomische Hauptaufgabe besteht darin, die Volkswirtschaft innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend bewiesen wird. Deshalb muß erreicht werden, daß der Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern höher liegt als der Pro-Kopf-Verbrauch der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland… Der Schlüssel zur erfolgreichen Lösung dieser ökonomischen Haupt-aufgabe ist die rasche Steigerung der Arbeitsproduktivität“ (Dokumente, Bd. 2, S. 231 f.)
– VI. Parteitag der SED – Parteiprogramm (Januar 1963):
„Beim umfassenden Aufbau des Sozialismus auf dem Gebiet der Volkswirtschaft läßt sich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands vom ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus leiten. Es bestimmt die Aufgabe der sozialistischen Produktion: ständige Entwicklung und Vervollkommnung der Produktion auf der Grundlage der fortgeschrittensten Wissenschaft undTechnik und der Steigerung der Arbeitsproduktivität mit dem Ziel der immer besseren Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse der Werktätigen und der allseitigen Entwicklung des Menschen der sozialistischen Gesellschaft“ (Parteiprogramm 1963, S. 258).
– VIII. Parteitag der SED (Juni 1971):
„Die Hauptaufgabe des Fünfjahrplanes besteht in der weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos
der der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität“ (Dokumente, Bd. 3,
S. 24).
– IX. Parteitag der SED – Parteiprogramm (Mai 1976):
„Entsprechend dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus besteht die Hauptaufgabe bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus…“ [die diesbezügliche Formulierung des VIII. Parteitages wird ohne Veränderung übernommen] (Dokumente, Bd. 3, S. 110).
– X. Parteitag der SED (April 1981):
„Im Zentrum der Gesellschaftspolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands steht unsere Ökonomie… Hier vor allem fallen die Entscheidungen über weitere Fortschritte bei der Gestaltung des entwickelten Sozialismus …) Das Zentralkomitee schlägt deshalb dem X. Parteitag der SED vor, die Politik der Hauptaufgabe auch in den 80er Jahren fortzuführen“ [die diesbezügliche Formulierung des VIII. Parteitages wird ohne Veränderung übernommen] (Dokumente, Bd. 3, S. 300 f.).
Der Vergleich macht deutlich, daß die ideologiegeschichtliche Betrachtung nur geringe Aufschlüsse über den konkreten Inhalt der Wirtschaftspolitik vermittelt. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und einer steigenden Befriedigung materieller und kultureller Bedürfnisse wird in allgemeinen Wendungen betont, die nur eine geringe Variationsbreite aufweisen und einen trivialen Inhalt haben: Eine hohe Arbeitsproduktivität und technischer Fortschritt werden als entscheidende Faktoren der ökonomischen Entwicklung bezeichnet. Erst bei näherer Hinsicht werden Unterschiede in der Akzentsetzung deutlich:
– Nur auf dem V. Parteitag der SED wird die Systemkonkurrenz ausdrücklich als Maßstab für die Einschätzung der eigenen Wirtschaftspolitik hervorgehoben.Hier wird sichtbar, daß die SED-Führung erkannt hatte, wie sehr sich die Bevölkerung der DDR an der Gesellschaft der Bundesrepublik orientierte, wenn sie ihre eigene ökonomische Situation beurteilte. Es fällt auf, daß nach dem Mauerbau dieser Vergleichsaspekt weitgehend ausgeblendet und statt dessen eine sozialismusspezifische Konturierung der Gesellschaftspolitik versucht wurde.
– Die konzeptionellen Differenzen zwischen der Gesellschaftspolitik der sechziger Jahre und der Entwicklung nach dem VIII. Parteitag der SED seit 1971 lassen sich erst bei genauer Betrachtung erschließen (vgl. dazu ausführlich Meuschel 1992). Sie können hier nur pointiert zusammengefaßt werden.
2.5.2. Sozialismus als „gesellschaftliches System“ 1963–1970
Die Gesellschaftspolitik der DDR mußte nach dem Mauerbau 1961 mittel- und langfristig auf ein Arrangement mit der Bevölkerung zielen, doch trug sie 1962 zunächst verstärkt repressive Züge. Sie war durch die Erkenntnis bestimmt, daß die getroffenen rigorosen Maßnahmen bei vielen DDR-Bürgern auf entschiedene Ablehnung gestoßen waren. Eine Reihe von Disziplinierungsversuchen war die Folge: Durch Verordnung des Ministerrates vom 24. August 1961 wurden die Behörden ermächtigt, Beschränkungen des Aufenthaltsortes zu verfügen und in bestimmten Fällen Arbeitserziehung anzuordnen. Gleichzeitig wurde ein Kampagne gegen „geistige Grenzgänger“ eingeleitet. Im Rahmen der „Aktion Ochsenkopf“ zerstörten FDJ-Brigaden nach Westen ausgerichtete Fernsehantennen. Am 20. September 1961 verabschiedete die Volkskammer das Verteidigungsgesetz der DDR; am 24. Januar 1962 wurde die Einführungder allgemeinen Wehrpflicht beschlossen (Thomas 1989).Bereits im Oktober 1961 wurde auf einer Wirtschaftskonferenz des ZK der SED und des Ministerrates der DDR mit der ökonomischen Bestandsaufnahme begonnen. Dabei wurde deutlich, daß die „Störfreimachung der Wirtschaft“, Erhöhung von Wachstum, Rentabilität und Produktivität der Wirtschaft nur durch eine Mobilisierung der Gesellschaft erreicht werden konnte, die in der Parole „Die Republik braucht alle, alle brauchen die Republik“ ihren appellativen Ausdruck finden sollte. Im November 1962 wurde der illusionäre Siebenjahrplan abgebrochen; „aufgrund einer realen Einschätzung der Lage und der Entwicklungs-bedingungen“ (Ulbricht 1962, S. 20) sollte das Konzept einer Reform des Wirtschaftssystems ausgearbeitet werden. Das auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 verabschiedete Parteiprogramm forderte eine Entwicklung der Wirtschaft „auf der Basis der fortgeschrittensten Wissenschaft und Technik“. Dieses Ziel sollte durch „eine neue, höhere Qualität der Leitung der Volkswirtschaft und der Planung“ (Parteiprogramm 1963, S. 261) erreicht werden. Für diese Neubestimmung der Wirtschaftspolitik erlangten die Orientierung auf ökonomische Rentabilitätskriterien, dieverstärkte Entwicklung moderner Industriezweige sowie die beschleunigte Einführung neuer Technologien eine grundlegende Bedeutung. Gleichzeitig setzte sich die Einsicht durch, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik besteht: Ökonomische Modernisierung kann nur in Verbindung mit gesellschaftlicher Mobilisierung erreicht werden, wobei die „vollständige Übereinstimmung zwischen den gesellschaftlichen Erfordernissen und den Interessen der einzelnen Werktätigen und Kollektive die wichtigste Triebkraft unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung ist“ (ebd., S. 259).
Eine Bilanz der Wirtschaftsentwicklung Mitte der sechziger Jahre ließ erste Erfolge des „neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“, das 1963 eingeführt worden war, erkennen. Dennoch warnicht zu übersehen, daß die Entwicklung hinter den optimistischen Erwartungen der Reformer zurückgeblieben war. Walter Ulbricht trat in dieser Situation die Flucht nach vorn an und initiierte eine neue Etappe der Wirtschaftsreform, die auf dem VII. Parteitag der SED (April 1967) als „ökonomisches System des Sozialismus“ proklamiert wurde. Ulbricht war überzeugt, seit Mitte des 20.
Jahrhunderts habe eine „qualitativ neue Etappe der Entwicklung der Produktivkräfte“ begonnen, die alle hochindustrialisierten Länder als „wissenschaftlich-technische Revolution“ erfasse (Ulbricht 1968, S. 519).
Diese emphatische Einschätzung der Rolle von Wissenschaft und Technik wurde auf dem VII. Parteitag in der Diktion der programmatischen Rede Ulbrichts besonders deutlich. Die wissenschaftlich-technische Revolution wurde als „Triebwerk“ für tiefgreifende Veränderungen in allen Lebensbereichen Gesellschaftspolitik im SED-Staat charakterisiert. Auf das neue ökonomische System als Kernstück der Modernisierung gestützt, forderte Ulbricht jetzt, „alle anderen Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens, wie Bildung, Kultur, Recht, Demokratie, Ideologie, politische Massenarbeit usw. auf ein gleiches fortgeschrittenes Niveau zu bringen und dadurch in einem Prozeß bewußt gestalteter Wechselbeziehungen mit geringstmöglichem Aufwand und in historisch kürzestmöglicher Frist die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu schaffen“ (zit. nach Thomas 1989, S. 17 f.).
In seiner Vision vom entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus verknüpfte Ulbricht auf eigentümlicheWeise eine technizistisch-instrumentelle Politikauffassung, zu deren Grundlagen Kybernetik, Informationstheorie, elektronische Datenverarbeitung, Organisationswissenschaft und Prognostik zählten, mit einem harmonistischen Gesellschaftsmodell, das sich in der Formel von der „sozialistischen Menschen-gemeinschaft“ verdichtete. Diese verband Leitbilder der Arbeiterkultur seiner eigenen Generation („Wissen ist Macht“) mit einer ausgeprägten Wissenschaftsgläubigkeit, wobei die realen esellschaftlichen Konflikte auf die Frage einer optimalen Steuerung und Regelung ökonomischer und sozialer Prozesse reduziert wurden.
Bilanziert man die Entwicklung der sechziger Jahre, dann läßt sich nicht verkennen, daß das Konzept der „sozialistischen Menschengemeinschaft“, das Walter Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED als Leitbild der gesellschaftlichen Entwicklung proklamierte, sich sehr schnell „als zweifelhafter Vorgriff auf nicht verwirklichte Entwicklungsziele“ erweisen sollte. Wenn Ulbricht wenig später die „große Wandlung der Menschen“ als das eigentliche „deutsche Wunder“ pries, „das sich in unserer Republik ereignet hat“ (zit. nach Thomas 1989, S. 69), kann darin nur eine romantisch verklärte Selbsttäuschung gesehen werden, deren rhetorischer Überschwang nach dem VIII. Parteitag der SED rasch korrigiert worden ist.
Schon auf dem V. Parteitag der SED hatte Walter Ulbricht damit begonnen, sein Konzept für eine gemeinschaftsstiftende „sozialistische Lebensweise“ zu propagieren, „die auf der Grundlage einer neuen Arbeitsmoral, der Solidarität aller Werktätigen und des proletarischen Internationalismus das Gute, Schöne und Wahre in ihrer wahren Größe wieder [sic!] zu Leitprinzipien der menschlichen Beziehungen macht“. Ulbricht knüpfte ausdrücklich „an die großen Überlieferungen des Humanismus an, den die antike Kultur hervorbrachte und das junge Bürgertum in der Zeit der Renaissance und der Aufklärung weiterbildete, aber dann verriet“ (Dokumente, Bd. 2, S. 244). Der neue „sozialistische Humanismus“ stellte sich demnach als eine Synthese aus den überkommenen Idealen der europäischen Kultur und den Leitwerten einer sozialistischen Arbeiterkultur dar. Diese fand ihre pseudo-religiöse Überhöhung in den „zehn Geboten der sozialistischen Moral“ und ihre kulturpolitische Pointe in dem Aufruf der Bitterfelder Konferenz (1959) zur Verbindung von Kultur und Arbeitswelt. Die „sozialistische Kulturrevolution“ wurde als Gegenbild zum „Niedergang, den Kultur und Kunst in der Periode der spätbürgerlichen Dekadenz durchmachen“, beschworen (ebd., S. 252 f.). Der Voluntarismus dieser Gemeinschaftsideologie war mit einer strikten Abgrenzung gegen das bürgerlich-kapitalistische Konkurrenzmodell verbunden – ein ideologisches Grundmuster, das die Ideologiegeschichte der SED durchgängig kennzeichnen sollte, auch wenn es verschiedene Variationen erfahren hat.
2.5.3. „Real existierender Sozialismus“ 1971–1989
Mit dem VIII. Parteitag der SED (Juni 1971) setzte eine gesellschaftspolitische Neuorientierung ein, die durch eine spezifische Verbindung von materieller Wohlstandsmehrung und sozialer Wohlfahrtssicherung den „real existierenden
Sozialismus“ als politische Alternative zur „kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ konkurrenzfähig machen wollte (vgl. zum folgenden Thomas 1991). Seine Überlegenheit sollte sich weniger am individuellen Konsum als an den Vorzügen sozialistischer Sozialpolitik erweisen und so von dem anhaltenden Rückstand im materiellen Lebensniveau ablenken. Die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ wurde zur neuen Staatsraison der DDR, die sie bis an ihr Ende begleiten sollte.
Die Wende zum „real existierenden Sozialismus“, die sich in der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ ausdrückte, war jedoch nur eine Komponente der ambivalenten Politik Honeckers, die nach einem kurzen Intermezzo kulturpolitischer Lockerung (1972–1975) unter dem Eindruck destabilisierender Folgen der deutsch-deutschen Vertragspolitik und der Auswirkungen des KSZE-Prozesses seit Mitte der siebziger Jahre auf eine verstärkte ideologische Parteiarbeit und Massenpropaganda abzielte. Diese Reideologisierung, die sich seit dem IX. Parteitag der SED (Mai 1976) verstärkte, sollte einerseits den Führungsanspruch der Partei untermauern, andererseits die politische Erziehung und sozialistische Bewußtseinsbildung festigen und damit der schwindenden Glaubwürdigkeit des Einheitspartei-Sozialismus entgegenwirken.
Insbesondere in den Bereichen Bildung und Erziehung, Medien und politische Schulung wurde die ideologische Beeinflussung im Sinne der marxistisch-leninistischen Weltanschauung ausgeweitet und verstärkt, um die Bürger gegenüber dem westlichen Einfluß zu immunisieren und zumindest propagandistisch von der Überlegenheit der herrschenden Ordnung zu überzeugen sowie zur Übernahme sozialistischer Wertorientierungen und Verhaltensweisen zu veranlassen. Diesem Ziel diente vor allem das neue Parteiprogamm, das auf dem IX. Parteitag der SED verabschiedet wurde und die ideologischen Grundpositionen umfassend und verbindlich fixieren sollte.
Das neue – zweite – Parteiprogramm der SED löste das Programm von 1963 ab und beseitigte die spezifischen ideologischen Akzentsetzungen der UlbrichtÄra. Der Sozialismus galt im Unterschied zu Ulbrichts Einschätzung nicht mehr als „relativ selbständige Gesellschaftsformation“, die „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ wurde als langfristiger Prozeß gekennzeichnet, die Perspektive der kommunistischen Gesellschaft wurde in weite Ferne gerückt, so daß es gerechtfertigt erscheint, von einer Ausblendung der Utopie aus der Programmatik der SED zu sprechen (Meuschel 1992). Der Führungsanspruch der SED wurde im Parteiprogramm nachhaltig unterstrichen. Gleichzeitig war das Bemühen spürbar, den einzelnen Bürger für die Ziele der Partei und eine aktive Mitarbeit zu gewinnen. Im Unterschied zum alten Programm bezeichnete sich die SED jetzt als „Partei der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes“ (Dokumente, Bd. 3, S. 159).
Suchte die SED auf solche Weise Vertrauen bei der Bevölkerung zu gewinnen und Zustimmung für ihre Politik zu erreichen, ließ sie andererseits keinen Zweifel an ihrem Machtanspruch aufkommen. Sie postulierte sogar die „weitere Ausprägung ihrer führenden Rolle in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“ (ebd.) und unternahm einen neuen Versuch ideologischer Beeinflußung, indem sie das Konzept der „sozialistischen Lebensweise“ propagierte, mit dem sie eine politische Mobilisierung der Bevölkerung erreichen wollte: „Die sozialistische Lebensweise ist geprägt von aktiver Teilnahme an der Leitung und Lösung der gesellschaftlichen Angelegenheiten“, in der die Menschen „Beziehungen wahrer Gleichberechtigung, Freiheit und sozialer Sicherheit“ haben sollen (Dokumente, Bd. 3, S. 148). Der ausführliche Tugendkatalog, den die SED in ihrem Programm präsentierte, stellt eine merkwürdige Mischung aus allgemeinen Pflicht- und Akzeptanzwerten und „sozialistischen“ Persönlichkeits-merkmalen dar und beinhaltet in seinem vormundschaftlichen Anleitungsperfektionismus selbst noch die „Gestaltung von Ehe- und Familienbeziehungen, die sich auf Liebe und gegenseitige Achtung, Verständnis und gegenseitige Hilfe im Alltag und die gemeinsame Verantwortung für die Kinder gründen“ sollen (ebd., S. 150). Indem sich die SED nicht darauf beschränkte, die öffentlichen Angelegenheiten verbindlich zu regulieren, sondern ständig auch auf die persönliche Existenz ihrer Bürger erzieherisch einzuwirken versuchte, ließ sie eine Mentalität der Allzuständigkeit erkennen, die als Abwehrreaktion eine zunehmende ideologische Distanzierung begünstigt hat.
Nachdem das Konzept der sozialistischen Wohlfahrtspolitik, das in den siebziger Jahren durch vielfältige sozialpolitische Maßnahmen konkretisiert worden war, spätestens am Beginn der achtziger Jahre an seine ökonomischen Grenzen gestoßen war (vgl. Thomas 1991, S. 42), ließ sich die Krise des realen Sozialismus mit ideologischer Propaganda kaum noch kaschieren. Hinter der künstlich aufrechterhaltenen Fassade einer sozialen Stabilität kündigten sich die ersten Warnsignale an, die den ökonomischen Kollaps befürchten ließen (vgl. Krolikowski 1983, S. 349–356). Auf dem XI. Parteitag der SED im April 1986 hat Erich Honecker diese Konfliktlage selbst angedeutet: „Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre standen wir vor der Frage, wie es weitergehen soll. Sollten wir jenen Gehör schenken, die für ein Abbremsen des Tempos waren oder denjenigen, die dafür waren, die umfassende Intensivierung, den Kurs der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik weiter durchzuführen“ (Dokumente,Bd. 3, S. 422). Gesellschaftliche Realanalyse wurde aber zunehmend durch ideologische Beschwörungsformeln überdeckt, wenn Honecker konstatierte, „daß es nur wenige Länder in der Welt gibt, die über einen langen Zeitraum eine so solide und dynamische Entwicklung nahmen und sie ständig in sozialen Fortschritt umsetzen konnten“ (ebd., Bd. 3, S. 417).
Hatte Honecker auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 noch die Erwartung „außerplanmäßiger Wunder“ durch Ulbricht verspottet, so nahm er jetzt selbst zu ähnlich illusionären Hoffnungen Zuflucht, wenn er die „beträchtlichen Zuwachsraten der Mikroelektronik und der Robotertechnik“ (ebd., S. 417) als Fundament für einen neuen ökonomischen Aufschwung beschwor. Gleichzeitig wurden jedoch unmißverständliche Signale gesetzt, die auf den unbedingten Herrschaftsanspruch des SED-Regimes verwiesen: „Das Ministerium für Staatssicherheit trägt durch sein entschlossenes und vorbeugendes Handeln dazu bei, die Macht der Arbeiter und Bauern zuverlässig zu schützen (….) In enger Zusammenarbeit mit den Werktätigen [sic!] erfüllt das sozialistische Staatssicherheitsorgan seine revolutionäre Pflicht“ (ebd., S. 484). In diesen Formulierungen wird die makabre Pointe des „Überwachungsstaates“ akzentuiert, die wir im Rückblick als Ahnung der „Finalitätskrise“ (Sigrid Meuschel) erkennen können. Zu diesem Zeitpunkt war die Integrationsfähigkeit des SED-Regimes schon weitgehend paralysiert. Es konnte daher nur noch auf illusionäre Hoffnungen und eine Stärkung des Repressionsapparats setzen.
3. Folgen der Gesellschaftspolitik
3.1. Gesellschaftsgeschichte als Mentalitätsgeschichte
Das Verhältnis von Politik und Gesellschaft in der DDR kann nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Intentionen und Konzeptionen der SED-Führung betrachtet werden, bedeut-samer ist die Frage nach den Folgen der Gesellschaftspolitik für die Ausprägung von Wertemustern und Verhaltens-orientierungen in der DDR-Gesellschaft. Obwohl sich die sozialwissenschaftliche DDR-Forschung seit Beginn der siebziger Jahre in zahlreichen Studien um eine soziologische Analyse der DDR-Gesellschaft bemüht hat, ist das Projekt einer Gesellschaftsgeschichte der DDR bisher über sondierende Ansätze nicht hinausgekommen. Dies hängt nicht nur mit der Komplexität dieser Problemstellung zusammen, sondern ergibt sich vor allem aus dem spezifischen Erkenntnisdilemma sozialwissenschaftlicher DDR-Forschung: Die Wissenschafts-politik der DDR hat alles unternommen, um eine Realanalyse der DDR-Gesellschaft zu verhindern. Erst seit Mitte der sechziger Jahre wurde die Soziologie als eigenständige Wissenschaftsdisziplin etabliert, sie näherte sich erst allmählich westlichen Forschungsstandards. Soziologische Untersuchungen unterlagen zudem einer staatlichen Genehmigungspflicht, die sich ebenso auf die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse bezog. Der Mangel an gesicherten empirischen Daten hat daher eine wissenschaftliche Analyse von Entwicklungsprozessen in der DDR-Gesellschaft gravierend beeinträchtigt.
Der wissenschaftliche Diskurs über die Gesellschaftsgeschichte der DDR ist nach der Wende erheblich ausgeweitet worden. Westdeutsche Sozialwissenschaftler sowie Forscher aus der ehemaligen DDR haben dieses Thema neu aufgegriffen, das zuvor weitgehend nur die Spezialisten der DDR-Forschung beschäftigt hatte. Mit dieser Entwicklung war auch ein Perspektivenwechsel in der Wahrnehmung der DDR-Gesellschaft verbunden: Während das Erkenntnisinteresse der DDR-Forschung auf den Systemwandel gerichtet war, also vor allem Stabilisierungsfaktoren, Konfliktpotentiale und Reformbedingungendes sozioökonomischen Systems in der DDR thematisiert hatte, rückte nach der Wende der Aspekt in den Vordergrund, wie der „Zusammenbruch der DDR“ (Joas/Kohli 1993) umfassend erklärt werden kann. Dabei ging es nicht nur um eine Analyse der „Finalitätskrise“ der Politik, sondern auch um den Loyalitätsverfall in der Gesellschaft (vgl. dazu besonders Thaa u. a., 1992), der sich schließlich im Herbst 1989 als „Widerstand durch Auflehnung“ (Meuschel 1991) manifestierte. In diesem Kontext wurde die Frage nach der Existenz einer „DDR-Identität“ Gegenstand einer kontroversen Debatte: Wie ließ sich erklären, daß der Massenprotest gegen das SED-Regime kurzfristig in eine nationale Einigungsbewegung umschlug, die eine eigenständige DDR ablehnte und eine radikale Abkehr von reform-sozialistischen Erneuerungsversuchen beinhaltete? Zeigte diese Entwicklung nicht an, wie sehr die Gesellschaft der DDR eine (auf die nationale Einheit bezogene) deutsche Gesellschaft gebliebenwar? Und wie war die vollständige Absage an das Sozialismus-Paradigma zu erklären?
Antworten auf diese Fragen lassen sich nicht finden, wenn man die Gesellschaftsgeschichte der DDR nur von ihrem Ende erklärt. Mit einer rückwärts gerichteten Teleologie, einer finalen Geschichtsbetrachtung, kann die gesellschaftliche Realität der untergegangenen DDR ebensowenig erfaßt werden, wie die Vielfalt und Ambivalenz von Lebensgeschichten, die sich in diesem Land ereignet haben. Die Gesellschaftsgeschichte der DDR läßt sich nur verstehen, wenn wir unterscheiden, „zwischen dem, was man heute weiß, und dem Horizont, aus dem man damals handelte“ (Meckel 1992, S. 5), „wenn sie aus der Sicht der Betroffenen nachvollziehbar wird“ (Poppe 1992, S. 4). Die Analyse gesellschaftlicher Wertemuster und Verhaltensorientierungen greift zu kurz, wenn sie die Inhalte des gesellschaftlichen Bewußtseins im Sinne von Marx lediglich als Ausdruck „gesellschaftlicher Verhältnisse“, ökonomischer Strukturen und politischer Sozialisationsprozesse versteht, sie kann sich daher nicht auf eine Analyse der Systemebene beschränken.
Auf die Ausprägung von Mentalitäten in der Gesellschafts-geschichte der DDR haben historische Traditionen, konkurrierende Orientierungsangebote der bundesdeutschen „Beziehungsgesellschaft“ (M. Rainer Lepsius) und nicht zuletzt lebensweltliche Erfahrungen, die mit den informellen sozialen Beziehungen verbunden sind, nachhaltig eingewirkt und damit die Substanz vorherrschender gesellschaftlicher Wertemuster und Verhaltensorientierungen wesentlich beeinflußt.
„Mentalitäten umschreiben kognitive, ethische und affektive Dispositionen“, also „nicht nur Vorstellungen, Einstellungen und evtl. Regeln (des Verhaltens), sie sind nicht zuletzt auch gefühlsmäßig getönte Orientierungen“ (Raulff 1987, S. 10). Sie sind nicht das Ergebnis von „Systemintegration“, sondern Ausdruck von „Sozialintegration“ (Lockwood 1964). In diesem Sinn hat Michael Weck betont, „daß Bevölkerungen moderner Staaten keineswegs wie pawlowsche Wesen auf deren Anmaßungen reagieren, sondern sich ihre ganz besonderen Antworten darauf zurechtlegen. Die individuellen und oftmals eigensinnigen Antworten regeln die Alltagspraxis der Gesellschaft, und diese Praxis stimmt selten mit den Theorien der staatlichen Meisterdenker überein“ (Weck 1992, S. 134 f.).
Schon im April 1989 habe ich das Projekt einer „Mentalitätengeschichte der Deutschen“ vorgeschlagen und seinerzeit die Hypothese formuliert: „Die Gemengelage aus überkommenen traditionalen Orientierungen, neuen Impulseneiner sozialistischen Bewußtseinsbildung und Komponenten einer industriegesellschaftlichen Mentalität hat sich zu einem gesellschaftlichen Bewußtsein verdichtet, das mehr übereinstimmende Merkmale mit den Bundesdeutschen aufweist, als die strukturelle Differenz zwischen beiden deutschen Staaten vermuten ließe“ (Thomas 1990, S. 675). Mein „Plädoyer für ein neues Forschungskonzept“, das Ideologiegeschichte, Gesellschaftsgeschichte, Kulturgeschichte, Alltagsgeschichte, Soziologie und Sozialpsychologie miteinander verbindet, soll hier nachdrücklich erneuert werden.
Offene Fragen lassen sich erst dann präzisieren, wenn man Deutungsmuster und empirische Befunde zur Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins in der DDR sichtet und nach Erklärungswert und Erkenntnisgrenzen beurteilt. Diese Aufgabe soll im Mittelpunkt der folgenden Abschnitte stehen. Dabei werden legitimationstheoretische, lebensweltliche, psychosoziale, oppositionsgeschichtliche Ansätze sowie Ergebnisse der empirischen Sozialforschung unter dem Gesichtspunkt ihrer Relevanz für eine Rekonstruktion der Mentalitätsgeschichte der DDR untersucht.
3.2. Legitimation und Parteiherrschaft
Sigrid Meuschel hat in ihrer materialreichen Studie „Legitimation und Parteiherrschaft“ (1992) den Versuch unternommen, die Geschichte der DDR mit einem legitimationstheoretischen Ansatz darzustellen, der um die Begriffe „Legitimitätsglaube“ und „Loyalität“ zentriert ist. Im Mittelpunkt dieser Analyse steht die Frage, ob und wie es die SED vermocht hat, ihre Herrschaft so zu begründen, daß sie damit gesellschaftliche Akzeptanz finden konnte. „Legitimitätsglaube“ erfordert „eine zumindest partielle Normenkongruenz“ (Meuschel 1991, S. 16) zwischen politischer Führung und Gesellschaft, während „Loyalität“ einen Zustand bezeichnet, „in dem Herrschaft hingenommen wird, weil sie private Interessenverfolgung nicht hindert, u.U. sogar fördert, oder weil das politische System die Orientierung an systemunspezifischen Werten (z. B. religiöse oder privatistische Werthaltung) toleriert“ (ebd.).
Mit diesem Bezugsrahmen unterscheidet Meuschel drei Phasen der DDR-Geschichte:
– Antifaschistischer Stalinismus (1945–1955)
– Technokratische Reform und Utopie (1956–1970)
– Real-existierender Sozialismus (1971–1989) .
Dabei entwickelt sie folgende Hauptthesen:
– In den Anfangsjahren konnte die SED an die deutsche historische Tradition „einer sich unpolitisch verstehenden Gesellschaft“ anknüpfen, „die sich historisch-kulturell, gemeinschaftlich und anti-individualistisch definierte“ (Meuschel 1991, S. 16). Zusammen mit dem Antifaschismus bildete dieses „anti-westliche Syndrom“ (ebd., S. 17) die wichtigste Grundlage für den „Legitimitätsglauben“ in der Phase des „antifaschistischen Stalinismus“.
– In der zweiten Phase produzierten ökonomische Reformkonzepte und das ideologische Konstrukt der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ eine erhöhte „Systemloyalität“ und waren insoweit „legitimatorisch durchaus wirkungsvoll“: „Die Synthese von technischer Revolution und Utopie drückte die Technikfaszination wie die Harmoniebedürfnisse jener Zeit aus“ (ebd., S. 21).
– In der dritten Phase entwickelte sich die DDR zu einem „diktatorischen Wohlfahrtsstaat“, der auf den Anspruch der Utopie weitgehend verzichtet hatte: „Der Umstand, daß die Partei nicht mehr unablässig für eine bessere Zukunft mobilisierte, wirkte… entlastend; es zog Normalität ein, und die Loyalität war offenbar hoch“ (ebd., S. 23). Die „Finalitätskrise“ (Meuschel 1992), die spätestens mit dem XI. Parteitag der SED (1986) einsetzte, bewirkte einen rapiden „Loyalitätsverfall“ – Resultat einer „Politik der ideologischen Fiktion“, die den real-existierenden Sozialismus grundlegend kennzeichnete (Meuschel 1991, S. 24).
Sigrid Meuschel liefert mit ihrer weitgehend ideologie-geschichtlich orientierten Darstellung keinesfalls den Versuch, die repressive und diktatorische Herrschaft der SED zu rechtfertigen, sie will vielmehr plausibel machen, wie sich die relative Stabilität des Systems und seine Akzeptanz durch erhebliche Teile der Bevölkerung über weite Perioden der DDR-Geschichte erklären läßt. Für die Wirkungsmechanismen der Ideologieproduktion und –diffusion sowie die Genese gesellschaftsstrategischer Konzepte in der DDR liefert diese Studie reichhaltiges Material. Als Erklärungsmodell für die Entwicklung gesellschaftlicher Akzeptanz läßt die Analyse jedoch manche Fragen offen. Sie orientiert sich zu stark am Milieu der „sozialistischen Intelligenz“ und vernachlässigt Sozialisationsmuster der Arbeiterkultur. Die latente Brisanz der nationalen Frage wird unterschätzt, wenn der Mauerbau 1961 in ihrem Periodisierungskonzept nicht als grundlegende Zäsur für die Entwicklung der DDRGesellschaft erscheint. Nachdem die Möglichkeit des Ausweichen-Könnens nicht mehr vorhanden war, hat sich der Zwang zur Anpassung nicht nur auf das politisch-soziale Verhalten, sondern auch auf die mentalen Dispositionen ausgewirkt. Legitimationstheoretische Untersuchungen können eher Entwicklungsprozesse aus der Systemperspektive verdeutlichen als gesellschaftliche Verarbeitungsmuster politischer Legitimationsansprüche klären.
3.3. Die DDR als Lebenswelt
Lebensgeschichten sind eine wichtige Quelle sozial-wissenschaftlicher Erkenntnis, sie erschließen den Zusammen-hang zwischen Systemgeschichte und Alltagsgeschichte. Sie können veranschaulichen, wie sich Systemziele in soziale Erfahrungen transformieren, wie Politik von den Menschen unmittelbar erlebt und mental verarbeitet wird. Bereits in den siebziger Jahren haben Sarah Kirsch (1973) und Maxie Wander (1978) protokollierte Lebensgeschichten publiziert, die in authentischer Form Einblicke in soziale Befindlichkeiten vermittelt haben – als notwendige Ergänzung, teilweise auch als Korrektiv zu soziologischen Analysen der DDR-Gesellschaft, die auf der Makroebene angesiedelt waren. Dies gilt auch für die Havelland-Protokolle, die Gabriele Eckart (1984) nur im Westen publizieren konnte.
Lutz Niethammer hat mit zwei Mitarbeitern 1987 zum ersten Mal die Gelegenheit erhalten, lebensgeschichtliche Interviews in drei Städten der DDR (Karl-Marx-Stadt, Bitterfeld, Eisenhüttenstadt) zu führen. Insgesamt konnten dabei 150 Personen zwischen 58 und 80 Jahren befragt werden – also eine Personengruppe, die die gesamte Nachkriegszeit bereits bewußt erlebt hat und deren Erinnerungen und Erfahrungen teilweise bis in die Weimarer Republik zurückreichen. Das Forschungsprojekt, eine „Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR“, ist durch die Wende überlagert worden, doch hat es damit seine grundsätzliche Bedeutung für die mentalitätsgeschichtliche Forschung keinesfalls eingebüßt. Eine „Rekonstruktion der Lebenswelt“ (Woderich 1991a), die den komplexen und widerspruchsvollen Zusammenhang zwischen Politik und Gesellschaft, Ideologie und Bewußtsein, System und Person auf den Begriff einer allgemeinen Theorie bringen möchte, kann auf die Wahrnehmung und Verarbeitung individueller Erfahrungen nicht verzichten.
Allerdings darf die „Beweiskraft“ von Lebensgeschichten nicht überschätzt werden; dies gilt vor allem, wenn man den Perspektivenwechsel in Betracht zieht, der nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes die Rückerinnerung mitbestimmt. „Denn die spezifischen Bedingungen, unter denen Erinnerung geschieht, wirken immer an der Auswahl und Zurichtung der Gedächtnisinhaltemit“ (Niethammer u. a. 1991, S. 68). In den Gesprächen, die Niethammer publiziert hat, wird die Finalitätskrise des realen Sozialismus durchaus schon deutlich. Traditionsspuren kritischen Klassenbewußtseins ließen sich im ehemals roten Sachsen nicht mehr entdecken. Es gab kaum Anzeichen „von einem Widerstand gegen die Herrschaft der SED, die vielmehr die gegebenen Verhältnisse repräsentierte, mit denen mansich irgendwie arrangiert hatte. Auch die politisch Engagierten hatten aber nur eine Perspektive in die Vergangenheit: auf die materiellen Fortschritte seit der Arbeiterkindheit war man stolz, aber wie es weitergehen sollte, war allen ein Rätsel“ (ebd., S. 62).
Besonders aufschlußreich sind die Kommentare, die ein ungenannter DDR-Historiker (der seinen Kontrollauftrag schließlich unterlief) als teilnehmender Beobachter bei den Gesprächen, die im April/Mai 1987 in Eisenhüttenstadt geführt wurden, verfaßt hat: „Die Identifikation mit dem Gesellschaftssystem DDR wurzelt also überwiegend in den als positiv erlebten materiellen und sozialen Lebensbedingungen und -zusammenhängen im Alltag; sie wird jedoch kaum an seinen politischen und ideologischen Strukturen festgemacht. (Dies scheint auch für viele Genossen zuzutreffen.) Das akzeptierte, wirkliche Leben scheint sich unterhalb davon oder daneben abzuspielen. In den öffentlichen, direkt politischen Formen des Zusammenlebens nimmt man vorwiegend ein Verhältnis der fatalistischen, duldenden oder listigen Hinnahme, der pragmatischen vorteilbedachten Ausnutzung, einer gleichgültigen Mitläuferschaft ein… Nur selten trifft man auf wirklich engagierte, bewußte Mitwirkung in einer eigenständigen, konstruktiven, vorwärtsdrängenden Richtung…“ (in: Niethammer u. a. 1991, S. 630). Solche Beobachtungen, die aus der Binnenwahrnehmung des Systems entstanden sind, lassen erkennen, wie sich der Prozeß des Loyalitätsverfalls konkret manifestiert hat.
Alltags- und erfahrungsgeschichtliche Zugänge können dazu beitragen, ein verbreitetes Deutungsmuster der DDR-Gesellschaft zu überprüfen, das „Kleinbürgerlichkeit als Orientierungsrahmen bei der Bestimmung DDR-geprägter Mentalitätsformen“ zugrunde legt (Woderich 1991, S. 124): „Als bestimmende Faktoren im soziokulturellen Raum der Lebensformen bildeten sich Konventionalität und Konformität heraus. In einer vom Weltwind kaum gestreiften Gesellschaft mit reduzierter Sozialdynamik, gebrochener Subjektivität der Akteure und umfassender Nivellierung sind Habitusformen der Distinktion, der Selbstinszenierung und -stilisierung kaum zu erwarten und nur schwer auszubilden“ (ebd., S. 128). Damit wird in sozialwissenschaftlicher Perspektive eine These entfaltet, die Günter Gaus zuerst in die suggestive Formulierung vom „Land der kleinen Leute“ gefaßt hat (Gaus 1983, S. 48).
Nimmt man auf die politische Kulturforschung Bezug (Rytlewski 1989, Thaa u. a. 1992), zeigt sich allerdings die Unzulänglichkeit einer solchen Wahrnehmungsperspektive. Traditional vermittelte Pflicht- und Akzeptanzwerte kleinbürgerlicher Lebensorientierung können zwar ein unausgesprochenes Einverständnis, den „kollusiven Konsens“ (Woderich 1992, S. 62), erklären, der System und Lebenswelt zusammenbindet, nicht aber Prozesse des Wertewandels in der DDR-Gesellschaft, die dort seit Mitte der siebziger Jahre einsetzen. Die vermeintliche Homogenität einer „verstaatlichen Gesellschaft“ (Offe 1991, S. 78) hatte die DDR faktisch nie erreicht. Spätestens seit dem Ende der siebziger Jahre ließ sich erkennen, daß sich die Generation, die in die DDR „hineingeboren“ war (so der Titel eines Gedichtbandes von Uwe Kolbe), in ihren Wertemustern, Verhaltensorientierungen und Habitusformen von der Gründer- und der nachfolgenden Aufbaugeneration deutlich abgrenzte. Eine Rekonstruktion der Lebenswelt in der DDR darf diesen „Generationenriß“ (Niethammer 1990, S. 254) nicht ausblenden.
Michael Hofmann und Dieter Rink (1993) haben die sozialen Erfahrungen eines „paternalistisch orientierten Arbeitermilieus“ und eines „traditions- und berufsorientierten Facharbeiter-milieus“, das in den fünfziger und sechziger Jahren für die Lebenswelt der „Arbeitsgesellschaft“ (Adler 1991, S. 167) DDR charakteristisch war, und seine Auflösung in den siebziger Jahren beschrieben: „Viele gut ausgebildete junge Facharbeiter wendeten sich zunehmend vom Milieu und den teilweise auch im Milieu tradierten sozialistischen Vorstellungen ab“ (Hofmann/Rink 1993, S. 33). Der Konflikt zwischen der Aufsteiger- und der Aussteigergeneration läßt sich nicht nur als Protest gegen „eine einsatzbereite und exekutive Generation“ deuten, „mit wenig perspektivischer Kreativität, aber viel Disziplin und Improvisationstalent, Autorität und Bescheiden-heit, auf die die jüngere Generation mit Unverständnis und Ablehnung reagiert“ (Niethammer 1990, S. 258). Er war auch Folge einer sozialen Schließung, einer Mobilitätsblockade (vgl. dazu auch Adler 1991, S. 162). Die Auflösung traditions-gebundener Mentalitäten wurde durch den Umstand verstärkt, daß die soziale Dynamik der DDR-Gesellschaft in den siebziger Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen ist. Die Reduzierung sozialer Mobilitätsprozesse ist wesentlich durch eine Neuorientierung der Bildungspolitik beeinflußt worden, die den Zugang zum Hochschulstudium aus ökonomischen Gründen seit 1972 drastisch begrenzt und damit die Möglichkeit sozialen Aufstiegs erheblich beeinträchtigt hat (Thomas 1983, S. 269).Die Einschränkung von Karriereerwartungen hat den Rückzug in private Refugien ebenso begünstigt wie sie zur Entstehung gegenkultureller Orientierungen beigetragen hat.
Dieter Geulen hat mit einer Forschungsgruppe, zu der Sozialwissenschaftler aus Ost- und Westdeutschland gehören, eine empirische Untersuchung projektiert, „deren Ziel die Rekonstruktion typischer Muster in der politischen Sozialisation bei vier Kohorten (die um 1940, 1950, 1960 und 1970 Geborenen) in der früheren DDR ist“ (Geulen 1993, S. 38). Es handelt sich dabei um eine qualitative Studie, die keine gesicherten Aussagen über quantitative Verteilungen zuläßt. Eine vorläufige Auswertung hat ergeben, daß in der DDR-Gesellschaft durchgängig und für alle Kohorten in mehr oder weniger gleicher Weise sowohl die Ausbildungs- als auch die Berufs- und Parteikarriere kaum durch eigene individuelle Wünsche, sondern überwiegend durch fremde Instanzen bestimmt worden ist“, d. h. „daß die subjektive Seite in diesem Prozeß mehr oder weniger unterdrückt werden mußte“. Eigene biographische Entscheidungen waren unter diesen Voraussetzungen häufig nur noch in negativer Form möglich, als „Entscheidungen gegen etwas, aber nicht Entscheidungen für ein bestimmtes Ziel, das beispielsweise im Zusammenhang mit einem subjektiven Lebensentwurf gestanden hätte“ (ebd., S. 39).
Aus den angedeuteten Gründen läßt sich erklären, warum sich die Integrationsfähigkeit des Systems in den jüngeren Generationen fortlaufend reduzierte, so daß man durchaus von einer Selbstkonstitution neuer Wertemuster in der Jugendkultur der DDR sprechen kann, die sich weitgehend außerhalb der Systemstrukturen vollzogen hat (vgl. dazu näher 3.6.3). Wilfried Schubarth hat in einer Untersuchung zum Geschichtsbewußtsein von Jugendlichen in der DDR, die im Mai/Juni 1988 durchgeführt worden ist, festgestellt, daß ein entwickeltes Politikinteresse für die Mehrzahl der Jugendlichen nicht typisch war (Schubarth 1989, S. 13). Ein „sehr starkes“ Interesse für die Geschichte der DDR war zu diesem Zeitpunkt nur noch bei 2% der Schüler (Studenten: 14 %) vorhanden, während sich immerhin 7% (Studenten: 6%) im gleichen Ausmaß an der Geschichte der Bundesrepublik interessiert zeigten (ebd., S. 22). Die Ablösung vom System hatte demnach auch generationsspezifische Ursachen, die mit unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen in der DDR-Gesellschaft eng verknüpft waren. Je länger die DDR existierte, um so stärker haben sich diese neuen Wertemuster zumindest auch in der Zwischengeneration verbreitet und damit einen gesamtgesellschaftlichen Wertewandel angestoßen (vgl. dazu 3.6.3 und 3.6.4).
3.4. Psychosoziale Aspekte
Die prononcierten Thesen des Hallenser Psychotherapeuten Hans-Joachim Maaz, die er wenige Monate nach der Wende in seinem Buch „Der Gefühlsstau“ (1990) erstmals publiziert hat, fanden große Resonanz und lösten kontroverse Debatten aus. Die Suggestion dieses Erklärungsansatzes liegt in der Tatsache begründet, daß die diktatorische Struktur des Monopol-sozialismus in der DDR Tendenzen einer „Entsubjektivierung“ (Adler 1991a) stark begünstigt hat. Rudolf Bahro hatte bereits 1977 in seinem Buch „Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus“ die Habitusform der „Subalternität“ als Folge einer „stalinistischen Gesellschaftsverfassung“ gedeutet, und Rolf Henrich hat in der Endphase der DDR den Begriff „vormundschaftlicher Staat“ geprägt. In einem umfangreichen Essay hat er die „Verdinglichungsstruktur des Bewußtseins der Parteikader“ nicht nur auf die strukturellen Wirkungsmechanismen einer bürokratischen Herrschaftsorganisation und „ein an Gehirnwäsche grenzendes Schulungssystem im Marxismus/Leninismus“, sondern auch auf die historische Tradition des preußischen Obrigkeitsstaates und der damit verknüpften Untertanenmentalität zurückgeführt: „Noch immer gilt es als moralisch zulässiges Verhalten, auferlegte Pflichten erforderlichenfalls gegen die eigene, innere Überzeugung widerspruchslos zu erfüllen“ (Henrich 1989, S. 92).
Eine zentralisierte „Organisationsgesellschaft“ (Pollack 1990), in der Politik von einem „Monosubjekt“ (Adler 1991a) mit dem gemeinschaftsideologischen Anspruch auf gesellschaftliche Homogenität exekutiert wird, prägt ein starkes Autoritätssyndrom aus, das sich auf die psychosozialen Dispositionen der Menschen auswirkt. Hans-Joachim Maaz hat diese plausible sozialpsychologische Hypothese radikalisiert: „Die unausweichliche Folge der permanenten Disziplinierung und Demagogie mit kleinlicher Intoleranz gegen jede Abweichung war die Verwandlung des äußeren Zwanges in innere Unterdrückung. Das System hat jeden einzelnen so lange bearbeitet, bis der psychologische Mechanismus der Selbstversklavung und Selbstzerstörung gesichert war“ (Maaz 1990, S. 13).
Die schonungslose Beschreibung von Repressionsmechanismen kann als Akt nachholender Befreiung in einer Gesellschaft gesehen werden, die in ihrer überwiegenden Mehrheit „stimmlos-stumm“ (Schorlemmer 1993, S. 16) geblieben war. Sie unterliegt jedoch gleichzeitig der Gefahr, Intention (der Herrschenden) undWirkung (auf die Gesellschaft) zu identifizieren, Mentalitätsprägungen und Habitusformen in einer mechanistischen überdeterminierten Wahrnehmung zu interpretieren. Aus den Traumatisierungen von Patienten in der psychotherapeutischen Praxis werden durch kurzgeschlossene Extrapolationen Charakterdeformierungen einer ganzen Gesellschaft abgeleitet, Modalitäten einer psychosozialen Befindlichkeit eines kollektiven Subjekts konstruiert, die einer empirischen Überprüfung kaum standhalten.
Auch wenn man den fragwürdigen Verallgemeinerungen von Maaz nicht folgen mag, wird man nicht übersehen können, daß er einen fruchtbaren Diskurs über die Psychohistorie der DDR provoziert hat, in der ein vergröberndes Täter-Opfer-Schema durch eine differenzierende Rekonstruktion von Mentalitäten, psychischen Dispositionen und sozialen Habitusformen in der DDR-Gesellschaft abgelöst worden ist (Schönherr 1992, Kornbichler 1992, Rauschenbach 1992). Dabei ist der Reflexionshorizont durch zwei wichtigeFragestellungen erweitert worden: Einerseits wird diskutiert, inwieweit eine parallele Betrachtung der beiden deutschen Diktaturen erkenntnisfördernd wirken kann, andererseits ist die gesellschaftsdisziplinierende Wirkung eines herrschaftslegitimatorisch mißbrauchten „verordneten Antifaschismus“ (Schubarth u. a. 1991) hinterfragt worden.
Schon in ihrer Formierungsphase leitete die SED-Führung ihre Politik unddie eigene Staatsgründung selbstlegitimatorisch aus dem Antifaschismus und in Entgegensetzung zur Entwicklung im Westen Deutschlands ab (vgl. 2.1). Die DDR wurde als der deutsche Staat dargestellt, der konsequent die Lehren aus der Geschichte gezogen hatte. Christa Wolf hat die gesellschafts-psychologische Bedeutung dieser Orientierung, die von der SED-Führung aus dem glaubwürdigen biographischen Anspruch des antifaschistischen Widerstandes geltend gemacht wurde, für die Aufbaugeneration der DDR, die häufig über den Antifaschismus zum Sozialismus gekommen ist, treffend beschrieben: „Meine Generation identifizierte sich schon früh mit der entstehenden Gesellschaft, weil wir hier in den vierziger Jahren gezwungen waren, uns intensiv und radikal mit der faschistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, schärfer als dies in der Bundesrepublik der Fall war. Das hat eine starke Bindung an diese Gesellschaft geschaffen, die ja durch Antifaschisten aufgebaut wurde. Diese Bindung blieb so dauerhaft, weil wir keine Alternative sahen“ (Wolf 1990, S. 134 f.).
Der von der SED in Anspruch genommene Antifaschismus bedeutete zugleich, daß in der DDR das gemeinschafts-ideologische Postulat der „Befreiung“ gegenüber dem gesellschaftstheoretischen Prinzip der „Freiheit“ dominierte. Kommunismus wurde nicht – wie von Karl Marx postuliert – als eine „Assoziation“ wahrgenommen, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist“, sondern – wie sich Stephan Hermlin irritiert eingesteht – umgekehrt als eine Gesellschaft betrachtet, „worin die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden ist“ (Hermlin 1980, S. 23). Diese Deformation des Freiheitsbegriffs, die sich aus dem monopolsozialistischen Postulat einer „Befreiung der Gesellschaft“ ergab, war wohl die verhängnisvollste Folge der Instrumentalisierung des Antifaschismus durch das SED-Regime. Sie hat das Prinzip der individuellen Freiheit dem Postulat der sozialen Befreiung unterworfen: „So meinten Antifaschisten, der Ermordung Entronnene, auf Dauer einen Bonus zu besitzen, der sie berechtigte, Menschenrechte zu verletzen, weil sie selbst schrecklich Verletzte waren“ (Schorlemmer 1993, S. 16).
Der verordnete Antifaschismus, mit dem sich die DDR schon bald vollends auf die Seite der „Sieger der Geschichte“ stellte, hatte zur Konsequenz, daß sie den Nationalsozialismus ausschließlich als historisches Erbe der Bundesrepublik deklarierte und sich damit von einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit dieser Periode deutscher Geschichte freistellte. Indem die SED den Antifaschismus politisch instrumentalisierte, d. h. zur Rechtfertigung eigener Herrschaftszwecke mißbräuchlich in Anspruch nahm, verfolgte sie eine Strategie der moralischen Überwältigung, der ideologischen Okkupation. Daß dieser Antifaschismus sehr rasch durch den Stalinismus überlagert und damit in seiner antitotalitären Stoßrichtung verraten wurde, haben zwar viele Menschen empfunden, aber oft durch selbstverhängte Denkverbote verdrängt (Becher 1956). „Man hätte bei uns Antifaschisten bekämpfen müssen, um den Stalinismus zu bekämpfen“ (Kohlhaase 1990). Je weniger die konkrete Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der DDR erfolgte, um so leichter konnte das abstrakte Postulat des Antifaschismus als Legitimationsprinzip der SED-Herrschaft ritualisiert werden, ohne daß damit die herrschaftssoziologische Frage nach dem Grundwiderspruch zwischen Diktatur und Demokratie thematisiert worden wäre.
Nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes lag es nahe, daß diese (von der SED blockierte) Diskussion über die Geschichte der DDR im Kontext einer „deutschen Verfehlungsgeschichte“ (Schorlemmer 1992, S. 29) mit den historischen Erfahrungen der NS-Diktatur in Verbindung gebracht wurde. Eberhard Jäckel hat das Hauptproblem pointiert benannt, das sich aus einem undifferenzierten Umgang mit der doppelten deutschen Diktaturgeschichte ergibt: „Statt zu vergleichen wird gleichgesetzt.“ Er äußert auch den Verdacht, daß die Westdeutschen alte Versäumnisse zu Lasten der Ostdeutschen kompensieren: „Was man nach 1945 versäumte, wird mit um so größerem Eifer nachgeholt“ (Jäckel 1991, S. 41). Wer den SED-Sozialismus als variierte Fortsetzung der NS-Diktatur versteht, fördert zudem das Mißverständnis, die Ostdeutschen sollten als Gesellschaft von Mitläufern pauschal unter Anklage gestellt werden (vgl. Schönherr 1992: „Ein Volk am Pranger?“), so wie es die Generation der Achtundsechziger seinerzeit in der Bundesrepublik unternommen hatte. Die Gleichsetzung beider Regime erscheint auch deshalb fragwürdig, weil ihre Dauer höchst verschieden und ihr Ende unvergleichbar war.
Der SED-Staat existierte vier Jahrzehnte, die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben sich in gewaltfreier Aktion selbst befreit und in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts die Wiederherstellung der deutschen Einheit herbeigeführt. Sie haben die Schranken der Diktatur durchbrochen und sind zu Subjekten ihrer eigenen Geschichte geworden. Was emphatisch als „friedliche Revolution“ bezeichnet worden ist, war zwar nicht allein Folge einer innergesellschaftlichen Protestbewegung: Es resultierte vielmehr aus den komplexen Wechselwirkungen zwischen außenpolitischer Freisetzung (vom sowjetischen Hegemonialanspruch), massenhafter Verweigerung durch Flucht oder Bürgerprotest sowie der Sklerose des Systems. Mit dem Deutungsmuster der Subalternität läßt sich ein solcher Prozeß nicht zureichend erklären.
Wo verglichen wird, kommt es neben den Gemeinsamkeiten vor allem auch auf Unterschiede an. Sozialpsychologisch gewendet hat Brigitte Rauschenbach die Perspektive einer vergleichenden Rückerinnerung, einer „Psycho-Analyse deutscher Wenden“, am deutlichsten markiert: „Nicht nur als Anschauungsmaterial legte die ummauerte Realität des Staatsgebildes der DDR Anschlußstellen an den Nationalsozialismus nahe. Gewiß gibt es systematisch betrachtet wesentliche Differenzen, die niemand zu leugnen vermag. Die DDR hat sich selbst zum Ghetto gemacht, aber sie hat keine Todesghettos für Millionen von Menschen geschaffen. Ihr Regime hat als vergreiste Kopie des furchterregenden Leviathan Sicherheit nach innen und außen über alles und hat nicht die Sicherheit und den Frieden der Welt und ihres eigenen Landes in Frage gestellt. Sie hat ihr kleines operatives Territorium nie über die Grenzen hinaus aggressiv zu erweitern versucht, sondern diese umgekehrt zu schützen geglaubt mit den perversen Mitteln der Selbstzerstörung. Und dennoch und deshalb hat sie – wie der Nationalsozialismus – mit einer alles durchdringenden Staatlichkeit gesellschaftliche Differenzierung in der Hauptsache verhindert, hat wie der Nationalsozialismus öffentliches Leben in fahnenschwenkende, ritualisierte Präsentationsformen einer hermetischen und homogenisierten Politikgepreßt und wie der Nationalsozialismus in panischer Angst, Verschiedenheit auszubilden und zuzulassen, noch im Ähnlichsten sich die paranoide Projektionsfigur eines verteufelten Feindes erschaffen“ (Rauschenbach 1992, S. 35). Die politische Psychologin aus Berlin hat aber zugleich nachdrücklich auf die Gefahr hingewiesen, daß falsche Gleichsetzungen „die Frage nach den Kausalbeziehungen und psychodynamischen Wirkungs-geschichten, die zwischen historischen Epochen, politischen Systemen, psychischen Strukturen und generativen Erfahrungen existieren“, verstellen (ebd., S. 37).
Psychische Strukturen und generative Erfahrungen in der Gesellschaft der DDR lassen sich nur erschließen, wenn wir zwischen der Systemgeschichte (als Diktaturgeschichte) und der Gesellschaftsgeschichte (als Summe individueller Lebensgeschichten) unterscheiden, auch wenn beide miteinander verflochten waren. Bärbel Bohley hat dazu in ihrer Antwort auf einen Offenen Brief an Antje Vollmer bemerkt: „Verstehen kann es wohl niemand bei Euch, aber vielleicht doch akzeptieren, daß das Leben im Osten sehr viel Spaß gemacht hat. Wir waren traurig, heiter, verzweifelt und haben intensiv gelebt. Auch ein Leben im Osten war ein ganzes Leben“ (Bohley 1992, S. 27).
Wenn von der Geschichte der DDR die Rede ist, geht es für die Menschen, die in diesem Staat gelebt haben, nicht nur um die Geschichte der DDR-Diktatur, sondern um einen wichtigen Abschnitt ihrer eigenen Biographie, der nicht pauschal entwertet werden darf (vgl. dazu auch Bender 1992). In den Kontroversen über das individuelle Verhalten im real existierenden Sozialismus kann daher nicht nur über die Reaktionen auf die manifeste oder latente Gewalttätigkeit eines Repressionssystems debattiert werden, über Mitwirkung, Anpassung, Resistenz, Distanz, Verweigerung, Opposition und Widerstand – für jeden Beteiligten stellt sich zugleich die wichtige Frage nach der Akzeptanz der eigenen Lebens-geschichte. Gerd Poppe hat auf die„Widerstandsfähigkeit der Ostdeutschen trotz insgesamt 56 Jahren Diktatur“ hingewiesen, „auch wenn sie vorwiegend nur in Form des privaten Rückzugs oder einer mühsam verschleierten Verweigerung bestand“ (Poppe 1992, S. 4).
Die Gesellschaft der DDR war – sozialpsychologisch betrachtet – eine Gesellschaft fragmentierter Identität , eine „Gesinnungskonditionierung“ (Kornbichler 1992a, S. 74) hat die SED dabei kaum erreicht. Die Ansprüche des Systems wurden häufig durch „angepaßtes Ausweichverhalten“ (Pollack 1993, S. 249), durch ein prekäres Verhältnis von Anpassung, Eigen-Sinn und Selbst-Behauptung (Woderich 1992) umgeleitet und verarbeitet. Es trifft zu: „Im Autoritarismus wird Angst erzeugt und als Herrschaftsinstrument eingesetzt“ (ebd., S. 85). Auf diese Weise erreichte die SED zwar ein hohes Maß an passiver Loyalität, in den Zieldimensionen sozialistischer Wohlfahrts-politik zeitweilig (vor allem zwischen 1965 und 1975) auch ein beachtliches Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz, doch läßt sich nicht nachweisen, daß die „sozialistische Bewußtseinsbildung“ als Mobilisierungsstrategie in der Gesellschaft der DDR im Sinne der Ausbildung parteiideologisch erwünschter mentalerDispo-sitionen und sozialer Habitusformen massenhaft legitimatorisch wirksam geworden wäre (vgl. auch Thaa u. a. 1992).
Der Schriftsteller Werner Heiduczek hat schon 1972 die Beobachtung formuliert, daß die jungen DDR-Bürger manchmal ein gespaltenes Leben leben – ein offizielles und ein privates unter sich“ (in: Forum 9/1972, S. 10). Je mehr Menschen den Glauben an die sozialistische Utopie verloren, um so stärker wurde für die SED das „Passivitätsdilemma“ (Ganßmann 1993, S. 186), die Distanz gegenüber den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Appellen der Parteiführung, die Tendenz zum Rückzug in autonome Refugien,die Günter Gaus als „Nischengesellschaft“ charakterisiert hat: „In dem Wort schwingen… ein Rückzug ins Private, die Befriedigung individualistischer Bedürfnisse, die vom Kollektivismus nicht ausreichend gewährleistet werden. Die privaten Lebensräume, als tiefe Nischen ausgestaltet, sind Freiräume von der herrschenden Lehre. Damit sind sie keineswegs auch grund-sätzlich Widerstandsnester. Im Gegenteil: Sie haben eine Ventilfunktion. Es ist geradezu ein Kriterium der mitteldeutschen Nischen, daß ihre Inhaber, ihre Einwohner sich durch die Möglichkeit der Nische, des individuellen Glücks im Winkel mit dem Regime ihres Staates arrangiert haben. Wer sich mit ihm überwirft, tritt aus der Nische heraus“ (Gaus 1983, S. 157).
Die individuellen Lebensziele und Sehnsüchte wurden in einer abgeschirmten Privatsphäre, im Familien- oder Freundeskreis, verwirklicht. In dieser Perspektive stellt sich die DDR „als Rückzugsgebiet deutscher Innerlichkeit“ (Lepenies 1992, S. 73) dar. Der Ausstieg aus der Politik wurde zum vorherrschenden Daseinsmodus der DDR-Gesellschaft, auch wenn die hohen Mitgliederzahlen in Parteien und Massenorganisationen ein anderes Bild zu vermitteln schienen. Es war nicht die Haltung der Verweigerung, sondern eine eigentümliche Mischung aus symbolischer Mitwirkung und politischer Absenz, die für weite Teile der DDR-Gesellschaft charakteristisch wurde. Die private Nische fand ihren sinnfälligen Ausdruck in der „Datsche“, der nach russischem Sprachgebrauch benannten Fluchtburg im Grünen, die den Rückzug der Bürger aus der kontrollierten Öffentlichkeit am deutlichsten manifestierte. So hat die Nischengesellschaft die kleinen Freiheiten bewahrt, solange die große Freiheit unerreichbar schien. Sie hat damit eine doppelte Wirkung erzeugt: Einerseits hat sie viele Menschen von politischem Druck entlastet, andererseits hat sie Konflikt-potentiale der DDR-Gesellschaft gleichsam neutralisiert und damit – wenn auch ungewollt – zur Stabilisierung des Systems beigetragen. Die „Nische“ war ein Freiraum, in dem die Bürger der DDR ihre Privatsphäre gegen den Verfügungsanspruch des Staates verteidigt haben, sie hat die Folgenlosigkeit „sozialistischer Bewußtseinsbildung“ angezeigt, sie war der Modus vivendi der schweigenden Mehrheit, die sich dem System entzog, ohne ihm zu widersprechen.
Wolfgang Thierse hat die DDR als „ein System des alltäglichen, des leisen Terrors“ bezeichnet, „das des Mittuns und Mitschweigens vieler bedurfte“ (Thierse 1992, S. 17 f.). Doch bleibt ungewiß, in welchem Zeitraum und auf welche Weise es gelingen kann, eine „Befreiung von der Beschämung“ zu erreichen, „diese DDR-Vergangenheit mitverschuldet oder doch wenigstens miterduldet zu haben“ (ebd., S. 14). Kritisch muß gefragt werden, ob sich eine Gesellschaft durch öffentliche Schuldbekenntnisse therapieren läßt, ob aus der gutgemeinten Selbstanklage der Ostdeutschen nicht eine Selbstüberhebung der Westdeutschen resultieren könnte, die sie vollends – politisch, ökonomisch und schließlich auch moralisch – in eine „Dominanzfalle“ (Karl-Otto Hondrich) geraten ließe. Kritisch muß auch gefragt werden, ob „schmerzliche Selbstaufklärung“ (Schorlemmer 1991, S. 35), die vor allem auf Trauer und Schuldanerkenntnis gegenüber den „Entwürdigungsvorgängen“ (Gauck 1992) der Diktatur zielt, der Ambivalenz von Lebenssituationen gerecht wird, die von den Menschen erduldet und gestaltet worden sind. Anders als in der NS-Diktatur „war die Identifikation mit Staat und Regime gering. Deswegen war ja auch die Überwachung und Unterdrückung so gründlich. Das Regime beging seine Untaten vornehmlich gegen die eigenen Bürger“ (Meier 1992, S. 35). Darauf hat mit besonderem Nachdruck Joachim Gauck hingewiesen: „Unter mehr als 16 Millionen Einwohnern gab es weniger als 200.000 inoffizielle und weniger als 100.000 hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit. Es gilt, die Relationen im Auge zu behalten, statt übertriebene Vorstellungen von kooperationsbereiten Bürgern zu verbreiten.Wir waren kein Volk von Spitzeln, und die wohlwollende Entschuldigung ist genau so wenig angebracht wie die diffamierende Verurteilung“ (Gauck 1992, S. 272).
Wer die Gesellschaft der DDR als Gesamtschuldner betrachtet, verwischt die notwendige Unterscheidung zwischen Schuld, Verantwortung, Zivilcourage und Ohnmacht. Statt dessen wäre es geboten, „Kollektivurteile zu delegitimieren und den Anteil von Individuen und Gruppen, von Zwang und Freiwilligkeit herauszuarbeiten“ (Claussen 1992, S. 155 f.), der die Geschichte der DDR bestimmt hat. Dabei muß auch bedacht werden, was Angela Merkel in dem lapidaren Satz zusammengefaßt hat: „Es ist für Menschen nicht möglich, vier Jahrzehnte in einem System zu leben, ohne es in einem gewissen Maße für sich zu akzeptieren“ (zit. nach: Die Zeit, 20.12.1991, S. 2). Niemand kann über lange Zeit, ohne daß ein Ende absehbar ist, in einem psychischen Ausnahmezustand leben. Er braucht mentale Entlastung und soziale Integration, auch wenn er politische Distanz bewahrt. So läßt es sich auch erklären, daß nicht wenige DDR-Bürger in der Idee des Sozialismus einen Orientierungspunkt sahen, der vor allem in den Gründerjahren politisches Engagement rechtfertigte und mobilisierte, ohne daß damit die unvollkommene Realität kritiklos hingenommen worden wäre. „Westdeutschen fällt es schwer, zu begreifen, daß im Osten Sozialismus etwas war, das sie gern doppelt verteidigt hätten, gegen die Wachstumsideologie des Westens wie gegen die Perversion im eigenen Land“ (Dieckmann 1991, S. 7).
Ehrhart Neubert hat darauf hingewiesen, „daß die Vergangenheitsaufarbeitung im Osten die gesamtdeutschen Altlasten gemeinsamer Schuldverstrickungen nicht ausklammern kann“ (Neubert 1992, S. 11). Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik im Westen Deutschlands müssen sich im Rückblick die kritische Frage stellen, ob sie nicht ebenfalls zu der „schuldhaften Beglaubigung von Teilen des sozialistischen Trugbildes“ (Brecht 1991, S. 10) beigetragen haben. „Wenn wir den Ostdeutschen vorhalten, sie hätten sich zu sehr an Honecker und sein Regime gewöhnt, dann kann eben die Gegenfrage nicht ausbleiben: Und wir?“ (Leicht 1992, S. 11).
Wenn wir die Nachkriegsgeschichte der Deutschen nicht in zwei unverbundene Segmente fragmentieren, sondern ihre Beziehungsgeschichte durch eine „rückkoppelnde Geschichtsverarbeitung“ (Eberhard Brecht) erhellen, könnte aus solcher gemeinsamen Erinnerung ein wichtiger Impuls für die innere Einheit erwachsen. Das würde voraussetzen,
„im Lichte der Erfahrung der anderen Seite, sich erneut der eigenen Geschichte zu stellen und ein gemeinsames Maß in der Beurteilung des Verhältnisses von objektiven Voraussetzungen und subjektivem Handeln zu finden“ (Brecht 1991, S. 10).
3.5. Gesellschaftsgeschichte als Oppositionsgeschichte
Politische Opposition in der DDR war auf kleine Minderheiten beschränkt. „Fremd im eigenen Haus“ (Eppelmann 1993) unternahmen mutige einzelne den Versuch, die Selbstbehauptung der Person gegen den Omnipotenzanspruch der Parteiherrschaft zu verteidigen, indem sie – meist im angefochtenen Schutzraum der evangelischen Kirche – für eine ideologische Abrüstung der Gesellschaft und für die Achtung der Menschenrechte eintraten. „Wir waren naiv, utopisch, machten uns lächerlich, wurden lächerlich gemacht, wirkten subversiv, störend auch für die große Mehrheit eingeduckter Mitbürger“ –so hat es Friedrich Schorlemmer zuletzt in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels beschrieben (Schorlemmer 1993,S. 16).
Es zählt zu den absurden Pointen der Geschichte der SED-Diktatur, daß wir den Geheimdossiers des Überwachungs-staates neue Erkenntnisse über das Protestpotential in der DDR-Gesellschaft verdanken, die es erlauben, das Ausmaß sozialer Widerständigkeit und politischer Verweigerung sozialgeschichtlich breiter zu fundieren, als dies aus der Perspektive manifester Opposition bisher möglich gewesen ist.
In der Geschichte der DDR wurden in den ersten drei Jahrzehnten vorwiegend Ansätze einer reformkommunistischen Opposition registriert, die ganz überwiegend von einzelnen sozialistischen Intellektuellen geprägt war, ohne eine sichtbare gesellschaftliche Resonanz zu finden (Jänicke 1964, Rüdiger Thomas 1992). Erst nach der Wende verdeutlichte das Protokoll einer Präsidialratssitzung des Kulturbundes vom 3. Juli 1953, wie massiv seinerzeit – wenn auch hinter verschlossenen Türen – Rechtswillkür und Verfassungsbruch als totalitäre Entartung kritisiert wurden, mit der die Staatsmacht in der Periode des Stalinismus operierte (Heider/Thöns 1990).
In den ersten zwanzig Jahren der DDR-Geschichte hatte sich gezeigt, daß die Kirche „aus dem öffentlichen Raum zunehmend zurückgedrängt und ihre Arbeit eingeschränkt worden“ war (Koch 1975, S. 155). Daran hatte die zeitweise äußerst rigide Kirchenpolitik der SED den entscheidenden Anteil, doch mehrten sich seit Ende der sechziger Jahre auch selbstkritische Anfragen, ob dazu nicht auch eine weitgehende Berührungsangst und eine prinzipielle Abwehrhaltung der Kirchen gegenüber dem sozialistischen Staat beigetragen hätten. In den Plädoyers für ein gesellschaftliches Engagement der Christen in der DDR, die insbesondere auf den Synoden des Kirchenbundes und der Landeskirchen vorgetragen wurden, drückte sich die Erwartung aus, daß Partei und Staat künftig ein höheres Maß an Toleranz und Dialogbereitschaft entwickeln würden, wenn die Kirche auf sie zugehen und ihre politische Loyalität ausdrücklich erklären würde. Der umstrittene Versuch, durch die Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (10. Juni 1969) einen erweiterten Handlungsspielraum in der Gesellschaft zu erwirken, erwies sich trotz mancher Rückschläge und Zweideutigkeiten, die sich aus dem Burgfrieden zwischen Partei, Staat und Kirche ergeben haben (vgl. dazu vor allem Besier/Wolf 1991), als tragfähiger Ausgangspunkt für eine kritische Selbstverständigung über die Ziele der Politik in der sozialistischen Gesellschaft. Den Grundkonflikt im Verhältnis zwischen Staat und Kirche hat der Görlitzer Bischof Hans-Joachim Fränkel Ende März 1973 wohl am deutlichsten benannt. „Mündige Mitarbeit“ setze die Gewährleistung der „grundlegenden Menschenrechte wie Religionsfreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung“ voraus. Diese dürften „nicht unter das Soll einer bestimmten Gesinnung gebeugt“, sondern müßten „als dem Menschen vorgegeben anerkannt“ werden (Fränkel 1973, S. 442 f.).
Im Sommer 1976 wurde nach zwanzig Jahren vergeblicher Bemühungen der Bau von Kirchen und Gemeindezentren in Neubaugebieten zugelassen. Diesem hoffnungsvollen Zeichen folgte ein Schock: Die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz am 18. August 1976 führte zu heftigen Diskussionen über den Kurs der Evangelischen Kirchenleitungen gegenüber Partei und Staat. Der ständige Wechsel zwischen Arrangement und Konfrontation im Staat-Kirche-Verhältnis wurde 1978 besonders deutlich. Am 6. März empfing Erich Honecker den Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen. In einem „konstruktiven und freimütigen Gespräch“ wurde festgestellt, daß die Beziehungen „in den letzten Jahren zunehmend von Sachlichkeit, Vertrauen und Freimütigkeit geprägt werden“. Im Hinblick auf die von kirchlicher Seite vorgebrachte Benachteiligung junger Christen betonte Honecker „die Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger“, und Bischof Schönherr gab zu Protokoll: „Das Verhältnis von Staat und Kirche ist so gut, wie es der einzelne christliche Bürger in seiner gesellschaftlichen Situation vor Ort erfährt“ (vgl. Neues Deutschland, 7. März 1978, S. 1). Nur drei Monate später mußten die Kirchen mit der Einführung des Wehrunterrichts die Erfahrung machen, daß ihr Einspruch völlig wirkungslos bleiben sollte – damit war unmißverständlich die Grenze der Dialogbereitschaft der SED markiert.
So fällt es schwer, Erfolge und Mißerfolge, Chancen und Risiken, die sich aus der Öffnung der Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft ergeben haben, gegeneinander abzuwägen. Die Ambivalenz dieser Situation hat Bischof Schönherr im Frühjahr 1979 vor der Synode der Berlin-brandenburgischen Kirche selbst beschrieben: „Die Gefahr der Anpassung ist darum so groß, weil die Macht gerade eine machtlos gewordene Kirche verlocken könnte, die Freiheit und die Fülle ihrer Verkündigung für das Linsengericht einer größeren ’Überlebenschance’ preiszugeben. Die Gefahr der Verweigerung beruht auf der falschen Überzeugung, daß ein im Kern atheistisches und totalitäres Regime überall und immer nur Falsches hervorbringen könne“ (Schönherr 1979, S. 12).
Zwar reichte der Einfluß der Kirche nicht aus, die bestehenden gesellschaftlichen Grundkonflikte zu lösen. Indem sie diese jedoch offen benannte, machte sie die Untragbarkeit politischer Zustände bewußt, mit denen sich viele Bürger schon resignierend abgefunden hatten. Außerdem trug die Kirche dazu bei, gegen die herrschende Staatsideologie alternative Lebensentwürfe zu verteidigen und neue gesellschaftliche Perspektiven zu entwickeln, die einer sich ausbreitenden geistigen Orientierungskrise zumindest teilweise entgegenwirken konnten. Indem sie sich der politischen Herausforderung stellte und sich in die gesellschaftliche Entwicklung einmischte, hat die Kirche vor allem erreicht, daß neben der staatlich kontrollierten Scheinöffentlichkeit eine eigene Kommunikations- und Dialogkultur entstehen konnte, in der ein kritisches Nachdenken über den Zustand und die Perspektiven der Gesellschaft möglich wurde.
Die politische Bedeutung dieser intellektuellen Kultur, die sich seit Mitte der siebziger Jahre vor allem im Rahmen der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen der DDR, im kirchlichen Forschungsheim Wittenberg, in der Arbeit der Evangelischen Akademien und in der Entstehung zahlreicher Gruppeninitiativen ausbildete, die sich für Frieden und Abrüstung, Menschenrechte, Probleme der Dritten Welt, die Bekämpfung der Umweltprobleme und die Lösung
innergesellschaftlicher Zielkonflikte engagierten, muß im einzelnen noch aufgeklärt werden (siehe vor allem Rein 1990, Pollack 1990 a, Richter/Zylla 1991, Lange u. a. 1992). Christen hatten einen wichtigen Anteil, als mutige einzelne begannen, „das Recht der Regierten, als mündige Bürger behandelt zu werden“, einzuklagen (Tschiche 1982, S. 153). Sie machten in den achtziger Jahren verstärkt deutlich, daß die Sicherung des äußeren Friedens, der ein deklariertes Ziel der Außenpolitik der DDR darstellte, den „innenpolitischen Frieden“ notwendigerweise einschließen mußte. So enthält die Geschichte der Kirchen in der DDR auch ein Element von Oppositionsgeschichte, das eine differenzierte Analyse erfordert.
Eine neue Perspektive in der Wahrnehmung der Geschichte politischer Verweigerung in der DDR haben Armin Mitter und Stefan Wolle eröffnet. Sie haben umfangreiche Beobachtungs-berichte und Lagebeurteilungen aus den Archiven der SED und des Ministeriums für Staatssicherheit ausgewertet und damit den Nachweis geführt, daß es in der Geschichte der DDR im beachtlichen Umfang auch eine verborgen gebliebene Widerständigkeit der kleinen Leute gegeben hat. In exemplarischen Fallstudien zu Krisenjahren der DDR-Geschichte (1953, 1956, 1960/61, 1968) werden Menschen gezeigt, „die versucht haben, unter unwürdigen Bedingungen ein kleines Stück Würde zu behaupten, die unter dem Trommelfeuer einer stupiden Propaganda ihren gesunden Menschenverstand und ihren Humor bewahrten, die ohne Märtyrerzu sein, dort schwiegen, wo Jubel verlangt wurde, und dort redeten, wo Schweigen verordnet war“ (Mitter/Wolle 1993, S. 25). Aus diesen Befunden läßt sich keine pauschale Entlastung der DDR-Gesellschaft ableiten, doch dürfen solche Zeichen von persönlichem Mut, moralischer Integrität und intellektueller Redlichkeit nicht ausgeblendet bleiben, wenn die Gesellschafts-geschichte der DDR in ihrer Komplexität erschlossen werden soll. Es ist richtig: Offener Widerstand war in der DDR – sieht man vom 17. Juni 1953 ab – das Werk von kleinen Minderheiten, die von der Staatssicherheit flächendeckend überwacht und akribisch registriert wurden. „Streng geheim“ wurde ein enger Führungskreis der SED in einer „Information über beachtenswerte Aspekte des aktuellen Wirksamwerdens innerer feindlicher, oppositioneller und anderer negativer Kräfte in personellen Zusammenschlüssen“ am 1. Juni 1989 unterrichtet. Insgesamt wurden 160 derartige „Zusammenschlüsse“ festgestellt, das Gesamtpotential der aktiven Teilnehmer wurde mit 2500 Personen (ohne das Sympathisantenumfeld) angegeben, ihre Entwicklungs-geschichte wurde sorgfältig rekonstruiert (Mitter/Wolle 1990, S. 46–71). Daß es sich dabei jedoch um keine marginale soziale Erscheinung handelte, hat die nachfolgende Entwicklung gezeigt; denn die manifeste Opposition hat – unabhängig von ihrer geringen Anzahl – eine große Wirkung erzielt. Dafür lassen sich vor allem zwei Gründe anführen: Sie bildete lediglich die sichtbare Spitze, die auf einem breiten sozialen Protestmilieu gründete, das im vorpolitischen Raum verblieb, weil es die politischen Risiken einer offenen Opposition scheute. Besonders wichtig war jedoch, daß diese Gruppen eine kritische Gegenöffentlichkeit konstituierten, die von vielen Bürgern als authentischer Ausdruck ziviler Mündigkeit registriert wurde. (vgl. auch Thaa u. a. 1992).
Das Problembewußtsein, das die Oppositionsgruppen artikulierten, hat die kritische Wahrnehmung der Politik durch erhebliche Teile der Bevölkerung stärker beeinflußt, als dies aus ihrer konkreten Aktivitätsbereitschaft hervorging. So lange Angst die latente Protestenergie lähmte, blieb diese in vielen Köpfen eingeschlossen. Die Oppositionsgruppen haben mit ihrem Beispiel die Wende zwar angestoßen, aber nicht allein getragen. Die Massenbewegung gegen das SED-Regime war die Folge einer breiten politischen Verweigerung, die aus einer latenten Protesthaltung öffentlich wurde, nachdem die Menschen ihre Angst überwunden hatten. Am 19. September 1989 hatte das Neue Forum als erste Bürgerbewegung seine Zulassung als politische Vereinigung offiziell beantragt, die vom Innenministerium am folgenden Tag mit der Begründung abgelehnt wurde, die Gruppe sei „staatsfeindlich“. Als die Zulassung mitten im Prozeß der Wende, einen Tag vor der Maueröffnung, am 8. November 1989 erteilt wurde, hatten sich bereits mehr als 200.000 Menschen in Unterschriftenlisten zum Neuen Forum bekannt. Diese Entwicklung zeigte das hohe gesellschaftliche Protestpotential ebenso deutlich an, wie sich schon bald erweisen sollte, daß „Reformbewegung und Volksbewegung“ nicht durch die „visionäre Programmatik der Opposition“ verbunden waren, sondern durch die Ablehnung des Machtmonopols der SED (Schulz/Wielgohs 1990, S. 19).
Es gehört zu den wichtigen Aufgaben gesellschaftsgeschichtlicher Forschung, Resistenz und Widerständigkeit als mentale Dispositionen und politische Habitusformen im Entwicklungsprozeß der DDR-Gesellschaft deutlicher zu akzentuieren, denn die Alternative von Anpassung oder Opposition ist unzureichend, um soziale Verhaltensweisen adäquat zu erfassen.
3.6. Empirische Sozialforschung
3.6.1. Zur Geschichte der Soziologie in der DDR
Die Entwicklung der Soziologie in der DDR als selbständige Wissenschaftsdisziplin vollzog sich in einem komplizierten Emanzipationsprozeß vom Geltungsanspruch des Marxismus/Leninismus. Erst seit Ende der fünfziger Jahre wurden in der DDR sozialpsychologische und jugend-soziologische Untersuchungen durchgeführt, die schwierige Formierungsphase der DDR-Soziologie endete nach dem VI. Parteitag der SED (Januar 1963). Kurt Hager erklärte in der offiziellen SED-Parteizeitschrift „Einheit“: „Die soziologische Forschung in der DDR muß weiterentwickelt werden. Durch soziologische Massenforschungen zu grundlegenden und umfassenden Problemen unserer gesellschaftlichen Entwicklung wird ein wichtiger Beitrag zur politischen Führungs- und Leitungstätigkeit der Partei und des Staates geleistet“ (Hager 1964, S. 60).
Mit dieser politischen Rechtfertigung der Soziologie wurde eine Phase der Institutionalisierung eingeleitet. Im September 1964 beschloß das Politbüro der SED die Bildung eines Wissenschaftlichen Rates für Soziologische Forschung, 1965 wurde eine Forschungsabteilung für marxistisch-leninistische Soziologie am Institut für Gesellschaftswissenschaften (seit 1976 Akademie für Gesellschaftswissenschaften) beim ZK der SED eingerichtet, die bis zum Herbst 1989 eine Anleitungs- und Kontrollfunktion für die soziologische Forschung in der DDR ausübte. Bereits 1964 war das Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED etabliert worden, das repräsentative Bevölkerungsbefragungen zu verschiedenen Themen durchführen sollte, die vor allem die Akzeptanz der Politik betrafen. 1966 wurde das Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig gegründet, das dem Amt für Jugendfragen beim Ministerrat der DDR unterstellt war. Es ist besonders durch seine Intervallstudien bei Schülern, Studenten, Lehrlingen und jungen Arbeitern bekannt geworden. An der 1970 gegründeten Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR wurde eine Abteilung Soziologie des Bildungswesens aufgebaut, und 1978 entstand das Institut für Soziologie und Sozialpolitik an der Akademie der Wissenschaften der DDR. In den siebziger Jahren erfolgte eine Intensivierung und Qualifizierung der soziologischen Forschung, die auch zu einem erheblichen Anstieg an Veröffentlichungen führte.
Wer die soziologischen Publikationen aus der DDR nur oberflächlich betrachtete, registrierte zunächst ihre systemlegitimierende und sozialtechnologische Funktionali-sierung, doch blieben bei sorgfältiger Auswertung kritische Befunde, die Konfliktlagen indizierten, nicht verborgen. So entstand eine paradoxe Situation: Im Osten Deutschlands wurde mehr geforscht als publiziert, während im Westen mehr publiziert als geforscht wurde. So wurden die Sozialwissenschaftler, die sich im Osten und Westen Deutschlands mit der Gesellschaft der DDR beschäftigten, auf beiden Seiten Opfer einer je spezifischen Zwangslage. Empirische Sozialforschung in der DDR war rigider politischer Kontrolle (bei der Genehmigung von Forschungsprojekten ebenso wie bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse) unterworfen, die sie nur in einem begrenzten Rahmen unterlaufen konnte. Die sozialwissenschaftliche DDR-Forschung in der Bundesrepublik mußte auf eigene Feldstudien verzichten und war daher weitgehend auf Sekundäranalysen selektiv publizierter Befunde beschränkt, die auf akribische Spurensuche und phantasievolle Extrapolationen angewiesen waren.
Einen Schwerpunkt der sozialwissenschaftlichen DDR-Forschung, die bis zum Ausgang der siebziger Jahre maßgeblich von Peter Christian Ludz beeinflußt worden war, bildeten in den achtziger Jahren insbesondere Studien zur Entwicklung unterschiedlicher sozialer Gruppen (Jugend, Frauen) sowie zum sozialen Strukturwandel. Diese Themen verweisen auf jene Forschungsbereiche, in denen die DDR-Soziologie in den achtziger Jahren ein konfliktorientiertes Erkenntnisinteresse deutlicher akzentuiert hat. Als die Forschungsarchive nach der Wende geöffnet wurden, zeigte sich, daß die geheimgehaltenen Datenbestände nur begrenzte Aufschlüsse über den Wandlungsprozeß der DDR-Gesellschaft vermitteln konnten (vgl. vor allem Jaufmann u. a. 1992, Meyer 1992). „Zuverlässige sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse über die psychische Lage, die Mentalitäten und ihre zeitgeschichtlichen Veränderungsprozesse bei der DDR-Bevölkerung sind nur sehr spärlich vorhanden“ (Friedrich 1990, S. 25). Von diesem kritischen Urteil kann allenfalls die jugendsoziologische Forschung ausgenommen werden (Hille /Jaide 1990, Friedrich/Griese 1991). In einer Bilanz der empirischen Sozialforschung in der DDR (vgl. Berliner Journal für Soziologie, H. 3–4/1992) muß jedoch auch berücksichtigt werden, daß in verschiedenen soziologischen Teildisziplinen interessante Forschungsansätze entwickelt worden sind, die für die „Transformationsforschung“ (Lepsius 1991) relevant geworden sind. Transformationsforschung, die auf die Analyse des sozialen Umbruchs in Ostdeutschland nach der Wende zielt (Geißler 1993), öffnet zugleich einen Problemhorizont, der die Rekonstruktion der Vergangenheit einbezieht und insoweit auch zur nachträglichen Aufklärung von mentalen Entwicklungs-prozessen in der DDR-Gesellschaft beitragen kann (vgl. Lebenslagen 1991, Glatzer/Noll 1992, Michael Thomas 1992, Meyer 1992, Berliner Journal für Soziologie, H. 3/ 93). Reichweite und Grenzen empirischer Befunde für eine
mentalitätsgeschichtliche Analyse der DDR Gesellschaft sollen im folgenden exemplarisch demonstriert werden.
3.6.2. Meinungsforschung der SED
Erst kürzlich hat Heinz Niemann verschiedene Umfrageberichte aus dem Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED publiziert, die für den Zeitraum von 1965 bis 1976 einige Aufschlüsse über die Einschätzung der politischen, ökonomischen und sozialen Situation durch die Bevölkerung der DDR vermitteln. Dieses Institut hat bis zu seiner Schließung im Januar 1979 vermutlich mehr als 200 Umfragen durchgeführt, die Auswertungsberichte des Instituts wurden nur in 25–30 Exemplaren hergestellt und waren als „Vertrauliche Verschlußsache“, teils sogar als „geheim“ eingestuft. Aus diesem Grund konnte vermutet werden, daß die Ergebnisse dieser Untersuchungen eine erhebliche Brisanz haben.
Eine Sichtung von jetzt erstmals zugänglichen Umfrage-berichten, ergibt jedoch ein diffuses Bild: Ihre Validität kann nicht überprüft werden, die Repräsentativität erscheint nur ausnahmsweise gewährleistet, verschiedene Umfragen zum gleichen Zeitpunkt weisen erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Ergebnisse auf. Auffällig ist auch, daß häufig ein erheblicher Anteil der Befragten keine klare Position bezieht („ohne Angaben“, „weiß nicht“), was auf politische Vorsicht oder auf Urteilsunsicherheit hindeutet. „Keiner sollte der Versuchung erliegen, die dokumentierten Meinungsumfragen überzubewerten“ (Niemann 1993, S. 58) – doch vermitteln sie die einzigen empirischen Befunde über politische Einstellungen in der DDR-Gesellschaft, die für diesen Zeitraum vorliegen:
– Die Umfragen bestätigen, daß sich die Akzeptanz der SED-Politik zentral auf die „soziale Sicherheit“ bezogen hat. Etwa 90% der Befragten stimmten 1967/68 der Auffassung zu, daß die DDR „mehr soziale Sicherheit“ bieten würde als die Bundesrepublik (ebd., Dok. III, S. 133; Dok. V, S. 186; Dok.VI, S. 206). In einer Umfrage aus dem ersten Quartal 1976 ist dieser Wert allerdings auf 76% zurückgegangen (ebd., Dok. XV, S. 406). An diesen Befunden ist besonders interessant, daß sich die positiven Wirkungen einer sozialstaatlichen Orientierung schon in den sechziger Jahren nachweisen lassen und nicht erst als Folge der Honecker-Politik.
– Die Akzeptanz der DDR als Sozialstaat fällt 1967 wesentlich höher aus als die Einschätzung seiner ökonomischen Kompetenz, die sich darin äußert, daß nahezu die Hälfte der Befragten die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse mit „teils, teils“ bewertet (ebd., Dok. III, S. 132). Wie stark die Umfrageergebnisse von der Art der Fragestellung beeinflußt werden, zeigen die Angaben zur politischen Aktivitätsbereitschaft, die in einer Umfrage vom November 1968 zu einer Reihe ökonomischer und politischer Probleme in verschiedenen Betrieben in Karl-Marx-Stadt erhoben worden sind. Während vier Fünftel angeben, sie seien bereit, „ihren Beitrag zur Lösung der staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben zu leisten“, vertreten nur 45% die Ansicht, man müsse selbst politisch aktiv sein, zwei Fünftel erklären ausdrücklich, daß man „die Politik anderen überlassen“ solle. Der Anteil der Personen, die keine ehrenamtliche Tätigkeit während der Arbeitszeit ausüben, ist bei den Arbeitern (mehr als 40 %) mit Abstand am höchsten. Arbeiter zeigen auch die stärkste Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt politischer Informationen durch Presse, Funk und Fernsehen der DDR. Nur 38% der Arbeiter, aber 54% der Intelligenz haben auf diese Frage mit „ja“ geantwortet (ebd., Dok. XII, S. 353–355). Unter den Freizeitinteressen hat Politik einen sehr niedrigen Stellenwert (ebd., S. 357).
– In verschiedenen Betriebsumfragen wurde zwischen 1968 und 1973 ein Vergleich zwischen beiden deutschen Staaten erhoben: „Welchen gesellschaftlichen Verhältnissen würden Sie den Vorzug geben?“ Der Anteil, der sich dabei für die DDR entschieden hat, ist danach von 1968 bis 1973 von 65% auf 72% gestiegen. Während 1968 ein Viertel der Befragten kein Urteil abgeben mochte, ging dieser Anteil 1973 auf 16% zurück. Interessant ist, daß die Zustimmung bei Arbeitern (1973: 65 %) erheblich niedriger als bei Angehörigen der Intelligenz (1973: 84 %) ausfiel (ebd., Dok. XIV, S. 387).
– Widersprüchliche Ergebnisse wurden ermittelt, wenn „Sozialismus“ und „Kapitalismus“ differenziert verglichen worden sind (ebd., Dok. XIV, S. 382–384). In diesem Zusammenhang wurde 1971 die Frage gestellt, welche Seite „auf militärischem, technischem, wissenschaftlichem, kulturellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“ überlegen sei. Während auf sozialem (90 %) und kulturellem (77 %) Gebiet eine deutliche Überlegenheit des Sozialismus konstatiert wurde, erklärte die Mehrheit der Befragten, der Kapitalismus sei wirtschaftlich überlegen (43% gegenüber 32 %, die für den Sozialismus optierten, der Rest hat keine Präferenz angegeben. Als besonders groß wurde der Rückstand auf technischem Gebiet eingeschätzt (36% gegenüber 22 %), wobei Angehörige der Intelligenz wesentlich kritischer waren (50% zu 14%) als der Durchschnitt (ebd., S. 384). Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften beurteilten in einer Umfrage Ende 1975 die Überlegenheit des Kapitalismus auf technischem Gebiet im eklatanten Verhältnis von 76% zu 2% (ebd., S. 385). Setzt man diese Einschätzung in Beziehung zu dem seinerzeit proklamierten Konzept der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, dann werden grundlegende Orientierungs-widersprüche deutlich. Ökonomisches Wachstum und technologischer Fortschritt wurden auch von der SED als notwendige Voraussetzung für die Sicherung des sozialistischen Wohlfahrtsstaates angesehen. Wie konnte dieser gewährleistet werden, wenn sich nicht absehen ließ, daß der deutlich wahrgenommene Rückstand in Wirtschaft und Technik aufgeholt werden konnte?
Aussagekräftig sind vor allem die Ergebnisse einer Umfrage zu politischen Problemen, die im Frühsommer 1970 in den Kreisen Angermünde, Görlitz und Gera durchgeführt wurde und ein breites soziales Spektrum umfaßte (ebd., S. 42–46). Tabelle 1 zeigt, wie der Entwicklungsstand in der DDR in verschiedenen Bereichen durch die Befragten eingeschätzt wurde:
Tabelle 1: „Wie schätzen Sie den Entwicklungsstand beim sozialistischen Aufbau in der DDR auf folgenden Gebieten ein?“
(Angaben in Prozent)
_______________________________________________________________________
gut (1) unbefriedigend (2)
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1. Bildungswesen 77,2 (11,2) 1. Freie Entw. d.Persönlichkeit 19,9 (16,4)
2. Soziale Sicherheit 65,8 (25,5) 2. Sozialistische Demokratie 14,1 (19,2)
3. Wissenschaft und Technik 51,0 (30,1) 3. Ökonomische Entwicklung 10,6 (17,5)
4. Kulturelle Entwicklung 45,3 (32,7) 4. Kulturelle Entwicklung 9,0 (13,0)
5. Sozialistische Demokratie 34,9 (31,5) 5. Wissenschaft und Technik 7,4 (11,5)
6. Freie Entw. d. Persönlichk. 34,4 (29,3) 6. Soziale Sicherheit 3,5 (5,2)
7. Ökonomische Entwicklung 33,5 (33,4) 7. Bildungswesen 1,0 (10,6)
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(1) Klammerwert: zufriedenstellend (Diese Urteilsposition zeigt eher eine indifferente Haltung an.)
(2) Klammerwert: ohne Angaben (Bei einer Interpretation der Daten erscheint es gerechtfertigt, diese Reaktion der Befragten als vorsichtige Form der Distanzierung zu deuten.)
Quelle: Niemann 1993, S. 43.
Wichtiger als die Prozentwerte dürften die Rangplätze für die verschiedenen Beurteilungsfaktoren sein. Drei Ergebnisse sollen besonders hervorgehoben werden:
– Es zeigt sich sehr deutlich, daß die Akzeptanz des Systems in erster Linie auf das Bildungswesen und die soziale Sicherheit bezogen war.
– In der Einschätzung von sozialer Sicherheit und ökonomischer Entwicklung bestand eine markante Differenz, woraus die Folgerung abgeleitet werden kann, daß auch die individuelle materielle Lebenssituation kritisch beurteilt worden ist.
– Demokratie und Selbstverwirklichung werden als besonders defizitär empfunden. Daß der Sozialismus auch in Westdeutschland siegen werde, konnte sich 1970 nur die Hälfte der Befragten vorstellen, wobei sich nur ein Fünftel „ganz sicher“ war, ein Drittel bezweifelte eine solche Entwicklung, jeder Achte verneinte diese Möglichkeit. Aufschlußreich ist die soziale Differenzierung: Handwerker, Gewerbetreibende, Arbeiter und Genossenschaftsbauern hatten die stärksten Vorbehalte gegenüber einer sozialistischen Perspektive für Westdeutschland, im Mittelfeld lagen Lehrlinge und Angestellte, Angehörige der Intelligenz und Schüler der Erweiterten Oberschule teilten am häufigsten die von der SED propagierte Auffassung, daß sich der Sozialismus gesetzmäßig durchsetzen werde und daher auch um Westdeutschland keinen Bogen machen könne.
Faßt man diese Ergebnisse zusammen, können nur 20% der Befragten als ideologiekonform im strengen Sinn gelten, bei den Arbeitern sind dies sogar nur 13% (ebd., S. 43 f.).
Wie der Herausgeber der Dokumente demonstriert, lassen sich die ausgebreiteten Ergebnisse auch anders interpretieren, als es hier versucht worden ist: „…die Ergebnisse der Meinungs-forscher bestätigen, daß die Entwicklung in den sechziger Jahren bei einer Mehrheit der DDR-Bevölkerung zu einer mentalen Akzeptanz des Systems und des deutsch-deutschen Status quo geführt hatte. Die DDR war nicht mehr nur von einer aktiven Minderheit ’angenommen’, die SED erfüllte das Minimalkriterium jeglicher Legitimation: Die Mehrheit des Volkes anerkannte die gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen die SED den politischen und ideologischen Anspruch auf das Recht zur Führung von Staat und Gesellschaft“ erhob (ebd., S. 47). Der Verzicht auf eine kritische Interpretation der Umfrageberichte, deren apologetische Tendenz in den Kommentaren oft überdeutlich ist, führt Heinz Niemann zu Schlußfolgerungen, die durch die vorliegenden Daten keineswegs gestützt werden. Die „gesellschaftlichen Verhältnisse“ in der DDR wurden von der Bevölkerung differenzierter wahrgenommen, als dies bei einer pauschalen Betrachtung erscheint, die zudem in mißverständlicher Weise die Kategorien „mentale Akzeptanz“ und „Legitimation“ miteinander verknüpft.
Vorsichtig formuliert, stützen die vorliegenden Daten für den Zeitraum von 1965 bis 1975 die Hypothese, daß soziale Sicherheit und Bildung die wichtigsten Akzeptanzwerte im politischen System der DDR gewesen sind. Eine distanzierte Einstellung zeigt sich im Hinblick auf die Zufriedenheit mit den ökonomischen Lebensbedingungen, während die Entwicklung der „sozialistischen Demokratie“ von einem erheblichen Teil der Bevölkerung kritisch beurteilt wurde. Auffällig ist, daß abstrakt-allgemeine Fragen, die sich an ideologische Propagandaformeln anlehnen, häufig besonders hohe Zustimmungsraten erbracht haben. Wenn sich die Fragestellung jedoch auf konkrete Lebensbereiche bezog, wurde die Streuung erheblich größer. So wird man vermuten dürfen, daß die Zustimmung zu den „gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR“, die von fast drei Viertel der Befragten geäußert wurde, eher eine (Schein-)Rationalisierung von Anpassungszwängen ausdrückt als internalisierte ideologische Überzeugungen. Diese Einschätzung wird durch soziologische Untersuchungen zum Wertewandel in der DDR-Gesellschaft empirisch gestützt.
3.6.3. Mentalitätswandel in der DDR
Während über Einstellungsveränderungen der Gesamt-bevölkerung in der DDR gegenüber Politik und Ideologie der SED nur wenige konkrete Daten vorliegen, enthalten die Untersuchungen, die das Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig über zwei Jahrzehnte regelmäßig durchgeführt hat, relativ aussagekräftige empirische Befunde, die den Wandel politischer Einstellungen und individueller Lebens-orientierungen in der jungen Generation deutlich erkennen lassen. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studien, bei denen Schüler, Lehrlinge, junge Arbeiter und Studenten befragt worden sind, können so zusammengefaßt werden:
– Der Mentalitätswandel der Jugend in der DDR umfaßte sowohl die politischen Einstellungen als auch die individuellen Lebensorientierungen. Er vollzog sich als Prozeß einer zunehmenden politischen Distanzierung und als Wertewandel, der durch eine deutliche Verschiebung von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten gekennzeichnet ist.
– In den siebziger Jahren ließ sich bei den politischen Einstellungen zunächst eine „deutliche Konsolidierung sozialistischer Überzeugungen und Wertorientierungen“ bei allen Schichten der Jugend feststellen, Ende der siebziger Jahre zeigten sich „erste stagnative und auch leicht rückläufige Trends“, seit 1985 setzten „starke Verfallsprozesse der politischen Identifikation ein, die seit 1988 dramatisch verliefen“ (Friedrich 1990, S. 26). Schüler der
Polytechnischen Oberschule (10. Klasse), Lehrlinge und junge Arbeiter lösten sich früher und deutlich stärker von den propagierten
Systemwerten als Studenten.
Tabelle 2: Identifikation mit dem Marxismus-Leninismus
(Angaben in Prozent)
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stark mit Einschr. kaum/nicht
_______________________________________________________________________
Lehrlinge
1975 46 40 14
1979 33 49 18
1981 1) 28 50 22
1985 1) 14 40 46
1988 13 46 41
1989 (Mai) 9 35 56
1989 (Okt.) 6 32 62
Studenten
1975 61 34 5
1979 57 35 8
1989 (Mai) 35 46 19
_______________________________________________________________________
1) Nur männliche Lehrlinge
Quelle: Friedrich 1990, S. 27
Tabelle 3: Einstellung zur Machtausübung in der DDR
(Angaben in Prozent)
Leipziger Schüler aus 10. Klassen
„Wird nach Ihrer Meinung in der DDR die Staatsmacht so ausgeübt, wie Sie es für richtig halten?“
_______________________________________________________________
volle Zustimmung mit Einschränkung neutral Ablehnung
1981 11 45 19 25
1988 5 29 17 49
1989 (Ende Okt.) 0 3 12 85
_______________________________________________________________________
Studenten
„In der DDR wird die Macht in meinem Sinne ausgeübt“
_______________________________________________________________________
volle Zustimmung mit Einschränkung kaum/überhaupt nicht
_______________________________________________________________________
1979 32 59 9
1989 (Mai) 7 63 30
Quelle: Friedrich 1990, S. 31
Während in den siebziger Jahren die wahrgenommene Differenz der Gesellschaftssysteme das nationale Identitätsbewußtsein noch stark beeinträchtigt hat, wurde in der Endphase des SED-Staates eine deutliche Annäherung an gesamtnationale Orientierungen vorherrschend. Eine Vergleichsuntersuchung zu nationalen Stereotypen, die Harry Müller bei Leipziger Schülern der 8. bis 10. Klassen 1978 und 1988 durchgeführt hat, weist nach, daß sich die Einstellungen zur BRD in diesem Zeitraum deutlich positiv verändert haben.Die Aufwertung des Fremdstereotyps „BRD-Bürger“ war mit einer Abwertung des Autostereotyps „DDR-Bürger“ verbunden, wobei die Verschiebungen teilweise eklatant waren. Während 1978 noch 42% der Schüler der Auffassung „voll zustimmen“, daß die DDR-Bürger „politisch fortschrittlich“ sind und 36% meinen, daß sie sich „in ihrem Staat wohlfühlen“ (Vergleichswerte für die BRD-Bürger: 9% bzw. 11 %), hat sich die Beurteilung 1988 grundlegend gewandelt: Daß die Bürger der BRD politisch fortschrittlich sind, finden 28% ohne Einschränkung zutreffend, und 22% gehen in vollem Umfang davon aus, daß sich die BRD-Bürger in ihrem Staat wohlfühlen (Vergleichswerte für die DDR-Bürger: 17% bzw. 10 %). Diese Einschätzungen bilden vor allem die negativen Reaktionen auf die Wahrnehmung der politischen Entwicklung in der DDR ab (Friedrich 1990, S. 32).
In der Vergleichsuntersuchung wurden außerdem die Persönlichkeitsprofile der DDR- und BRD-Bürger u. a. nach den Merkmalen „arbeitsam“, „intelligent“ und „sympathisch“ verglichen. Daß die DDR-Bürger fleißiger sind, meinen 1978 doppelt so viele Befragte, 1988 werden Ost- und Westdeutsche in dieser Hinsicht gleich bewertet. Ganz ähnlich ist das Bild bei der Beurteilung ihrer Intelligenz. Während 1978 zwei Fünftel der vierzehn- bis sechzehnjährigen Schüler DDR-Bürger ohne Einschränkung als „sympathisch“ einstufen (für die BRD-Bürger stimmt dieser Einschätzung nur ein Fünftel zu), haben die BRD-Bürger 1988 sogar einen geringen Sympathievorsprung (31% zu 28%) erreicht (ebd.). Dieser Befund verweist auf die starke Erosion einer – gegenüber der Bundesrepublik abgegrenzten – spezifischen DDR-Identität, die sich direkt aus dem oben beschriebenen Prozeß der politischen Distanzierung erklären läßt.
In den siebziger Jahren war in großen Teilen der Jugend noch eine „relativ stabile Ausprägung“ systemkonformer Orientierungsmuster vorhanden, die ein „kritisch-distanziertes Verhältnis“ zu den BRD-Bürgern (als Repräsentanteneines anderen Gesellschaftssystems) begünstigte (ebd.). Die Abkehr von der DDR als politische Realität und als ideologisches Zielsystem war mit einer Zuwendung zur BRD verbunden, die den eigenen Lebensorientierungen immer näher rückte. Der „Mentalitätsumbruch“ ließ sich spätestens seit Mitte der achtziger Jahre in markanter Weise auch als „Werteaufbruch“ erkennen (ebd., S. 34). Er betrafneben der Abwendung von Politik und Ideologie der SED auch die individuellen
Lebensorientierungen. Zwischen 1975 und 1985 waren das Erlebnisstreben, das Streben nach Mode und Luxus und das Streben nach Geselligkeit (im Sinne einer Abkehr von organisierten Veranstaltungen) sprunghaft angestiegen.
Diese Entwicklung verweist nicht nur auf die wachsende Bedeutung von Selbstentfaltungswerten, sie akzentuiert auch eine verstärkte Betonung materieller Bedürfnisse, so daß man von einem neuen Wertetypus sprechen kann, in dem sich hedonistische (Genußstreben) und materialistische (Streben nach Luxus und Mode) Wertorientierungen zu einem neuen Wertetypus verbinden (vgl. Klages/Gensicke 1993, S. 54 ff.).
Das Streben nach Selbstgestaltung, sozialer Anerkennung und Gerechtigkeit hat vor allem seit Mitte der achtziger Jahre im Wertemuster der Jugendlichen wachsende Bedeutung. Friedrich sieht darin vor allem eine Reaktion auf negative Erfahrungen im DDR-Alltag. Arbeitsethos und Bildungsorientierung werden dagegen als Lebensorientierungen erst im Prozeß der Wende zunehmend bedeutsam, sie signalisieren die hohen Erwartungen, die viele Jugendliche an die neue Gesellschaft richten (Friedrich 1990, S. 34).
Tabelle 4: Werteverschiebungen bei DDR-Lehrlingen 1975–1989
Zustimmungen „Ohne Einschränkungen“
_______________________________________________________________________
Werte 1975 1985 1989
_______________________________________________________________________
Hedonismus/Materialismus:
Öfter etwas Verrücktes erleben,
Abenteuer haben 4 40 52
Sich nach der Mode richten,
sich etwas Luxus leisten 32 33 44
Liebe und Sex voll genießen
36 50 66
Auto anschaffen
3 43 58
Hoher Wohnkomfort
50 74 86
Informalität:
Einen Kreis guter Freunde haben
42 69 89
_______________________________________________________________________
„Konventionalistischer“ Selbstbezug:
Hohe Anerkennung erreichen, etwas gelten
13 18 32
Selbstkritik, Selbsterziehung 30 35 40
Gerechtigkeitsstreben, Selbstlosigkeit
32 33 47
In einer guten Arbeit eine hohe Ehre sehen,
es beruflich zu etwas bringen 33 24 55
Bildungsstreben
38 28 36
_______________________________________________________________________
Quelle: Klages/Gensicke 1993, S. 55.[Quelle: W. Friedrich 1990, Friedrich/Giese 1991, Gruppierung und Kennzeichnung der Wertegruppen nach Klages/Gensicke 1992.]
Die Jugendstudien aus dem ZIJ lassen deutlich erkennen, daß die Finalitätskrise des SED-Staates von der jungen Generation seit Mitte der achtziger Jahre nachhaltig wahrgenommen wurde. Eine weitgehende Erosion der ideologischen Bindekraft und eine wachsende Distanzierung von der Politik waren Folgen dieser Entwicklung, die mit einem Wertewandel verbunden war, in dem sich eine weitgehende Annäherung an die Wertemuster von Jugendlichem im westlichen Deutschland vollzog. Diese Erkenntnis wurde durch die Shell-Studie (vgl. Shell-Studie 1992, Bd. 1, S. 26 ff., S. 232 ff.) sowie andere Vergleichs-untersuchungen (vgl. Hoffmann-Lange u. a. 1993) im wesentlichen bestätigt.
Auf einer wesentlich schmaleren Datenbasis hat Thomas Gensicke den Versuch unternommen, die Entwicklung der sozialen Psyche und der Mentalität der Bevölkerung in der DDR vor der Wende sekundäranalytisch zu rekonstruieren (vgl. Gensicke 1992). Aus einer empirischen Untersuchung („Annäherung der Klassen und Schichten bei der weiteren Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft in der DDR“), die 1977/78 vom Institut für Soziologie der Akademie für Gesellschaftswissenschaften (Stichprobe: rund 5.700 Befragte) durchgeführt wurde, folgert Gensicke, daß die „Stimmungslage“ zu diesem Zeitpunkt „von relativer Loyalität geprägt war“. Dieser Befund wird vor allem durch Sozialisationswirkungen der Arbeitsgesellschaft verständlich: „In vieler Hinsicht scheint 1977/78 für die DDR-Bürger die Arbeitssphäre Entfaltungs-spielraum und eine wichtige Quelle positiver Erfahrungen gewesen zu sein.“ Die politische Bindekraft des DDR-Systems war demgegenüber deutlich geringer, „die Bemühungen der SED um eine verstärkte Politisierung der DDR-Bürger“ waren nur begrenzt erfolgreich (Gensicke 1992, S. 1278 f.). Eine Studie „Tendenzen der Bedürfnisentwicklung“ (Stichprobe: rund 500 Befragte), die zehn Jahre später (1987) am Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR durchgeführt wurde, zeigt an, daß sich die Lebensziele jüngerer und älterer Berufstätiger (Schnittlinie ist ein Alter von 40 Jahren) in vieler Hinsicht angenähert haben, wobei allerdings hedonistische Orientierungen in der Generation unter 40 Jahren, Pflichtwerte in der älteren Bevölkerungsgruppe überwiegen, währendmaterialistische Lebensziele in einer gleichen Größenordnung auftreten (ebd., S. 1276).
Tabelle 5: Lebensziele bei unter 40jährigen und bei ab 40jährigen Berufstätigen 1987
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bis 39 J. ab 40 Jahre
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Das Leben genießen 85 67
Den eigenen Interessen und Hobbys nachgehen 79 71
Seine Individualität entfalten 77 70
Viele interessante Menschen kennenlernen 79 66
Solidarität üben 59 70
Im Leben Vorbild sein für andere 59 65
Eigene Lebenswege gehen 56 50
Hohe Leistungen für die Gesellschaft vollbringen 48 56
Sich möglichst viel anschaffen können 54 52
_______________________________________________________________________
Quelle: Gensicke 1992, S. 1276. [Quelle: BED87; Angaben in Prozent; Auswahl: Das Lebensziel trifft „voll auf mich zu“ +„im großen und ganzen auf mich zu“; Fünfer-Skala; gewichtete Daten.]
In Auswertung einer empirischen Untersuchung, die von der Akademie für Gesellschaftswissenschaften zur Jahreswende 1988/89 durchgeführt wurde, ist es Gensicke vor allem gelungen, die Entstehung und Ausbreitung einer gesellschaft-lichen Problemwahrnehmung sichtbar zu machen, die sich schließlich zu einem akzentuierten Krisenbewußtsein verdichtet hat. Diese Studie „vermittelt ein Bild von großer Unzufrieden-heit und von Perspektivlosigkeit in der Bevölkerung“, das die ökonomische, ökologische und soziale Situation in der DDR sowie die individuellen Lebensbedingungen in gleicher Weise betrifft (Gensicke 1991, S. 100).
Schaubild: Was hat sich in den letzten 5/6 Jahren in der DDR geändert (Anfang 1989)
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schlechter/gesunken besser/gestiegen
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Umweltbedingungen – 0,56 Arbeitsbedingungen 0,22
Warenangebot – 0,54 Wohnbedingungen 0, 43
Sich etwas leisten – 0,26 Qualifikationsanforderungen 0, 55
Dienstleistungen – 0,13 Leistungsdruck 0,7
Menschl. Beziehungen – 0,09
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Quelle: Gensicke 1991, S. 101.
Hoffnungen auf positive Veränderungen wurden nur noch von einer Minderheit geäußert, die Ende 1988 maximal ein Viertel der Bevölkerung umfaßte (ebd., S. 99). Die negative Einschätzung der Entwicklung, die sich seit Mitte der achtziger Jahre in der DDR vollzogen hat, verweist auf den starken Loyalitätsverfall gegenüber dem SED-Regime, der immer größere Teile der DDR-Gesellschaft erfaßt hatte. Politik und Ideologie waren unglaubwürdig geworden, um so mehr rückte die Frage in den Vordergrund, welche Orientierungsmuster in der ostdeutschen Gesellschaft vorherrschend geworden waren.
3.6.4. Wertemuster der vereinigten Deutschen
Willi Herbert hat in Auswertung einer Repräsentativbefragung, die von der Forschungsstelle für gesellschaftliche Entwicklungen angeleitet und von MARPLAN im April/Mai 1990 durchgeführt wurde (1.700 Befragte in der Bundesrepublik, rund 800 Befragte in der damaligen DDR) eine starke Affinität in den Wertemustern und Verhaltensorientierungen der Ost- und Westdeutschen festgestellt: „Insgesamt zeigen unsere vergleichenden Analysen zur Selbstcharakterisierung der Deutschen, zu ihren Wertorientierungen und zu ihrem Verständnis von Freiheit und Demokratie, daß noch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Deutschen in Ost und West existieren. Insbesondere überrascht, daß – abgesehen von einigen situativ erklärbaren Einzelfacetten – Wertpräferenzen und das Verständnis und die Bewertung politisch-demokratischer Normen große Ähnlichkeiten aufweisen. Wertewandel, Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile haben offensichtlich auch bei den Menschen in der DDR ihre Spuren hinterlassen, worauf insbesondere die Tatsache verweist, daß in BRD und DDR ein identisches Gefälle zwischen den Generationen existiert“ (Herbert 1991, S. 128).
Auch Helmut Klages und Thomas Gensicke haben die These vertreten, daß die Endphase der DDR durch eine „Wertedynamik“ geprägt worden ist, „die im Vergleich mit der Entwicklung im Westen mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede aufweist“ (Klages/Gensicke 1993, S. 57; vgl. auch Klages/Gensicke 1992). Wichtige Ursachen sehen sie einerseits im Modernisierungsprozeß, dem die SED „nicht ihren eigenen Stempel aufzudrücken“ vermochte, andererseits in der „Nischengesellschaft“, die „Freiräume zu unabhängigem und selbständigem Handeln“ öffnete, in denen sich „informelle Gemeinschaften“ und eine jugendliche Subkultur ausbilden konnten (Klages/Gensicke 1993, S. 57).
In einer sekundäranalytischen Untersuchung, die verschiedene Umfragen (insbesondere ALLBUS) aus den Jahren 1991/92 zusammenfaßt, hat Michael Braun die Hypothese von Klages/Gensicke weiter differenziert, im wesentlichenaber bestätigt. Braun hat u. a. die Einstellungen der Ost- und Westdeutschen zu Arbeit und Beruf, zur Rolle der Frau, zu Ungleichheit und zu den Erziehungszielen thematisiert und dabei auf einer breiten Datenbasis die Schlußfolgerung gezogen, „daß Einstellungsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen nur in den Bereichen auftreten, die sich auch hinsichtlich der objektiven Lebensbedingungen der Menschen unterscheiden“ (Braun 1993, S. 20). So sind für die Menschen in den neuen Bundesländern Arbeit und Beruf wesentlich wichtiger, als dies in den alten Bundesländern angegeben wird (ebd., S. 10). Dieser Befund reflektiert die aktuelle ökonomische Situation in den neuen Bundesländern, die durch Arbeitsplatzunsicherheit und niedrige Einkommen bestimmt ist. Dagegen zeigt sich ein hohes Maß an Übereinstimmung in den Wertorientierungen überall dort, „wo es um allgemeine, eher ideologiehaltige Einstellungen geht“ (ebd., S. 20). So werden die wichtigsten Erziehungsziele bei den Befragten in Ost- und Westdeutschland völlig gleichgewichtig bestimmt: Mehr als 70% nennen jeweils zuerst „selbständig denken“, nur 13% halten „gehorchen“ für das wichtigste Erziehungsziel. Die „Befürwortung von Autonomiewerten“ ist also im Osten Deutschlands genauso stark ausgeprägt wie im Westen, obwohl man hätte vermuten können, das Autoritätssyndrom des vormundschaftlichen Staates habe diesbezüglich nachhaltige Spuren hinterlassen (ebd., S. 17 ff.). Eine Berliner Unter-suchung hat gezeigt, daß auch im Hinblick auf die politischen Partizipationsansprüche keine signifikaten Ost-West-Unterschiede bestehen (Fuchs, u. a. 1991), doch ergeben andere Studien zu politischen Einstellungen ein ambivalentes Bild (Bauer 1991). Dies wird besonders markant konturiert, wenn dabei vereinigungsbedingte Probleme und die wechselseitige Wahrnehmung der Ost- und Westdeutschen im Vordergrund stehen (vgl. Kaase 1993). Aus der Ähnlichkeit von Wertemustern kann daher nicht vorschnell auf die „innere Einheit“ der Deutschen geschlossen werden.
Eine Befragung von Siegfried Grundmann vom Dezember 1992 verdeutlicht, daß in der Rückerinnerung an die DDR als positiver Wert in einer beachtlichen Größenordnung nur noch die soziale Sicherheit wahrgenommen wird. Selbst die hohe Arbeitsplatzsicherheit wird inzwischen (vermittelt durch die Erkenntnis der ökonomischen Insuffizienz des Systems) stark relativiert. Werte der politischen Selbstbestimmung und der individuellen Selbstentfaltung bilden demgegenüber den Maßstab, mit dem die negativen Seiten der DDR beurteilt werden (vgl. Diagramm 1 und Diagramm 2 (bei Grundmann 1993, S. 81 u. S. 87; abgedruckt in Bd. II/2, S. 1187 und S. 1188).
Faßt man die hier vorgestellten Befunde zusammen, die im Kontext zahlreicher aktueller empirischer Forschungsprojekte zum Transformationsprozeß in Ostdeutschland stehen (vgl. auch Meyer 1992, Michael Thomas 1992, Geißler 1993, Berliner Journal für Soziologie, 3/1993), so lassen sich sozialismus-spezifische Mentalitätsprägungen in der ostdeutschen Bevölkerung nur noch in einem sehr geringen Umfang erkennen.Die Wertemuster der vereinigten Deutschen sind ähnlicher als es ihre wechselseitige Wahrnehmung vermuten läßt. Es sind nicht die Wertemuster, sondern die Unterschiede in den objektiven Lebensbedingungen, die sich – gesellschaftspolitisch betrachtet – als Hindernis auf dem Weg zur „inneren Einheit“ erweisen. Der Wertewandel in Ostdeutschland ist weitgehend vollzogen, der sozioökonomische Wandel muß dieser Entwicklung folgen.
Zusammenfassung
1. Antifaschismus und Sozialismus waren die zentralen ideologischen Orientierungswerte (Konstitutionsprinzipien) der Gesellschaftspolitik in der Formierungsphase der DDR. Während der Antifaschismus in den ersten Nachkriegsjahren als „Programm-Minimum“ zunächst eine konsensstiftende Wirkung erzeugte, die breite Bevölkerungsteile umfaßte, wurde das von der KPD/SED vertretene „Programm-Maximum“ einer sozialistischen Umgestaltung mit allen Mitteln zunehmend zur Grundlage einer politischen Monostruktur, eines „antifaschistischen Stalinismus“ (Sigrid Meuschel).
2. Die Transformation des politischen und ökonomischen Systems, die seit 1945 unter dem Vorzeichen einer „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ eingeleitet und als revolutionäre Umgestaltung“ bis 1961 fortgeführt wurde, hat einen tiefgreifenden sozialen Umbau bewirkt: Die Gesellschaft der DDR wurde im Prozeß einer reglementierten Abstiegs- und Aufstiegsmobilität neu formiert. Die Spaltung der Gesellschaft, von der SED ideologisch als „Verschärfung des Klassenkampfes“ gekennzeichnet, trat markant in Erscheinung: Die Zustimmung der sozialen Aufsteiger war mit einer wachsenden Ablehung deklassierter Schichten verbunden. Die Loyalität der Arbeiter war labil, wie sich am 17. Juni 1953 deutlich gezeigt hat. In den fünfziger Jahren war die DDR zu einer blockierten Konfliktgesellschaft geworden, die über keine Regelungsmechanismen verfügte, reale Interessengegensätze öffentlich auszutragen. Die Massenabwanderung in den Westen, die fast ein Sechstel der Gesamtbevölkerung umfaßte, reduzierte zwar einerseits sozialen Protest und politische Widerständigkeit, verursachte aber gleichzeitig einen erheblichen ökonomischen Substanzverlust und wurde damit zur entscheidenden Ursache einer prekären Destabilisierung. Die vollständige Abriegelung nach außen, die am 13. August 1961 vollzogen wurde, war eine Anwendung politischen Zwangs, der sich gegen die ganze Gesellschaft richtete. In diesem Sinn stellt sie den Kulminationspunkt und zugleich das Ende der „Revolution von oben“ dar.
3. Die „nachrevolutionäre“ Periode seit 1961 war durch vielfältig variierte Versuche gekennzeichnet, die Akzeptanz der SED-Herrschaft mit Hilfe von Konzepten partieller Modernisierung zu erhöhen, die politische Stabilität durch ökonomische Konsolodierung und den Ausbau eines sozialistischen Wohlfahrtsstaates zu erreichen. Obwohl in dieser Periode, die spätestensseit Mitte der achtziger Jahre in eine „Finalitätskrise“ einmündete, wichtige Unterschiede in der programmatischen Orientierung nachweisbar sind, kann nicht von einem substantiellen Wandel in der Herrschaftspraxis der SED gesprochen werden. Insbesondere erscheint es problematisch, die ökonomischen Experimente und die technokratische Systempolitik der sechziger Jahre als Reformperiode zu kennzeichnen und damit gegenüber dem „real existierenden Sozialismus“ der Honecker-Ära legitimationstheoretisch positiv abzugrenzen. Denn der Herrschaftsanspruch der SED wurde zu keinem Zeitpunkt substantiell eingeschränkt.
4. Die Gesellschaftspolitik der DDR mußte nach dem Mauerbau 1961 mittel- und langfristig ein Arrangement mit der Bevölkerung anstreben. Ulbricht verknüpfte auf der Grundlage seines Konzepts von der „wissenschaftlichtechnischen Revolution“ eine technizistisch-instrumentelle Politikauffassung vom „entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus“ mit einem harmonistischen Gesellschaftsmodell, das sich in der Formel von der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ verdichtete, ohne daß die Partei dieser ideologischen Zielvorstellung nahegekommen wäre. Nach Ulbrichts im Mai 1971 erzwungenem Rücktritt setzte eine gesellschaftspolitische Neuorientierung ein, die durch eine spezifische Verbindung von materieller Wohlstandsmehrung mit dem weiteren Ausbau eines sozialistischen Wohlfahrtsstaates den „real existierenden Sozialismus“ als Alternative zur „kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ konkurrenzfähig machen wollte. Die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik wurde zur neuen Staatsraison der DDR, die sie bis an ihr Ende begleiten sollte.
5. Die Wirkungen der Gesellschaftspolitik der SED wurden nicht nur durch die Wahrnehmung der Herrschaftspraxis und der ideologischen Einflußnahme der Staatspartei sowie durch die Einschätzung der individuellen materiellen und sozialen Situation bestimmt. Auf die Ausprägung von Mentalitäten in der Gesellschaftsgeschichte der DDR haben historische Traditionen, konkurrierende Orientierungsangebote der bundesdeutschen „Beziehungsgesellschaft“ (M. Rainer Lepsius) und nicht zuletzt lebensweltliche Erfahrungen, die mit den informellen sozialen Beziehungen verbunden sind, nachhaltig eingewirkt und die Substanz vorherrschender gesellschaftlicher Wertemuster und Verhaltensorientierungen wesentlich beeinflußt.
6. Eine Rekonstruktion der Lebenswelt in der DDR und die Auswertung sozialwissenschaftlicher Studien stützen die Annahme, daß die Akzeptanz des Systems im Zeitraum zwischen 1965 und 1975 relativ hoch gewesen sein dürfte. Doch sind auch hier Differenzierungen notwendig: Soziale Sicherheit und Bildung waren die wichtigsten Akzeptanzwerte. Eine distanzierte Einstellung zeigt sich im Hinblick auf die Zufriedenheit mit den ökonomischen Lebensbedingungen, während die „sozialistische Demokratie“ von einem erheblichen Teil der Bevölkerung kritisch beurteilt wurde. Bemerkenswert ist, daß die Distanz gegenüber dem DDR-Sozialismus bei den Arbeitern deutlich stärker ausgeprägt war als bei den Angehörigen der „werktätigen Intelligenz“.
7. Seit Ende der siebziger Jahre läßt sich in der Gesellschaft der DDR ein „Generationenriß“ (Lutz Niethammer) erkennen, der auf mentalitätsgeschichtliche und gesellschaftspolitische Ursachen zurückgeführt werden kann. Die traditionsgebundenen politisch-kulturellen Orientierungen der „Arbeitsgesellschaft“, die für die ältere Generation zunächst noch weitgehend bestimmend blieben, stießen auf den Widerspruch der jungen Generation, die um 1950 geboren war und sich im Zusammenhang mit Prozessen des Wertewandels in der westdeutschen Beziehungsgesellschaft zunehmendvon der politischen Zielkultur der DDR entfernte. Die Auflösung traditionsgebundener Mentalitäten wurde durch den Umstand verstärkt, daß die soziale Dynamik der DDR-Gesellschaft in den siebziger Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen war. Die soziale Schließung, die Reduzierung sozialer Mobilitätsprozesse ist wesentlich durch eine Neuorientierung der Bildungspolitik beeinflußt worden, die den Zugang zum Hochschulstudiumaus ökonomischen Gründen seit 1972 drastisch begrenzt und damit die Möglichkeit sozialen Aufstiegs erheblich beeinträchtigt hat. Die Einschränkung von Karrierechancen hat den Rückzug in autonome Refugien ebenso begünstigt wie sie zur Entstehung gegenkultureller Orientierungen beigetragen hat.
8. Der Mentalitätswandel der Jugend in der DDR umfaßte sowohl die politischen Einstellungen als auch die individuellen Lebensorientierungen. Er vollzog sich als Prozeß einer zunehmenden politischen Distanzierung und als Wertewandel, der durch eine deutliche Verschiebung von Pflich- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten gekennzeichnet ist. Der „Mentalitätsumbruch“ ließ sich spätestens seit Mitte der achtziger Jahre in markanter Weise auch als „Werteaufbruch“ (Walter Friedrich) erkennen. Er betraf neben der Abwendung von Politik und Ideologie der SED auch die individuellen Lebensorientierungen. Neben der wachsenden Bedeutung von Selbstentfaltungswerten war auch eine verstärkte Betonung materieller Bedürfnisse zu registrieren, so daß man von einem neuen Wertetypus sprechen kann, in dem sich hedonistische und materialistische Wertorientierungen zu einem neuen Wertetypus verbinden sollten.
9. Der Loyalitätsverfall, der in der jungen Generation bereits Ende der siebziger Jahre einsetzte, erfaßte seit Mitte der achtziger Jahre immer größereTeile der Gesellschaft, die sich zunehmend den Wertemustern der westdeutschen Beziehungsgesellschaft annäherten. Empirische Untersuchungen, die nach der Wende durchgeführt wurden, haben übereinstimmend gezeigt, daß sich sozialismusspezifische Mentalitätsprägungen in der ostdeutschen Bevölkerung nur noch in einem sehr geringen Umfang nachweisen lassen. Die Wertemuster der vereinigten Deutschen sind ähnlicher als es ihre wechselseitige Wahrnehmung vermuten läßt. Es sind nicht die Wertemuster, sondern die Unterschiede in den objektiven Lebensbedingungen, die sich – gesellschaftspolitisch betrachtet – als Hindernis auf dem Weg zur „inneren Einheit“ erweisen.
10. Die Mentalitätsgeschichte der DDR ist durch ein hohes Maß an politischer Resistenz und ein vergleichsweise geringes Widerstandspotential geken nzeichnet, so daß die SED zwar lange Zeit gesellschaftliche Konflikte stillstellen konnte, ohne dadurch jedoch den Prozeß fortschreitender ideologischer Desintegration aufzuhalten. Die Gesellschaftspolitik der SED hat daher zur Disziplinierung der Gesellschaft beigetragen, ohne eine Gesinnungskonditionierung zu erreichen.
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